Stephan Lindner (Schuldengruppe): Vorschlag für ein Konzept für eine Kampagne zur EZB in Form eines Bürger-Audits (A&O)

Vorbemerkung

Auf der letzten Europäischen Aktionskonfernz von Blockupy hat ein Workshop zu Schuldenaudits beschlossen, auch die Idee eines Bürgeraudits der EZB aufzugreifen. Zwischenzeitlich hat auch ein Workshop zu Zentralbanken des Europäischen Attac-Netzwerks die Idee begrüßt und um weitere Details gebeten. Mit diesem Papier soll ein erster Vorschlag zur weiteren Debatte vorgelegt werden, wie ein solche Kampagne in Form eines Bürgeraudits konkret aussehen könnte.

Warum eine Kampagne zur EZB

In der aktuellen Krise ist die EZB als Teil der Troika ein wichtiger Akteur. Viele wissen zwar um die verheerende Rolle, die die Politik der Troika in der aktuellen Krise spielt, das Machtpotenzial, das die EZB durch die ihr zur Verfügung stehenden Mittel der Geldpolitik hat, gerade in Krisenzeiten, kennen aber nur wenige. So spielt die Drohung der EZB, die Kreditvergabe an das Bankensystem eines Landes einzustellen, wenn sich dessen Regierung nicht dem Diktat der Troika unterwirft, immer wieder eine gewichtige Rolle dabei, die Politik der Troika durchzusetzen. Umgekehrt gilt aber auch, dass vieles an progressiver Politik möglich wäre, wenn die Instrumente der EZB dazu genutzt würden, derartige Vorhaben zu unterstützen, z.B. indem diese durch direkte Kredite der EZB finanziert würden. Im Moment mag das noch utopisch klingen. Viel wäre allerdings heute schon erreicht, wenn die EZB mit den ihr zur Verfügung stehenden Machtmitteln nicht mehr weiterhin so frei schalten und walten könnte wie bisher. Die Kampagne zur EZB soll sowohl diesen kurz- als und langfristigen Zielen dienen, indem sie darüber aufklärt, was die EZB macht, Transparenz und Rechenschaftspflicht einfordert und sich langfristig für eine Demokratisierung der EZB-Strukturen einsetzt.

Warum in Form eines Bürgeraudits

Ein Bürger-Audit der EZB lässt sich am besten als eine Kampagne verstehen, das folgende Komponenten unter einem Dach vereint:

– Wissensbeschaffung,

– Wissensvermittlung,

– Skandalisierung,

– Debatte zu und Durchsetzung von Alternativen

Der besondere Reiz, eine Kampagne zur EZB als Bürgeraudit aufzuziehen liegt darin, dass man dabei die Wissensvermittlung und Teile der Wissensbeschaffung zum Teil der Kampagne machen kann. Zum einen geht es darum, im eigenen Kreis das Wissen über die Funktionsweise unseres Geldsystems im allgemeinen und der EZB im besonderen zu verbreitern, zum anderen, dies mit Hilfe besonders skandalöser Beispiele zu tun, die nicht nur in unserem eigenen Kreis die Wichtigkeit des Themas verdeutlichen, sondern auch entsprechenden öffentlichen Druck erzeugen.

Dabei braucht es kein von Anfang bis Ende durchbuchstabiertes Kampagnenkonzept. Es reicht, die grobe Marschrichtung zu kennen und eine Reihe von skandalträchtigen Beispielen zu haben.

Übergeordnete Kampagnenziele

Grundsätzliches Ziel der Kampagne sollte es sein, einen Veränderungsprozess einzuleiten, an dessen Ende die Geldpolitik der EZB darauf ausgerichtet ist, demokratische Prozesse zu fördern bzw. selbst Teil solcher demokratischen Prozesse zu sein. Das beginnt mit Themen wie mehr Transparenz und Rechenschaftspflicht und reicht bis zu Forderungen wie der direkten Vergabe von Krediten an demokratisch legitimierte Akteure z.B. zur Finanzierung der commens oder der Energiewende.

Gleichzeitig muss eine solche Kampagne allerdings auch die Aufgabe haben, emanzipatorischen Protest gegen eine Vereinnahmung nach rechts abzusichern. Es muss deutlich werden, dass sich unsere Kritik und Forderungen sehr stark von dem unterscheiden, was Akteure wie die deutsche Bundesbank und die AfD an Kritik an der EZB äußern. Es geht eben nicht um noch mehr Markt, sondern um die Rückgewinnung eines Primats der Politik. Und es geht darum, deutlich zu machen, dass diese Politik am Prinzip der Solidarität und nicht des Wettbewerbs ausgerichtet sein soll.

Skandalträchtige Beispiele

Im folgenden sind exemplarisch einige Beispiel genannt, die im Rahmen eines solchen Konzepts skandalisiert werden können:

– Die EZB zwang die irische Regierung gegen ihren Willen das irische Bankensystem zu retten. Dabei spielten sog. ELA-Kredite eine wichtige Rolle und bis heute geheimgehaltene Briefe, in denen die EZB der irischen Regierung ihre Forderungen übermittelte. Neben der Erpressung und Geheimhaltung wichtiger Informationen kann man hier auch skandalisieren, dass es sich möglicherweise um eine verdeckte Form der Staatsfinanzierung handelt, bei der man Fragen kann, warum das im Fall der Bankenrettung plötzlich ohne viel Aufhebens gemacht wird, in anderen Fällen aber als strikt verboten gilt. – Ähnliches hat sich in Griechenland zugetragen, wo die griechische Zentralbank mit Zustimmung der EZB über viele Monate insolvente Banken mit ELA-Krediten versorgte, für die im Fall einer Bankenpleite Steuerzahler aufkommen müssen. Auch hier lässt sich argumentieren, dass nicht nur unter Bruch europäischer Regelungen Kredite an eigentlich insolvente Banken vergeben wurden, sondern dass es sich möglicherweise auch um eine indirekte Form der Staatsfinanzierung handelt. – Auch in Zypern haben ELA-Kredite eine wichtige Rolle bei der Akkumulation der Kredite im Bankensystem gespielt, die dann die Probleme nach sich zogen, die später zum Einschreiten der Troika führten.

– Immer dann, wenn es um einen Schuldenerlass geht, setzt die EZB durch, das ihre Forderungen und die Forderungen von nationalen Zentralbanken nicht angetastet werden. In Zypern wurde erzwungen, dass alle Forderungen aus ELA-Krediten, die die zypriotische Zentralbank gegenüber der abgewickelten Laiki-Bank hatte, auf die Bank of Cyprus übertragen wurde. Auch bei den diversen Schuldenerlassen für Griechenland blieben die Forderungen der EZB tabu.

– Da, wo die EZB, z.B. durch den Aufkauf von Staatspapieren, zum Gläubiger von Regierungen wurde, besteht sie auf der vollständigen Begleichung der Schuldverschreibung inklusive der Zinsen, selbst dann, wenn die EZB ihre Forderungen nur zu einem Bruchteil des Schuldwertes gekauft hat.

– Kredite an Regierungen, die aus unterschiedlichen Gründen noch bei der Notenbank liegen, müssen entweder getilgt oder auf private Gläubiger umgeschuldet werden. Bisher bezahlen Regierungen für diese Kredite im Prinzip keine Zinsen, weil alle Gewinne einer Notenbank an ihren Eigentümer, also in der Regel den Staat, zurückfließen. Werden diese Kredite an private Gläubiger veräußert oder auf diese umgeschuldet, ändert sich das natürlich. Das betrifft z.B. die aus Garantien für irische Banken entstandenen Verbindlichkeiten des irischen Staates bei seiner Notenbank, aber z.B. auch alte Forderungen der Deutschen Bundesbank gegenüber der deutschen Bundesregierung aus Zeiten der Währungsreform von 1948, als jeder Bundesbürger ein Startgeld in Höhe von 40DM erhielt, das damals über einen direkten Kredit finanziert wurde, der bis heute nicht zurückgezahlt wurde.

– Skandalträchtig ist auch, wie einerseits alles dafür getan wurde, um den Banken so weit wie möglich entgegen zu kommen (Absenkung des Leitzinses um mittlerweile nur noch 0,25 Prozent, starke Absenkung der Anforderungen an Sicherheiten, keine Begrenzung der angebotenen Kreditmenge, Laufzeiten von bis zu drei Jahren), Regierungen aber drakonische Auflagen erfüllen müssen, bevor sie Kredite der Troika erhalten oder die EZB bereit ist, Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt aufzukaufen, um die Zinssätze zu drücken. – nicht nur zahlreiche Briefe, die die EZB mit Forderungen an Regierungen schrieb, sind bis heute geheim, auch Protokolle ihrer Treffen werden nicht veröffentlicht. Auch bei der Bilanz und Geldpolitik der EZB bleiben eine ganze Reihe von Fragen offen, z.B. welche Wertpapiere sie zu welchem Preis gekauft und in der Bilanz stehen bzw. als Sicherheiten für welche Werte akzeptiert hat.

– Überall wo Bankensysteme so bankrott waren, dass sie in ganz oder mehrheitlich staatlichen Besitz kamen, sehen Regelungen nicht nur vor, dass der staatliche Einfluss in diesen Banken äußert beschränkt bleibt, sondern häufig auch, dass diese Banken unter Bedingungen, die für Investoren so attraktiv wie möglich sein sollen, so schnell wie möglich wieder privatisiert werden. – Die EZB und die nationalen Zentralbanken sind ein sehr männlich dominierter Betrieb. Im 24-köpfigen EZB-Rat, der die sechs Mitglieder des Direktoriums und die 18 Präsidenten der nationalen Notenbanken umfasst, sitzt derzeit keine einzige Frau (wahrscheinlich wird demnächst mit Frau Lautenschläger eine Kandidatin aus Deutschland ins EZB-Direktorium für Jörg Asmussen nachrücken).

Konkrete Durchführung

Ein guter zeitlicher und inhaltlicher Rahmen kann die Blockupy-Mobilisierung sein mit einem Höhepunkt zur geplanten Aktionswoche im Mai und einem weiteren zur großen Mobilisierung zur Eröffnung des neuen EZB-Gebäudes Ende des Jahres. Dabei wäre noch zu überlegen, wie sich ein entsprechender Spannungsbogen aufbauen lässt. Im Laufe der Zeit könnte dann durch die Abarbeitung einzelner Skandale wie bei einem Puzzle, das nach und nach zusammengesetzt wird, ein Bild der EZB und unserer Kritik daran entstehen. Als Mittel der Durchführung eignen sich im Prinzip alle Instrumente, wie sie auch aus klassischen Kampagnen bekannt sind:

Pressearbeit

Für die Kampagnenarbeit nach außen Flyer, Aufklebern, Buttons etc.;

Für die Bildungsarbeit ausführlicheres Infomaterial wie z.B. Broschüren,

Organisation von Workshops, Vorträgen und Infoständen zum Thema

Dabei sollten Forderungen in den Mittelpunkt gestellt werden, die einerseits recht niederschwellig einleuchten und unterstützt werden, dabei aber gleichzeitig transformatorisches Potenzial haben. Das würde in diesem Fall vor allem für die Forderungen nach Transparenz und Demokratie gelten, wie z.B. Nach der Veröffentlichung des Briefs der EZB an die irische Regierung vor der dort beschlossenen Bankenrettung. Dabei lässt sich auch sehr gut an die beschlossenen Blockupy-Schwerpunkte Demokratie, Solidarität und Commons anknüpfen. Wichtige Bündnispartner könnten Kampagnen zu Schuldenaudits in anderen Ländern sein, da die EZB und nationale Zentralbanken eine wichtige Rolle in der Schuldenthematik spielen. Hier kann sowohl auf die bereits in anderen Ländern geleistete Arbeit aufgebaut werden als auch unsere Erkenntnisse dort anschließend wieder mit einfließen.

Grundsätzlich kann eine solche Kampagne auch mit dazu beitragen, ein stärkeres spektren- und transnationales Narrativ zu entwickeln. Es sollte daher grundsätzlich von Anfang an großer Wert darauf gelegt werden, so multinational und inklusiv wie möglich zu arbeiten.