Debatte zwischen Harald Etzbach und Anton Holberg über Etzbach’s Artikel „Freiheit braucht Beistand – Ein Aufruf und seine Kritiker“

Anton Holberg, 23.2.2013

ZUR GEGENKRITIK VON HARALD ETZBACH UNTER DEM TITEL „LEHNSTUHL-DOGMATISMUS“ AN MEINER KRITIK AN SEINEM BEITRAG „FREIHEIT BRAUCHT BEISTAND“ (SoZ 2/2013 )

Harald Etzbach hat sich als bisher Einziger der zahlreichen Leser dazu bequemt, meine Kritik (10.2.2013) an seiner im SoZ-Beitrag (SoZ 2/2013) dargelegten Unterstützung des Aufrufs von ‚Adopt A Revolution’ zur Unterstützung der „syrischen Revolution“ zu beantworten. Dafür danke ich ihm sehr – weniger, weil ich Anlass hätte, darin ein Zeichen zwischenmenschlicher Freundlichkeit zu erblicken (Ausdrücke wie „schwatzhafte Kritik“ u.a. deuten eher auf das Gegenteil hin), als vielmehr, weil ich mich durch seine Gegenkritik in meiner Kritik umfassend bestätigt sehe.

Er beginnt mit der Zurückweisung meines Vorwurfs, er habe sich nur sehr selektiv mit Kritiken an seiner Position (und damit der von ‚Adopt A Revolution’) auseinandergesetzt. Abgesehen davon, dass es sich entgegen dem, was er andeutet, bei den von ihm ignorierten kritischen Reaktionen beileibe nicht nur um meine handelt, ist es natürlich durchaus legitim, wenn er sich in einem Artikel „primär“ mit den in der Debatte über den AaR-Aufruf beschäftigt. „Primär“ bedeutet aber zum Einen nicht „ausschließlich“. Zum Anderen stimmt es auch nicht, dass ich mich in dieser Debatte nicht positioniert hätte (und das gilt natürlich auch für die vielen anderen Kritiker, die die eine oder andere meiner Positionen teilen). Erstens habe ich mich, wie er ja selbst schreibt, zur Frage, ob und wenn wie der Aufstand in Syrien zu unterstützen sei, durchaus mehrfach positioniert, z.B. eben auch in dem SoZ-Artikel, auf den er unter dem Titel „Linke und Syrien“ geantwortet hat. Hinzu kommt, dass – wenngleich erst in letzter Zeit – auf der Homepage von AaR mehrere Meinungsäußerungen von mir erschienen sind. Aber das ist an und für sich für die Debatte nebensächlich. Es geht um die Positionen.

H.E. antwortet auf meinen Vorwurf, er suche sich die Kritiker, auf die er antworte, selbst aus, dass dieser Vorwurf mich treffe. Dafür führt er Folgendes ins Feld: „

Leute wie ich, so Holberg, „könnten vielleicht argumentieren“, dass abhängige und arme Länder wie Syrien auch unter den Bedingungen des Imperialismus die Möglichkeit einer (bürgerlich-)demokratischen Entwicklung haben und dass eine sozialistische Revolution ohne eine bewusste revolutionäre Führung möglich sei.Tatsächlich habe ich all das niemals behauptet.“

Wie aus dem von ihm Zitierten zu entnehmen ist, behaupte ich gar nicht, dass H.E. das sagt, sondern lediglich, dass dieser Gedanke eine naheliegende Grundlage seiner Position sei. In der Tat hat er es m.W. nicht ausdrücklich so gesagt, aber wenn seiner Position denn irgendeine Logik zu Grunde läge, wäre diese m.E. naheliegend.

Im Folgenden nämlich betont er, dass ein großer Teil der syrischen Aktivisten (ein in diesen Kreisen beliebter Begriff, der diese Leute offenbar positiv sowohl von Revolutionären im marxistischen Sinn als vor allem auch von „Lehnstuhl-Dogmatikern“ wie mir abheben soll) gegenwärtig ums alltägliche Überleben kämpfen und somit für politische Programme wenig bis keine Zeit haben (bei E.H. „ Vielmehr habe ich darauf hingewiesen, dass ein großer Teil der syrischen Aktivisten möglicherweise nicht in einer intellektuellen Tradition steht, an die westliche Linke bruchlos anknüpfen könnten.“). Weiter schreibt er: „ Trotzdem (oder möglicherweise gerade deswegen) sind unter diesen zum Teil unvorstellbar schwierigen Bedingungen Formen der Selbstorganisation entstanden, wie sie sich in den lokalen Komitees und ähnlichen Strukturen manifestieren, also in genau solchen Strukturen der Selbstermächtigung, die SozialistInnen gemeinhin als Keimzellen des revolutionären Bruchs betrachten.“

Es ist zwar richtig, dass Formen der Selbstorganisation und Strukturen der Selbstermächtigung von SozialistInnen gemeinhin als Keimzellen des revolutionären Bruchs betrachtet werden. Aber die bisherige Geschichte revolutionärer Entwicklungen zeigt auch, dass sie aus dem Stadium der Keimzelle nicht herauskommen, wenn in ihnen keine bewusst revolutionäre Kraft (d.h. in der Epoche des Imperialismus eine Kraft, die für eine Machtergreifung der Arbeiterklasse als Führerin aller anderen ausgebeuteten und unterdrückten Klassen und Schichten eintritt) wirkt und schließlich von den in den „Strukturen der Selbstermächtung“ tätigen Menschen als politische Führung akzeptiert wird.

E.H. wirft mir vor, ich hätte die syrische „Revolution“ von Anfang an abgelehnt und sei froh, nun mit dem Aufkommen offen reaktionärer Kräfte wir der islamistischen Jabhat al-Nusra einen Vorwand gefunden zu haben. Diese von Anfang an bestehende Ablehnung der „Revolution“ sei Ergebnis folgender Haltung: „ Als Bedingung für Solidarität wollen sie die perfekte Revolution, sie wollen eine Art revolutionäre Rundumversicherung mit einer revolutionären Partei, die eine möglichst rein proletarische Massenbasis anführt.“ So etwas gebe es jedoch nie. Und weiter:„ Holberg begreift aber vor allem nicht, dass Revolutionen keineswegs „reine“ Prozesse sind, die von lupenreinen revolutionären Führungen und lupenrein proletarischen Bewegungen mit hochgradigem revolutionärem Bewusstsein durchgeführt werden. Schon Lenin hat sich 1916 vor dem Hintergrund der revolutionären Bewegung in Irland über derart kindische Vorstellungen fernab jeder gesellschaftlichen Realität lustig gemacht. 

Er schreibt:

„Denn zu glauben, dass die soziale Revolution denkbar ist (…) ohne revolutionäre Ausbrüche eines Teils des Kleinbürgertums mit allen seinen Vorurteilen, ohne die Bewegung unaufgeklärter proletarischer und halbproletarischer Massen (…) – das zu glauben heißt der sozialen Revolution entsagen. Es soll sich wohl an einer Stelle das eine Heer aufstellen und erklären: ‚Wir sind für den Sozialismus’, an einer anderen Stelle das andere Heer aufstellen und erklären: ‚Wir sind für den Imperialismus’, und das wird dann die soziale Revolution sein! (…) Wer eine ‚reine’ soziale Revolution erwartet, der wird sie niemals erleben. Der ist nur in Worten ein Revolutionär, der versteht nicht die wirkliche Revolution.“.

Etzbach wird sich vielleicht wundern, wenn ich feststelle, dass Lenin hier selbstredend völlig recht hatte. Aber das ist bestenfalls die Häfte von Lenins Position. Damit eine Revolution auch im Lenin’schen Sinn eine wird, bedürfen die „ unaufgeklärten proletarische und halbproletarischen Massen“ der Führung durch eine proletarische Avantgarde-Partei, die mit einem marxistischem Programm ausgestattet ist und die Funktion eines „Volkstribuns“ erfüllt. Lenin hat stets gleichermaßen die Bedeutung der spontanen aufständischen Bewegung wie die der proletarischen Vorhut(-partei) unterstrichen. Die spontane Bewegung ist eine unverzichtbare Voraussetzung für eine Revolution aber eben keine ausreichende.

Während ich stets die Berechtigung der Erhebung breiter Teile der syrischen Massen gegen das Assad-Regime unterstrichen habe, habe ich gleichzeitig nach der Entwicklung der proletarischen Avantgarde gesucht. Ich habe sie bis heute nicht gefunden, und Etzbach weicht auch hier dieser Frage mit dem einseitigen Hinweis auf die „Bewegung“ aus. Wenn H.E. sich denn überhaupt irgendwo ausführlicher ökonomischen Fragen widmen würde, müsste man seine Position als „Ökonomismus“ bezeichnen.

Es ist im übrigen interessant, dass Etzbach sich nirgendwo eingehend den vielfältigen Analysen aus ideologisch durchaus unterschiedlichen Lagern widmet, die sich mit der Frage des relativen Kräfteverhältnisses innerhalb der syrischen Oppostion/Rebellion beschäftige. Unter denen, die nicht die durch Etzbach repräsentierte Position eines bestimmten Flügels der Linken teilen, gibt es m.W. keine, die es für nötig hält, vor antikapitalistischen Kräften innerhalb der syrischen Opposition zu warnen. Sollte man das nicht von Seiten imperialistischer oder überhaupt bürgerlichen Kräfte erwarten, wenn wir es in Syrien im „linken“ Sinn mit einer „Revolution“ zu tun hätten oder zumindest mit einer Bewegung, die möglicherweise noch zu unseren Lebzeiten in eine wahrhaftige Revolution alles Ausgebeuteten und Erniedrigten umschlagen könnte. Wenn Etzbach und die Seinen in dieser Hinsicht überprüfbare und den einschlägigen Diensten und Medien sonst unbekannte Informationen haben, wären wir Alle sehr dankbar, wenn sie uns davon wissen ließen.
Wer im Übrigen meine Kritik an H.E. und seine Antwort vergleicht, wird feststellen, dass er erneut kaum Bezug auf konkrete Fakten und Fragen nimmt, sondern sich entweder in Allgemeinheiten flüchtet oder sich ausführlich über Probleme auslässt, die in dem von ihm kritisierten Artikel gar nicht näher behandelt werden.

Die Geschichte ist leider voll von Aufständen und Bewegungen, die zwar jede Menge Opfer gekostet haben, aber zu keiner Revolution geführt haben. In Syrien bedurfte es auch nicht des Auftauchens erwartungsgemäß immer stärker werdender islamistischer Kräfte verschiedenster Provinienz aber stets reaktionären Charakters, um die „Revolution“ ins Leere laufen zu lassen. Es gibt auch keinerlei Hinweis darauf, dass z.B. die FSA in der Lage gewesen wäre, eine „revolutionäre“ Führung zu bieten. Und die unbewaffneten Kräfte? Wie sollen sie sich gegen die Männer mit oder ohne Bart aber mit Gewehr durchsetzen? Die Oktoberrevolution konnte erfolgreich sein, weil es den Bolschewiki gelang, nicht nur die (seit dem Februar 1917 spontan entstandenen) Arbeiterräte, sondern auch die geschlagen von der Front des 1. Weltkriegs zurückkehrenden Soldaten zu organisieren und zu führen. Wie hätten sie sonst den Bürgerkrieg gegen die „Weißgardisten“ unter Führung zaristischer Offiziere gewinnen können?

Gegen Ende seines Beitrags fragt E. noch(Fußnote 4): „] Es wäre interessant zu erfahren, ob Holberg z.B. auch für eine Beendigung internationaler linker Solidarität mit den Palästinensern im Gazastreifen plädiert. Soweit ich weiß, gibt es dort auch keine revolutionäre Massenpartei. Vielmehr hat sich die Mehrheit der Bevölkerung bei den Parlamentswahlen von 2006 für die Hamas, also eine konservativ-islamistische Organisation, entschieden.“ Wenngleich ich keinerlei Vertrauen in die Fähigkeit der PNA und der ‚Hamas’ habe, das „Palästinenserproblem“ zu lösen (beide sind selbst Teil des Problems), plädiere ich keineswegs für eine Beendigung internationaler linker Solidarität. In Palästina geht es in erster Linie um die Frage der nationalen Befreiung. Linke haben deshalb auch bürgerliche Kräfte gegen die Unterdrückung durch Fremdherrschaft (hier die zionistische) zu unterstützen. Diese Unterstützung ist aber in erster Linie eine materielle, die der Bevölkerung gegeben werden muss (was natürlich eine gewisse Zusammenarbeit mit der jeweilen politischen Führung unvermeidbar macht(. Sie ist keine politische Unterstützung für die PNA oder ‚Hamas’, wenn man einmal davon absieht, dass man der – zionistischen – Kolonialmacht das Recht abspricht, die Führung der Kolonialisierten zu bestimmen!) In Syrien hingegen geht es um soziale Befreiung (es sei denn, man glaubt eben doch, eine halbwegs funktionierende bürgerliche Demokratie sei unter den dort herrschenden Bedingungen magererer Ressourcen dort auch im Rahmen des bestehenden Wirtschaftsordnung möglich).

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Harald Etzbach

Werte KollegInnen, werte GenossInnen von LabourNet-Austria,

letzte Woche habt Ihr eine Kritik von A. Holberg an meinem Artikel
„Freiheit braucht Beistand – Ein Aufruf und seine Kritiker“ in der
Februarausgabe der Sozialistischen Zeitung (SoZ) gebracht. Im Anhang
findet Ihr eine Antwort auf Holbergs Artikel. Ich bitte um Veröffentlichung.

mit den besten und solidarischen Grüßen

Harald Etzbach

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Lehnstuhl-Dogmatismus

Zu Anton Holbergs Kritik an meinem Artikel „Freiheit braucht Beistand“ über den gleichnamigen Aufruf von Adopt a Revolution

Anton Holberg schwingt in seiner etwas schwatzhaften Kritik, die er unter dem  Titel „Drückeberger“ in mehreren Onlinepublikationen veröffentlicht hat, wieder einmal den grob geschnitzten Knüppel des Dogmatismus. Im Wesentlichen nimmt Holberg meinen Artikel zum Anlass, mir ein Ausweichen vor den Fragen nach dem Klassencharakter der syrischen Opposition und ihrer politischen Perspektiven vorzuwerfen. Ich würde mich, so Holberg, nur mit bestimmten Positionen auseinandersetzen und andere, mir „nachweislich bekannte“ (also wohl solche von Holberg selbst), ignorieren. Das sei umso schlimmer, so Holberg dann gegen Ende seines Textes, weil sich die große Öffentlichkeit („die Massen“) nicht für Syrien oder die Debatten hierzu innerhalb der Linken interessiere, und die wenigen Interessierten etwas Besseres verdient hätten.

Nun hat der Aufruf „Freiheit braucht Beistand“ es allerdings geschafft, ein wenig über den an diesem Thema üblicherweise interessierten Kreis hinauszuwirken. Genau dies hat dann eine vergleichweise große Zahl an zum Teil sehr heftigen Reaktionen hervorgerufen (wem dies immer noch zu wenig Öffentlichkeit ist, möge Vorschläge zur Verbesserung machen). Aus diesem Grund war es für mich als jemand, der den Aufruf explizit unterstützt, und der die Frage der Syrien-Solidarität und der Solidarität mit den arabischen Revolutionsprozessen für eine entscheidende Frage der internationalistischen und sozialistischen Bewegung hält (einer Bewegung, die im Übrigen natürlich in der Tradition des fortschrittlichen Humanismus steht), primär notwendig, mich mit den in dieser Debatte formulierten Positionen auseinanderzusetzen. Diese gaben gewissermaßen den „diskursiven Rahmen“ vor. Da Holberg sich in dieser Debatte nicht positioniert hat (ich würde nicht so weit gehen zu sagen, er habe sich „gedrückt“), kommt er eben in meinem Artikel auch nicht vor.

Tatsächlich habe ich mich aber mit Holbergs Positionen bereits im Juni letzten Jahres in einem SoZ-Artikel mit dem Titel „Noch einmal: Linke und Syrien“ beschäftigt.[1] Auf diesen Artikel hat Holberg aber niemals reagiert, in diesem Fall hat er sich also tatsächlich „gedrückt“. Da es scheint, dass Holbergs Argumentation sich nicht wesentlich geändert hat, muss ich wohl leider einige Punkte wiederholen, die ich in diesem Artikel schon einmal ausgeführt habe.

Während Holberg mir vorwirft, ich würde mir meine Gegner aussuchen und andere ignorieren, geht er selbst in einem in Satzbau und Orthographie etwas verunglückten Abschnitt noch einen Schritt weiter und bastelt sich seinen Gegner komplett selbst, als Pappkameraden, auf den er einschlagen kann. Obwohl Holbergs Vorgehen intellektuell unredlich ist, soll hierauf eingegangen werden. Leute wie ich, so Holberg, „könnten vielleicht argumentieren“, dass abhängige und arme Länder wie Syrien auch unter den Bedingungen des Imperialismus die Möglichkeit einer (bürgerlich-)demokratischen Entwicklung haben und dass eine sozialistische Revolution ohne eine bewusste revolutionäre Führung möglich sei.

Tatsächlich habe ich all das niemals behauptet. Vielmehr habe ich darauf hingewiesen, dass ein großer Teil der syrischen Aktivisten möglicherweise nicht in einer intellektuellen Tradition steht, an die westliche Linke bruchlos anknüpfen könnten.[2] Hinzu kommt, dass viele Menschen in Syrien derzeit schlicht und ergreifend um ihr Überleben kämpfen. Dabei sind auch viele jener Kräfte, die sich als bewusste Linke verstehen (und wenn man mit Aktivisten spricht, wird man feststellen, dass es doch eigentlich nicht so wenige sind), im Augenblick im Wesentlichen damit beschäftigt, das physische Überleben ihrer Mitmenschen sicherzustellen, Brot und Wasser zu verteilen, die grundlegendsten Formen der Versorgung von Kranken und Verletzten zu ermöglichen usw. Trotzdem (oder möglicherweise gerade deswegen) sind unter diesen zum Teil unvorstellbar schwierigen Bedingungen Formen der Selbstorganisation entstanden, wie sie sich in den lokalen Komitees und ähnlichen Strukturen manifestieren, also in genau solchen Strukturen der Selbstermächtigung, die SozialistInnen gemeinhin als Keimzellen des revolutionären Bruchs betrachten. Warum hat die Linke in Deutschland an diesen Formen der Selbstorganisation so wenig Interesse?

Die Revolution in Syrien ist ein Teil jenes revolutionären Prozesses, der vor zwei Jahren in einer Reihe von arabischen Ländern begann, und der wesentlich in den Zusammenhang des internationalen Kampfs gegen die Folgen neoliberaler Politik gehört. Und wie in den anderen arabischen Ländern verband die Bewegung in Syrien von Anfang an Forderungen nach politischen und sozialen Rechten mit einem aus historischer Erfahrung genährten antiimperialistischen Bewusstsein. Das ist schon viel mehr, als große Teile der westlichen Linken vorzuweisen haben. Und wie alle Revolutionen, so befindet sich auch diese in einer Situation der permanenten Selbstklärung. In einigen arabischen Ländern sind die alten Machthaber gestürzt worden, doch die revolutionären Bewegungen gehen weiter, weil klargeworden ist, dass ein Wechsel des Führungspersonals nicht ausreicht, und dass wirkliche politische Freiheiten ohne soziale Umwälzung nicht zu haben sind. Das sind Lernprozesse, die unter Umständen mühsam und langwierig sind, wobei in Syrien der revolutionäre Prozess aufgrund der spezifischen Struktur des herrschenden Regimes auf extreme Weise kompliziert ist. Eine große internationale Solidaritätsbewegung wäre hier daher eigentlich in besonderem Maße notwendig.

Holbergs Position läuft im Gegensatz dazu jedoch einfach nur auf fatalistisches Nichtstun hinaus. Gerade recht kommen ihm dabei reaktionäre Bewegungen wie die islamistische Jabhat al-Nusra. Denn auch wenn Aktivisten vor Ort immer wieder darauf verweisen, dass diese Gruppierung zwar gut ausgerüstet, aber absolut minoritär sei, dient sie Holberg – genauso wie übrigens den (Post-)Stalinisten aus der Außenpolitikredaktion der jungen Welt oder aus Teilen der Friedensbewegung – dazu, den nun angeblich veränderten Charakter der syrischen Revolution zu beklagen. Zwar waren Holberg und die (Post-)Stalinisten auch schon nicht solidarisch mit der syrischen Revolution, als Jabhat al-Nusra noch überhaupt kein Thema war, aber jetzt haben sie wenigstens einen Grund, den sie mehr oder weniger laut lamentierend vorweisen können.

Für eine/n ernstzunehmende/n SozialistIn sähe die Sache aber ganz anders aus. Selbst wenn reaktionäre Kräfte wie Jabhat al-Nusra die Revolution „gekapert“ hätten – was, wie gesagt, bislang nicht der Fall ist -, wäre es immer noch seine oder ihre Pflicht, mit größter Intensität nach Möglichkeiten konkreter und praktischer Solidarität mit den verbliebenen fortschrittlichen Kräften zu suchen.[3]

Leute wie Holberg wollen aber viel mehr. Als Bedingung für Solidarität wollen sie die perfekte Revolution, sie wollen eine Art revolutionäre Rundumversicherung mit einer revolutionären Partei, die eine möglichst rein proletarische Massenbasis anführt. Ich habe bereits in meinem Artikel vom letzten Juni darauf hingewiesen, dass solche Verhältnisse im Grunde nirgendwo auf der Welt existieren, so dass Holbergs Vorbedingung faktisch auf die Abwicklung internationalistischer Politik (und im Grunde sozialistischer Politik überhaupt) hinausläuft.[4]

Holberg begreift nicht, dass die Entstehung revolutionärer Organisationen – im günstigen Fall – das Ergebnis und nicht die Voraussetzung von Prozessen ist, wie wir sie jetzt in Syrien erleben. In Syrien wird eine solche Entwicklung im Übrigen nicht nur durch die extreme Brutalität des Regimes behindert, sondern auch dadurch, dass sich ein Teil der historischen Linken und der Gewerkschaften (auch als Folge einer bis in die achtziger Jahre hinein betriebenen Politik der „nachholenden Industrialisierung“) de facto in einer Koalition mit der herrschenden Baath-Partei befindet und vom Regime kooptiert wurde.

Holberg begreift aber vor allem nicht, dass Revolutionen keineswegs „reine“ Prozesse sind, die von lupenreinen revolutionären Führungen und lupenrein proletarischen Bewegungen mit hochgradigem revolutionärem Bewusstsein durchgeführt werden. Schon Lenin hat sich 1916 vor dem Hintergrund der revolutionären Bewegung in Irland über derart kindische Vorstellungen fernab jeder gesellschaftlichen Realität lustig gemacht. Er schreibt:

„Denn zu glauben, dass die soziale Revolution denkbar ist (…) ohne revolutionäre Ausbrüche eines Teils des Kleinbürgertums mit allen seinen Vorurteilen, ohne die Bewegung unaufgeklärter proletarischer und halbproletarischer Massen (…) – das zu glauben heißt der sozialen Revolution entsagen. Es soll sich wohl an einer Stelle das eine Heer aufstellen und erklären: ‚Wir sind für den Sozialismus’, an einer anderen Stelle das andere Heer aufstellen und erklären: ‚Wir sind für den Imperialismus’, und das wird dann die soziale Revolution sein! (…) Wer eine ‚reine’ soziale Revolution erwartet, der wird sie niemals erleben. Der ist nur in Worten ein Revolutionär, der versteht nicht die wirkliche Revolution.“[5]

Es erweist sich, dass Holberg, der sich wahrscheinlich für einen ganz besonders orthodoxen Marxisten hält, letztlich nichts weiter ist als eine Art Lehnstuhl-Dogmatiker, der einfach nicht versteht, dass Revolutionen nicht nach den starren Schemata ablaufen, wie sie sich der Dogmatiker selbst gemütlich zu Hause am Reißbrett ausgedacht hat, sondern dass es sich um höchst lebendige, vielschichtige und widersprüchliche Prozesse ohne Erfolgsgarantie handelt. Das alles wäre unbedeutend, uninteressant und nicht erwähnenswert, wäre der Fall Holberg nicht in gewisser Weise symptomatisch für einen Teil der deutschsprachigen Linken, der sich einen grundlegenden Bruch mit der bestehenden Gesellschaftsordnung eigentlich nicht mehr wirklich vorstellen kann, und der deshalb eine Revolution auch dann nicht erkennt, wenn sie sich unmittelbar vor den eigenen Augen abspielt. Das sagt dann allerdings mehr über jene Linke aus als über die revolutionären Prozesse in Syrien und anderen arabischen Ländern.

Harald Etzbach


[2] Nebenbei bemerkt gilt dies wahrscheinlich auch für viele soziale und politische Bewegungen in anderen Regionen der Welt, wobei deutschsprachige Linke im Allgemeinen keinerlei Probleme mit der oftmals christlichen Prägung vieler AktivistInnen z.B. in Lateinamerika haben.

[3] Auf die Funktion, die Jabhat al-Nusra für die westliche Politik gegenüber Syrien hat, habe ich in einem Artikel hingewiesen, der im Januar dieses Jahres in der SoZ erschienen ist: http://www.sozonline.de/2013/01/syrien-vor-der-entscheidung/#more-7143 .

[4] Es wäre interessant zu erfahren, ob Holberg z.B. auch für eine Beendigung internationaler linker Solidarität mit den Palästinensern im Gazastreifen plädiert. Soweit ich weiß, gibt es dort auch keine revolutionäre Massenpartei. Vielmehr hat sich die Mehrheit der Bevölkerung bei den Parlamentswahlen von 2006 für die Hamas, also eine konservativ-islamistische Organisation, entschieden.

[5] W. I. Lenin, Die Ergebnisse der Diskussion über die Selbstbestimmung, in: LW, Bd. 22, S. 326-68, Zitat S. 363-64.

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Anton Holberg:

„Drückeberger“ – am Beispiel vorallem des Artikels „Freiheit bracht Beistand“ (bez. Syrien) von Harald Etzbach in SoZ, Febr.2013

„Die breite Masse des Volkes besteht weder aus Professoren noch aus Diplomaten. Das geringe abstrakte Wissen, das sie besitzt, weist ihre Empfindungen mehr in die Welt der Gefühle. Dort ruht ihre entweder positive oder negative Einstellung. Sie ist nur empfänglich für eine Kraftäußerung in eine dieser beiden Richtungen und niemals für eine zwischen beiden schwebende Halbheit. Ihre gefühlsmäßige Einstellung aber bedingt zugleich ihre außerordentliche Stabilität“. So schreibt Adolf Hitler in “Mein Kampf“.

Wer wollte bei der Betrachtung der Geschichte hier nicht sagen „da ist was dran“? Aber was ist dran, und wieweit können und sollten sich Linke auf derartige Wahrheiten beziehen?

Unzweifelhaft gibt es auch auf Seiten derer, die mangels eines anderen allgemein verständlichen Begriffs als “Linke“ bezeichnet werden, verschiedene Argumentationsmethoden, die implizit von der Richtigkeit dieses Zitats ausgehen. Da gibt es auch der einen Seite die Fanatiker, deren ganzes „Denken“ darin besteht, einfach das Gegenteil von dem zu sagen, was der Feind sagt. Da, um mit dem Kirchenkritiker Karlheinz Deschner zu sprechen, „Fanatismus die Willenskraft der Dummen ist, derer, die zu allem fähig sind, sonst aber zu nichts“, finden wir in diesem Lager dann solche, die z.B. Hinweise auf den sozialreaktionären Charakter des iranischen Regimes mit dem „Argument“ kontern: „zionistisch-imperialistische“ Propaganda.

Zu diesen gehört Harald Etzebach, der in der SoZ die politische Position der Kampagne “Adopt a Revolution“ (im Folgenden kurz “AaR“) in Hinblick auf Syrien propagiert, n i c h t.

Er ist vielmehr ein Repräsentant einer anderen nicht minder einschlägig bekannten Schule. Diese Schule ist darauf spezialisiert, ihre ideologischen Schlachten zu schlagen und – scheinbar – zu gewinnen, indem sie sich die Gegner, denen sie sich stellt, geschickt selbst aussucht. Im rechtsopportunistischen Lager, zu dem hier der genannte Autor ebenso wie beispielhaft die britische “Socialist Workers Party“ und ihr deutscher Ableger “Marx 21“ gehören, bedeutet das die systematische Ignorierung linke Kritik – intern unter dem Vorwand, es handele sich bei dieser ohnehin nur um gesellschaftlich irrelevantes Sektierertum.

So also kommt es, dass H.Etzbach (ebenso wie halt auch die SWP udgl.) monatelang die syrische Rebellion unter dem hochtrabenden Titel der „Revolution“ verteidigen kann, ohne auch nur einmal auf ihm nachweislich bekannte kritische Fragen – gerade auch solche mit marxistischen Hintergrund – einzugehen.

In dem im Titel angeführten SoZ-Beitrag Etzbachs lobt dieser zunächst die Kampagne AaR, die doch von so vielen Wissenschaftlern, Künstlern und „Politikern verschiedener Parteien“ durch ihre Unterschrift unterstützt worden sei, aber ausgerechnet von Teilen der bundsdeutschen Friedensbewegung und Linken, die dem syrischen Aufstand seit Beginn bestenfalls neutral gegenübergestanden hätten, nicht. Sodann kritisiert er, dass so bekannte Erstunterzeichner wie Konstantin Wecker und Mohssen Massarat ihre Unterschrift wieder zurückgezogen hätten.

Obwohl das nicht das eigentliche Thema meiner Ausführungen ist, möchte ich doch kurz auf die Gegenkritik Etzbachs eingehen. Er wirft z.B. Wecker vor, dieser habe die Ausführungen des AaR-Beiratsmitglieds Ferhat Ahma in einem Rundfunkinterview, in dem dieser eine bessere Bewaffnung der Rebellen gefordert hatte, unzutreffend als Aufruf zu einer von AaR offiziell abgelehnten Militärintervention von außen interpretiert und damit den Rückzug seiner Unterschrift begründet. Formell gesehen ist diese Gegenkritik nicht ganz falsch, aber was bedeutet Ahmas Aufruf in der Praxis? Woher sollte die bessere Bewaffnung kommen, die es den Rebellen erlauben würde, der gut gerüsteten syrischen Armee Paroli zu bieten? Zum einen könnte es sich um Waffen handeln, die die Rebellen von der Armee erbeuten oder sonst wie erhalten, also genau das, was ohnehin passiert. Aber in wiefern dient ein Aufruf im deutschen Rundfunk einer solchen Waffenbeschaffung? Handelt es sich bei dem Aufruf vielleicht darum, die von Etzbach so benannten „fortschrittlich humanistischen“ Kreise in der BRD dazu zu bewegen, Geld zu sammeln, damit die Rebellen sich Waffen auf dem schwarzen Markt besorgen können? Offen gesagt: Beim gegenwärtigen Stand des internationalen Kräfteverhältnisses und beim angenommen durchschnittlichen Kontostand der „fortschrittlich humanistischen“ Kräfte in der BRD (und anderswo) scheint mir eine solche Idee doch ziemlich kindisch zu sein. Sie wird meines Wissens so aber auch von AaR gar nicht propagiert. Eine ausreichende Bewaffnung der Rebellen kann unter den gegebenen Bedingungen nur von oder unter Duldung interessierter Staaten kommen, deren Gegnerschaft zum Assad-Regime verschiedenste und teilweise wohl auch einander widersprechender Gründe hat, am allerwenigsten allerdings dessen Mangel an Demokratie, Menschenrechten und an Streben nach Wohlstand für alle Bürger. Und so scheint es denn auch so zu sein, dass sich die von allen möglichen Seiten beklagte Zurückhaltung gerade der imperialistischen Staaten mit den USA an der Spitze bei der Bewaffnung der Rebellen daraus erklärt, dass sich die Regierungen dieser Staaten durchaus unsicher sind, ob die Rebellen schließlich willens oder auch nur in der Lage sein werden, ihre imperialistischen Ziele in der Region zu fördern. Es sollte klar sein, dass hier nicht von der „Gefahr“ eines fortschrittlichen “Antiimperialismus“ die Rede ist. In dieser Situation eine verstärkte Bewaffnung der Rebellen durch die imperialistischen zu fordern, bedeutet entweder, diese aufzufordern, ihr Geld gegen ihre eigenen Interessen auszugeben, oder aber sie zu ermutigen, Rebellen zu finden, die sicher für diese imperialistischen Interessen eintreten wollen und auch können. Man muss nicht einmal “revolutionärer Linker“ sein, um das nicht zu unterstützen; “fortschrittlicher Humanist“ zu sein, dürfte bereits vollends genügen.

In Hinblick auf Mohssen Massarat, den er in diesem Zusammenhang merkwürdigerweise als „etwas ernster zu nehmen“ bezeichnet, kritisiert Etzbach m.E. durchaus etwas ernster zu nehmen dessen Verschlag von einem Kompromiss zwischen den bewaffneten Rebellen und dem Regime als illusorisch.

Kurzum: Etzbach setzt sich für den Sturz des syrischen Regimes ein, eines Regimes, dessen nicht nur diktatorischer, sondern vor allem kapitalistischen Charakter von keinem ernstzunehmenden Linken bestritten wird. Das ist deshalb eine Forderung, der klassenbewusste Linke innerhalb und außerhalb Syriens keineswegs per se widersprechen können.

Alleine, und jetzt komme ich auf das eigentliche Thema dieser Ausführungen zurück, Etzbach verbreitet seine Position seit Monaten ja keineswegs in irgendeiner liberalen Zeitung, sondern in der „Sozialistischen Zeitung“ (SoZ). Das ist eine Zeitung, die ansonsten ja bei aller wohltuenden politischen Breite schon auf Grund ihres „trotzkistisch-maoistischen“ Hintergrunds einen unverkennbaren Hang hin zur Arbeiterbewegung und gar zum Marxismus weder leugnen kann noch will. Aber Etzbach weigert sich konstant, auf ihm nachweislich bekannte Fragen zum politischen Klassencharakter der syrischen Opposition und damit ihren realen gesellschaftlichern Perspektiven zu antworten(„politisch“, weil ja der soziale Charakter eines Individuums oder einer Bewegung als z.B. proletarisch durchaus mit einem bürgerlichen politischen Charakter einhergehen kann und meistens auch tut, wie das Ausbleiben proletarischer Revolutionen seit 1917 belegt). Das Gleiche gilt für die Frage nach der allenthalben konstatierten Verschiebung des Kräfteverhältnisses zwischen den verschiedenen Kräften der Opposition und folglich auch hier ihrer möglichen oder wahrscheinlichen Zukunftsperspektiven.

Um es kurz zu machen: Mir scheint, dass es innerhalb der syrischen Opposition, die das Regime stürzen will (es gibt ja auch eine in der Praxis systemkonforme wie die KPS) keine oder kaum erkennbaren und für die absehbare Zukunft relevanten linken Kräfte gibt, die man als klassenkämpferisch bezeichnen könnte (die SoZ selbst hat im November 2012 einen Artikel des syrischen Oppositionellen Ghayath Naissé veröffentlicht, in dem dieser eben das feststellt.) Und was die Machtverschiebung betrifft, so ist es beileibe seit fast einem Jahr nicht mehr primär der an einer solchen Deutung interessierte Propagandaapparat des Regimes, der von der wachsenden Bedeutung jihadistischen Kräfte à la Jabhat an-Nusra spricht. Soweit Etzbach diese Tatsache nebenbei erwähnt, macht er doch keine Anstalten, das in Hinblick auf die Voraussetzungen als auch die Folgen zu analysieren oder gar das Ergebnis mitzuteilen.

Es mag den Anschein haben, als ginge es mir hier um den Streit darüber, wie die Lage in Syrien und die Zukunfstaussichten des Landes beschaffen sind. Durchaus nicht. Ich halte es zwar nicht für wahrscheinlich, durchaus aber für möglich, das meine diesbezüglichen Einschätzungen teilweise oder gar gänzlich falsch sind. Mein „Problem“ ist, dass es Leute wie H.E., die ja landläufig doch als „Linke“ durchgehen, nicht für nötig halten, sich zu solchen Fragen wie insbesondere der nach dem Klassencharakter der Opposition auch nur qualifiziert zu äußern (qualifiziert heißt unter Anführung überprüfbarer Fakten und einer zugrundeliegenden Theorie). Sie könnten vielleicht argumentieren, dass entgegen einer mindestens 100 Jahre alten Theorie eine ausgeprägte wenn auch bürgerliche Demokratie auch in armen vom Imperialismus abhängigen Ländern wie Syrien möglich sei, oder vielleicht, dass es aus historischen Erfahrungen ableitbare Gesätzmäßigkeiten gibt, die verhindern, dass eine Massenbewegung ohne proletarisch- revolutionäre Führung dennoch einen Wandel erzeugen kann, der auch im Zeitalter des Imperialismus die Bezeichnung „Revolution“ verdient, weil eine solche Revolte die bislang geltenden sozioökonomischen Gegebenheiten auf den Kopf stellt und die unterdrückten Klassen, an ihrer Spitze die Arbeiterklasse, an die Macht bringt. Ich glaube wohlbemerkt nicht, dass es für solche Ansichten gute Gründe geben könnte, während ich mir andererseits durchaus vorstellen kann, dass die Hoffnung auf die Arbeiterklasse als revolutionäres Subjekt illusorisch ist, damit allerdings auch die auf eine grundlegende Verbesserung der weltlichen Zustände. Aber ich bin altmodisch genug zu glauben, dass Linke sich zu solchen Fragen zu verhalten haben – und zwar nicht durch Totschweigen.

Um zum Schluss noch einmal auf das schöne Zitat aus „Mein Kampf“ zurückzukommen, das ich übrigens auch einem SoZ-Artikel verdanke: hier wird das reale Bewusstsein der breiten Masse beschrieben, wie es sein muss, wenn sich eine potentielle Führung anschickt, diese zur Verteidigung ihrer fortgesetzten Unterdrückung und Ausbeutung zu mobilisieren. Wenn es aber so ist, dass, wie Karl Marx schrieb, die Befreiung der Arbeiterklasse das Werk der Arbeiterklasse selbst sein muss, und wenn es überdies so ist, wie Lenin sagte, dass es keine revolutionäre Praxis ohne revolutionäre Theorie gebe, dann kann es nicht Aufgabe einer linken Kampagne/Zeitung oder was auch immer sein, die Massen mit welch gutgemeinten Zielen auch immer zu manipulieren, indem man ihre Gehirne vor der Abarbeitung an schwierigen Problemen durch deren Verschweigen schützt.

Im übrigen schreibt Hitler hier von einer „Kraftäußerung“. Wo aber hat es heute bei der Linken in der BRD mit „Kraft“ zu tun? Die Massen, von denen Hitler hier spricht, interessieren sich heute nicht für Syrien und schon gar nicht für AaR oder Mohssen Massarat, und die kleine Schar der Interessierten sollte man nicht mit geistiger Schmalhanskost veräppeln.

Um unzweifelhaft klarzustellen, dass es mir hier keineswegs um ein Bashing von Harald Etzbach geht, der vielleicht sogar ein sehr netter Mensch ist, sei auf den Artikel “Konturen des Aufstands gegen Assad“ von Frank Renken verwiesen, der am 8.2.2013 auf www.marx21.de erschienen ist. Dieser ziemlich lange Beitrag voll von möglicherweise größtenteils zutreffenden Einzelinformationen zitiert u.a. den o.a. SoZ-Artikel von Ghassan Naissé. Auf den Absatz über das Fehlen von Kräften, die sich politisch auf die Arbeiterklasse beziehen, antwortet er bezeichnenderweise nicht. Stattdessen erwähnt er die Gründung verschiedener „revolutionär-sozialistischer“ Organisationen wie etwa der Dera’a Sektion der – offenbar mandelistischen – “Revolutionären Linken Strömung“. Dankenswerterweise gibt er einen Link zu deren Erklärungen an. Ich weiß nicht, ob Frank Renken – im Gegensatz zu mir – des Arabischen mächtig ist und deshalb über die programmatischen und sonstigen Vorstellungen dieser Gruppierung mehr aussagen kann als man in der dort veröffentlichten englischen Fassung der Gründungserklärung erfahren kann. Auf eine Frage, die dort am 12.1.2013 ein Leser namens “Nasser“ stellte, antwortet F.Renken m.E. wieder einmal bezeichnenderweise nicht. “Nasser“ nämlich schreibt bezüglich eines der Erklärung beigefügten Fotos, das arabische Parolen auf einem Plakat in der Universität von Aleppo im vergangenen Jahr zeigt: „Würde es Euch was ausmachen, dieses Photo zu erklären? Wie “antiimperialistisch-revolutionär“ ist es, wenn man zu mehr britischen Kolonialismus in Syrien aufruft“. Ich füge hinzu: „wie anti-imperialistisch, revolutionär und sozialistisch ist es, wenn man all diesen Fragen gezielt aus dem Weg geht?