Wien/Arbeit:
Ein KIV-Betriebsrat klagte auf Anstellung und gewann durch alle Instanzen
bis hin zum OGH. Ein Fall der an die Geschichte mit den MuellberaterInnen
erinnert. Denn auch hier hatte es das „rote Wien“ nicht so mit dem
Arbeitsrecht und ebenso tut sich die „rote Gewerkschaft“ schwer mit der
Unterstuetzung.
*
Im Fruehjahr 2010 wollte ich mein im Jahr 2000 begonnenes Dienstverhaeltnis
beim Wiener Magistrat (nach einer bereits erfolgten Vertragsverlaengerung im
Jahr 2005) weiter fortfuehren. Trotz ausgezeichneter Dienstbeschreibung und
nachweisbaren Erfolgen bei meiner Taetigkeit wurde mein diesbezuegliches
Ansuchen vom Fonds Soziales Wien (FSW) – dem ich 2004 zum Dienst zugewiesen
worden bin – nicht an die zustaendige Personalabteilung des Wiener
Magistrats weiter geleitet. Mein urspruenglich als befristet konzipierter
Einzelvertrag wurde damit vom FSW nach 10 Jahren mit 1.Juni 2010 als beendet
erklaert. Mein diesbezueglicher schriftlicher Widerspruch wurde zur Kenntnis
genommen. Damit war mein Fall aus Sicht von FSW und Stadt Wien erledigt.
Hoffnungsvoller Beginn eines aussichtsreichen Rechtsstreites
Ein Verbot von Kettenarbeitsvertraegen gibt es in der oesterreichischen
Rechtsprechung ebenso wie in der europaeischen, wobei in letzterer explizit
darauf hingewiesen wird, dass dies auch fuer oeffentliche
Gebietskoerperschaften gelte1). Als gewaehlter Betriebsrat und
Personalvertreter vertraute ich natuerlich auf die Unterstuetzung der
Gewerkschaft der Gemeindebediensteten (GdG-KMSfB), deren zahlendes Mitglied
ich seit Beginn meiner Taetigkeit bei der Gemeinde Wien war. Vom Magistrat
an den Fonds Soziales Wien ausgelagert, war ich auch Arbeiterkammermitglied
(AK). Der Beistand fuer meine Rechtsvertretung in dem geplanten
arbeitsrechtlichen Verfahren gegen die Stadt Wien schien also doppelt
abgesichert.
Zusaetzlich beruhigte mich der Umstand, dass eine Rechtsexpertin der AK in
einer AK Zeitschrift zu einer Entscheidung des Europaeischen Gerichtshofes
vom 4. Juli 2006 zur Sache „aufeinander folgende befristete Arbeitsvertraege
im oeffentlichen Sektor“ einen Artikel verfasst hat, wo genau jenes meinen
Fall betreffende Problem thematisiert worden ist. In diesem Artikel wird die
Ansicht vertreten, dass auch in Oesterreich solche bzw. aehnliche Faelle
zugunsten der ArbeitnehmerInnen zu entscheiden waeren, sollte eine
entsprechende Klage eingebracht werden2).
Darin heiszt es etwa: „(.) Die gesetzliche Normierung einer Befristung
stellt fuer sich alleine noch nicht ihre sachliche Rechtfertigung dar.
Zusaetzlich muessen sachliche Gruende vorliegen, die mit der Art der
Taetigkeit und ihrer Ausuebung zusammenhaengen, bzw. muss das
innerstaatliche Recht andere effektive Masznahmen vorsehen, um den
Missbrauch durch aufeinander folgende befristete Arbeitsvertraege zu
verhindern. Dies wird im Einzelfall zu pruefen sein.“
Erste Enttaeuschung: Arbeiterkammer
Nach zweimaliger Vorsprache bei der AK wurde mir von der
Rechtsschutzkommission mitgeteilt, dass meine Klage gegen die Stadt Wien
wegen mangelnder Erfolgsaussicht nicht unterstuetzt wird. Nach einer
Berufung gegen diese Entscheidung wurde diese Entscheidung von der
AK-Berufungsinstanz (Direktion) bestaetigt. Das bedeutet, dass die AK
Rechtsschutzkommission zu einer gegensaetzlichen Ansicht kommt, als von
einer AK Rechtsexpertin in einer AK Zeitschrift publiziert wird. Zumindest
in meinem Fall, wo es gegen die Stadt Wien als Arbeitgeber geht.
Zweite Enttaeuschung: Gewerkschaft
Ebenso trist erlebte ich die Unterstuetzung durch die GdG-KMSfB. Diese
leitete meine Anfrage um rechtliche Unterstuetzung an eine bekannte Wiener
Anwaltskanzlei weiter, die in meinem Fall absolute Erfolgslosigkeit
prognostizierte (u.a. unter Berufung auf die AK Entscheidung), worauf die
GdG-KMSfB meine Unterstuetzung verweigerte.
Spaeter erfuhr ich, dass besagte Kanzlei in vielen Faellen die Interessen
der Stadt Wien vertritt. Leider konnte diese Kanzlei in meinem Fall gegen
die Stadt Wien keinerlei Erfolgshoffnung erblicken. Die Auftragserteilung
zur Beurteilung meiner Chancen vor Gericht an eine Kanzlei, die in vielen
Faellen meinen Prozessgegner vertritt, habe ich als glatte Verhoehnung
meiner Person und meines Anliegens empfunden!
Alle meine Versuche, durch beide fuer mich zustaendigen
ArbeitnehmerInnenorganisationen Unterstuetzung in einem arbeitsrechtlichen
Verfahren gegen meinen Arbeitgeber Stadt Wien zu erlangen, erwiesen sich im
Sommer 2010 als erfolglos. Die Vermutung, wonach eine von einer bestimmten
Partei dominierte Gewerkschaft ebenso wie die von derselben Partei
dominierte gesetzliche Interessenvertretung Arbeiterkammer eine Klage gegen
eine von eben dieser Partei gefuehrte Stadtverwaltung ganz sicher nicht
unterstuetzt, ist vermutlich voellig haltlos. Auch der Umstand, dass der zu
vertretende Kollege ein gewaehlter ArbeitnehmerInnenvertreter einer anderen,
naemlich parteiunabhaengigen Fraktion ist, kann fuer diese Entscheidungen
nicht ausschlaggebend gewesen sein. Oder?
Nach den gescheiterten Versuchen um Unterstuetzung durch GdG-KMSfB und AK
durchforstete ich meine privaten Unterlagen. Ich hatte doch auch beim OeAMTC
eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen. Tatsaechlich umfasste diese
nicht nur Unterstuetzung in Verkehrsfragen, sondern inkludierte auch
arbeitsrechtlichen Schutz. Nach Kontaktierung der zustaendigen Versicherung
(Generali) wurde mir ein kompetenter Rechtsanwalt vermittelt (Mag. Ralf
Moessler). Rasche Pruefung der Sachlage, Ruecksprache mit der Versicherung
und nach kuerzester Zeit war eine Klage beim Arbeits- und Sozialgericht Wien
eingebracht.
Bestaetigung durch drei Instanzen
Es folgten mehrere Verhandlungstage mit Einvernahmen von Zeugen der Stadt
Wien und von meiner Seite. Nach wenigen Wochen entschied das Erstgericht,
dass in meinem Fall ein aufrechtes Dienstverhaeltnis vorliege. Auffallend in
der Urteilsbegruendung ist, dass in mehreren Argumentationspunkten fuer
diese Entscheidung neben den Aussagen meiner Zeugen auch die Aussagen des
Hauptzeugen der Stadt Wien (also der beklagten Partei) vorzufinden sind.
Aber damit nicht genug: Im Sommer 2011 erfolgte die Berufung durch die Stadt
Wien, ein Jahr spaeter bestaetigte das Oberlandesgericht Wien die
Entscheidung der ersten Instanz. Im Sommer 2012 erfolgte erneut die Revision
des Urteils zweiter Instanz durch die Stadt Wien und der Fall landete beim
Obersten Gerichtshof (OGH). Die OGH Entscheidung vom Jaenner 2013 bestaetigt
zum dritten Mal – und nunmehr rechtskraeftig – mein aufrechtes
Dienstverhaeltnis zur Stadt Wien. Insbesondere verweist der OGH auf die
schon in 2. Instanz getroffene Entscheidung, wonach fuer eine Befristung
laut EU-Richtlinie und EUGH-Urteil eine sachliche Begruendung vorliegen
muesse. Diese war in meinem Fall nicht gegeben.3)
Auf Empfehlung meines Anwaltes meldete ich mich unverzueglich nach Erhalt
des OGH Urteils im Personalbuero des FSW zum Dienstantritt. Beim Eintreffen
am Nachmittag wurde mir vom Leiter des Personalbueros mitgeteilt, dass mir
ein Dienstantritt „nicht gewaehrt“ wuerde4). Nach Ruecksprache mit dem
Personalamt der Stadt Wien (MA 2) war schnell klar, dass der Entscheid des
OGH doch ein hoechstgerichtliches Urteil ist und die „Nichtgewaehrung“
meines Dienst(wieder)antritts offenbar irrtuemlich erfolgt ist. 18 Stunden
spaeter, am Vormittag nach meinem Erstbesuch im FSW nach Erhalt des
Gerichtsurteils erhielt ich eine Einladung fuer den darauf folgenden Tag, um
die weitere Vorgangsweise zu besprechen. Dieser Prozess ist gegenwaertig
noch nicht abgeschlossen. .
Gute ArbeitnehmerInnenVertretung in Oesterreich…..
Die in Oesterreich existierende Vertretung der lohnabhaengigen Bevoelkerung
durch Gewerkschaft und Arbeiterkammer funktioniert in vielen Bereichen sehr
gut. Regulaer beschaeftigte ArbeitnehmerInnen in der Privatwirtschaft
profitieren in vielfaeltiger Weise von der Taetigkeit dieser Organisationen.
Weniger gut sieht es in der prekaeren Arbeitswelt aus, wobei es auch hier
zahlreiche Bemuehungen zur Verbesserung der Situation gibt.
…aber nicht im oeffentlichen Dienst
Der hier vorliegende Fall ist ein praktischer Beweis fuer die oft
beschriebene Problematik im Verhalten der von politischen Parteien
dominierten Interessenvertretungen von ArbeitnehmerInnen gegenueber den von
politischen Parteien gefuehrten oeffentlichen Gebietskoerperschaften. Die
besonders augenscheinliche Doppelfunktionen von Einzelpersonen sowohl als
Arbeitgebervertreter (z.B. im Gemeinderat / Nationalrat / mit maszgeblichen
Partei-Funktionen) als auch gleichzeitig als ArbeitnehmerInnenvertretung
(Bspw. Gewerkschaftsvorsitzender oder AK-Direktor mit entsprechenden
Verbindungen) wurden und werden vielfach kritisiert. Die
Fuehrungspersoenlichkeiten von Arbeiterkammer und Gewerkschaft sind mit
Politik und leitender Verwaltung des oeffentlichen Dienstes ueber die
groszen politischen Parteien nahtlos verzahnt. Dadurch kommt es bei der
Durchsetzung von ArbeitnehmerInneninteressen im oeffentlichen Bereich
offenbar zu einer „Beisshemmung“, wie sie z. B. gegenueber groszen Betrieben
der Privatwirtschaft (z.B. Handel) voellig undenkbar waere. Hier agieren AK
und Gewerkschaft offensiv und sehr oft erfolgreich.
Dieser Fall war immer klar
In meinem Fall ist die oesterreichische und europaeische Gesetzgebung bzw.
Rechtssprechung so klar, dass ich als Nichtjurist stets gute Chancen zur
Durchsetzung meiner Forderungen gesehen habe und von vielen in den Fall
involvierten Personen darin bestaetigt worden bin. Jetzt hat die
oesterreichische Justiz in meinem Fall das letzte Wort gesprochen, was
beispielgebend fuer aehnliche Faelle im oeffentlichen Dienst sein koennte.
Meine Nichtunterstuetzung durch GdG-KMSfB und AK wird mir fuer immer ein
Raetsel bleiben. Ich empfehle daher allen im oeffentlichen Dienst taetigen
Personen, eine private Rechtsschutzversicherung (inklusive Arbeitsrecht)
abzuschlieszen, da im Ernstfall die uneingeschraenkte Unterstuetzung von
Gewerkschaft und Arbeiterkammer – wie in meinem Fall bewiesen – nicht
garantiert ist.
Trotzdem ist es notwendig, als Mitglied der Gewerkschaft und/oder
Pflichtmitglied der AK, diese zustaendigen Institutionen der
Interessenvertretung nicht aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Durch diese
Gerichtsentscheidung kann in aehnlichen Faellen als Betriebsrat/
Personalvertretung oder auch als betroffenes Mitglied entsprechend
argumentiert und die institutionelle Unterstuetzung bei der
Rechtsdurchsetzung besser eingefordert werden.
Jede Wette: Bei der Nachzahlung der mir zustehenden Gehaelter werden beide
Organisationen in der ersten Reihe dabei sein, wenn es gilt, die
Mitgliedsbeitraege zu kassieren. Fuer ihre aktive Unterstuetzung in den
letzten 32 Monaten oder so! Na, vielen Dank auch!
(Gerhard Ertl, KIV/UG /gek.)
*
Volltext:
http://www.kiv.at/servlet/ContentServer?pagename=Y01/Page/Index&n=Y01_0.2.a&cid=1361287950768
OGH-Urteil zu befristeten Vertrag zur Stadt Wien:
http://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Justiz/JJT_20121126_OGH0002_009OBA00102_12H0000_000/JJT_20121126_OGH0002_009OBA00102_12H0000_000.html
1) EUGH-Urteil vom 4. Juli 2006 zur Sache „aufeinander folgende befristete
Arbeitsvertraege im oeffentlichen Sektor“ bzw. der Richtlinie 1199/70/EG des
Rates vom 28. Juni 1999 (gilt seit Juli 2001 als nationales Recht) und
entsprechenden EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung ueber befristete
Arbeitsvertraege
2) Kommentar Gerda Heilegger in der infas 6/2006
3) Laut EU-Richtlinie muss bereits nach einer durchgaengigen
Befristungsdauer von 24 Monaten angenommen werden, dass ein dauerhafter
Bedarf des Dienstgebers fuer die Beschaeftigung existiert und waere eine
sachliche Rechtfertigung zu pruefen, bei sonstigem Uebergang in ein
unbefristetes Dienstverhaeltnis
4) woertlich zitiert aus der schriftlichen Bestaetigung meines Versuches zum
Dienstantritt