Von hiesigen (ansonsten) linken Anhängern der syrischen „Revolution“ gegen die herrschende Baath-Diktatur wird häufig auf einen syrischen Oppositionellen namens Michel Kilo bezuggenommen.
Dieser hat jetzt gegenüber der von Saudi Arabien finanzierten Tageszeitung „Al Sharq al-Awsat“ (Der Mittlere Osten) die Gründung einer christlichen Oppositionsgruppe bekanntgegeben.
Die Christen in Syrien, ca. 10-14% der Bevölkerung, tendieren zu einer Unterstützung des herrschenden Baath-Regimes. Der Grund ist relativ einfach. Er hat weniger mit des Regimes positiver Menschenrechtsbilanz und Wohlstandsfürsorge für die syrische Bevölkerung, insbesondere auch der christlichen, zu tun, als vielmehr damit, dass die jahrhundertelang von der sunnitischen Mehrheit im Land sozial, politisch und ökonomisch marginalisierte Religionsgemeinschaft der Alawiten (eine Abspaltung von der Shia, allerdings von deren Hauptströmungen theologisch sehr weit entfernte) in der nicht zuletzt auch von Christen (Michel Aflaq) gegründeten kleinbürgerlichen pan-arabischen Baath-Partei ein geeignetes Instrument gefunden hat, um ihre Marginalisierung zu beenden. Da ca. 70-80% der syrischen Bevölkerung sunnitische Muslime sind, ist es naheliegend, dass Angehörige religiöser Minderheiten (Christen, Alawiten, Schiiten, Druzen) ihr Heil in einem möglichst sekularen Staat sehen (s. etwa auch die Aleviten in der Türkei, die traditionell eher kemalistische oder gar linke Kräfte unterstützen).
Die Kräfte der aktuellen syrischen Rebellion gegen das Assad-Regime gehören notwendigerweise überwiegend zur sunnitischen Bevölkerungsmehrheit. Darüberhinaus aber haben aus verschiedensten Gründen (u.a. starke Präsenz von Alawiten in den politisch, militärisch und ökonomisch führenden Kreisen des Regimes; kulturell und ökonomisch traditionalistische Basis der ‚Muslimbruderschaft’, die bereits Anfang der 80er auf ihre wirtschaftliche Entmachtung durch die damals unter der Bezeichnung des „arabischen Sozialismus“ durchgeführten staatskapitalistischen Maßnahmen von Hafez al-Assad einen blutig unterdrückten bewaffneten Aufstand gemacht haben; Finanzierung durch islamistisch orientierte Golfmonarchien wie Qatar und Saudi Arabien) innerhalb der aufständischen Kräfte Islamisten verschiedenster Provinienz eine immer größere Rolle eingenommen – nicht nur jihadistische al-Qaida-nahe Kräfte, von denen die bekannte Jabhat al-Nusra nur eine ist, sondern auch innerhalb dessen, was formell unter dem Namen “Freie Syrische Armee“ agiert.
Auf diese Entwicklung können Angehörige von Minderheiten und überhaupt sekular orientierte Syrer grundsätzlich auf zwei Arten reagieren. Sie können sich um das Regime scharen, was sie bisher auch offenbar noch großenteils tun, oder sie können darauf hoffen, dass die sunnitischen Kämpfer nach einem eventuellen Sieg ihnen gegenüber großzügig sein werden, wenn sie darauf hinweisen können, dass sie ja auch gegen das Regime gekämpft haben.
Michel Kilo, langjähriger Oppositioneller zum Assad-Regime, hat sich für den zweiten Weg entschieden. Gegenüber “Al-Sharq al-Awsat“ beschreibt er die neue Gruppierung als eine solche „bestehend aus einer Reihe von Geschäftsleuten und Intellektuellen und einigen Männern der Religion, die die Haltung der Kirche zur Situation in Syrien nicht unterstützen.“ Das Ziel der Gruppierung bestehe in erster Linie darin, die christliche Jugend dazu zu bewegen, „sich an der Revolution zu beteiligen und die Positionen zu unterstützen, die sich für Freiheit und Demokratie einsetzen.“ Die Gruppe soll in erster Linie solche Aktivitäten unterstützen, wie Wiederaufbau von Schulen und Häusern, Unterricht für Kinder, Wasserversorgung udgl..
Offensichtlich beabsichtigt die Gruppe also genau das zu tun, was islamistische Kräfte wie die Jabhat al-Nusra bereits tun. Im Gegensatz allerdings zu diesen Kräften, kann die Gruppe des „Linken“ Michel Kilo weder auf militärische Kraft setzen noch im Vergleich zu den Islamisten auf relevante Geldmittel. Es wäre zu wünschen, dass sie einen relevanten Beitrag dazu leisten würde, dass sich innerhalb der syrischen Rebellion demokratische und nicht religiös-sektiererische Kräfte durchsetzten. Eine Voraussetzung dafür würde aber angesichts kleinerer Ressourcen mittel- bis langfristig ein alternatives Gesellschaftsmodell sein, d.h. auch ein alternatives Wirtschaftsmodell, wenn man bedenkt, dass ein wesentlicher Antrieb der Revolte die im Zuge der neoliberalen Reformen des Regimes in den letzten Jahren deutlich verschlechterten Lebensbedingungen gerade auch der ländlichen Bevölkerung ist. Die soziale Zusammensetzung von Kilos Organisation deutet aber nicht darauf hin, dass das beabsichtigt sein könnte.
Wir werden deshalb wahrscheinlich in Zukunft von seiner Organisation als einer von Linken in Europa und Amerika zu unterstützenden Kraft hören. In Syrien selbst aber wird sie keine Rolle spielen und deshalb auch nicht die Kraft entfalten, einen Schutz für die nicht-sunnitischen Gemeinschaften nach einem eventuellen militärischen Sieg des Aufständischen zu bieten.