Adonis zum „Arabischen Frühling“

Zitat: „Ich kann nicht an einer Revolution teilnehmen, die aus der Moschee kommt“ („Generalanzeiger für Bonn und Umgebung“, 5.7.2013, S.9)

 Ali Ahmad Said (* 1. Januar 1930 in Qassabin bei Lattakia in Nordsyrien als Ali Ahmad Esber; arabisch ‏علي أحمد سعيد, DMG ʿAlī Aḥmad Saʿīd), der unter seinem Künstlernamen Adonis (‏أدونيس) veröffentlicht, ist ein syrisch-libanesischer Lyriker und Intellektueller.

Adonis ist wohl der bedeutendste arabische Dichter der Gegenwart. Durch Rückgriff auf klassische arabische Dichter, die oftmals keine Tabus kannten und kritisch gegenüber der Religion waren, versucht er, diese Offenheit neu zu beleben. Neben seinen Gedichten erregte er durch seine kritischen Essays immer wieder Aufsehen in der arabischen Welt. (A.Wosni)

(http://de.wikipedia.org/wiki/Ali_Ahmad_Said)

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 nochmal „Adonis“ zu Syrien (A.Wosni)  

http://www.profil.at/articles/1206/560/318878/syrien-ich-opposition

Adonis, der größte arabische Dichter der Gegenwart, über die drohende Macht­übernahme radikaler Islamisten in seiner Heimat Syrien, die heuchlerische Politik des ­Westens und die triste Bilanz des ­arabischen Frühlings.

Von Georg Hoffmann-Ostenhof und Tessa Syszkowitz Homs ist eine Geisterstadt, berichten Augenzeugen. Die syrische ­Protesthochburg wird seit dem 4. Februar permanent von den Truppen des Assad-Regimes bombardiert. Hunderte Zivilisten fanden in der vergangenen Woche im Raketenhagel der syrischen Armee den Tod. Allein am vergangenen Donnerstag waren es 136. Und es werden von Tag zu Tag mehr. Die internationale Diplomatie sucht, nachdem Russland und China eine scharfe UN-Resolution gegen Assads blutige Repression blockiert haben, verzweifelt nach geeigneten Mitteln, den Druck auf das Regime in Damaskus zu erhöhen.

Während sich die Situation in Syrien dramatisch zuspitzt, traf profil Dienstag vergangener Woche Adonis, den gefeierten syrischen Dichter, um seine Sicht der Entwicklung in seiner Heimat zu erfragen. Der 82-jährige arabische Poet, der seit Jahren als Favorit für den Literaturnobelpreis gehandelt wird, empfängt uns in den ­Mosaic Rooms in Kensington, London, wo er gerade einige seiner abstrakten Gemälde ausstellt. Seine politischen Sorgen sind konkret. Sie drehen sich aber weniger um das aktuelle Wüten der syrischen Diktatur. Er fürchtet eher eine Zukunft, in der die islamischen Fundamentalisten – nicht nur in seiner Heimat, sondern in der ganzen arabischen Welt – die Macht ergreifen: einen „Rückfall ins Mittelalter“.

Der unbestritten bedeutendste lebende Dichter arabischer Sprache hatte noch zu Beginn der Aufstände in Ägypten und Tunesien vergangenes Jahr „kleine Gedichte der Freude und des Glücks“ geschrieben, hat sich inzwischen aber zu ­einem scharfen Kritiker des arabischen Frühlings entwickelt. „Ich kann nicht an einer ­Revolution teilnehmen, die aus den Moscheen kommt“, sagt Adonis.

Er wurde als Ali Ahmad Said Esber 1930 in einem Bergdorf in Westsyrien geboren – dort, wo die Alawiten zu Hause sind, jene schiitische Sekte, der auch Assad und die führenden Personen seines Regimes angehören.

Adonis ist der Sohn von Bauern. Mit 17 nahm er den Namen des griechischen Fruchtbarkeitsgottes an. Nach einem halben Jahr Gefängnis im Jahr 1956 wegen oppositioneller Aktivitäten ging er ins Exil, zuerst in den Libanon, 1980 nach Frankreich. Der Mann, der in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts die arabische Dichtkunst ­revolutionierte und vom Schriftsteller V. S. Naipaul als „Meister unserer Zeit“ gepriesen wird, ist ein engagierter Kämpfer für eine säkulare Entwicklung der arabischen Welt. International vielfach ausgezeichnet, wurde Adonis vergangenes Jahr der Goethe-Preis verliehen.

Adonis lebt in Paris, ist mit der Literaturkritikerin Khalida Said verheiratet und hat zwei Töchter. Seine 107 Jahre alte Mutter lebt in Syrien.

profil: Die Ereignisse in Syrien beschleunigen sich. Bis vor Kurzem fürchtete man, ein Bürgerkrieg könnte ausbrechen. Jetzt hat man den Eindruck, der Bürgerkrieg ist schon da.

Adonis: Nein, ausgebrochen ist er noch nicht. Aber er kann kommen – und das wäre eine absolute Katastrophe. In Syrien selbst ist das Regime stärker als die Opposition. Aber das kann sich alles ändern, wenn Geld und Waffen ins Land kommen.

profil: Die Rebellion gegen das Regime hat doch einiges in Bewegung gebracht.

Adonis: Für mich war diese Rebellion der Jugend in der ganzen arabischen Welt außergewöhnlich. Wie sie alles organisiert und sich artikuliert hat, beeindruckte mich überaus. Es ist die arabische Jugend, die diesen Frühling möglich gemacht hat, und es ist das erste Mal, dass die Araber den Westen nicht imitieren. Aber unglücklicherweise bestimmt die Jugend nicht die Realität, wie sich auch in Ägypten und Tunesien zeigt. Es sind die Fundamentalisten, die Religiösen, die mit Unterstützung aus dem Ausland die Situation von heute beherrschen. Sie haben die Früchte der Revolution.

profil: Ihre Bilanz, die Sie ein Jahr nach Ausbruch des arabischen Frühlings ziehen, ist also nicht sehr positiv.

Adonis: Möglichkeiten sind vorhanden, gewiss. Aber praktisch kann man keine positive Bilanz ziehen. Nehmen Sie Tunesien. Das Land ist heute hinter Habib Bourguiba (erster tunesischer Präsident, von 1957 bis 1987,

Anm.) zurückgefallen. Das Bourguiba-Regime war laizistisch. Und jetzt wird das Land islamisch regiert.

profil: Zeichnet sich hier nicht eine widersprüchliche Entwicklung ab?

Auf der einen Seite gewinnt die Religion in den arabischen Gesellschaften seit zwei, drei Jahrzehnten immer mehr an Einfluss.

Andererseits war die arabische Revolution des vergangenen Jahrs in ihrem Anfang klar säkular, ohne Bezugnahme auf den Islam.

Adonis: Die Jugend ist eine Stimme, eine Wut, ein Wille. Aber sie ist gespalten, hat keine Ideologie und ist schwach. Sie kennen ja die Linke im Westen: Sie ist auch immer gespalten. Ernsthaft organisiert sind in den arabischen Ländern nur die Fundamentalisten.

profil: Aber bitte! Die Menschen, die heute in Homs und Hama auf der Straße demonstrieren und massakriert werden, sind doch keine Islamisten.

Adonis: Woher wissen Sie das?

profil: Alle Korrespondenten berichten das. Al Jazeera auch.

Adonis: Und das glauben Sie? Die überwältigende Mehrheit der Oppositionellen sind Fundamentalisten. Ich bin radikal gegen das Regime, aber ich unterstütze auch nicht die Opposition. Denn ich will mich nicht an einem Übergang von einer Militärdiktatur zu einer religiösen Diktatur beteiligen.

profil: Aber ist das wirklich ein realistisches Szenario? Ist es etwa in Ägypten vorstellbar, dass sich eine Theokratie nach dem Vorbild des Khomeinismus oder eine Art Kalifat etabliert?

Adonis: Ein Kalifat wäre gar nicht nötig. Die religiöse Tendenz genügt.

Das ist jedenfalls eine historische Regression. Damit will ich nichts zu tun haben. Die Revolution in der arabischen Welt – die auf allen Ebenen dem Mittelalter näher ist als der modernen Zeit – hat keine Chance, wenn sie nicht laizistisch ist. Wenn wir nicht Religion und Staat trennen, wenn wir nicht den Frauen volle Gleichberechtigung geben und uns nicht von den Scharia-Gesetzen befreien, werden wir nur eine Despotie durch eine andere ersetzen. Die Militärdiktatur kontrolliert das Denken. Aber die religiöse Diktatur kontrolliert das Denken und auch den Körper, die Sprache und den Alltag. Das ist die totale Diktatur.

profil: Die Ägypter hatten nun das erste Mal die Möglichkeit, frei ihre Stimme abzugeben.

Adonis: Stimmt. Aber sehen Sie: Die Fundamentalisten haben fast drei Viertel der Stimmen bekommen. In diesem Fall ist die Demokratie kein Kriterium des Fortschritts. Daher muss die Demokratie überdacht werden.

Auch Hitler ist durch Wahlen an die Macht gekommen. Was ist das für eine Demokratie?, frage ich Sie. Ich bin natürlich ein Demokrat. Die Islamisten haben gewonnen, ich muss das akzeptieren. Aber ich werde doch nie auf ihrer Seite stehen.

profil: Also meinen Sie, dass so etwas wie ein Islamofaschismus droht?

Adonis: Genau das. Das heißt natürlich nicht, dass die aktuellen Diktaturen bleiben sollen. Man muss sie stürzen. Das ist für mich absolut klar. Aber man muss auch fragen: Welches Regime ersetzt das alte Regime? Man kann zudem Syrien nicht isoliert betrachten. Man darf nicht vergessen, dass es in dieser Region einen Staat gibt, der die Religion als Grundlage hat: Israel. Wir brauchen nicht noch andere religiöse Regime bei uns.

profil: Also, was muss getan werden?

Adonis: Das Volk muss seinen Kampf fortsetzen – aber ohne religiöse Ideologie. Es muss bereit sein, für die Freiheit zu sterben. Aber ich bin nicht einverstanden mit dieser Art des Kampfs.

profil: Wie meinen Sie das?

Adonis: Es geht doch nicht an, dass man den Westen auffordert zu helfen.

Das Volk kann nicht die Amerikaner, die Franzosen, die Türken bitten, es zu befreien – oder die Saudis: Die müssen sich selbst von einem furchtbaren Regime befreien. Das alles ist doch ein unwürdiges und erbärmliches Schauspiel.

profil: Sie sind also gegen eine Intervention von außen.

Adonis: Ja, vor allem gegen eine militärische. Der Ruf aus arabischen Ländern nach Intervention ist absolut falsch. Wie können die Fundamente eines Staats gelegt werden mit der Hilfe der gleichen Leute, die vorher diese Länder kolonisiert haben? Wenn der Westen unbedingt die Araber befreien will, dann soll er doch mit den Palästinensern beginnen. Dann soll er etwas für dieses Volk tun, das seit 50 Jahren systematisch unterdrückt und zerstört wird. Da darf man nicht heucheln.

profil: Russland und China haben im UN-Sicherheitsrat eine scharfe Resolution gegen das Assad-Regime blockiert. Was sagen Sie dazu?

Adonis: Sie folgen damit nur ihren Interessen, so wie die Amerikaner auch. Das ist ja das Problem. Die Amerikaner haben ihre Bündnispartner in Saudi-Arabien, Katar und Israel. Warum sollen die Russen nicht ebenso Interessenpolitik betreiben?

profil: In Syrien werden die Menschen jetzt zu Tausenden erschossen. Und die Opposition bittet um Hilfe.

Adonis: Sie müssen verstehen: Die Rebellion in Syrien ist nur punktuell – in Hama, in Homs, in Gebieten an der türkischen Grenze. Aber die syrische Gesellschaft als Ganzes hat sich nicht bewegt. Was ist mit Damaskus, was mit Aleppo, mit Latakia? In den Zentren des Landes ist es ruhig. ­Bewegte sich die syrische Gesellschaft so wie jene im Jemen, ja, dann würde das ­alles ändern.

profil: Syrische Soldaten desertieren, es hat sich eine Freie Syrische Armee gebildet, die gegen das Regime kämpft …

Adonis: Das ist doch nur Propaganda-Blabla. Wenn das tatsächlich wahr wäre, wenn wirklich höhere Offiziere die Fronten wechselten, dann wäre das wirklich das Ende des Regimes.

profil: Haben Sie Kontakt mit der syrischen Opposition?

Adonis: Welche Opposition? Es gibt viele Oppositionen: jene, die mit der Türkei verbündet ist, jene in anderen westlichen Ländern und unterschiedliche Gruppen im Inneren des Landes. Jeder singt seine eigene Melodie. Ich wäre jedenfalls eher auf der Seite der inneren Opposition.

Aber wissen Sie, da geht es um Machtwechsel. Nur, die Macht interessiert mich nicht. Mir geht es um die Veränderung der Gesellschaft. Der Westen sorgt sich nicht wirklich um die arabische Welt. Wir erleben einen Konflikt zwischen dem Westen und dem Osten, hier handelt es sich um Machtpolitik. Es gibt eine Achse Iran–­Syrien–Hisbollah. Diese Achse muss ­zerbrochen werden. Damit bin ich ein­verstanden. Aber man kann doch nicht ein Volk, ein Land, eine ganze Zivilisa­tion ­zerstören. Man muss andere Mittel ­finden.

profil: Welche Mittel?

Adonis: Das weiß ich nicht. Ich bin kein Politiker. Aber sicherlich sind die Mittel, die im Irak angewandt wurden, die falschen. Das Land ist zerstört. Dasselbe will man nun mit Syrien machen. Früher finanzierten die Amerikaner die Fundamentalisten – wie etwa in Afghanistan. Dann wurden die einst als Freiheitskämpfer Hochgelobten zu bösen Terroristen.

Und jetzt kehrt man wieder zur Unterstützung der Islamisten zurück.

profil: Die Muslimbrüder vertreten doch eher einen moderaten Islam.

Adonis: Es gibt keinen moderaten Islam. Moderate Muslime, ja, aber einen moderaten Islam? Nein.

profil: Ist das nicht die Frage der Interpretation des Korans?

Adonis: Wenn der Westen einen moderaten Islam braucht, dann kann er doch in Saudi-Arabien beginnen. Ich bin gegen die amerikanische, ich bin gegen die westliche Politik gegenüber der arabischen Welt. Ich kann und will deren Logik nicht folgen. Nein, die Muslimbrüder sind Faschisten, pure Faschisten. Es ist doch absurd: Vor etwa 200 Jahren öffnete Muhammed Ali Pascha (Vizekönig von Ägypten von 1805 bis 1848, Anm.) Ägypten zur Moderne. Und jetzt schließt das Land, mit den Muslimbrüdern an der Macht, wieder die Türen.

profil: Wo sind aber die realen Kräfte in der arabischen Welt, die Ihren Ideen folgen?

Adonis: Hervorragende Maler, Dichter, Künstler denken so wie ich. Das sind Individuen. Die arabischen Kollektivitäten sind aber von der Religion erfasst.

profil: Also ist in Ihren Augen die arabische Welt verloren?

Adonis: Ja.

 profil: Es ist doch erstaunlich, dass der größte lebende arabische Dichter ein Jahr nach Beginn des so genannten Erwachens davon spricht, dass die arabische Welt verloren ist.

 Adonis: Besser verloren, als mit religiösen Diktaturen konfrontiert zu sein.

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Adonis steht nicht hinter syrischer Opposition (ntv)

Der im Exil lebende syrische Dichter Ali Ahmad Said Esber alias Adonis distanzierte sich von der Opposition in seiner Heimat. „Ich unterstütze die Opposition nicht“, sagte Adonis dem österreichischen Nachrichtenmagazin „Profil“. „Wie können die Fundamente eines Staates gelegt werden mit der Hilfe derselben Leute, die vorher diese Länder kolonisiert haben?“, fragte der 82-Jährige, der als bedeutendster lebender Poet arabischer Sprache angesehen wird. Er bezog sich damit auf die Jahre 1920 bis 1941, als Syrien unter französischer Herrschaft stand.

Eine westliche Militärintervention in Syrien lehnt Adonis ab. Diese würde dieselben Folgen haben wie im Irak: „Das Land würde zerstört werden.“ Adonis stellte zudem die Erfolge des Arabischen Frühlings infrage. Zwar sei er zunächst beeindruckt von der Protestbewegung gewesen, sagte der Lyriker. Er kritisierte jedoch die Weiterentwicklung der Revolte mit den Wahlerfolgen der Islamisten in Tunesien und Ägypten. „Es gibt keinen moderaten Islamismus“, sagte Adonis. Die Muslimbruderschaft nannte er „pure Faschisten“. Eine echte Revolution in der arabischen Welt könne nur auf der Grundlage des Laizismus gelingen. Adonis hatte in seiner Heimat wegen seines Engagements in der Nationalistischen Partei Syriens im Gefängnis gesessen. 1956 ging er ins Exil in den Libanon, 1985 zog er nach Paris.