Schon im Jahr 2004 lehnte apflug* in ihrer Wahlwerbung für die Personalvertretungswahl die Bildungsstandards (BIST) mit folgender Begründung ab: Die BIST würden die Ausgangsbedingungen der zu testenden SchülerInnen völlig außer Acht lassen und könnten somit nur hochgradig verzerrte Ergebnisse liefern.
Im Jahr 2012 schien dieses Argument widerlegt. Das BIFIE hatte nämlich, in weiser Umsicht, den Bildungsstandards den „fairen Vergleich“ zur Seite gestellt. Selbiger entsteht durch die Erhebung einer Vielzahl von sozioökonomischen Daten der getesteten SchülerInnen und dient dazu, die Ergebnisse der fachspezifischen Testung, anhand der unterschiedlichen Ausgangsvoraussetzungen der SchülerInnen, bzw. der Schulen zu relativieren. Auf Basis der sozioökonomischen Daten werden sogenannte Erwartungsbereiche ermittelt, die für die Interpretation der Ergebnisse der Bildungsstandards von entscheidender Bedeutung sind.
Dazu ein konstruiertes Beispiel:
Schule A erreicht ein Ergebnis von 673 Punkten, ihr Erwartungsbereich liegt bei 681 bis 701 Punkten.
Schule B schafft nur 567 Punkte, ihr Erwartungsbereich liegt allerdings bei 552 bis 532.
Korrekte Interpretation laut BIFIE: Schule B ist zwar im reinen Testungsergebnis klar schwächer als Schule A. Aber – und jetzt kommt’s – die Leistung von Schule B ist höher einzuschätzen, als die von Schule A. An Schule B wurde trotz relativ ungünstiger Voraussetzungen mehr erreicht, als zu erwarten war. An Schule A war es genau umgekehrt.
Sehr geehrtes BIFIE! Hut ab für diesen fairen Vergleich! Sogar die apflug muss anerkennen, dass dadurch die Ausgangsvoraussetzungen der getesteten SchülerInnen in hohem Maß miteinbezogen werden.
Nur leider, leider wird das nie jemand erfahren! Und zwar deshalb nicht, weil niemand von den Zuständigen in BMUKK und BIFIE auch nur im entferntesten daran denkt, die Zahlen zum fairen Vergleich zu veröffentlichen. Die apflug behält letzlich doch recht. Der faire Vergleich wird zwar aufwändig erhoben, danach aber geheim gehalten. Das heißt, es gibt ihn zwar, aber fast niemand darf wissen, wie er ausgefallen ist. Das BIFIE beschränkte sich darauf, die Existenz des Vergleichs zu bestätigen. Immerhin wurden die Wiener APS dahingehend getröstet, dass ihr Ergebnis im Erwartungsbereich liegt. (Das reine Testungsergebnis der Wiener APS war das mit Abstand schlechteste.)
Wofür wird der faire Vergleich überhaupt angestellt, wenn er, sobald er ermittelt ist, in den Kellern des Minoritenplatzes verschwindet? Offensichtlich soll er auschließlich als amtsinterne Zusatzinfo dienen. Auch in den Medien wurde er bestenfalls in Halbsätzen erwähnt. Resultat: Die Berichterstattung krallte sich am reinen Testungsergebnis fest und interpretierte munter aber sinnentleert an diesem herum.
Die Wiener APS LehrerInnen konnten aus den Medien und von Vorgesetzten erfahren, dass ihr Ergebnis katastrophal sei. Und zwar so katastrophal, dass gar nicht gesagt werden musste, wie katastrophal. Der Stadtschulrat hat sich dieser Meinung offenbar vollinhaltlich angeschlossen, und die LehrerInnen angewiesen, der angeblichen Katastrophe durch unablässiges Dauertesten zu Leibe zu rücken. Jeder bekannte Test – 15 an der Zahl – muss in Wien nachweislich durchgeführt werden.
Eine Strategie, der die Erfolgskrönung wohl versagt bleiben wird. Nur weil die SchülerInnen vermehrt üben, Testfragen zu beantworten, wird sich an der dem schlechten Testergebnis zugrundeliegenden Misere nichts ändern. Diese liegt nämlich eindeutig im sozialen Umfeld der SchülerInnen begründet und stellt eine unüberwindbare Schranke dar, die auch durch die optimalste Testungseinschulung nicht beseitigt werden kann.
Die Zahlen zum fairen Vergleich könnten interessante Aufschlüsse über die Beschaffenheit dieser Schranke liefern und zu einer völlig neuartigen Zielvorstellung führen, welche wie folgt lauten sollte: Wie kann erreicht werden, dass die horrende Benachteiligung die ihre Ausgangsbedingungen für Kinder aus bildungsfernen Verhältnissen bedeutet, nachhaltig verringert werden? Das Ziel wäre erreicht, wenn es beim fairen Vergleich nichts mehr zu vergleichen gäbe. Ob dann aufwändige, auf den kognitiven Bereich beschränkte Testungen noch von Interesse wären, soll dahingestellt bleiben.
Unter den herrschenden Bedingungen jedoch, ist es kaum verwunderlich, dass der faire Vergleich zur Verschlusssache wird. Erstens, weil echte Chancengleicheit vielerseits schlicht unerwünscht ist, und zweites, weil das BIFIE durch eine Veröffentlichung des fairen Vergleichs an dem Ast auf dem es sitzt, sägen könnte. Sollte sich nämlich heraustellen, dass die Ergebnissse der BIST zum Großteil im Erwartungsbereich liegen, wäre einmal mehr die Frage aufgeworfen, wie sinnvoll das geplante BIST-Testungsprogramm wirklich ist? Vor allem, wenn bedacht wird, welches Ausmaß an fehlgeleiteter, unnötiger Aufregung es auslöst, und wie hoch die Kosten für die Testungen sind. Sollen jedes Jahr Millionenbeträge aufgewendet werden, um festzustellen, dass die Ergebnisse der meisten Schulen ohnehin in ihrem Erwartungsbereich liegen? Wenn dies bei den BIST 2012 nicht der Fall war, gibt es eine einfache Methode, dieses zu beweisen: Auf den Tisch mit dem fairen Vergleich!
* apflug = Aktive PflichtschullehrerInnen – Unabhängige GewerkschafterInnen,
die Wiener APS-Gruppe der
ÖLI-UG = Österreichische LehrerInnen Initiative – Unabhängige GewerkschafterInnen für mehr Demokratie.