Wem der Tod von Marquez genauso unter die Haut gegangen ist wie mir und sich – erneut- einen Überblick über sein Leben und seine literarische Produktion veschaffen will, kann dies mit der knapp gehaltenen Biographie von Dagmar Ploetz tun.
Die RoRoRo-Monographie schildert der Entwicklungsprozeß von Marquez vom verbummelten Jus-Studenten zum Schriftsteller- gegen den anhaltenden Widerstand seiner Eltern. Marquez schrieb unter großen Entbehrungen- und lehnt in der Folge jegliche Idealisierung von „HungerkünstlerInnen“ ab. Bei den „Gelegenheitsdichtern“, die ihre Werke dem Arbeitsalltag abringen, entsteht ihm zufolge eine “ Literatur müder Schriftsteller“(S.63).
Die Stufen seines literarischen Schaffens waren Journalismus, Reportagen, erste Kurzgeschichten – letztere kaum mit Publikationsmöglichkeiten. Und wenn es sie gab, nagte er dennoch weiter am Hungertuch. Die Freunde mußten ihm desöfteren finanziell unter die Arme greifen. Erst spät wurde sein erster – unkonventioneller- Roman „Laubsturm“ veröffentlicht. Sein politisches Engagement wirkte als weiterer Grund für die Nicht-Publikation.
Unterschiedlichste Literaturen beeinflussen ihn: u.a. Sophokles, Faulkner, Hemingway. Die Lektüre Kafkas wird für ihn zu einem „Schlüsselerlebnis“(S.18). Nicht weniger wichtig der Roman „Pedro Paramo“ von Juan Rulfo(S.67f.)
Der -internationale- Durchbruch gelang Marquez 1967 mit dem mittlerweilen legendären Roman „100 Jahre Einsamkeit“.
Ploetz verweist zurecht darauf, daß Marquez damals literarisch nicht „allein“ war (S.78 ff.). Es gab geradezu einen „Boom“ bedeutender und erfolgreicher lateinamerikanischer Schriftsteller: Julio Cortazar, Carlos Fuentes, Alejo Carpentier, Mario Vargas Llosa (der später politisch weit nach rechts abdriften sollte).
Der um ihn einsetzende Rummel zeigt „Gabo“ Marquez voll die Tücken, die „Einsamkeit“ von Macht und Ruhm. Dieser widmet er sich intensiv in „Der Herbst des Patriarchen“- einem Klassiker in dem Genre der- lateinamerikanischen- Diktatoren-Romanen. Die „weichen Hände“ des mordenden Caudillo hat sich Marquez von einem anderen Schlächter abgesehen- von Stalin (S.58)!
1985 erscheint sein großer Liebesroman „Die Liebe in den Zeiten der Cholera“.
Ploetz geht auf die verschiedenen literarischen Gestaltungsformen von Marquez ein: u.a. die des allwissenden Erzählers (etwa in: „Der Oberst hat niemand, der ihm schreibt“); die Erzählkunst seiner Großmutter (sic!), wo „mit aller Unschuld das Außergewöhnliche ins Alltägliche eindringt“ (S.69)- in: „100 Jahre Einsamkeit“; die Berichte verschiedener Personen, mit unterschiedlichen, ja sich widersprechenden Perspektiven im „Laubsturm“ (S.33f).
Zurechtgerückt wird so der -falsche- Mythos, daß sämtliche Schriften Marquez`auf den Generalnenner „magischer Realismus“ gebracht werden können. Vielmehr richtet sich die Darstellungsform nach dem jeweiligen Gegenstand- Ploetz verweist auch auf eine Ähnlichkeit mit der Brechtschen Verfremdungs- Technik (S.77).
Während die politischen Widersprüche des Schriftstellers ins Bild gerückt werden (so sprach er sich 1998 zum „Entsetzen seiner liberalen Freunde für den konservativen Präsidentschaftskandidaten Andres Pastrana“ aus- S.131), bleiben seine persönlichen Kontradiktionen weitestgehend ausgeblendet. Da ist zwar von seiner „geduldig wartenden Braut“ die Rede- Marquez` Bordell- und Huren- Besuche finden in die Monographie jedoch keinen Eingang. Diese Unterbelichtung ist umso merkwürdiger, weil die Marquez-Kennerin Ploetz 2002 auch dessen Memoiren „Leben, um davon zu erzählen“ aus dem Spanischen ins Deutsche übersetzen wird. Und dort heißt es schon auf der zweiten Seite über den jungen Studenten, daß er „bereits Veteran zweier Gonorrhöen“ war…
Hermann Dworczak (0676 / 972 31 10 )
Dagmar Ploetz Gabriel Garcia Marquez
Rowohlt Monographie Band 50461
Reinbeck bei Hamburg, 2. Auflage 2000, 158 Seiten