A.Holberg: Rezension – Charlotte Wiedemann – Vom Versuch, nicht weiß zu schreiben – oder: wie Journalismus unser Weltbild prägt

15.10.2012

Rezension:

Köln (PapyRossa Verlag) 2012, S. 186, € 12,60

Um es vorweg zu sagen: Das ist ein sehr angenehm geschriebenes Buch, das sich an einem Stück lesen lässt, und es ist ein sympathisches Buch, weil die Autorin entgegen der üblichen journalistischen Praxis in erster Linie Fragen an sich selbst hat. Charlotte Wiedemann, Jahrgang 1954, die für solche bekannten Zeitungen und Zeitschriften wie GEO, Die Zeit und Le Monde Diplomatique geschrieben hat, bringt grundlegende – aber offenbar nicht alle – Voraussetzungen mit, nicht nur relevante Fragen zu stellen, sondern auch zu beantworten. Im Gegensatz zu nicht wenigen ihrer Kollegen und Kolleginnen, die freiwillig oder durch ihre Arbeitgeber genötigt in Schnelle über riesige nur aus gebührender europäischer Entfernung gleichartig wirkende Räume schreiben und dabei im Wesentlichen in irgendwelchen teuren Hotels in den wenigen Zentren des Auslandjournalismus wie z.B. in Kairo für den gesamten Nahen Osten und nördlichen Teil des afrikanischen Kontinents sitzen, hat die Autorin sei es längere Zeit in einer bestimmten Region (z.B. Südostasien) gelebt oder ist ausführlich dort gereist (z.B. Mali). Auf dieser Grundlage und mit einem hohen Maß an Empathie für die Menschen und Kulturen, die sie dort – vor allem im vielgestaltigen islamischen Raum – angetroffen hat, ausgestattet, benennt sie alle möglichen objektiven und subjektiven Hindernisse, denen Journalisten beim Versuch, nicht nur diese Kulturen und Menschen zu verstehen, sondern ihre Erkenntnis auch dem europäischen Leser zu vermitteln, ausgesetzt sind. Dazu gehört etwa die Tatsache, dass die mit Kollegen, denen solche Erfahrungen fehlen, bestückten Zentralredaktionen die Journalisten vor Ort zunehmend durch Vorgaben einschränken. Oder die unbestreitbare Tatsache, dass die wachsende Flut von miteinander nicht verbundenen „Fakten“, die oft – bewusst oder unbewusst – nur Falschmeldungen sind, ein Verständnis von Zusammenhängen nur erschweren, was es wiederum erleichtert, den Leser mit einer „großen Erzählung“ zu beglücken – und zu hintergehen.

Charlotte Wiedemann, die für einen Journalismus des Respekts gegenüber anderen Kulturen einerseits und dem hiesigen Leser andererseits eintritt, hat ein im Wesentlichen impressionistisches Buch geschrieben. Um sich aber aus der Vielzahl der zweifellos zutreffenden Beobachtungen ein Bild zu machen, das über ein legitimes Gefühl des Unwohlseins hinausgehend eine realistische Alternative aufzeigt, bedarf es eines theoretischen Rahmens, der nicht der bei Wiedemann tendenziell zu Grunde liegende Kulturpartikularismus sein kann. Während es natürlich unumgänglich ist, gerade die kulturellen Besonderheiten als Tatsachen ins Blickfeld zu rücken, bedarf es eines solchen bewussten theoretischen Rahmens, damit diese sowohl für den Journalisten als auch für den Leser sinnvoll eingeordnet werden können. Dass der theoretische Rahmen üblicherweise der vom herrschenden System vorgegebene ist, ist ebenso bedauerlich wie unvermeidbar. Da die herrschende Ideologie notwendigerweise die der Herrschenden ist, bedarf es nur sekundär des ordnenden Eingriffs irgendwelcher Zentralredaktionen, wenngleich der hier und da die Gleichschaltung über das für das System notwendige Maß sichert.

Ungeachtet also der Einschränkung, dass die Autorin viele kritikwürdige Aspekte der Berichterstattung der (hier europäischen) Medien über außereuropäische Gesellschaften kritisiert, ohne deutlich zu machen, dass und warum diese mehr oder weniger nicht anders sein können als sie sind, hat sie ein überaus anregendes Buch geschrieben.