Am 3. September besetzten ca. 60 Flüchtlinge aus verschiedenen Ländern, darunter aus Syrien, Afghanistan, Iran und Pakistan friedlich das DGB-Haus in München. Die Flüchtlinge, die sich für eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen und eine Anerkennung ihrer Anträge auf Asyl einsetzen, sind meist unter 30, v.a. Männer.
Sie waren aus verschiedenen Unterkünften in Bayern zu Fuß nach München gekommen. Auf dem Weg waren sie mehreren massiven polizeilichen Übergriffen ausgesetzt, es gab Verhaftungen und etliche Verletzte. In München wurden sie von Hunderten empfangen, es gab eine große gemeinsame Demonstration. Auch hier gab es wieder Angriffe von Neonazis und der Polizei.
Alle Flüchtlinge haben Angst, von der Polizei wieder in ihre Quartiere zurück gebracht und wieder vereinzelt zu werden. Wegen der Unnachgiebigkeit der bayerischen Regierung und der Polizeirepression sahen sie keine andere Möglichkeit mehr, als den Schutz der Gewerkschaften zu suchen, um ihren Forderungen Gehör zu verschaffen.
Diese Hoffnung erfüllte sich nur teilweise. Der Verbleib der Flüchtlinge in Keller des DGB-Hauses hatte heftige Kontroversen ausgelöst. Während ver.di und GEW dafür waren, den Aufenthalt der Flüchtlinge zu unterstützen, kamen v.a. aus den Reihen der IG Metall wohl eher Beschwerden darüber, Mitgliedsbeiträge für Flüchtlinge einzusetzen. Es gab auch rassistische Anrufe, wie DGB-MitarbeiterInnen berichteten.
Doch es gab auch Solidarität und Unterstützung. Neben den Aktivitäten der Münchener Gewerkschaftslinken gab es auch viele andere, die Druck auf den DGB ausübten, dass die Flüchtlinge im DGB-Haus bleiben können.
Gewerkschaftslinke
Am Abend des 4.9. besuchte eine Delegation der Münchner Gewerkschaftslinken die Flüchtlinge. Sie diskutierten u.a. darüber, wie GewerkschafterInnen aus verschiedenen DGB-Gewerkschaften ihre Solidarität zum Ausdruck bringen können und wie Hilfe konkret aussehen kann. Dazu wurde von der Gewerkschaftslinken ein Offener Brief an den bayrischen bzw. Münchner DGB mitgebracht, der mit den Flüchtlingen diskutiert wurde. Dazu wurde der Text ins Englische, in Farsi und Urdu übersetzt. So entstand der folgende gemeinsame Aufruf, der auch die Forderungen der Flüchtlinge umfasste:
„Offener Brief der Münchner Gewerkschaftslinken zur Besetzung des DGB-Hauses durch die Non-Citizens des „Refugee Struggle for Freedom“
An unsere Genoss_innen vom DGB!
Wir, die marginalisiertesten Menschen in dieser auf Klassen basierender Gesellschaft, protestieren, um auch die elementarsten Lebensstandards genießen zu können. Bis jetzt war die staatliche Reaktion auf unseren friedlichen Protest lediglich systematische Unterdrückung der gewaltvollsten Art. Gegenüber diesen strukturellen Kräfte sehen wir euch und uns selbst auf einer Seite.
Basierend hierauf sowie auf dem Glauben, dass die rote Farbe eurer Flagge nicht nur eine Farbe oder ein Slogan ist, sondern, dass ihr eure Praxis hiernach richtet, bitten wir euch um eure volle Unterstützung in unserer politischen Forderungen:
1. Anerkennung unserer Asylanträge; 2. Stopp von Abschiebungen; 3. Abschaffung der Residenzpflicht; 4. Schließung alle Asylsuchenden-Lager.
Zusammenhalt und Widerstand!
Streikende Non-Citizens im DGB Haus“
Weiter heißt es im Aufruf:
„Wir halten ihren Kampf um die Verbesserung ihrer menschenunwürdigen Lebensbedingungen grundsätzlich für gerechtfertigt und unterstützenswert.
Deutsche Regierungen und Konzerne sind hier verantwortlich für einen massiven Sozialkahlschlag und die Einführung eines sich immer weiter ausbreitenden Niedriglohnsektors, der zu massenhafter Armut führt.
Deutsche Regierungen beteiligen sich an völkerrechtswidrigen Kriegen und lassen Rüstungsexporte in Diktaturen zu.
Deutsche Konzerne exportieren Rüstungsgüter und verdienen sich an der Ausbeutung von Kollegen und Kolleginnen in anderen Ländern eine goldene Nase und sind damit mitverantwortlich für die Fluchtursachen in dieser Welt.
Deswegen sehen wir in den Flüchtlingen des DGB-Hauses KollegInnen, mit denen ein über die nationalen Grenzen hinaus gemeinsamer Kampf gegen Krieg und Ausbeutung zu führen ist.
Wir haben gemeinsame Interessen und einen gemeinsamen Gegner, auch wenn uns die rechte Propaganda von Bildzeitung bis hin zu den Nazis immer wieder eintrichtern will, dass die Feinde die Moslems, die Flüchtlinge oder sonst wer ist.
Mit der Besetzung des DGB-Hauses haben unsere KollegInnen aus anderen Ländern die richtige Frage gestellt: Auf welcher Seite stehen die Gewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsbundes?
Wir begrüßen die Pressemitteilung des DGB vom 4.9., in der er die Lockerung des strikten Arbeitsverbots für Asylbewerber, menschenwürdigere Unterkünfte, die Abschaffung der Essenspakete sowie der sogenannten Residenzpflicht fordert. Wir denken aber, dass dies nicht ausreicht, um auf die Situation der Flüchtlinge hier in Deutschland aufmerksam zu machen.
Deswegen appellieren wir nachdrücklich an unsere verantwortlichen Funktionäre des DGB:
# keine Räumung des DGB-Hauses durch die Polizei zu zulassen. Die Gewerkschaften dürfen sich nicht zum Handlanger einer harten bayerischen Asylpolitik machen.
# den Flüchtlingen die Teilnahme an der Demo zum Aktionstag „UmFAIRteilen“ am 7.9. in München zu ermöglichen und ihnen dort einen Redebeitrag von 5 Minuten einzuräumen.
# sich öffentlich auf die Seite der Flüchtlinge zu stellen und zu betonen, dass der Kampf der Flüchtlinge um die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen grundsätzlich legitim ist, auch wenn einzelne Aktionsformen kritisiert werden können.
# die weitere Entwicklung in Bezug auf die „Besetzung des DGB-Hauses“ im friedlichen und solidarischen Dialog mit den Flüchtlingen zu regeln.
# ihren Einfluss auf die verantwortlichen Politiker geltend zu machen, die Lage der Flüchtlinge zu verbessern.
Mit kollegialen Grüßen! Die im DGB organisierten KollegInnen der Münchner Gewerkschaftslinken“
Der Brief wurde am 5. September an den DGB sowie bundesweit an GewerkschafterInnen verschickt. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten.
Reaktion des DGB
Am 4.9.13 hatte der DGB München mit einer Erklärung reagiert, welche die Haltung der Landesregierung gegenüber den Flüchtlingen kritisierte. Auf den Offenen Brief der Münchener Gewerkschaftslinken reagierte der Münchner DGB-Vorsitzende schon einen Tag danach. Dabei ging er u.a. auf die Probleme ein, die für den DGB durch die Besetzung entstanden sind. So kamen auch Rechte von „Pro Deutschland“ am Samstag, dem 7.9., in die Nähe des DGB-Hauses, um gegen „Scheinasylanten“ zu protestieren. Ein Polizeiaufgebot schützte die 5 Rechten vor GegendemonstrantInnen. Die NPD gab zum Besten, sie wolle sich mit dem DGB „solidarisieren“ im Kampf gegen die Besetzung des DGB-Hauses.
Am Montag, dem 9.9., berichtet die Süddeutsche Zeitung, dass die Flüchtlinge vom DGB gefordert hätten, der DGB solle helfen, ihnen einen Raum in der Uni oder ein Zelt besorgen. Der DGB fand solche Forderungen überzogen.
Aber sie konnten durchsetzen, dass sie bis Samstag, den 15. September, im DGB-Haus verbleiben dürfen. Gleichzeitig werden nun – organisiert vom „ver.di-Arbeitskreis gegen Rechts“ u.a. verschiedene Veranstaltungen zum Thema Asyl/Flüchtlinge organisiert, in denen sie ihre Forderungen in einem größeren Rahmen diskutieren können.
Am Freitag wurde in Umlauf gebracht, dass die Flüchtlinge das Angebot des DGB, auf der Umfairteilen-Demo zu sprechen, nicht annehmen würden. Aber das Angebot war wohl mit der Auflage verknüpft, am Freitagabend das DGB-Haus zu verlassen.
Dieses Angebot wurde abgelehnt. Aber es gelang Vertretern der Flüchtlinge doch, auf der UmFAIRteilen-Demo zu sprechen, da ihnen einer der auftretenden Künstler dies ermöglichte. Im Beitrag hieß es u.a.:
„Wir sind Non-Citizens. Das heißt, wir haben in diesem Staat keine bürgerlichen Rechte. Wir erleben täglich Drohungen von Behörden. Vor unseren Lagern sind wir von faschistischen und rassistischen Angriffen bedroht, wie vor 20 Jahren in Rostock und heute in Berlin-Hellersdorf und vor dem Münchner DGB Haus. Wir dürfen uns nicht frei bewegen. Wir wurden in die Non-Citizen-Lager verdammt. Unser Essen wird willkürlich von Oben bestimmt. Das Recht auf Arbeit wird uns verweigert. Täglich leben wir in Angst vor Abschiebung in ein Land, das uns kein gutes Leben bieten kann. Unsere Asylanträge werden auf die lange Bank geschoben, nur um am Ende abgelehnt zu werden. Selbst das Recht auf freie Meinungsäußerung wird uns vom bayerischen Innenministerium abgesprochen. Deshalb fordern wir: Sofortiges Ende aller Abschiebungen, Anerkennung unserer Asylanträge, Abschaffung der Residenzpflicht und Schließung der Non-Citizen-Lager.“
Auch die ver.di-Jugend München erklärte sich am 4.9. mit den Flüchtlingen solidarisch. In ihrer Erklärung heißt es u.a.:
„Wir unterstützen den Kampf der Flüchtlinge gegen ein menschenverachtendes, einer Demokratie unwürdiges und für den Rechtsstaat Deutschland sowie den Freistaat Bayern völlig unangemessenes Einbürgerungsverfahren. Wir unterstützen den Kampf der Flüchtlinge, in dem es darum geht, nicht wie Menschen zweiter Klasse behandelt zu werden. Diese Menschen sind aus ihren Heimatländern nach Deutschland gekommen, weil sie Angst vor Ermordung, Folter und Verfolgung haben. In unseren Augen ist das institutionalisierte Misstrauen, das durch die restriktiven Einwanderungsgesetze geschaffen wird, ein Schlag ins Gesicht dieser Menschen und nicht länger hinnehmbar. Residenzpflicht, Essenspakete ohne Rücksicht auf den kulturellen Hintergrund der Menschen, Taschengeld und die Unterbringung vieler Menschen in viel zu kleinen Zimmern lehnen wir ab.
Gerade so kurz vor der Landtagswahl wollen wir alle Parteien aufrufen, sich endlich uneingeschränkt für eine deutliche Verbesserung der Situation von Flüchtlingen in Bayern einzusetzen. Wir sind das vorletzte Bundesland, in dem die Residenzpflicht den Refugees nicht nur verbietet, dass Bundesland zu verlassen, sondern die Flüchtlinge nicht mal die Grenzen des Landkreises, in dem sie untergebracht worden sind, überschreiten dürfen. Das muss endlich ein Ende haben. Im Zuge dessen verurteilen wir auch jede Repression und Gewaltanwendung, die im Zuge der Flüchtlingsmärsche nach München von Seiten der Polizei angewendet worden ist, nur um dieses sinnlose Gesetz durchzusetzen, welches Menschen einen großen Teil ihres Rechtes auf Selbstbestimmung nimmt.
Als ver.di Jugend München halten wir es für unabdingbar, gerade hier, wo eine Minderheit diskriminiert und unterdrückt wird, einen Teil des Gegengewichtes darzustellen und klar zu machen: Wir sind solidarisch. Wir danken dem DGB, dass er den Flüchtlingen einen sicheren Raum gegeben hat, wo sie unterkommen können um ihr weiteres Vorgehen zu planen und sich angstfrei nach ihrem langen Protestmarsch durch Bayern auszuruhen. Wir rufen unsere Mitglieder auf sich im Rahmen von allem, was rechtens ist, solidarisch mit den Flüchtlingen zu zeigen. Kein Mensch ist illegal.“
Nagelprobe für den DGB
Die Ereignisse der letzten Woche zeigen, dass es im DGB in der Frage der Flüchtlingspolitik tiefe Risse gibt, teilweise zwischen den Einzel-Gewerkschaften, wobei sich ver.di und GEW für einen Verbleib der Refugees ausgesprochen haben, während andere wohl geneigt waren, dem Druck vom rechten Rand nachzugeben. Die Presse hat diese Risse natürlich immer wieder ausgenutzt, um durch Verbreitung von Halb- und Unwahrheiten zusätzlich Verwirrung zu stiften.
Wir gehen davon aus, dass sowohl die krisenhafte ökonomische Entwicklung als auch die aktuellen Kriege zu weiteren massiven Migrationsbewegungen führen werden. Das wird die Gewerkschaften massiv auf die Probe stellen.
Der DGB hat im Juni 2013 (zusammen mit PRO ASYL und dem interkulturellen Rat) ein umfangreiches Papier zur Asylpolitik der Regierung veröffentlicht. Leider fallen die DGB-Verantwortlichen in München selbst hinter die dort erhobenen Forderungen zurück.
Egal, wie die Entwicklung weitergeht: wir müssen in unseren Gewerkschaften gegen die reaktionäre Flüchtlingspolitik und jedweden Rassismus kämpfen.