P. Haumer: Die KPÖ und die Gewerkschaftsfrage in der Frühphase der 2. Republik

Die KPÖ begann sich erst die Frage nach der ‚Stellung der Partei zu den Gewerkschaften‘ in der großen innerparteilichen Debatte vor dem 3.Parteitag im Dezember 1919 und auf dem Parteitag selbst zu stellen. Ausgehend von der Richtlinie, dass der proletarischen Revolution unbedingt die Gewinnung der Mehrheit der Arbeiterklasse für den Kommunismus vorangestellt werden muss, stellte sich die KP richtig die Frage, wie diese Gewinnung der Massen für den Kommunismus vor sich gehen kann.

Grundsätzlich war man gegen die Gewerkschaftsbürokratie, gegen die „Beschwichtigungshofräte“, welche die Forderungen der Arbeiterschaft kompromissbereit zu erfüllen versuchten. Dieser Gewerkschaftsbürokratie sagte man den Kampf an mit dem Ziele, sie von den Massen zu isolieren. Zu diesem Zwecke sollten sich die Kommunisten innerhalb der gewerkschaftlichen Ortsverbände fraktionsmäßig zusammenschließen und hier ihre Propaganda starten.

Ebenso scharf verurteilt wurde die gewerkschaftliche Theorie und Praxis der „rein wirtschaftlichen“ Kämpfe. Die kommunistische Gewerkschaftstätigkeit sollte niemals eine rein organisatorische werden, sondern stets dem höheren Ziel der proletarischen Revolution untergeordnet bleiben. So war also die Losung der Kommunisten nicht Spaltung sondern Revolutionierung der Gewerkschaften. Der sozialdemokratischen Gewerkschaftsbürokratie sollte der Platz streitig gemacht werden, indem sich alle Oppositionsgruppen in einem kommunistischen „Gewerkschaftskomitee“ vereinigen sollten.

Diese Position wurde auf dem 3.Parteitag gegen den Vorschlag einiger Delegierten aus Donawitz, die für eigene kommunistische Gewerkschaften plädierten, angenommen. Damit konnte, nach mehr als knapp einem Jahr Existenz der KPÖ, ein Grundstein zur Bewältigung der Gewerkschaftsfrage gelegt werden.

Vor dem 3.Parteitag machte die KPÖ eine schwere Krise durch, die die Partei, an den Rand einer Spaltung trieb (Franz Koritschoner legte am 1.8. sein Parteivorstandsmandat nieder). Mit August 1919, der Niederlage der ungarischen Räterepublik und dem Scheitern der putschistischen Politik der KPÖ unter der Führung des ungarischen Emissärs Bettelheim, erfolgte der Abstieg der Partei. Innerhalb von drei Monaten sank die Mitgliederzahl von mehr als 40.000 auf knappe 10.000; die Parteikasse, die durch ungarische Finanzhilfe aufgefüllt worden war, leerte sich rapide, die Ortsgruppen in den westlichen Bundesländern waren praktisch nicht mehr vorhanden. So war die. Ortsgruppe Salzburg am 23. Juni 1919 nach Kritik an der ‚Bettelheimerei‘ wegen ‚rechter‘ Abweichungen aufgelöst worden. In Linz wechselte der Großteil der Parteimitglieder nach dem 15.Juni (blutige Demonstration in Wien, die ursprünglich von Bettelheim und Koritschoner als Aufstandsversuch geplant war) zur Sozialdemokratie über, die dort ein starkes linkes Programm vertrat. Ähnliches ist in Graz vor sich gegangen und mit knapper Not konnte das gänzliche Verschwinden der Partei aus der Steiermark verhindert werden.

Nur mit Hilfe der Intervention der Komintern – Karl Radek rechnete in einer großen Artikelserie in der Roten Fahne mit Bettelheim ab und die finanzielle Unterstützung der KPÖ aus Moskau wurde abgebrochen, solange nicht völlig mit der ‚Bettelheimerei‘ gebrochen wurde – konnte die Partei auf marxistische Positionen geführt werden, wovon eben der 3.Parteitag das erste Anzeichen ist.

Rrrradek in Berlin

Nach dem 3. Parteitag schrieb Lenin: „In Österreich hat der Kommunismus eine sehr schwere Zeit durchgemacht, die anscheinend noch nicht ganz überwunden ist: Wachstumskrankheiten, die Illusion, dass eine Gruppe, die sich zum Kommunismus bekennt, ohne ernstlichen Kampf um den Einfluss unter den Massen zu einer Macht werden könne, Fehlgriffe in der Wahl der Personen (Fehler, die zu Beginn jeder Revolution unvermeidlich sind und deren wir eine ganze Reihe begangen haben). Die Tageszeitung der Kommunisten, die „Rote Fahne“, die unter der Redaktion von Koritschoner und Tomann erscheint, ist ein Beweis dafür, dass die Bewegung einen ernsten Weg einschlägt!“ (Aus: Band 30, Seite -350 – Lenin-Werke)

Ein weiterer Beweis für die Reifung der KPÖ war eben die Aufnahme einer kommunistischen Gewerkschaftspolitik durch den Beschluss des 3. Parteitages.

Die KPÖ unternahm 1920 keine eigenständigen Aktionen. Nach dem ersten revolutionären Sturm befand sich die Organisation im Zustand der Umgruppierung; es fehlte weiterhin die Bindung zur . Industriearbeiterschaft; der Mitgliederschwund hielt an. Diese Periode des „Ausbauens, der Festigung und Stärkung“ wurde mit der Vereinigung mit der ’neuen Linken‘ abgeschlossen.

DIE ‚NEUE LINKE‘

Zum ersten Auftreten der ’neuen Linken‘, der neuen oppositionellen Strömung in der SDAP kam es Anfang 1919. Nach der Debatte um den internationalen Solidaritätsstreik für Räte-Ungarn, der am 21.Juli 1919 stattfand, begann die ’neue Linke‘ ein Organisationsgerüst zu errichten: Die „Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft Revolutionäre Arbeiterräte“ (SARA) mit dem Organ „Der Arbeiter-Rat“. An dieser SARA beteiligten sich u.a. Franz Rothe, Josef Frey, Josef Benisch, Käthe Pick, Otto Leichter, Goldscheid, Ernst Fabri und Alexander Täubler. Die zentrale politische Aussage von ihnen war der Ausbau des Rätesystems als Instrument zur Durchsetzung der Diktatur des Proletariats und folglich die prinzipielle Ablehnung der Koalitionspolitik einerseits und andererseits der heftige Widerstand gegen die Taktik der KPÖ-Teile, die Macht stellvertretend für die Arbeiterklasse ergreifen zu wollen. Erklärte Ziele der SARA waren, die gesamte Partei auf eine neue, revolutionäre Grundlage zu stellen und der Kommunistischen Internationale beizutreten.

Der von der SARA miterzwungene Austritt der SDAP aus der Koalitionsregierung am 10.6.1920 schwächte gleichzeitig die SARA und führte zur Aufgabe der Konzessionsbereitschaft durch den Parteivorstand der SDAP. Anlässlich der Nationalratswahlen im Oktober 1920 spaltete sich die SARA wegen der Bündnisfrage mit der KPÖ. Der Verein ‚Karl Liebknecht‘, geführt von Rothe, traf zur Wahl keine klare Aussage. Der Boden der sozialdemokratischen Partei sollte nicht verlassen werden, denn „wir wollen als Linke die sozialdemokratische Partei für den Kommunismus erobern, so weit es geht“.

Die ‚Arbeitsgemeinschaft Revolutionärer Sozialdemokraten‘, geleitet von Frey, gab als Parole aus: Nur dort, wo rechte, koalitionsfreundliche Sozialdemokraten aufgestellt werden, KP-Kandidaten wählen.

Von Seiten der SDAP-Führung wurde daraufhin eine Ausschlussdrohung ausgesprochen, welche beide Gruppen veranlasste, sich wieder zu vereinigen und sie gründeten am 12.11.1920 die Sozialistische Arbeiterpartei-Linke (SAP). Dem konstituierenden Parteitag der SAP, der die Einsetzung eines Verhandlungskomitees mit der KPÖ beschloss, folgte nach Feststellung vollständiger Übereinstimmung (am 12.12.) der kollektive Beitritt auf der Vorkonferenz zum 4. Parteitag der KPÖ (23.-25.1.1921).

DAS VERHÄLTNIS KPÖ – SAP

Die KPÖ war eine Frühgeburt. Sie wurde am 3.11.1918 gegründet. Nach Josef Frey hätte sie erst 4-5 Monate, mindestens aber 3 Monate später gegründet werden dürfen. Die Frühgeburt hatte eine doppelte Wirkung: Es schlossen sich der Partei bei ihrer Gründung nur Arbeiter an, die äußerst wenig politische Erfahrung hatten und an die Spitze traten Führer ohne die ‚geringste politische Erfahrung‘. Zweitens aber wurde die Anziehungskraft und Stoßkraft der linken Elemente innerhalb der SP geschwächt und das hatte zur Folge, dass die ’neue Linke‘ dann bei der Loslösung von der SP verhältnismäßig wenig mit sich reißen konnte.

So klein der Zuwachs aber auch war, den die Linke mit sich gebracht hatte, sie hatte der Partei doch eine ganze Reihe von Arbeitern und Führerelementen zugeführt, die über eine gewisse politische Erfahrung verfügten. So begann die Partei nach dem Vereinigungsparteitag doch allmählich aufzusteigen. Auf dem Vereinigungsparteitag standen den 50 SAP-Delegierten 118 KP-Wahlmänner gegenüber. Die Debatte beschäftigte sich hauptsächlich mit Westungarn (Burgenland) und der Frage nach dem Anschluss an Deutschland. In die engere Leitung wurden Strasser, Wertheim, Tomann, Glas, Gruber, Koritschoner, Frey, Tober und Novotny gewählt.

DER VEREINIGUNGSPARTEITAG UND DIE GEWERKSCHAFTSFRAGE

Auf dem Parteitag wurde bedauert, „dass während des gestrigen Tages die Zeit mit einer Frage so lange vertrödelt wurde, so dass für heute für die Gewerkschaftsfrage so wenig Zeit geblieben ist“ und es wurde, als die beiden Alternativanträge – Schluss der Rednerliste und Schluss der Debatte – gestellt wurden, der Antrag auf Schluss der Debatte angenommen. An der Debatte beteiligten sich außer den Referenten Glaß noch weitere 8 Redner (auf dem 3. Parteitag sprachen lediglich Koritschoner und Haidt zur Gewerkschaftsfrage) und es wurden ‚Richtlinien zur Gewerkschafts- und Betriebsrätefrage‘ angenommen.

Gen. Glaß hielt das Hauptreferat – „Gewerkschaften und Betriebsräte“. Er stellte fest, dass in der abgelaufenen Tätigkeit des kommunistischen Gewerkschaftskomitees der erste Schritt getan wurde. Es ist der KP bereits gelungen, „eine Reihe von Betriebsbranchen und Industriegruppen organisatorisch zu erfassen und innerhalb der einzelnen Gewerkschaftsverbände als festgefügte Oppositionsgruppen zu wirken“. Im Laufe des letzten Jahres wurden über 200 Betriebsgruppen gebildet. „Wir haben auf Grund unserer bisherigen Taktik in einer ganzen Reihe von Betrieben festen Fuß gefasst, Betriebsfraktionen gebildet und die Konsolidierung der Partei beruht auf dieser Tatsache. Durch die wirtschaftlichen Erfolge unserer Tätigkeit ist es uns gelungen, einen Großteil von Arbeitern in unsere Reihen zu bringen und es ist Aufgabe der politischen Organisation der Partei, diese Massen festzuhalten und zu wirklichen kommunistischen Kämpfern heranzubilden.“

Die ‚bisherige Taktik‘, welche die KPÖ in den Gewerkschaften anwendete, war nicht nur, in den bestehenden Gewerkschaften zu verbleiben, sondern innerhalb derselben aktiv tätig zu sein. Doch nicht nur in der Gewerkschaft war es Pflicht einzudringen, sondern auch „in allen anderen wirtschaftlichen Organisationen des Proletariats, die Produktiv- und Konsumgenossenschaften, Krankenkassen usw.“ In diesen Organisationen dürfe der Kampf nicht nur gegen die opportunistischen Führer geführt werden, sondern ebenso „gegen die bestehende Organisationsform und Kampftaktik, gegen den ganzen revisionistischen Geist, der in ihnen herrscht“.

Doch revolutionärer Klassenkampf heißt nicht die Verpflichtung, „immerwährend Aktionen in den Betrieben durchzuführen“. Diese Meinung sei falsch und kann unter Umständen der eigenen Tätigkeit gefährlich werden. Dieser Hinweis war offensichtlich in Richtung der linksradikalen Tendenz gerichtet, die besonders in den Gewerkschaften Einfluss hatten. Nach einem Zwischenruf führte Gen. Glaß diesen Punkt näher aus: „Ja, Genossen, auch ich stehe auf dem Standpunkt, die Aktionen innerhalb der Betriebsarbeiterschaft ununterbrochen fortzuführen und alles anzuwenden, um die Arbeiterschaft in Erregung zu halten, um sie auf die wirtschaftlichen Gegensätze aufmerksam zu machen. Wir müssen aber auch taktisch und vorsichtig und nur dort Aktionen durchführen, wo es die Verhältnisse innerhalb des Betriebes erlauben.“

Der linksradikale Standpunkt wurde in der Diskussion auch noch in Form des Gedankens einer ‚Roten Sonderorganisation‘ vertreten. Gen. Grubert vertrat die Ansicht, dass die Gruppe der Heizer und Maschinisten sich nicht den Gewerkschaftsorganisationen angliedern könne, „da wir bisher stiefmütterlich von allen behandelt wurden!“

In seinem Schlusswort betonte daraufhin Gen. Glaß nochmals lang und ausführlich, dass die Kommunisten alles vermeiden wollen – im Interesse der gewerkschaftlichen Einheit – was momentan zur Zersplitterung der Gewerkschaftsorganisationen führen könnte. „Wir müssen und werden uns mit allen Mitteln wehren, eine Spaltung in den Gewerkschaften aufkommen zu lassen.. Andernteils wiederhole ich mit Nachdruck, dass wir unter keinen Umständen unsere Tätigkeit zur Revolutionierung der Gewerkschaften, eine Vorbedingung der proletarischen Revolution, aufgeben werden.“

Der zweite Schwerpunkt im Hauptreferat des Gen. Glaß war der Betriebsrätefrage gewidmet. Er beschrieb, dass vielfach die Unternehmer den Betriebsrat als Antreiber der Arbeiterschaft verwenden und auch die reformistischen Gewerkschaftsführer betrachten die Betriebsräte gleichfalls als Durchführungsorgan ihrer Interessen. Das Betriebsrätegesetz stecke hierfür den Rahmen ab, indem es hinweist, dass es Aufgabe der Betriebsräte sei, die Interessen des Betriebes zu wahren. Hingegen sei es die Aufgabe der kommunistischen Genossen, in den Betrieben darauf zu sehen, „dass die Betriebsräte als Exekutivorgane der Betriebsarbeiterschaft weit über die Betriebsinteressen hinaus für die allgemeinen proletarischen Interessen einzutreten haben. Sie haben entsprechend den jeweiligen Kampfformen die gesetzlichen Schranken zu durchbrechen und ihre Macht im Interesse der revolutionären Bewegung zu stärken… .Hauptaufgabe der Betriebsräte ist es, den Kampf um die Kontrolle der Produktion zu führen, die einmünden muss in den politischen Kampf zur Ergreifung der Macht durch das Proletariat.“

Weiters müssten die Betriebsräte straff zentralisiert werden durch Zusammenschluss und Schaffung von Betriebsräteexekutiven und gleichzeitig sollen die Betriebsräte zu einer Gegenmacht der Gewerkschaftsbürokratie gegenüber ausgebaut werden, indem zwar die Betriebsräte gemeinsam mit der Gewerkschaftsleitung alle wirtschaftlichen Kämpfe führen sollen, aber „die Betriebsräteorganisationen allein hätten das Recht, über die Kampfformen, Kampferweiterungen und Kampfende zu entscheiden und so die Bürokratie auszuschalten“.

Der dritte Schwerpunkt war die Arbeitslosenfrage. Hierzu ist zu bemerken, dass die Arbeitslosigkeit vom 1.1.1919 bis 1.1.1920 von etwa 190.000 auf 70.000 und zur Zeit des Parteitages auf ca. 50.000 sank, wobei nur 14.000 staatliche Unterstützung erhielten. Zur Milderung dieses Problems wurde einerseits ein rigoroser Überstundenboykott gefordert und andererseits „unter jeder Bedingung trachten, eventuell die Arbeitszeit zu verkürzen und die Arbeitslosen in die Betriebe einzustellen“.

Das Referat des Gen. Glaß, dem in der Diskussion kaum widersprochen wurde, endete, indem er nochmals die Hauptaufgabe und zugleich schwierigste Aufgabe der bevorstehenden Arbeit umriss. „Genossen, es ist notwendig, dass wir unsere Tätigkeit innerhalb der Gewerkschaften verzehnfachen, die revolutionären Massen organisatorisch erfassen, um sie aus dem geistigen Einfluss der kleinbürgerlichen Ideologie ihrer Führer zu befreien, um sie mit der kommunistischen Tendenz und der revolutionären Klassenkampftaktik vertraut zu machen.“ (Alle Zitate aus: Die Gewerkschaften und Betriebsräte als Klassenkampfinstrumente der proletarischen Revolution, Wien 1921)

ZWISCHEN 4. UND 5. PARTEITAG

Doch die KPÖ kam nicht zum ruhigen Arbeiten. Die Ereignisse im März 1921 in Deutschland führten auch in der KPÖ zu neuen theoretischen Kontroversen- und versetzte die scheinbar konsolidierte Partei in eine schwere Krisensituation.

Anfang der zwanziger Jahre gab es in Deutschland genügend explosive Situationen. Im Mansfelder Kohlenrevier in Mitteldeutschland rissen die Geplänkel zwischen den Bergarbeitern und der preußischen Polizei nicht ab. In der Erwartung, dass die verhasste Reichswehr zur Verstärkung der Polizei befohlen würde, um für Ruhe und Ordnung in diesem Gebiet zu sorgen, standen die Arbeiter in ständiger gespannter Bereitschaft. Die KPD, die kurz zuvor durch die Fusion mit der linken USPD 350.000 neue Mitglieder gewonnen hatte und zur Massenpartei wurde, ging davon aus, dass sich die Mansfelder Unruhe ausbreiten werde, wenn die kommunistische Agitation und die Beispiele mutiger revolutionärer Taten die Arbeiter mobilisierte – die sogenannte „Offensivtheorie“. Aber diese Offensiv – Strategie kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Da war keine Massenbewegung, lediglich eine Resolution von oben, beschlossen von der Zentrale der KPD.

Zum Kampf kam es dann nur in Mansfeld und Umgebung, wo die Kumpel einen mutigen aber verzweifelten Abwehrkampf führten. Das übrige Land blieb stumm. Die KPD nahm in ihrer Verzweiflung Zuflucht zu Sabotage, Bombenlegerei und schlichter Provokation. Arbeitslose wurden zu Sturmbrigaden formiert, die gewaltsam in Fabriken eindringen und die Einstellung der Arbeit erzwingen sollten. Die Folgen waren verheerend und ein innerparteilicher Streit brach in der KPD über die Nützlichkeit der Offensiv-Theorie aus.

Man kann sich lebhaft vorstellen, dass die KPÖ, die einer ähnlichen Theorie im ersten Jahr ihrer Existenz huldigte, sofort in den Strudel der Meinungsverschiedenheiten hineingezogen wurde. Josef Strasser, der Chef-Redakteur der Roten Fahne, solidarisierte sich mit Paul Levi, einem Führer der KPD, der die Märzaktion als putschistisch kritisierte und wegen Bruchs des demokratischen Zentralismus aus der KPD ausgeschlossen wurde und demissionierte als Chefredakteur. Die Parteivorstandsmehrheit billigte die von der Komintern abgelehnte Offensivtheorie und der Geist Bettelheims geisterte wieder durch die Reihen der KPÖ. Am 15.6.1921 wurde Bettelheim im Zuge der Levi-Diskussion öffentlich rehabilitiert.

Erst auf dem 3. Weltkongress der Komintern (22.6.-12.7.1921) konnte eine gewisse Klärung der schwierigen innerparteilichen Verhältnisse herbeigeführt werden. Ausgehend von einer ’neuen Etappe‘ in der Entwicklung der Revolution wurde das Zurückfluten des revolutionären Angriffes und die Konsolidierung des Kapitals festgestellt, welches eine neue Taktik notwendig mache: Die Einheitsfronttaktik. Die Kommunistische Parteien müssen zuerst die Mehrheit der Arbeiterklasse durch geduldiges und geschmeidiges Anwenden der Einheitsfronttaktik erringen, bevor ein neuer Sturm auf die kapitalistischen Bastionen eröffnet werden kann. Das Kapital ist in der Offensive und es gilt, die Reihen des Proletariats im Kampf um die Verteidigung der Errungenschaften zu schließen.

Koritschoner und seine Anhänger lehnten die gesamte Linie der Komintern ab und standen eher der linkskommunistischen Strömung innerhalb der Komintern um Bordiga aber auch Pannekoek nahe, obwohl sie gleichzeitig die Politik der KAPD (ultralinke Abspaltung von der KPD) verurteilten.

Durch die Ablehnung der Linie der Komintern durch den Koritschoner-Flügel veränderte sich ab Herbst 1921, als die Partei bereits nur mehr 4.500 Mitglieder zählte, das Kräfteverhältnis im Parteivorstand der KPÖ zugunsten Josef Freys, während Tomann zwischen den politischen Gruppen lavierendes Parteizentrum blieb. Josef Frey wurde zum Motor der Parteiorganisation. Der Status eines Propagandazentrums sollte überwunden werden, die Verbindung zur Betriebsarbeiterschaft hergestellt werden. Weiters strebte man finanzielle Unabhängigkeit von der Komintern an.

EINHEITSFRONTVERSUCHE

Zunehmend rückte die katastrophale wirtschaftliche Finanzlage Österreichs, insbesonders die verzweifelte Lage der Arbeiterklasse in Österreich, immer mehr in den Vordergrund. Die Lebenshaltungskosten einer Durchschnittsfamilie betrugen gegenüber 1914 das 2645-fache. Das führte am 1.12.1921 zu spontanen Aktionen der Wiener Arbeiterschaft.

Der 1.12.1921 war ein verzweifelter Versuch der Arbeitermassen Wiens, gegen die Verelendung anzukämpfen. „Infolge der spontanen, führerlosen Demonstration der Arbeiterschaft am 1.12., die sich gegen die fortschreitende Teuerung richtete und an die sich bekanntlich Demolierungen und Plünderungen der zum äußersten gebrachten Masse anschlössen, richtete die KPÖ an die Sozialdemokratische Partei die Aufforderung, den unorganisierten Ausbruch der Masse in eine organisierte Aktion des österreichischen Gesamtproletariats gegen jede weitere Belastung und Verelendung der Arbeiterschaft zu überführen.“ (Aus: Protokoll des 5.Parteitag der KPÖ)

Die sozialdemokratischen Führer lehnten dies ab. Unterstützt von zahlreichen sozialdemokratischen Mitgliedern und Betriebs-Funktionären führte nun die KPÖ durch zwei Monate hindurch alleine eine Kampagne für die bedingungslose Freilassung der Opfer vom 1.Dezember.

DER 5.PARTEITAG DER KPÖ

Am 25.-27.3.1922 fand der 5. Parteitag der KPÖ statt. Der Hauptpunkt war die Diskussion um ein neues Organisationsstatut, das von Frey vorgelegt und durchargumentiert wurde. In der Gewerkschaftsfrage gab es eine wichtige Weiterentwicklung, die auf die Beschlüsse und Richtlinien des ersten Kongresses der Roten Gewerkschaftsinternationale zurückging. Es wurde nämlich nach der Rückkehr der Delegierten vom l. RGI-Kongress eine „vollständige Umstellung der bis dorthin geschaffenen kommunistischen Betriebs-, Branchen- und Industriefraktionen vorgenommen. Die organisatorischen Arbeiten der Gewerkschaftsabteilung sind seitdem in dieser Richtung eingestellt und werden nicht nur die kommunistischen Genossen zu Fraktionen gebildet, sondern alle innerhalb der Gewerkschaften organisierten revolutionären Arbeiter zu oppositionellen Gewerkschaftsgruppen zusammengefasst.“ (Gen. Glaß, Protokoll des 5. Parteitag). In den verabschiedeten ‚Richtlinien zu den nächsten gewerkschaftlichen Aufgaben‘ hört sich das folgendermaßen an: „Zur Verwirklichung all dieser Aufgaben ist es unbedingt notwendig, innerhalb der Gewerkschaftsorganisationen festgefügte revolutionäre Oppositionsgruppen, unbekümmert der politischen Richtung zu organisieren…“

Nachdem also die Kommunisten in den Betrieben und der Gewerkschaft Fuß gefasst hatten, dort Fraktionen und Zellen gebildet wurden, ging man daran, alle Arbeiter und Arbeiterinnen, die gewillt waren, den Kampf gegen Inflation und sich verschlechternde Lebensbedingungen zu führen, zusammenzufassen in gewerkschaftliche Oppositionsblocks, die organisatorisch von der KPÖ selbständig waren und in denen die KP versuchte, mit dem Mittel der politischen Einflussnahme die notwendigen revolutionären Positionen zur Annahme zu bringen. Als Aktionsplattform galt der Kampf gegen die sich verschlechternden Lebensbedingungen.

Diese gewerkschaftlichen Oppositionsblocks stellen einen Versuch dar, die Methode der Einheitsfront auf gewerkschaftlichem Gebiete anzuwenden. Während der Appell an die sozialdemokratischen Führer der Gewerkschaften die Anwendung der Einheitsfront von oben ist, so war die Organisierung der oppositionellen Gewerkschaftsmitglieder, ungeachtet ihrer politischen Anschauung, das zweite Standbein dieser Taktik: die Einheitsfront von unten.

Am 4.Weltkongreß der Komintern vom 1.11.-1.12. 1922 wurde dasselbe Problem ebenfalls behandelt. Der Vorsitzende der RG1 – Losowski – erläuterte am Beispiel Englands, wo ähnlich wie in Österreich nur eine sehr kleine kommunistische Partei existierte, dass es äußerst schädlich wäre, „wenn die Partei bestrebt sein würde, sich nur auf ihre kleinen Parteizellen zu beschränken. Hier muss die Schaffung einer großen oppositionellen Gewerkschaftsbewegung angestrebt werden. Es muss dahin kommen, dass unsere kommunistischen Gruppen einen Kristallisationskern bilden, um den sich die oppositionellen Elemente sammeln. Man muss die gesamte Opposition ins Leben rufen, muss ihr eine Form geben, muss alle ihre Teile sammeln und infolge des Anwachsens der Opposition wird auch die Kommunistische Partei selbst wachsen. Zwischen der Parteiorganisation und der Opposition – die ihrem ganzen Wesen nach mannigfaltig und aus verschiedenartigen Elementen besteht – muss eine solche Wechselbeziehung hergestellt werden, dass den Kommunisten nicht der Vorwurf gemacht werden kann, als wollten sie sich die gesamte oppositionelle Bewegung mechanisch unterordnen.“ (Protokolle des 4.WK der KI, Seite 462)

Die Kommunisten müssen also die Initiative ergreifen, innerhalb der Gewerkschaften einen Block mit den revolutionären Arbeitern anderer Richtungen zu schaffen.

KONSEQUENTES ANWENDEN PER EINHEITSFRONTAKTIK

Nach dem 5. Parteitag setzte die KPÖ dann dementsprechend ihre Kampagne gegen die Teuerung unter den Zeichen der Einheitsfront fort, oppositionelle Gewerkschaftsblocks wurden in Betrieb, Branche und Industrie gebildet und zentralisiert.

Zur Problematik der Arbeitszeit kam es dann zu einer Einheitsfront. Auf kommunistische Initiative fand eine Protestkundgebung unter den Parolen „Für den 8-Stundentag! Für die Einheitsfront!“ statt und der Aufmarsch gestaltete sich zur mächtigsten Kundgebung der Nachkriegszeit. Die ‚rote Nelke und der Sowjetstern‘ marschierten gemeinsam. Vom Erfolg ermutigt, forderte die KPÖ gemeinsame Mai-Veranstaltungen, was die SDAP nach anfänglichen Unsicherheiten ablehnte. Trotzdem wurde am 1.Mai in vielen Orten gemeinsam demonstriert. In den folgenden Streikbewegungen kündigte sich erneut der Ausbruch der nie bereinigten Parteidifferenzen an und wurden durch die Ereignisse um die „Seipel-Sanierung“ noch weiter angehetzt.

Diese „Sanierung“ bot mittels einer Völkerbundanleihe der Inflation Einhalt und als Gegenleistung die Unterstellung des ganzen Staates und eines Großteil der Privatwirtschaft über die Nationalbank unter das Kuratel eines Volkerbundkommissars. Österreich wurde dem Diktat der Entente-Kapitals ausgeliefert. Otto Bauers erster Gedanke nach der Lektüre der Genfer Protokolle war: „Das müssen wir verhindern, koste es was es wolle.“ Aber der zweite Gedanke war bereits: Kampf gegen die ‚Seipel-Sanierung‘ als loyale Opposition der bürgerlichen Regierung, was konkret hieß: Stimmenthaltung im Parlament bei der Annahme der entsprechenden Gesetze, die die SDAP hätte zu Fall bringen können.

Die KPÖ hingegen leitete ihre Kampagne gegen den Genfer-Vertrag von langer Hand ein und führte ihn nach den Regeln der Einheitsfronttaktik durch. Die KPÖ war von vornherein entschlossen, wenn die Sozialdemokratie den Kampf im entscheidenden Augenblick ablehnt, diesmal selbständig als Partei zur Aktion zu schreiten. Die Ratshausversammlung am 12.10.1922 bildete den eigentlichen Auftakt zu dieser Aktion. Josef Frey nannte dort in einer Rede für die Aktion folgende Losungen: „Gegen den Sklavenvertrag! Gegen den Pfaffenraubplan! Gegen die Aushungerung des Proletariats durch Steuern, Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit! Brot und Arbeit den Arbeitslosen! Gegen die Ausschaltung der Massen von der Gesetzgebung und Verwaltung, gegen den neuen §14! Für die Sanierung auf Kosten der Besitzenden!“

Die Aktion wurde am 25.11. durchgeführt und hatte den Charakter einer Protest- und Demaskierungsaktion zugesprochen gekriegt. Am Parteivorstand am 23.11. erklärte Josef Frey: „Wir Kommunisten müssen den Massen den Verrat der Sozialdemokratie durch die Aktion in den Kopf hämmern und vor allem, wir Kommunisten müssen uns selbst und dem ganzen Proletariat sinnfällig beweisen, dass die dreijährige Isolierung der Kommunistischen Partei von den Massen durchbrochen ist… Wir müssen uns und dem Proletariat beweisen, dass die KPÖ den Kontakt mit der Masse endlich gefunden hat, dass wenn die KP zur Aktion ruft, nun nicht mehr nur die Kommunisten kommen, sondern darüber hinaus 10.000, 20.000 und noch mehr Proletarier.“

Die Demonstration fand dann schließlich bei der Votivkirche statt. Die Aktion verlief „großartig und mit beeindruckenden Erfolge für die Partei“. 30.000 demonstrierten, die größte eigenständige Aktion der KPÖ seit 1919.

Nach der Genfer Aktion trat eine kurze Zeit der Entspannung ein, worauf die Aktion der Partei zur Unterstützung der Arbeitslosenaktion am 10. 12.1922 folgte. Es wurde beschlossen, die Arbeitslosenbewegung noch 14 Tage hinzuziehen und sie dann nach gründlicher Vorarbeit in eine Aktion ausmünden zu lassen. Ins Auge gefasst wurde eine Demonstration, da „eine Aktion, die den Charakter einer Demonstration überschreitet, in der gegenwärtigen Situation der lauernden Reaktion die gewünschte Gelegenheit bieten würde, nicht nur die Arbeitslosen blutig niederzuwerfen, sondern sich auch der revolutionären Partei des Proletariats, der Kommunistischen Partei, für längere Zeit zu entledigen.“ (Aus: Resolution des Parteivorstandes vom 8.12.1922)

Die Resolution endet mit dem Satz: „Die Partei kann nicht zwei Zentralen haben: die Gewerkschaftsabteilung und den Parteivorstand. Die Zentrale der Partei ist der Parteivorstand, alle anderen zentralen Organe der Partei sind Hilfsorgane des Parteivorstandes und diesem untergeordnet.“ Mit diesen Sätzen sind die kommenden Fraktionsauseinandersetzungen und deren Frontstellung vorweggenommen.

In der Parteivorstandssitzung am 8.12. kam es über das Verhalten mehrerer Parteivorstandsmitglieder, nämlich Gen. Tomann, Koritschoner, Riess, zur Arbeitslosenaktion zu ernsten Auseinandersetzungen. Der erste Differenzpunkt handelte sich darum, dass die KP nicht ihr Gesicht verberge, sondern dass sie sich vollkommen offen hinter die Arbeitslosenaktion stellen muss.

Der zweite Punkt ist, dass solch eine Aktion, die (nach der Roten Fahne vom 3.12. ein „Kampf mit allen und den letzten Mitteln“) nur sein kann, soll sie den Arbeitslosen wirklich helfen, nur vom Parteivorstand oder politischen Büro beschlossen, eingeleitet und geführt werden kann. Die Ankündigung in der Roten Fahne ist aber ohne Wissen des Parteivorstandes gemacht worden, wiedersprach auf das schärfste der bisherigen Taktik der Partei und ließ Vermutungen zu, dass neben dem Parteivorstand die kommunistische Fraktion im Gewerkschaftsrat – Tomann, Koritschoner, Riess – sich als selbständiges Aktionszentrum etablieren wollten.

Bei der Abstimmung der Resolution von Josef Frey stimmte Riess dagegen und Tomann und Koritschoner enthielten sich der Stimme. Aufgrund des Abstimmungsverhalten von Tomann und Koritschoner wurde nun die Diskussion zur Gewerkschaftsfrage eröffnet. Eine verstärkte Sammeltätigkeit für den gewerkschaftlichen Kampffond, die auf Kosten der Sammlungen für die Partei ging, bestärkte noch dazu die Mehrheit des Parteivorstandes in ihrem Beschluss, die Gewerkschaftsfrage aufzurollen und die Krise der KPÖ konnte ihren Lauf nehmen.

An der Gewerkschaftsfrage ist der Streit im Herbst 1922 entbrannt, zu einer Zeit, wo die Partei 10.000 wirkliche Mitglieder hatte und alleine in Wien 25.000 Sympathisierende, die dem Ruf der Partei in die Aktion gegen den Genfer-Vertrag folgten. Auf diesem Höhepunkt begann die Krise.

DIE GEWERKSCHAFTSFRAGE – DER BEGINN DER KRISE DER KPO.

„Es gibt unter uns schwere politische, taktische und organisatorische Meinungsverschiedenheiten“, sagte Josef Frey auf der Sitzung der Reichsvertretung (Zentralausschuss) am 15.1.1923. Aber die Differenzen waren 1922/23 noch ziemlich schwer auszumachen. Die Komintern vertrat sogar bis zum 6.März 1925 die Position, dass es sich in der KPÖ um persönliche Differenzen handelte. Erst mit der Erringung der Mehrheit der ‚Linken‘ auf dem 6.Parteitag der KPÖ März 1923 und der darauffolgenden Praxis traten die Differenzen klar und deutlich zutage.

Die Parteiminderheit um Koritschoner und Tomann hatte sich im Gewerkschaftsrat verschanzt und sie versuchten tatsächlich, eine ‚Partei in der Partei‘ aufzubauen, was natürlich den organisatorischen und politischen Richtlinien der Kommunistischen Parteien grundsätzlich widersprach. Politischer Hintergrund dieser Bestrebungen war die Tatsache, dass die ‚linke‘ Parteiminderheit die Einheitsfronttaktik, wie sie auf dem 3.Weltkongreß der KI entwickelt worden war, ablehnte und statt dessen die Einheitsfront nur von unten predigte. In der Praxis lief dies sowohl auf linke als auch rechte Abweichungen in Theorie und Praxis hinaus.

Als Mitte 1923 zum Beispiel die revolutionären Straßenbahner vor der Frage standen: Bildung einer organisierten, revolutionären Opposition innerhalb des Transportarbeiter-Verbandes oder Gründung einer selbständigen revolutionären Straßenbahnerorganisation und tatsächlich die revolutionären Straßenbahner je nach Einstellung sich zu gruppieren begannen, da wollten Tomann und Koritschoner nicht entscheiden, was zu tun sei, wollten nicht führen, sondern ihr leitender Gesichtspunkt war, nur nicht den Zusammenhang verlieren mit einer der beiden Gruppen. So blieben die beiden Gruppen sich selbst überlassen, handelten nicht einig, ein Teil gründete den Revolutionären Straßenbahnerverband, der andere Teil blieb im Transportarbeiter-Verband. Und so ist schließlich die ganze Bewegung nach 11/2 Jahren vollkommen im Sumpf gelandet.

Tomann und Koritschoner kämpften nicht mit offenem Visier und ihre Politik als Minderheit könnte man folgendermaßen charakterisieren: ‚Wir, die Parteivorstandsmitglieder, anerkennen prinzipiell die Unterordnung der Spitzenfraktion und der darin befindlichen Parteivorstandsmitglieder unter den Parteivorstand, aber solange ihr die Mehrheit seid, also diesem Parteivorstand in seiner konkreten personalen Zusammensetzung, werden wir uns nicht beugen.‘

Die Parteimehrheit um Frey wurde mit einer Art Boykott von Seiten der Minderheit belegt, die gleichzeitig versuchte, ihre politische Vorstellung in ihrem Einflussbereich – der Gewerkschaftspolitik der KPÖ – durchzusetzen. Gegen den zweiten Punkt wehrte sich die Parteimehrheit mit aller Entschiedenheit und sie eröffnete die offene Auseinandersetzung am 15.12.1922 auf der Parteivorstandssitzung.

Wir haben schon oben erwähnt, dass die Minderheit plötzlich die Sammlungen für den gewerkschaftlichen Kampffond aufs äußerste forcierte. Tomann soll sogar den Führer der Straßenbahner – Ketzlik – aufgefordert haben, das gesamte gesammelte Geld dem Gewerkschaftsrat zu geben, da „die Partei ohnehin genug hat“. Die bisher geübte Praxis war, die eine Hälfte für die Partei und die andere Hälfte für den Gewerkschaftsrat.

Am 15.12.1922 wurde nun folgende Resolution zu den finanziellen Fragen von Josef Frey vorgelegt. Wir veröffentlichen im folgenden die gesamte Resolution, weil im Brief des EKKI der Komintern vom 22.1.1923 auch auf diese Resolution Bezug genommen wird.

A) Sammlungen bei Parteiveranstaltungen durch den Parteivorstand, die Gewerkschaftsabteilung, die Soldatengruppe, Frauengruppe, Tschechengruppe etc., die Landesorganisation, Lokalorganisation, Lokalorganisation, Betriebs- und Branchenfraktionen, Komitees etc. gehören der Partei.

Nur Sammlungen der Oppositionsblocks fließen in den Kampffond des Gewerkschaftsrates. Die Kommunisten innerhalb der Oppositionsblocks sind jedoch verpflichtet, die Verwendung dieser Gelder im Sinne der Partei anzustreben.

Bei Anstellungen hat die Kommunistische Fraktion innerhalb der Oppositionsblocks durch die Gewerkschaftsabteilung dem Parteivorstande Vorschläge zu unterbreiten.

B) Die formelle Verwaltung der gesamten Gelder des Gewerkschaftsrates erfolgt durch den Kassier des Gewerkschaftsrates. Die gesamten Gelder des Gewerkschaftsrates sind in Verwahrung und Verwaltung des Reichskassiers (Reichskassiererin), der (die) darüber ein ganz separates Konto führt (Parteiintern).

C) Aus den Geldern des Gewerkschaftsrates dürfen ohne Zustimmung des Parteivorstandes keine personellen Posten gedeckt werden. Die Gelder des Gewerkschaftsrates dürfen ansonsten nur verwendet werden zur. Deckung von Kampfkosten, dagegen nicht verwendet werden zur Deckung von Kanzlei-, Agitations- und Propagandakosten, wenn nicht vorher die Zustimmung des Parteivorstandes hierzu eingeholt wurde. Sämtliche Personal und Kanzleikosten, alle Reisespesen und Diäten in Wien und der Provinz trägt für alle Abteilungen der Partei die Reichskassa.

D) Die Kontrolle über die gesamte Kassagebahrung und die gesamten Gelder der Gewerkschaftsrates übt die Reichsrevisionskommission aus. (Parteiintern)

E) Leitender Grundsatz bei allen Sammlungen muss sein in erster Linie die Finanzen der Partei zu stärken. Andererseits stellt der Parteivorstand fest, dass bei der gegenwärtigen Wichtigkeit der Gewerkschaftsarbeit ein der finanziellen Lage der Partei entsprechender Teil der finanziellen Kraft der Partei der Gewerkschaftsbewegung zugewendet werden muss.“

Soweit also die Resolution des Gen. Frey, die in sehr überspitzter Form versucht, die Differenzen innerhalb der Partei auf einen Nenner zu bringen. Diese Resolution wurde gegen die Stimme des Gen. Riess und bei Stimmenthaltung der Gen. Tomann, Koritschoner und der Genossin Strömer angenommen.

Die Parteimehrheit erkannte, dass sie mit dieser Resolution zu weit gegangen ist (siehe dazu Brief des EKKI an KPÖ); sie akzeptierte voll die Meinung des EKKI’s zu diesem Punkt und es wurden auch neu Anträge ausgearbeitet, die darauf bedacht waren, den Beschluss vom 15.12 abzuschwächen.

In der Parteivorstandssitzung vom 2.1.1923 lagen dann zwei neue Anträge vor. Einer von der kommunistischen Fraktion des Gewerkschaftsrates (Tomann / Koritschoner), der andere von Josef Frey. Das Ergebnis der schwierigen Beratungen war dann schließlich eine Zusammenfassung beider Anträge unter Ausschaltung der Differenzen und wir haben die zusammengefassten Anträge, mit dem Titel „Beschlüsse des Parteivorstandes in Bezug auf die Frage der Regelung des Verhältnisses zwischen der kommunistischen Fraktion im Gewerkschaftsrat und dem Parteivorstand“ im Dokumentenanhang wiedergegeben und wollen deshalb auch nicht näher darauf eingehen.

Was blieb nun noch von den Differenzpunkten, die Gewerkschaftsfrage betreffend, übrig? „Differenzpunkte waren nunmehr zwei vorhanden:

1) Wollen wir bei unserer Gewerkschaftsarbeit uns leiten lassen von der Losung Massenpartei oder von der Losung kommunistische Massenpartei?

2) Und vor allem: besteht zwischen der kommunistischen Spitzenfraktion und den ihr angehörigen Parteivorstandsmitgliedern einerseits und dem Parteivorstand andererseits das Verhältnis der Nebenordnung oder das Verhältnis der Unterstellung. Insbesonders auf die Frage der Aktionen bezogen: Gibt es in der KP zwei Aktionszentren oder nur ein Aktionszentrum?“ (Aus: Brief der KPÖ an das EKKI, 2. Jänner 1923)

DIE ILLEGALE FRAGE

Die KPÖ rechnete damit, dass im Zusammenhang mit der Arbeitslosenaktion am 10.12.1922 es zu schwersten Zusammenstößen und zur Illegalität kommen werde und die Partei, traf deshalb in einer streng vertraulichen Sitzung Maßnahmen für den Fall der Illegalität.

Doch auch die Parteiminderheit traf Vorsorge für den Fall der Illegalität und zwar ohne den Parteivorstand davon zu verständigen. So bestimmte Koritschoner, sollte der Chefredakteur der Roten Fahne verhaftet werden, Gen. Schlesinger zu seinem Nachfolger. Weiters baute Koritschoner eine von der Parteiorganisation isolierte illegale Organisation mit überwiegend militärischem Charakter auf und gab den Auftrag, dass alle Mitglieder dieser illegalen Organisation ihre Funktion in den Lokalorganisationen niederlegten, was tatsächlich eine große Anzahl von Kommunisten in allen Wiener Organisationen auch dann machten. All dies machte Koritschoner – wie schon erwähnt – ohne dafür die geringsten Vollmachten vom Parteivorstand zu haben.

So musste zwangsläufig die illegale Frage auf die Tagesordnung des Parteivorstandes gesetzt werden und am 27. Dezember wurde Koritschoner beauftragt, Thesen über die illegale Arbeit zu schreiben, welche er am 1.Februar vorlegte. In diesen Thesen vertrat Koritschoner die faktische Ausschaltung des Parteivorstandes, indem er u.a. vertrat, dass der Leiter der illegalen Organisation und des illegalen Ressorts nur alle drei Monate dem Parteivorstand Bericht zu erstellen habe.

Die innerparteiliche Diskussion spitzte sich zusehends um die beiden Punkte – Gewerkschaften und illegale Partei – zu und nachdem eine Klärung durch mündliche Diskussion nicht herbeigeführt werden konnte, wurde die DISKUSSION IN DER ‚ROTEN FAHNE‘ eröffnet, welche erst den ernsten und grundsätzlichen Charakter der Differenzen aufzeigte. Josef Frey entwickelte in seinem Beitrag in der Roten Fahne die Perspektive, dass sich die Lage zu gewaltsamen Lösungen zuspitzt, die österreichische Bourgeoisie objektiv zur gewaltsamen Lösung der österreichischen Krise, zu Faschismus und aktiver Teilnahme an imperialistischen Abenteuern vorwärtsgetrieben wird. Um zu verhindern, dass Zehntausende verzweifelte Proletarier dem Faschismus in die Hände getrieben werden, ist der Kampf für rascheste und ausgiebigste Hilfe für die Arbeitslosen notwendig. Um sich weiters gegen den Faschismus wehren zu können, muss die Losung: Bewaffnung des Proletariats unermüdlich propagiert werden und die proletarischen Ordnerwehren müssen ausgebaut werden zu einer Massenorganisation aller waffenfähigen Proletarier. Alle dazu geeigneten Kommunisten müssen in diese hinein, um die Verwendung der Ordnerorganisationen gegen Links zu verhindern und zur Verwendung dieser Organisationen nach Rechts zu drängen. Um an die Massen heranzukommen, ist in der gegenwärtigen Zeit „die Arbeit in den Gewerkschaften das aussichtsreichste Mittel“. Der Kampf für Lohn, Arbeitszeit usw. dient nicht nur, um die Lebenslage der Arbeiter zu bessern, sondern vor allem, um den Arbeitern in diesem Kampf zu zeigen, dass sie über die Lohnkämpfe hinaus zur Eroberung der Macht vorwärts schreiten müssen.

Tomann hingegen widersprach der Gefahr vom Faschismus und erklärte, dass die Lage der Arbeitslosen nicht so dramatisch sei wie Frey es schildert. Es gäbe keine Ausgesteuerten (in Wirklichkeit bekamen damals mehr als 20.000 Arbeitslose seit mehr als einem Jahr keinen Heller.) und es bestehe keine Gefahr, dass sie vom Faschismus gewonnen werden. Tomann schlug vor, eine eigene kommunistische Ordnerorganisation aufzubauen und reduzierte die Gewerkschaftsfrage, indem er die Aufgaben der Arbeit in den Betrieben auf nur gewerkschaftliche Probleme beschränken wollte. Er beendete seinen Artikel damit, dass er erklärte, er sehe überhaupt keine Differenzen, die ihn von Frey trennen, warf ihm gleichzeitig aber vor, ein Intellektueller zu sein, „der nichtkommunistische Politik macht“.

Die Parteimehrheit forderte das EKKI der Komintern in ihrem Antwortbrief auf das Schreiben der Komintern (siehe Dokumente) auf, zu den Parteidifferenzen Stellung zu nehmen und diese noch vor dem 6. Parteitag am 3.3.1923 der Partei zu übermitteln. Die Parteimehrheit um Frey beteuerte, dass – egal wie die Entscheidung der Komintern ausfallen werde – sie sich dem Beschluss fügen werde.

DER 6. PARTEITAG DER KPÖ (3.3.1923)

brachte den Sieg der Linken um Tomann / Koritschoner, außer denen noch Riehs, Mayer, Ketzlik, Ströhmer, Paukert, Hoschek, Fiala und als neue Minderheitsvertreter Richter und Friedländer in den Parteivorstand gewählt wurden. Überraschend ist, dass Frey für die Resolution Tomann / Koritschoner stimmte, was eventuell darauf hinweist, dass die Komintern ihre Entscheidung noch vor dem Parteitag zu Gunsten der Linken getroffen hatte und Frey sein Bekenntnis zur „unbedingten Fügung“ einlöste.

Fest steht, dass die Parteilinke sowohl von allen Fraktionen der KP Ungarns, als auch beim Referenten in österreichischen Fragen bei der Komintern – Neurath – Unterstützung gefunden hat. Neurath hat offen zugegeben, dass er in der österreichischen Frage vom ersten Augenblick an parteiisch gehandelt hat. Bezüglich der Komintern-Vertreter bei der Österreichischen Partei sagte Frey, dass noch nie ein Kranker von seinen Ärzten so misshandelt worden ist, wie die KPÖ von den verschiedenen Komintern-Vertretern. Österreich und die KPÖ waren zu klein und unbedeutend, als dass ein Führer in Moskau irgendeiner KP sich die österreichischen Dinge näher unter die Lupe nahm. Die KPÖ wurde so zum Tummelplatz der linksradikalen Tendenzen innerhalb der Komintern.

AUSBLICK: DER ÖSTERREICHISCHE OKTOBER

Während in Deutschland eine ‚rechte‘ Zentrale unter Brandler und Thalheimer die Kommunistische Partei zur ‚Oktoberniederlage‘ führte, so war in der KPÖ das Kräfteverhältnis umgekehrt: Die Linke hatte das Sagen und Tun und es wurden sofort nach dem 6. Parteitag sämtliche ‚rechten‘ Anhänger mechanisch von jeder Berührung mit dem Parteiapparat ferngehalten. Ein bürokratischer Zentralismus hielt Einzug, jedes Parteileben erstarb. Innerhalb 6 Monate verlor die Partei einen großen Teil ihrer Sympathisierenden, die Hälfte ihrer Mitglieder, die Hälfte der Abonnenten der ‚Roten Fahne‘ und die revolutionären Blocks in den Gewerkschaften führten ein kümmerliches Dasein. So trat die Partei an die Wahlen zum Nationalrat heran. Die ‚Rechte‘ schlug vor, dass die Partei ihre Wahloffensive taktisch geschickt vorbereiten müsse. Sie schlug folgende Anwendung der Einheitsfronttaktik vor: Unter den Losungen „Alle Lasten auf die Bourgeoisie“, „Bewaffnung des Proletariats“, „Nieder mit der Kapitalistenregierung“, „Schluss mit der Koalitionspolitik“, „Her mit der Arbeiter- und Bauernregierung“ sollte eine breit angelegte Kampagne eingeleitet werden. Öffentliche, in den Betrieben gut vorbereitete Aufforderungen an die SP, für diese Losungen mit der KP gemeinsam zu kämpfen, müssten gemacht werden und wenn die SP öffentlich darauf eingeht, das Angebot, für dieselben Losungen gemeinsam mit ihr den Wahlkampf durchzuführen. Dieses Angebot hätte die SP ablehnen müssen. Sie wäre dadurch “ in der damals entscheidenden Lastenfrage – dem Genfer Vertrag – und zugleich in der Regierungsfrage demaskiert worden. Die Partei hätte eine klare Plattform gehabt.

Die ‚Linke‘ bezeichnete diese Taktik als „menschewistisch“, denunzierte sie als den Versuch eines Bündnisses mit der SP. Angeblich war die große Mehrheit der Partei für diese Taktik und die ‚Linke‘ löste sogar die zentrale Vertrauensmänner-Versammlung vor der Abstimmung auf, um den Mehrheitsbeschluss der Vertrauensmänner zu verhindern. In Moskau wurde für die ‚linke‘ Taktik entschieden.

Die Partei rannte ohne jede taktische Vorbereitung im direkten Frontalangriff vor und es kam eine zerschmetternde Wahlniederlage heraus. Die Verantwortung für die Wahlniederlage – nur 20.000 Stimmen, um 5000 weniger als 1920 – lastete auf der ‚Linken‘. Die Position der Tomann / Koritschoner Zentrale war unhaltbar. Die Frey-Gruppe konnte wieder die Mehrheit in der Mitgliedschaft erringen. Aber sie konnte das bürokratische Regime in der nun ‚bolschewisierten‘ KP nicht überwinden und an die Parteispitze zurückkehren. Ein Jahr hatte sie die Gelegenheit, ihre Fähigkeiten zu zeigen – es war sicher die konstruktivste und fruchtbarste Phase der KPÖ. Am 9.1.1927 wurde Josef Frey, der nun als ‚Linker‘ bezeichnet wird, aus der KP ausgeschlossen. Er gründete daraufhin eine der ältesten Linksoppositionellen Gruppen (Anhänger Trotzkis), die Kommunistische Partei Österreich – Opposition (KPÖ-O) mit der Zeitung ´Arbeiterstimme´“.

Peter Haumer

Wien, 27.August 1985