Neonazis verloren in Griechenland nach Mord an linkem Rapper viel Einfluß – vorläufig. Ein Gespräch mit Manos Skoufoglou (Bernhard Thiesing)

Interview: Wladek Flakin
 

Manos Skoufoglou ist Mitglied des antikapitalistischen linken Bündnisses für den Umsturz (ANTARSYA) in Athen und zur Zeit auf Rundreise in Deutschland

Der linke Rapper Pavlos Fyssas, auch Sympathisant des antikapitalistischen Bündnisses ANTARSYA, wurde am 18. September von einem Neonazi ermordet. Wie waren die Reaktionen?

Der Mord im Athener Vorort Keratsini hat sofort eine große Welle militanter antifaschistischer Proteste ausgelöst. In den letzten anderthalb Jahren hatte sich in verschiedenen Teilen Griechenlands eine antifaschistische Bewegung entwickelt, aber noch nicht auf diesem Niveau. Am gleichen Abend versammelten sich mehrere hundert Menschen am Tatort. Am nächsten Tag waren es über 30000 – eine bisher unbekannte Zahl in diesem entlegenen Viertel. Nach einigen Tagen demonstrierten Zehntausende zur Zentrale der Neonazipartei Chrysi Avgi (»Goldene Morgendämmerung«), obwohl alle parlamentarischen Parteien fernblieben. Zumindest für den Moment sind die Faschisten von der Straße vertrieben worden.

Nach dem Mord ließ die griechische Regierung die Spitze von Chrysi Avgi verhaften. Was ist inzwischen passiert?

Bis dahin hatte die Regierung den Neonazis Polizeischutz und Straflosigkeit gewährt, um ihre eigene rechte Agenda durchzusetzen. Jetzt, wo diese Schläger außer Kontrolle geraten sind, versucht sie ihren Einfluß wieder zu drosseln. Drei führende Mitglieder von Chrysi Avgi sind inhaftiert; die Hälfte ihrer Abgeordneten ist wegen Straftaten angeklagt – ein schwerer Schlag für sie. Aber gleichzeitig will die Regierung gegen das »extreme Gegenteil«, also Antifaschisten vorgehen. Weiterhin laufen Klagen wegen »Verleumdung« der Neonazis.

Wie reagierte die größte Oppositionspartei SYRIZA auf den Mord?

SYRIZA nahm in den ersten Tagen an Protesten teil, zog sich aber allmählich zurück. Statt Protesten auf der Straße schlugen sie ein Treffen aller »verfassungsmäßigen« Parteien – einschließlich der Regierungsparteien – gegen den Faschismus vor. So laufen sie auch der Regierung hinterher, zum Beispiel mit der Zustimmung zu einem Gesetz, das die Finanzierung von Parteien verbietet, denen »Terrorismus« vorgeworfen wird – in Griechenland wird dieser Begriff traditionell gegen die Linke verwendet.

Am 1. November wurden zwei Mitglieder der Neonazipartei erschossen. Eine bisher unbekannte linke Gruppe bekannte sich dazu. Was steckt dahinter?

Das weiß niemand. Vielleicht war es Abenteurertum, vielleicht ein Racheakt der Mafia, in deren Aktivitäten sich Chrysi Avgi auch einmischt – oder eine staatliche Provokation. Man kann nur Vermutungen anstellen. Doch die objektiven politischen Auswirkungen waren negativ: Die Neonazis können sich als Opfer stilisieren. Ihre Umfragewerte, die nach dem Mord an Fyssas eingebrochen sind, haben sich teilweise wieder erhöht. Aber weiterhin sind sie nicht stark genug, um zurück auf die Straße zu gehen und Menschen anzugreifen.

Was für antifaschistische Initiativen haben sich in Griechenland entwickelt?

Schon vor dem Mord entstanden lokale antifaschistische Versammlungen. Manche haben auch ihre eigene Selbstverteidigung organisiert. Nun gibt es auch ein Koordinierungskomitee, das noch klein ist, aber im Sommer immerhin die erfolgreiche Kampagne gegen das internationale Neonazicamp in Kalmata organisieren konnte. Viele linke Gruppen haben ihre eigenen Antifa-Initiativen, aber die Zusammenarbeit nimmt zu. Auch manche Gewerkschaften haben beschlossen, alle Faschisten auszuschließen.

Was schlägt ­ANTARSYA vor?

­ANTARSYA ruft zur gemeinsamen Aktion aller Organisationen der Arbeiter, linken Parteien und anarchistischen Gruppen gegen Neonazis auf. Dabei wollen wir die antifaschistische Bewegung mit Arbeitskämpfen verbinden, denn wir sehen den Faschismus als Klassenfrage. Die Polizei ist ein Partner der Neonazis – deshalb müssen wir Selbstschutz organisieren. Zudem können wir keinen gemeinsamen Kampf mit den bürgerlichen Parteien und der Regierung führen. Sie haben die Faschisten gefördert und teilen das gleiche Ziel, nämlich die Rettung des Kapitalismus mit allen Mitteln. Eine bürgerliche Demokratie bietet bessere Kampfbedingungen als der Faschismus, aber man kann den Faschismus nicht im Namen einer bankrotten bürgerlichen Demokratie bekämpfen.