Komplexe Fragen bedürfen einer umfassenden, differenzierten Antwort. Weder sind alle, die gegen das autoritäre und korrupte Janukowitsch- Regime auftraten, „Faschisten“, noch kann die Gefahr von rechts in der Ukraine heruntergespielt werden. Und ebensowenig gibt es den geringsten Anlaß, die neoimperialistischen Aspirationen von Putin & Co zu verdecken. Eine ausgezeichnete Konferenz am 27.Februar in Brüssel hatte all diese Fragen zum Thema.
Organisiert wurde das Seminar von der „Postglobalization Initiative“ in Koordination mit dem „Institut for Globalization Studies und Social Movements“(IGSO), dem „Transnational Institute (TNI)“ und der Europäischen Linkspartei. Die Tagung fand in den Räümlichketen des Europäischen Parlaments statt.
Selbstredend gab es -mitunter beträchtliche- unterschiedliche Sichtweisen und Gewichtungen. Erfreulicher Weise schwang sich niemand zur Verteidigung von Janukowitsch auf, weil er -wie eine der gängigen Apologievarianten lautet- „unter den gegebenen Umständen das kleinere Übel gewesen wäre“.
Die erste session, die sich der „Diagnose der ukrainischen Krise“ widmete, wurde von Boris Kagarlitsky eingeleitet.
Die umfassendste Darstellung der historischen Entwicklung und der akuellen Situation erfolgte durch Volodymyr Ishchenko (Center for Society Research/Ukraine) . Er charakterisierte den Inhalt der Janukowitsch-Regierung als eine „Politik gegen die Armen“, schilderte die Phasen der breiten Volksbewegung gegen ihn und charakterisierte die jetzige „Übergangs-Regierung“ treffend als “ neoliberal- mit stark nationalistischem Einschlag“. In die gleiche Kerbe schlug Vasiliy Koltashov(IGSO/ Rußland):“ Die Janukowitsch -Regierung baute den Wohlfahrtsstaat und die Demokartie ab. Kein Wunder, daß dagegen ein Rebellion erfolgte“.
Susan George/(Attac/ Frankreich) stellte die Ereignise in der Ukraine in den internationalen Kontext der „Freihandelsabkommen“ (das nicht unterzeichnete Assozierungsabkommen zwischen der Ukraine und der EU war ja bekanntlich einer der Auslöser der Proteste). Bei ihnen geht es „nur am Rande um Handelserleichterungen und Zollreduktionen, sondern vielmehr um „Investitionsfreiheit“, Abbau von Regulierungen und Umweltschutzbestimmungen- im Interesse des Kapitals“.
Andriy Manchuk vom Online-Magazin „Liva“/ Ukraine schilderte in eindrücklichen Worten den wachsenden Einfluß der Extremen Rechten, ihre gewaltsamen Übergriffe auf Linke und warnte davor, daß sie nun auch in der Regierung vertreten ist.
Die zweite session widmete sich der Frage „was zu tun ist, um die Krise zu lösen.
Scharf wurde von allen TeilnehmerInnen, jegliche Schmälerung der Rechte der Russisch sprechenden Bevölkerung zurückgewiesen. Kai Ehlers(Deutschland) verwies auf die Notwendigkeit der Dezentralisierung des extrem zentralistisch aufgebauten ukrainischen Staats (so werden etwa die Gouverneure der Verwaltungseinhaiten nicht gewählt sondern von der Regierung in Kiev bestimmt). Ehlers faßte auch eine weitgehende Föderalisierung des Landes aufbauend auf sechs „Regionen“ ins Auge.
In meinem Beitrag legte ich dar, daß die Rebellion in der Ukraine gerechtfertigt war und verwies darauf , daß es in der Geschichte zahlreiche Beispiele dafür gibt, daß nach Volksaufständen, ja Revolutionen- zumindest fürs erste – v. a. die Rechte profitieren konnte: nach 1848 kam Napoleon III , nach der Pariser Commune die bürgerliche Reaktion, nach 1905 wurde die russische ArbeiterInnenbewegung weitgehend in den Untergrund gedrängt.
Alle Seminar-TeilnehmerInnen stimmten darin überein, daß sich die Linke heute in der Ukraine in einer sehr schwierigen Lage befindet. Daher wurde der Vorschlag entwickelt rasch eine Delegation zu entsenden, um direkten Kontakt mit den Bewegungen, Gewerkschaften, politischen Organsationen und Parteien der Linken aufzunehmen und auf dieser Basis eine breite Info-und Solidaritätskampgne aufzubauen.
Hermann Dworczak (0676 / 972 31 10)