A&O für das Komitee „Solidarität mit dem Widerstand in Griechenland“: Die Wahlen in Griechenland

Die Wahlen

in Griechenland

 Komitee Solidarität mit dem Widerstand in Griechenland

 Nr. 3

Impressum: Komitee Solidarität mit dem Widerstand in Griechenland

Stiftg. 8

1070 Wien

Druck: Eigendruck

Einleitende Überlegungen

Wahlen kann man unter folgenden Gesichtspunkten betrachten:

Sie führen letztlich ins Nichts, einmal gerät man an die Grenze, Bewegung ist alles, der Kampf von unten ist das einzig Entscheidende, vom Parlamentarismus wird man immer betrogen. Daher lege ich kein Augenmerk darauf.

Kollateralnutzen von Wahlen

Diese unbezweifelbare Wahrheit muß man ein bißchen relativieren. Wenn ich zwar mit vollem Recht eine Auffassung vertrete, mit der ich  Bewegung als prioritär setze, ist es dann denn nicht doch auch legitim, den Wert von Kämpfen, die zusätzlich zum Bewegungs-Kampf, verstärkend und sichernd ablaufen, anzuerkennen, wenn sie sich als ein wesentlicher strategischer Begleitfaktor der primären Basiskämpfe erweisen, der Kämpfe in der unabhängigen, radikalen Publizistik, auf der Straße, in den Fabriken?

Narzißtische Projektion

Und wäre es denn nicht zu empfehlen, einmal von der eigenen ausweglosen Situation (etwa in Österreich oder Ungarn) abzusehen, wo bis jetzt in den Institutionen noch ein jeglicher antagonistischer, ja ehedem zum Teil linker Impuls mit außergewöhnlicher Kraft, List und Gewalt entschärft und neutralisiert, herrschaftskompatibel gemacht wurde? Wäre es nicht ein Minimum an ternura de los pueblos, sich einzufühlen,  sich auf das Konzept der Anderen einzustellen, die in einer gänzlich anderen Situation entfalteter linker Kämpfe genaue Strategien entwickelt haben für den Kampf auf verschiedensten Ebenen, in Parteien, in Betriebsgewerkschaften, Branchengewerkschaften und gewerkschaftlichen Konföderationen, bei den kommunalen und Europawahlen? Müßte man Desinteresse an solcher konsequent durchgeführten Politik/Strategie nicht als borniert-nationalistisch/eurozentristisch bezeichnen? Ist es denn nicht erforderlich, einen Blick über die Grenzen des eigenen Landes zu werfen, in dem weder nennenswerte Basiskämpfe noch nennenswerte institutionelle Kämpfe mit antagonistischen Elementen  zu verzeichnen sind? Verkommt eine solche Geste des generellen Ablehnens und Abwinkens prägnanter institutionellerKämpfe  nicht zu einem blasierten kleinbürgerlichen Abstraktum, einer subkulturellen Verweigerei praktischer Kämpfe?

Wahlen als Studienobjekt

Wahlen in Griechenland sind das für Willige zur Verfügung stehende Kryptogramm des gesellschaftlichen antagonistischen Prozesse, ein nicht ganz offen aufgeschlagenes Buch. Wahlen, an denen die radikale Linke (Syriza, Antarsya, KKE) teilnimmt,  widerspiegeln die Bewegungen, sind (zum Teil) ein Seismograph neuerer Entwicklungen, daher kann eine minutiöse Analyse zu einem Kaleidoskop kleiner erstaunlicher Veränderungen werden. So sind Wahlen auch für den parteiischen Wissenschaftler nützlich.

Wahlen und Gewalt

Generell wäre zu Wahlen in Griechenland freilich zu sagen, daß „freie Entscheidung“ an sich nicht existiert, ein solches Ding an sich existiert nicht.  Nicht etwa auf einem freien Forum wird für das „Bessere“ oder das „Schlechtere“, mehr oder  weniger „Tüchtigere“ optiert, sondern mächtige fremdsteuernde Kräfte in der Gesellschaft (in der Mafia, den Geheimdiensten, der Polizei, im Militär, von den externen Faktoren wie EU und NATO ganz abgesehen) bringen, ja zwingen erst die Resultate hervor, die den Interessen der bürgerlichen Herrschaft adäquat sind. Für die Bourgeoisie günstige Wahlresultate sind Ergebnisse von Gewaltprozessen. Zum Gewaltcharakter des bürgerlichen Staates gehört wesentlich die Desinformation.

Die Freunde der Pseudo-Wahlen

Eine nicht geringe Rolle spielt dabei die „Demagogie der Stabilität“, so könnte man es zusammenfassend nennen, auf die sich besonders Samaras beruft. Sie droht damit, daß, käme es zu einer Schwächung oder Destabilisierung der Regierungskoalition,  dann würde das zu einer Chaotisierung der innenpolitischen Situation führen. Was heißt dies aber? Die Massenverelendung, das reelle Chaos,  das alles soll im Interesse des Kapitals fortgeschrieben werden, ordnende widerständige antikapitalistische Kräfte wären dieser Ansicht  nach das eigentliche Chaos. Das ist psychologische Kriegsführung, mit ihr wird die „freie Entscheidung“ verzerrt und verkrüppelt, an die Interessen der Memorandenregierung angebunden, widerständige Wut wird in klassenindifferente Wut umgeleitet und schließlich in faschistische.

Das Informationsverbot der Oligarchen und die Klassenpresse

Weiters: die Übermacht der Unternehmer- und EU-freundlichen, zum Teil von mafiosen Oligarchen gesteuerten Medien. Die oligarchengesteuerten Medien haben wesentlich dazu beigetragen, daß die staatliche Rundfunk- und  Fernsehanstalt (ERT) vor einem Jahr von Samaras blitzartig und überfallsartig abgedreht wurde. Sie wollten erstens die Konkurrenz ausschalten (klassische Mafia-Politik!), und zusätzlich konnte sich der Staat mit Hilfe dieses Polit-Kartells des immer kritischer gewordenen öffentlichen Fernsehens entledigen – eine exemplarische Konvergenz der Interessen. Nun ja, was Staat ist, das agiert im Auftrag des Kapitals und zerschlägt Öffentlichkeit …. „Meinung“ wird also auch durch Kommunikationsverbot hergestellt (3).

Das im vergangenen Jahr kurzfristig neuinstallierte Regime-Fernsehen (es nannte sich demagogisch Dimósia Tileórasi, „Öffentliches Fernsehen“) hat, zusammen mit den privaten Fernsehkanälen und den rechten Tageszeitungen, ein enormes Übergewicht, sodaß wir hier von einem künstlich und teilweise mit Gewalt hergestellten Meinungsmonopol, Meinungskartell sprechen können – auch wenn Griechenland mehr linke Tageszeitungen hat (dies ist die andere, hoffnungsvolle Seite!) als die meisten anderen europäischen Länder (1)

Die Übermacht der Geldpresse generiert den reaktionären Meinungsblock. Daß radikale Wahlergebnisse auf allen Ebenen sich trotz alledem dagegen behaupten, und wie und warum sie sich dagegen behaupten, das ist wohl eine Analyse wert. Wie entsteht autonomes Denken und autonome Meinungsbildung im Lande des Meinungsterrors?

Warum, das wäre eine weiterführende vergleichende, nicht unwesentliche Frage, die aber hier nicht behandelt werden kann, entsteht ein solcher – nicht im Sinne einer subkulturellen Tendenz – autonomer Prozeß dort, und nicht hier, in Österreich?

Ein perpetuierliches Strickmuster

Dazu kommt der alte – und gar nicht abgehalfterte  -Antikommunismus. Antikommunistische Hetze findet in unerschiedlicher Intensität, ganz offen oder verdeckt, an verschiedensten Orten statt, wobei bei den konservativen Regierungsblättern, aber auch in den Äußerungen des Regierungschefs und seines Sprechers Kedikoglou, wie auch in den Attacken des soizialdemokratischen stellvertretenden Ministerpräsidenten Venizelos Syriza im Zielpunkt steht.

Je mehr aber Syriza sich bemüht, sich diplomatisch den großen Interessensgruppen anzupassen, desto mehr wird die Partei (oder Tsipras selbst) als Gottseibeiuns aufgebaut – die Strategie ähnelt derjenigen, mit der vor der faschistischen Diktatur 1967 bis 1974  der damals junge Andreas Papandreou sowohl von der griechischen Rechten als auch von den USA als wahrer Teufel und extreme Gefährdung des Systems hingestellt wurde. Schließlich wurde er in seinem Haus überfallen, er floh aufs Dach, sein kleiner Sohn wurde erpreßt und bedroht, mit der Methode kam der Vater in die Gewalt der Faschisten.

Wir werden uns auf die konzertierte Hetze vorbereiten müssen, die einsetzen wird, sobald Tsipras an die Regierung kommt.

Die Hetze der offen faschistischen Organe der XA richtet sich seit langem unverhohlen und mit brutalen Drohungen auch gegen die radikale Linke wie EEK, Antarsya und linke AufdeckerInnen wie Katerina Thoidou.

Damit wird die orientierungslose Wut eines großen Teils des betrogenen und pauperisierten Bevölkerung gesammelt und auf Ausländer, Linke, Homosexuelle etc.  umgeleitet. Auch hier eine Verzerrung der demokratischen Kommunikationswege, denn der Plebs wird ihre Selbsbetimmung genommen, es ist eine organisierte Erstickung des überlegenden Denkens, der raison –  und in solch einer Situation soll so etwas wie eine freie Entscheidungsfindung stattfinden? Daher das beängstigende Resultat der zwei  faschistischen Parteien (s. u.)

Gerade deswegen ist eine filigrane Analyse der Wahlresultate, der Wählerströme als bloße Funktionen und Derivate der Verzerrung und Fremdsteuerung, auf der anderen Seite als Reflexe sich davon radikal freihaltender und emanzipierender Prozesse eine interessante Aufgabe und kann von einem – an sich gesunden – Antielektoralismus nicht ad acta gelegt werden.

 Ein paar Zahlen?

 Syriza erreichte bei den Europawahlen 26,58 % gegenüber Nea Dimokratía (ND) mit 22,71 %, überholt  letztere also um beinahe 4 Prozentpunkte!

 Die Goldene Morgendämmerung (XA) kam auf 9,40%!. Laós, eine ebenfalls nationalsozialistisch  geprägte Partei, kam auf 2,70 %.

Eine Neugründung, man kann auch sagen: ein europäisch unterstützter Wurmfortsatz  des Pasok-Bereichs, der noch dazu phantasieloserweise denselben Namen trägt wie eine frühere – von weitem – vergleichbare sozialdemokratische Konstruktion aus Italien,  ist   „der  Olivenbaum“ (Eliá), der es auf 8.02% brachte.

Die KKE kam auf 6.09 %; die rechten Unabhängigen Griechen (Anexártitoi Ellines, AE,  mit ihnen hatte der Taktiker Tsipras schon vor einem Jahr geflirtet) erreichten 3,46 % und die Demokratische Linke (Dimar) verfehlte (1,20 %) den Eintritt, der mit einer 3%-Hürde versiegelt war.

Was sagen Zahlen?

 Der Erfolg von Syriza sieht ein wenig anders aus, wenn man in betracht zieht, daß die Partei bei diesen Wahlen im Vergleich mit den Parlamentswahlen 2012  150.000 Stimmen verloren hat (- 0,33 %), was ihr der Regierungschef auch genüßlich vorwarf. Er sollte aber vor seiner eigenen Türe kehren, denn ND hat selbst seit 2012 an die 7% ihrer Schäfchen verloren, genau: 6.93 %.

Die beiden nationalsozialistischen Parteien legten zu: XA um 2,47 %, Laós um 1,60 %.Der Gesamtverlust der Regierungsparteien (ND und Pasok) beläuft sich gar auf 11%: die Pasok – deren ruhmreicher Führer Andreas Papandréou hatte 1977 die Wahl noch mit einer klaren und eindeutigen Anti-NATO-  und Anti-EEG-Politik bestritten, so wandeln sich Sozialdemokraten! – hat ihr gemessen Anteil daran.

Allerdings  – würde man die Ergebnisse der Europawahlen auf hypothetische Parlamentswahlen umlegen, und dies Argument bringt Tsipras, Rhetor der er ist, anschaulich auf die Bühne, dann hätte heute  Syriza 130 von insgesamt 300 Sitzen, 50 werden ja dem Stimmenstärksten automatisch hinzugezählt, und die ND käme auf ganze 69.

Das bringt wiederum Kedikoglou in Rage: Dies sei eine Verdrehung und Umlenkung, die Leute seien aufgerufen gewesen, für das Europäische Parlament  abzustimmen und nicht für die Führung des Landes. Gegen Tsipras hechelt er: „Sein Verlangen nach einem „Sturz“ (der Regierung) bekam nicht einmal die Stimmen, die seine  Partei bei den Wahlen von 2012  erreicht hatte. Deswegen ist seine  Frustration so groß, weil seine Partei überhaupt nichts von dem lukrieren konnte, was die anderen Parteien verloren haben.“ Und er erklärt die Verluste der Regierungskoalition mit „den schwierigen Bedingungen, unter denen sie antreten mußte“. Das leuchtet ein.

Im Vorfeld hatte Tsipras, in lockerer Analogie etwa zu dem Wasserreferendum von Saloniki, das autonom und gegen den Widerstand der Gesamtgemeinde, „auf zapatistische Weise“,  durchgeführt wurde und siegreich war,  ein landesweites Referendum zur Nationalen Strategie gefordert, worauf Venizelos in extrem grober Weise reagierte und den Vorschlag als „Erpressung“  bezeichnete.

Tsipras, nicht faul, äußerte seinerseits Folgendes: „Das ist keine Regierung. Das ist ein Erpresserstaat, eine Dampfwalze. Wir müssen sie stoppen. Das ist eine Sache des Überlebens. Griechenland ist ihnen aus den Händen geglitten und sie haben immer noch die Kühnheit, zu behaupten, sie hätten eine ernsthafte Aufgabe und sie seien hier, um Griechenland zu retten.“ Das Resultat der Wahl hätte eine scharfe Diskrepanz zwischen dem Parlament und dem Wahlvolk an den Tag gelegt.  Und er warnte den Ministerpräsidenten vor weiteren Lohn- und Pensionskürzungen, vor der Privatisierung der Wasserwirtschaft, vor dem Verkauf öffentlichen  Eigentums „und besonders unserer Strände und unserer wunderschönen  Natur, die unser Erbe bleiben muß und die Eigentum des Volkes bleiben soll. … Schließlich warnen wir den Ministerpräsidenten, wenn er sich einbildet, er könne nun den Gouverneur der Bank Griechenlands oder den neuen Kommissar unseres Landes für die Europäische Kommission bestimmen, ohne den Konsens der größten Partei des Landes, ohne einen breiteren politischen Konsens. Er hat keinen Auftrag , solche Entscheidungen für die kommenden Jahre zu treffen, mit den Stimmen, die er heute bekommen hat, jetzt, wo er in der Minderheit ist.“

 Politische Projekte von Syriza

 Zu den zentralen und konkreten Wahlforderungen von Syriza gehörten folgende:

 Wiederaufstockung des Mindestlohns für alle auf 751 Euro, Schutz des Erstwohnsitzes vor den Gläubigerforderungen (4), Reduktion der Heizkosten, Anpassung der Pensionen an den Lebensbedarf, in allererster Linie der niedrigsten Pensionen, kostenlose öffentliche Gesundheitseinrichtungen, ein kostenloses Bildungssystem, eine öffentliche Sozialversicherung. Steuererleichterung für kleine und mittlere Einkommen, Programme zur Unterstützung der Bauern, Hilfe für verschuldete Einzelpersonen. Schließlich forderte er eine Entschädigung für die Zwangsanleihe unter dem Naziregime und Reparationszahlungen für den Krieg.

Ebenso wie solche Forderungen das institutionalisierte Konzentrat von Kämpfen in den Betrieben, in der Öffentlichkeit, auf der Straße und an der Basis sind, ebenso ist die Institution ein Behälter, ein Raum, in dem unter besonderen Bedingungen solche Forderungen unterstützt und weitergetrieben werden können.

Eines der großen Machtinstrumente wird mit dem Untersten befaßt: Syriza, von der 6 Abgeordnete ins  Europaparlament entsendet wurden, hat zwei ganz besondere ausgewählt: Manolis Glezos, den Antifaschisten der ersten  Stunde,  und Konstantina Kouneva, Historikerin aus Bulgarien, die hier, gewerkschaftlich aktiv, von einer mafiosen Bande an den Augen und in der Luftröhre verletzt wurde – an einem Auge ist sie blind. Sie ist ein „Symbol“ des Widerstands geworden,  Symbol auch dafür, daß Gewerkschaft, gewerkschaftlicher Kampf in Griechenland etwas völlig Anderes bedeutet als in manchen verfaulenden Metropolenländern.

Soweit die Europawahlen. Ein bißchen anders gelagert sind die Kommunal- und Regionalwahlen. Aber zuvor wollen wir noch ein wenig die Situation, die Umstände beleuchten, unter denen die Wählerei sich abzuspielen hatte, dazu einige konkrete Beispiele.

Terror, Begleitmusik

der bürgerlichen Wahlen

Kurz vor der Wahl schossen zwei Typen von einem Motorrad (dem Lieblingsfahrzeug der griechischen Nazis) aus  mit einer Kalaschnikow zwei Mal auf Büros der PASOK. Die Griechenland-Zeitung berichtet: „Experten der Polizei sprachen von einem Vorfall mit „hohem Risiko“ und begründen dies damit, daß sich in der Nähe des Gebäudes Polizisten befanden. Jene hatten allderdings vom Anschlag nichts bemerkt.“

Härter ging es im Athener Stadteil Kifisiá zu. Da griffen 20 Faschisten der XA vor einem in einer Schule untergebrachten  Wahllokal vier Wahlbeobachter an, als diese eben das  Gebäude verließen. Die 4 waren Mitglieder der Antarsya. Des geschah, laut Antarsya, vor den Augen der Polizei, die nicht einschritt. Die Polizei kam erst nach einer ganzen Weile. Diejenigen Polizisten, die sich im Gebäude befanden, sahen untätig zu, berichtet auch die Ergatikí Allilengí (Arbeitersolidarität) der Sozialistischen Arbeiterpartei.

Antarsya bemerkt dazu, daß hier offenbar die Sturmtruppen wieder aufgerüstet werden. In der bürgerlichen Presse war in der Vorwahlzeit  immer häufiger eine scheinbare „Rekonversion“ und Entmilitarisierung der XA, Neuintegration in die institutionellen Regeln des Parlamentarismus propagiert worden. Der Vorfall zeigt, daß davon nicht die Rede sein kann. Wahlen sind für die Nazis offensichtlich nichts als Dreck, der niedergeknüppelt gehört. Das erfuhren die Wahlbeobachter der radikalen Linken am eigenen Leib.

Mit der vorgeblichen „Zivilisierung“ der Nazipartei und deren Selbstdarstellung als regelkonforme Parlamentspartei ging Hand in Hand der Spruch des Aeropag („Areios Págos“, der Oberste Gerichtshof in Athen), mit dem die Nazis definitiv zu den Wahlen zugelassen wurden – obwohl die Hälfte ihrer Führung zu dem Zeitpunkt im Knast saß. Die Begründung des Aeropags: Es wären noch keine Urteile ergangen. Man muß sich aber fragen: Was sind das für Wahlen, an denen Nazis gleichberechtigt teilnehmen können?

Am 27. Mai fand in Kifisiá eine Protestkundgebung  gegen diesen Naziüberfall statt, an der Antarsya, die antifaschistische und antirassistische Frontorganisation KEERFA, die antikapitalistische Gruppierung „Außerhalb der Stadtmauern“, VertreterInnen einer Lehrergewerkschaft, der Kampfausschuß von Kifisiá und ein Pädagogenverein teilnahmen. In  Kifisiá hat sich übrigens bereits ein XA-Bezirksrat festgesetzt. „Wir werden nicht auf einen zweiten Pavlos Físsas warten, wir werden sie stoppen, bevor es zu spät ist. Die organisierte Arbeiter- und Volksbewegung wird der Grabstein der EU- und IWF-Regierungen und des nazistischen Gebildes Goldene  Morgendämmerung sein.“ heißt es zu diesem Anlaß in einer Aussendung der Antarsya.

Auch auf Chalkidiki, wo man scheinbar fern vom Schuß ist,  wurde ein Wahlkandidat der Antarsya, als gerade der erste Wahltermin stattfand, Opfer eines gefährlichen Angriffs. Drei Nazis bedrohten ihn und seine Familie. „Hier kommandieren wir!“ brüllten sie ihn an und schlugen auf ihn ein. Er erfuhr aber in der kleinen Stadt, in der er lebt,  sofort,  ungeteilte Solidarität von politisch bewußten Menschen von verschiedenster politischer Ausrichtung.

„Wir werden uns ihren Schlagstöcken und Messern ausgesetzt sehen, mit ihren faschistischen Methoden konfrontiert sehen, mit ihrer Nazi-Mentalität. Jeden Tag, jeden Augenblick, bei jeder Mobilisierung.“ Daher der Kampf auf vielen Ebenen.

Über das Engagement der kleineren radikalen Gruppen kommen wir zum Thema Kommunal- und Regionalwahlen.

Kommunal- und Regionalwahlen

Katerina Thoidou

 Sie haben einen völlig verschiedenen Charakter. Es treten Einzelpersonen, häufig Wahllisten und auch  Parteien auf. Einzellandidaten werden zumeist von mehreren Kräften unterstützt, ebenso sind die Wahllisten kombinierte Resultate von mehreren Parteien/0rganisationen.

In die Bezirks- oder Gemeindeparlamente werden  in vielen Fällen radikale Linke gewählt, so in dem zu Athen gehörenden Níkaia (Nikea)  , wo Pavlos Physsas ermordet wurde und wo sich eine wichtige politische und militärische Kommandozentrale der XA  befand, die von dem örtlichen Polizeirevier unterstützt wurde. Dort ist die antifaschistische  Aufdeckerin Katerina Thoidou, der von der XA der Prozeß gemacht wurde,  ins lokale Parlament eingezogen, nicht um Karriere zu machen (was sich etwa grüne Bezirksabgeordnete in Mariahilf und dergleichen erhoffen), sondern um ein institutionelles Standbein zu bereits bestehenden Kämpfen zu haben, speziell für den antirassistischen Kampf (2).

Durch die Wahl Katerina Thoidous kann die örtliche pakistanische  Gemeinde noch stärker unterstützt werden. Die organisierten Pakistanis stellen eine wichtige politische Kraft in Griechenland dar und mobilisieren zusammen mit den antifaschistischen Kräften der Linken wie der KEERFA und der Antarsya. Dies ist unter anderem einer der Gründe, warum sie zu so vielen Malen zum Zielpunkt von mörderischen Angriffen der XA werden.

Für die Pakistanische Gemeinde von Níkaia war die Wahl von Katerina Thoidou ein Freudenfest. „Die MigrantInnen feiern jetzt!“ lautet der Titel einer  Grußadresse der Pakistanischen Gemeinde von Níkaia in der Arbeitersolidarität. „Jetzt wo die Katerina im Gemeinderat ist, fühlen wir uns viel stärker. Jeder Pakistani, der in Nikaia wohnt, freut sich so sehr, wir können gar nicht sagen, wie sehr“, so zwei Sprecher der Pakistanischen Gemeinde. Kommunalwahlen sind Ergänzungen der Kämpfe auf der gesellschaftlichen Ebene

Regional- und Komunalwahlen. Es fanden zwei Runden statt, am 18. Mai und am 25. Mai. Bei der zweite Runde gewannen zahlreiche Bürgermeister der Linken. Der Terminus „aristerá“ (die Linke) wird im Griechischen von radikal linken Organisationen nicht, wie etwa im Französischen la gauche, für die etablierte Linke verwendet, auch nicht für das, was man hierzulande die „undogmatische Linke“ nennt, sondern für die radikale Linke, die hypothetische Gesamt-Linke, die Antarsya, Syriza, KEE und die radikalen linken Gruppen außerhalb dieser Lager umfaßt. Unter diesen Gebrauch des Wortes „Linke“ fällt also nicht Pasok, Dimar oder dergleichen. Dahingegen ist aristerá für viele Anarchisten ein Schimpfwort.

Weitere linke Wahlsiege

Aus vielen Beispielen einige signifikante. Bei den Regionalwahlen der einwohnerreichsten Region Griechenlands, der Region Attika, siegte die Syriza-Kandidatin Rena Dourou mit 50,89 % knapp vor Yannis Sgourós, einem Mann der Pasok, der aber auch von ND unterstützt wurde. Die Wahl hat ein großes politisches Gewicht.

Schlecht ging es in Athen bei den Bürgermeisterwahlen aus: Kamínis, der Zerstörer der Zeltstadt am Sýntagmaplatz, blieb an seiner Stelle, er siegte gegen seinen Herausforderer Gavriil Sakellaridis von Syriza mit einem knappen Vorsprung von 51,42 %. Die multiple Unterstützerei zeigt sich deutlich an dem  Beispiel Kaminis: Für ihn optierten: das Kunstgebilde Eliá, die abgehalfterte Dimar, eine neue Erfindung namens „Brücken“ und eine Grünpartei. Sakellaridis stützte sich nur auf die Syriza.

In 12 Gemeinden der Region Attika und in 13 des restlichen Griechenland kamen linke Bürgermeister an die Spitze der Gemeindeverwaltung, gerade auch in sehr „sensiblen“  wie Keratsini-Drapetsona und Pérama.

In Nea Manolada, der Stadt, in der auf Erntearbeiter geschossen wurde, wurde ein Immigrant Bürgermeister!

Die KKE bzw. von der KKE unterstützte Listen brachten es an mehreren Orten zu einem Bürgermeister, so in Patras, wo die KKE-Liste mit 62,4 % den Sieg davontrug. In Ikaría, einer traditionell kommunistischen Insel, bekam der KKE-Kandidat 50,8 %, in zwei Bezirken (Teilgemeinden) von Athen gab es außergewöhnlich hohe Resultate für die KKE: in Petroupolis 53 %, in Chaidari 68,5 %.

Organisationsübergreifendes Wahlverhalten

 Nachdem nun die jeweilige Basis aller dieser unterschiedlichen politischen Kräfte an Kämpfen teilnimmt, die dasselbe Ziel haben, die gemeinsame Kämpfe sind, kann es nicht wunder nehmen, daß es auch elektorale Interaktionen, ja Oszillationen und  somit Synergien zwischen dem Wahlverhalten des einen Lagers und dem des anderen gibt, den einen Wählern und den anderen Wählern, im Widerspruch zum Organisationspatriotismus der jeweiligen Partei.

Die Arbeitersolidarität verweist in einem Aufsatz vom 28. Mai auf Exit Polls der Firma Mega, denen zufolge 55 % der KKE-Wähler Rena Dourou gewählt haben,  10 % von ihnen Sgourós. Dieses Querstimmen, das in vielen Fällen vorkommt, wäre einer weiteren detaillierten Analyse wert. Es ist ein transversales Klassenverhalten, das sich am Klasseneinsatz der KandidatInnen orientiert und ihn honoriert.

Die Arbeitersolidarität: „Es wird ersichtlich, daß diese Wahlerfolge nicht bloß Einzelwege sei´s bloß der KKE sei´s bloß der Syriza sind, sondern der Prozeß eines umfassenderen Bevölkerungsteils, der seinen Ort in der Linken an sich sieht und die beiden Parteien als affine politische Bereiche auffaßt.“

Daraus entspringt das Modell eines gemeinsamen gesamtgesellschaftlichen Kampfes, sekundiert  vom Zusammenrücken des planenden, werbenden und unterstützenden Vorgehens  unterschiedlicher Organsationen der radikalen Linke in den kleineren, übersichtlichen Institutionen –  gegen einen gemeinsamen Feind.

In den kleinen, übersichtlichen Institutionen und im Europaparlament. Krieg den Palästen! In der maoistischen Zeitung  Dromo tis Aristerás („Der Weg der Linken“) schreibt Konstantinou Kouneva:

 „Wir müssen ihre Probleme (die Probleme der griechischen Bevölkerung, AuO) und ihre Kämpfe zu den Problemen und Kämpfen ganz Europas machen. Es muß ein Europa sein, das nicht aus schlechtbezahlten, unversicherten Arbeitern, Arbeitslosen, toten oder gehetzten MigrantInnen besteht, … Jugendlichen ohne Hoffnung und Zukunft.“

Das aber will die Europäische Volkspartei, von der Samaras geschützt wird, das aber wollen die Faschisten, das aber  wollen die europäischen Sozialdemokraten –  die zur desaströsen Funktion der Pasok nichts zu sagen haben, die dazu schweigen.

 Fußnoten:

(1)Insgesamt vier sind es: Riszospastis, Avgí, I Efimerída ton Sintaktón und Eleftherotipía, daneben einige liberale Tageszeitungen und auch solche,  die an sich regierungsnah sind, aber doch sehr ausführlich  berichten, wie  etwa To Proto Thema. Sie sind regierungsnah, aber gute Beobachter. Daneben gibt es eine große Anzahl  von radikal linken Wochen- oder Zweimonatszeitungen von durchgehend sprachlich und gedanklich hohem Niveau, die Organisationen zugeordnet werden können. Also Gegengewicht gibt es doch einiges!

(2) Ähnliches hat ja auch die Bewegung in Vicenza überlegt und mit der Aufstellung einer Kandidatin für das Stadtparlament das Richtige getan.

(3) So wurden der einzigen verbliebenen linken iranische Exilorganisation von Radio Orange vor einiger Zeit weitere Sendungen untersagt, mit dem Argument, man wolle von nun an nur kulturelle Beiträge. Von dieser Infamie habe ich erst vor einigen Tagen erfahren. Solches Kommunikationsverbot ereignet sich hierzulande innerhalb dessen, was sich „Linke“ nennt. Radio Orange ist abhängig von Geldern der Gemeinde.

(4) Das müßte man eigentlich auch in Wien fordern für alle, die aus den Gemeindebauten hinausgeworfen werden, weil sie die Miete nicht mehr bezahlen können. So eine Forderung hier aufzustellen, und gar, sie gegen die hiesige Pasok-Verwaltung  durchgesetzt zu haben, wäre revolutionär! Vor lauter Konkretheit revolutionär.

gr Wahlen Ö verb. farb., fin. (docx)