Martin Mittelmeier: ADORNO IN NEAPEL (Rezension von Hermann Dworczak)

 ADORNO IN NEAPEL

Um „Teddy“ Adorno ist es in den letzten Jahren ruhiger geworden. Martin Mittelmeier nutzt „dessen momentane Nebensaison“ (S.250)  um auf einen zentralen Punkt im Leben und Schaffen der späteren Leitfigur  der „Frankfurter Schule“ aufmerksam zu machen.

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1925 versammelt sich eine Gruppe von Linksintellektuellen in Capri, Positano und Neapel.  „In dieser Zeit, in der munter auf metaphorischen Vulkanen getanzt wird,…, begeben sich vier Geistesarbeiter in die Nähe eines wirklichen Vulkans“ (S.247). Auf alle macht die Landschaft Vergils und Homers einen tiefen Eindruck. Mittelmeier legt in dem vorliegenden Buch dar, daß sie für Adorno ein Leben lang prägend ist- wenn auch in unterschiedlichen Bedeutungsgehalten.

Porös ist  nicht nur das Gestein im vergilischen Part Neapels – auch das Leben in Neapal selbst erscheint Walter Benjamin und seiner Freundin, der lettischen Kommunistein Asja Lacis so. Angesichts dieser Eindrücke eröffnet sich für die theoretische Produktion an Stelle “ fixierender“, verdinglichender, idealistischer Herangehensweisen die Möglichkeit „poröser“ Verfahren : Bei Adorno wird das das Wechselspiel von  „dialektischem Bild“ und  „Konstellation“.

Während der vergilische Teil der Landschaft (zwischen dem Vesuv und Neapel) porös ist, ist die Gestein um Positano (südöstlich des Vesuv), wo Homer weilte, hart, „tellurisch“. Wasser verstopft die „Poren“ – es bedarf ständiger, nicht-metaphorischer Sprengungen.

Mittelmeier zeigt ausführlich wie diese landschaftliche Polarität in den Werken Adornos begriffliche Gestalt annimt- ja zu einem durchgehenden Strukturprinzip wird:  Schubert (sic!) etwa schickt er in dem ihm gewidmeten Essay „auf einen Kraterumrundung“ (ebd.).

Der „Zieharmonika“-Begriff (Originalton Mittelmeier) Konstellation hat sehr wohl mehrere Konnotationen – und der „Blick ins Freie“, die die Konstellation gewährt , kann heißen: Erlösung durch Rücknahme der Subjektivität im Kierkegaard-Buch; der Spätstil Beethovens gegen den subjektivistisch auftrumpfenden  der mittleren Periode; gegen die Subjekt-Überspannung (versus Natur)  in der „Dialektik der Aufklärung“;   bis hin zum „starken, wissenden Autor“ Adorno.

Der Faschismus wieder usurpierte die Konstellation. Er „legte ein“, er machte Totes zu scheinbar „Lebendigem“- schuf „Gespenster“.

Adornos Essay-Bände sind  „konstelliert“.  Adorno  bestätigt dies selbst in einem Brief  an einen Rezensenten: die Essaybücher seien als Ganzes geplant „und zwar als ein Ganzes, das nicht in einem sogenannten durchlaufenden Gedankengang, sondern in der Figuration des Einzelnen besteht“(S.232).  Erst recht ist sein „Hauptwerk“ die „Negative Dialaktik“  so angeordnet bzw. die nachgelassene, unvollendete „Ästhetische Theorie“.

Mittelmeier legt nicht nur dar, er bewertet auch die Konstellations-Methode: es besteht die Gefahr ihrer Beliebigkeit. Und er hält auch  fest: „Adorno macht aus der antisystemischen Idee der Konstellation am konsequentesten ein Sytem (S. 249).

Obwohl Kritik an der „Weltferne“ Adornos nicht nur anklingt, sondern explizit festgehalten wird- der Autor spricht etwa vom  „Privatmarxismus“ Adornos  bzw. nicht das Proletariat sondern „vielmehr soll der Bürger Adressat und Ausführender der Kritik zugleich sein „(S.104)-  fehlt eine konket historische Verortung Adornos. Der wichtige Begriff  Karl Korschs „Westlicher Marxismus“ kommt bei Mittelmeier nicht vor, zumindest nicht tief analytisch. In der langen Literaturliste fehlt nicht von ungefähr Perry Andersons  Buch über den „Westlichen Marxismus“. Gemeint ist damit der weitgehende „Rückzug“ von linken Theoretikern  aus der Beschäftigung mit  Ökonomie und  Politik und die  fast auschließliche Konzentration auf Überbauphänomene- als resignative Reaktion auf Faschismus und Stalinismus.

Heinz Steinerts „Adorno in Wien“ findet sich zwar in der Literaturliste – dessen Analysen gehen aber kaum in den vorliegenden Text ein.

Ist man/ frau sich solcher Grenzen bewußt, bietet das -schwierige, aber oft recht unterhaltsame- Buch Mittelmeiers eine Fülle von unerwarteten Begegnungen und Einsichten.

                            Hermann Dworczak (0676 / 972 31 10 )

Martin Mittelmeier Adorno in In Neapal. Wie sich eine Sehnsuchtslandschaft in Philosophie verwandelt.

 

Siedler Verlag München 2013. 304 Seiten. 23, 40 Euro