AKTIVE ARBEITSLOSE fordern eine parlamentarische Untersuchungskommission mit Einbeziehung der Betroffenenselbstorganisationen
(Wien/Graz, 30.5.2013) Unter dem Titel „Im AMS liegen öfter die Nerven
blank. 1400 Zwischenfälle bei Vorsprachen in einem Jahr“ berichtete die
Tageszeitung KURIER am 21.5.2013 über eine parlamentarische Anfrage, die
steigende Gewalt am AMS belegen soll. Auffallend an dieser
Berichterstattung ist, dass mit keinem Wort über die Ursachen der den
Arbeitslosen zugeschriebenen steigenden Aggressionen gefragt wird. Ohne
Kenntnis der wirklichen Ursachen kann aber der „Hotspot AMS“ nicht
entschärft werden.
Untersuchung „Würde statt Stress“ belegt: Massiver Druck auf Arbeitslose
Bereits das im Herbst 2010 von österreichischen Arbeitsloseninitiativen
selbst organisierte Gesundheitsprojekt „Würde statt Stress“ zeigte auf,
unter welch enormen Leidensdruck Arbeitslose in Österreich leben. Einer
Online-Umfrage zufolge fürchten sich nämlich 30% der Arbeitslosen vor
dem nächsten AMS-Termin und es bekommen 30% der Arbeitslosen
gesundheitliche Beschwerden, wenn sie einen AMS-Kurs machen müssen, den
sie nicht selbst ausgesucht haben. Auch aus zahlreichen gesammelten
Erfahrungsberichten und Rückmeldungen geht hervor, dass Arbeitslose
unter massiven Druck seitens des AMS und seiner Zwangsmaßnahmen leiden.
Bezeichnend war, dass das AMS auf Ansuchen um Unterstützung dieses
Pilotprojekts ursprünglich nicht reagierte und auch nach Abschluss des
Projekts keinerlei Interesse an dessen Ergebnisse zeigte. Obwohl
Arbeitslose zuvor Jahrzente lang in die Arbeitslosenversicherung
eingezahlt hatten und eigentlich die wirklichen AuftraggeberInnen sind,
werden diese weiter wie Unmündige behandelt.
Arbeitslose leiden unter mehrfacher struktureller Gewalt!
* Hauptübel ist das vom Parlament vorgegebene menschenrechtswidrige
Sanktionenregime, mit dem Arbeitslose andauernd bedroht werden: Jede
noch so kleine Verfehlung, oder auch nur die Behauptung einer solchen,
dient dem AMS als Vorwand sofort den AMS-Bezug zu sperren, ohne dass
zuvor der von diesem Existenzentzug betroffene Mensch zu den Vorwürfen
Stellung nehmen konnte. Die in der Verfassung stehende
Unschuldsvermutung gilt also nicht mehr für Arbeitslose!
* Arbeitslose sehen sich oft einer für sie undurchschaubaren Bürokratie
gegenüber und werden gar nicht, nur sehr unvollständig oder sogar falsch
über ihre Rechte aufgeklärt. Bei Problemen mit dem AMS gibt es keine
Verfahrenshilfe. Rechtsschutzversicherungen helfen oft nicht.
Arbeitslose erleben sich gegenüber der Bürokratie als ohnmächtig.
* Arbeitslose haben nach wie vor keine Interessensvertretung und können
auch nicht bei der Erstellung und Umsetzung der Arbeitsmarktpolitik
mitreden, obwohl die auch von Österreich unterzeichnete und als
Bundesgesetz veröffentliche ILO-Konvention 122 ein solches Recht
zugesteht. Abgehobene Politiker und vermeintliche ExpertInnen
entscheiden von oben herab, was gut sein soll für die Arbeitslosen.
* Arbeitslose haben keine Lobby und Arbeitsloseninitiativen und haben
nicht die Ressourcen, um die tagtäglichen Übergriffe des AMS gegen
Arbeitslose systematisch zu dokumentieren und auszuwerten. Die
strukturelle Gewalt gegen Arbeitslose bleibt so verborgen und wird von
der Politik nach wie vor schamlos geleugnet.
* Arbeitslose werden von Politik und Medien nicht als vollwertige
Menschen mit Rechten wahrgenommen. Arbeitslose kommen so gut wie nie
selbst zu Wort und werden aus der Öffentlichkeit verdrängt. Auch grosse
Teile der „Zivilgesellschaft“ ignorieren das Leid der Arbeitslosen.
Nicht wahrgenommen zu werden ist auch eine Form struktureller Gewalt.
Die SPÖ macht sozialrassistische Stimmung gegen Arbeitslose!
Bezeichnend für die doppelbödigen Zustände in Österreich ist, dass die
parlamentarische Anfrage an Sozialminister Hundstorfer, durch die
Arbeitslose offenbar als gewalttätig stigmatisiert werden sollen, nicht
von der eher rechtsextremen FPÖ stammt sondern vom SPÖ-Abgeordneten
Johann Maier, der auch Leiter der Abteilung für Konsumentenschutz der
Arbeiterkammer Salzburg ist und Vorstandsmitglied des Bundes
Sozialdemokratischer Freiheitskämpfer, Opfer des Faschismus und aktiver
Antifaschisten in Salzburg!
Damit outet sich die einstige Partei der Unterdrückten (der
ArbeiterInnen) als willfährige Gehilfin des auf Lüge und Gewalt
aufbauenden kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem. Die
SPÖ will offenbar von der seit dem Jahr 2000 auch in Österreich
herrschenden Massenarbeitslosigkeit ablenken. Die SPÖ hat über die
Betroffenen Menschen hinweg mit der AlVG-Novelle 2007, der repressiven
Mindestsicherung und der schikanösen Abschaffung des befristeten
Invaliditätspension ab 2014 das neoliberale Aktivierungs- und
Arbeitszwangregime verschärft.
Dies kann, wie aktuelle Fälle in Deutschland und in Großbrittannien
zeigen, sogar zur Vernichtung der „Überflüssigen“ durch Arbeitszwang
führen! Arme und Arbeitslose werden mitunter von der repressiven
Sozialbürokratie regelrecht in den Tod geschickt!
Damit verstärkt die SPÖ den Druck auf die von der Teilhabe an der
Gesellschaft mit Gewalt ausgeschlossenen Menschen Lohnarbeit um jeden
Preis anzunehmen, auch unter der Armutsschwelle und zu unmenschlichen
Bedingungen. Nicht die nach wie vor undemokratische und nur den
Gewinninteressen einer kleinen Minderheiten dienende Wirtschaft wird
verantwortlich für Arbeitslosigkeit gemacht, sondern die Arbeitslosen
selbst, die durch Zuschreibung von „Vermittlungshindernissen“
pathologisiert und diskriminiert werden.
Was die SPÖ offenbar nicht versteht: Diese repressive Politik richtet
sich nicht nur gegen arbeitslose ArbeitnehmerInnen, sondern gegen alle
ArbeitnehmerInnen, die so gezwungen werden, immer schlechtere Arbeits-
und Lebensbedingungen hinzunehmen obwohl die Gesellschaft als Ganzes
immer reicher wird!
Ob die SPÖ bewusst oder aus Unvermögen bei dieser Menschen verachtenden
Politik mit macht ist den betroffenen Menschen allerdings egal.
Sonderfall Wien: Sich organisieren bringts!
Obwohl gemeinhin ein erhöhtes Gewaltpotential in Großstädten zu
verzeichnen ist, werden laut Antwort des Sozialministeriums in Wien für
2012 nur 47 Zwischenfälle gemeldet, in Tirol hingegen 500. Das hat
unserer Meinung damit zu tun, dass in Wien gleich 3
Arbeitsloseninitiativen (Aktive Arbeitslose, AMSand und Zum alten
Eisen?) sich um die Rechte der Arbeitslosen kümmern und unabhängige
Beratung und Intervention anbieten, in Tirol Arbeitslose leider noch
keine eigene Organisation haben. Zudem konnte mit der neuen
Landesgeschäftsführerin des AMS Wien Frau Petra Draxl in einem ersten
Gespräch die Schaffung eines organisierten Forums vereinbart werden,
damit Arbeitslose endlich ein Gehör finden.
Arbeitslose, die um ihre Rechte wissen, zum Beispiel dass sie zu heiklen
Gesprächen eine Vertrauensperson (Rechtsbeistand oder Vertreter nach
AVG) mitnehmen dürfen, Betreuungsvereinbarungen beeinsprucht werden
können und auch nicht unterschrieben werden müssen, werden von den oft
überforderten AMS-MitarbeiterInnen gleich korrekter behandelt.
Gemeinsam die wirklichen Ursachen der Gewalt bekämpfen!
Ausbaden dürfen das auch die MitarbeiterInnen des AMS, die ja nicht
direkt für die Entrechtung der Arbeitslosen und für die zahllosen
planwirtschaftlich von oben herab verordneten AMS-Zwangsmaßnahmen
verantwortlich sind. Das AMS ist ja „nur“ die Oberfläche des repressiven
Systems. Die für die Repression verantwortlichen wirtschaftlichen und
politischen Kräfte bleiben den meisten Arbeitslosen und auch den an der
Repression mitwirkenden AMS-MitarbeiterInnen verborgen.
Um die wirklichen Ursachen der Gewalt am AMS offen zu legen, die sich
vor allem gegen Arbeitslose richtet, fordert der Verein Aktive
Arbeitslose daher die Einrichtung eines parlamentarischen
Untersuchungsausschusses unter Einbeziehung der Arbeitsloseninitiativen
und wirklich unabhängiger und kritischer ExpertInnen (z.B. von FORBA) um
endlich die verlogene Selbstbeweihräucherung und Problemverdrängung
durch die Regierung zu überwinden.
Weitere Informationen:
Im AMS liegen öfter die Nerven blank, KURIER 21.5.2013
http://kurier.at/chronik/oesterreich/gewalt-steigt-im-ams-liegen-oefter-die-nerven-blank/13.298.100
Servus Journal vom 22.5.2013, wo immerhin ein Arbeitslosenaktivist von
L.E.O. ganz kurz zu Wort kommt
http://www.servustv.com/cs/Satellite/Article/Servus-Journal-011259505636439
Servus TV goes L.E.O.
http://www.leo-koeln.org/index.php/arbeit-und-soziales/55-servus-tv-goes-l-e-o
Infos zum Gesundheitsprojekt „Würde statt Stress“
http://www.aktive-arbeitslose.at/wuerdestattstress/index.html
Aktuelle Todesfälle des neoliberalen Aktivierungs- und Arbeitszwangregimes:
Declared ‚fit to work’… dead nine days later: Double lung and heart
transplant patient passed away a week after her benefits were stopped
(28.5.2013)
Herzstillstand nach Arbeitszwang (16.5.2013)
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