Eine eingehende Beschäftigung mit Syrien ist für Linke unerläßlich. Wolfgang Gehrcke und Christiane Reymann haben einen Sammelband herausgegeben, durch den man/ frau wichtige (Hintergrund)informationen über das Land und die in ihm geführten Kriege bekommen kann, die bereits über 100 000 Menschen das Leben gekostet haben und Millionen(!) in die Flucht trieb.
Das aktuelle Assad-Regime und die früheren Baath-Regierungen werden von den AutorInnen des vorliegenden Buches zu recht als Diktaturen charakterisiert. Der beste Beitrag ist gleich der erste von Harri Grünberg „Aufstieg, Niedergang und Sturz des säkularen Arabischen Nationalismus“ (S. 10 ff).
Nie hat es unter den Baath-Regierungen demokratische Struturen gegeben. Ein Rattenschwanz von Geheimdiensten überzog das Land. Während der Beginn der Baath-Herrschaft noch linksnationalistisch war, ging es nach 1970 zunehmend nach rechts. Kritiker, selbst vorsichtige, wurden „aus dem Verkehr gezogen“, verschwanden oder wurden ermordet. „Zeitlich verzögert beginnt in Syrien die Politik der Öffnung der Märkte 2005 unter Baschar al-Assad (S.21). Kein Wunder, daß es auch in Syrien- wie in vielen arabischen Ländern- 2011 zum „Frühling“ kam- nur der Diktator zeigte sich „überrascht“.
Bei einigen AutorInnen erfolgt -trotz Kritik an Vergangenheit und Gegenwart- eine zu rosige Rezeption der neueren Geschichte Syriens. Die Selbstettekierung der Baath- Partei als „sozialistisch“ wird für bare Münze genommen. Realiter war sie stets nationalistisch. Diese Fehleinschätzung kommt nicht von ungefähr: sie entspringt der -aus dem Stalinismus herrührenden- Überinterpretation Nassers, Nkrumahs etc.- also den RepräsentantInnen „des Arabischen bzw. Afrikanischen Sozialismus“- obwohl diese bekanntlich extrem brutal gegen die Linke vorgegangen sind. Diese rosige Sichtweise führt zu dem verengenden Untertitel des Buches „Wie man einen säkularen Staat zerstört und eine Gesellschaft islamisiert“.
Diese Insuffizienz trägt auch dazu bei, die Rolle islamischer Kräfte nicht ausreichend zu interpretieren- obwohl bereits die klare Aussage Samir Amins, daß die politischen Defizite des „Arabischen Sozialismus“ und das damit „geschaffene Vakuum, den politischen Islam ein(lud), es zu füllen“ (S.20) als analytisches Leitmotiv fungieren könnte.
Spielten die Islamisten (aller Schattierungen) zu Beginn der Volkserhebung in Syrien 2011 in dem sammelband keine Rolle, wuchs in der Folge ihr Einfluß Zug um Zug: durch geopolisch motivierte (und religiös überfrachtete ) Interventionen von außen (Saudi-Arabien, Katar, Türkei , diverse imperialistischer Länder) und die -internationale- Isolation der progressiven Kräfte.
Die heutige Opposition ist extrem breit gefächert. In dem Kapitel „Who is Who in der syrischen Politik“ kann man/frau einen guten Überblick gewinnen (S.161 ff).
Die inhaltliche Beiträge der Opposition in dem Sammelband spiegeln beträchtliche politische Unzuläglichkeiten wider- soziale Gesichtspunkte spielen nur eine marginale Rolle. Oft ist abstrakt von der Herstellung von „Demokratie“ (S.145), „Säkularismus“ oder „neuer patriotischer Identität“ (S.131) die Rede- ohne näher auf klassenspezifische Differenzierungen einzugehen.
Eine kritische Lektüre des Buches ist dennoch anzuraten. Darüber hinaus wird es bitter notwendig sein, daß die -europäische- Linke endlich ihre weitgehende Passivität gegenüber Syrien abschüttelt. Wenn in bälde in Montreux die „Internationalen Friedengespräche“ beginnen und für Wien eine zivilgesellschaftliche Konferenz geplant ist, gibt es konkret die Möglichkeit, Solidarität mit der syrischen Linken zu zeigen.
Hermann Dworczak (0676 / 972 31 10 )
Wolfgang Gehrcke/ Christiane Reymann (Hg.)
SYRIEN. Wie man einen säkularen Staat zerstört und eine Gesellschaft islamisiert.
PapyRossa Verlag Köln 2013 187 Seiten