Anton Holberg: Rezension:,,Wolfgang Gehrke, Christiane Reymann (Hg.): Syrien – Wie man einen säkularen Staat zerstört und eine Gesellschaft islamisiert (PapyRossa Verlag)

Rezension:

Wolfgang Gehrke, Christiane Reymann (Hg.): Syrien – Wie man einen säkularen Staat zerstört und eine Gesellschaft islamisiert. (PapyRossa Verlag) Köln, 2013, S.187, € 9, 90

Die Lage in Syrien ist derart verfahren, dass nicht einmal die imperialistischen Mächte sich zu eindeutigen Schritten durchringen können. Der vorliegende Sammelband, in dem fünfzehn deutsche und arabische Autoren auch diesen Tatbestand im Einzelnen am Beispiel der Haltung der BRD, Israels und natürlich der USA sowie der alten regionalen Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien darlegen, ist eine willkommene Einführung in die Problematik Syriens und damit der Region. Sie ist umso willkommener als das Gros der hiesigen Tagespresse den Konflikt im Wesentlichen nur als einen zwischen dem „bösen“ diktatorischen mit den „bösen“ Mächten Iran und Hezbollah verbandelten Regime in Damaskus und den armen Opfern, die sich mit den unzureichenden Mitteln wehren müssen, darstellt. Bezeichnenderweise werden in diesem Zusammenhang syrische Stimmen, die sich gleichermaßen gegen das Regime wie gegen die perspektivlosen zerstörerischen Aktivitäten der bewaffneten Opposition und ihrer ausländischen Verbündeten und Drahtzieher positionieren, weitestgehend ignoriert. Im vorliegenden Band jedoch kommen sie ausdrücklich zu Wort.

Da natürlich auch der syrische Bürgerkrieg eine lange Vorgeschichte hat, beginnt das Buch mit zwei längeren Beiträgen eben dazu. Harri Grünberg bietet unter dem Titel „Aufstieg, Niedergang und Sturz des säkularen Arabischen Nationalismus“ einen historischen Abriss, der bereits mit dem Niedergang der arabisch-islamischen Hochkultur und Macht im ausgehenden Mittelalter beginnt. Dass die diesbezüglichen Thesen im Einzelnen zumindest strittig sein mögen, spielt allerdings für das Verständnis der Entwicklung seit Ende des 19. Jahrhunderts und insbesondere der Entwicklung seit Gründung des modernen Staates Syrien nach Ende des 1. Weltkrieges nur eine untergeordnete Rolle. Diese hier dargelegte Entwicklung des arabischen Nationalismus – auch in seiner vermeintlich „sozialistischen“ Form, wie er von der seit den 60er Jahren herrschende „Sozialistischen Partei der Arabischen Wiedergeburt“ (ASBP, Baath-Partei) propagiert wurde – erklärt die wesentlichen Gründe für das Fehlen einer progressiven Alternative und die immer deutlicher werdende Hegemonie islamistischer Kräfte innerhalb der Rebellion. Die Journalistin Karin Leukefeld konkretisiert in ihrem Beitrag die sozio-ökonomischen Bedingungen, die dazu geführt haben, dass die vor zwei Jahren ausgebrochene Revolte gegen Bashir al-Assad eine wesentlich größere Kraft entfalten konnte als Anfang der 80er Jahre der bewaffnete Aufstand gegen dessen Vater, Hafiz al-Assad. Jener Aufstand war bereits von der auch jetzt wieder im Oppositionslager führend vertretenen Muslimbruderschaft getragen gewesen, konnte aber in wenigen Monaten blutig niedergeschlagen werden. Dass wir es heute nicht nur mit der konservativen Muslimbruderschaft zu tun haben, sondern in wachsendem Maße mit terroristischen sunnitischen Jihadisten à la „Nusra Front“, ist wie A.C.Seifert im Kapitel “Erobert der Dschihad Syrien?“ nicht zuletzt auch Ergebnis der westlichen sogenannten „Antiterrorstrategie“. Westliche Geheimdienste zumindest setzen schon recht bald auf kampferfahrene Jihadisten. Spätestens seit ihrem Debakel in Afghanistan und dem Irak waren sie zwar mit diesen alles andere als glücklich, glaubten und glauben aber offensichtlich, bei ihrem Ziel, das Regime in Damaskus zumindest ernsthaft schwächen zu können, auf solche Kräfte nicht verzichten zu können. Allerdings deutet nichts darauf hin, dass diese Strategie zu einem Ergebnis führen könnte, dass den erklärten Zielen der imperialistischen „Freunde Syriens“ auf die Dauer auch genehm wäre – es sei denn, der wirkliche Zweck jenseits von Menschenrechts- und Demokratiegeschwafel wäre die langfristige staatliche und gesellschaftliche Zerstörung der gesamten Region. In die grundlegenden ideologischen Vorstellungen dieser fundamentalistischen islamischen Strömungen hatte zuvor bereits der Mamdouh Habashi, Gründungsmitglied der ‘Ägyptischen Sozialistischen Partei’ eingeführt und sich dabei insbesondere der 1928 in seinem Land gegründeten Muslimbruderschaft, der Mutter aller modernen sunnitisch-islamistischen Organisationen, gewidmet. Um die speziellen Rollen, die die Türkei und Israel in der Region und folglich der Syrien-Krise einnehmen, geht es in den Beiträgen von E.Crome bzw. K. Kulow während J.Bussemer die etwa gegenüber der Frankreichs und Großbritanniens vergleichweise vorsichtige Politik der Bundesregierung analysiert. Mit der Bundesrepublik beschäftigen sich auch die beiden Herausgeber des Sammelbandes, der PDL-MB Wolfgang Gehrke und die Politologin Christiane Reyman. Sie haben sich die undankbare Aufgabe vorgenommen, die Positionen dessen, was hierzulande landläufig unter Begriff „Die Linke“ läuft, zu analysieren und dabei beispielhaft die der Initiative „Adopt A Revolution“. Die Autoren kommen nach dem bislang schon Dargelegten sinnvollerweise zu dem Ergebnis, dass es für „Linke“ keine Veranlassung gebe, zwischen dem Regime und der real existierenden Opposition zu wählen, weil in der Tat keiner von beiden für Inhalte steht, mit der sich eine emanzipatorische Linke identifizieren könnte. Dass die Aktivitäten der verschiedenen staatlichen und nicht-staatlichen „Freunde Syriens“ überdies auch noch völkerrechtswidrig sind, hatte zuvor bereits der emeritierte Völkerrechtsprofessor Norman Paech dargelegt. An dieser Stelle sollte aber schon daran erinnert werden, dass Völkerrechtsfragen und Positionen der UNO, die von den Herausgebern ein bisschen zu ernst genommen werden, erfahrungsgemäß nicht viel praktische Bedeutung haben, es sei denn als Rechtfertigung für imperialistische Praktiken.

Der Band schließt mit Beiträgen verschiedener syrischer und anderer arabischer Beobachter und Aktivisten – darunter dem des Libanesen Issam Haddad über die kommunistische Bewegung in Syrien, dem des hier von Karin Leukefeld interviewten seit 30 Jahren im französischen Exil lebenden syrischen Arzt und Vorsitzenden der ‘Arabischen Kommission für Menschenrechte’, Haythem Manna, über das “Koordinationsbüro für nationalen Wandel“(NBC), dem der in Damaskus lebenden Ärztin Mouna Ghanem über die Rolle der syrischen Frauen, dem des in Syrien lebenden Schriftstellers Louay Hussein über die Frage einer möglichen Aufspaltung des Landes in konfessionelle Herrschaftsgebiete. Alle – sogar der bekannte christliche Oppositionelle Michel Kilo – lehnen nicht nur das Regime mehr oder weniger deutlich ab, sondern stehen auch der Entwicklung des zunehmend militarisierten Widerstands zumindest kritisch gegenüber. Ein „Who Is Who in der syrischen Politik“ und – wie mir scheint für die Praxis – leider (!) – ziemlich irrelevante – Dokumente wie Kofi Annans Sechs-Punkte-Plan, das „Genfer Kommuniqué“ der Syrien-Aktionsgruppe vom 30.6.2012 und die „Genfer Erklärung des gewaltfreien, demokratischen Opposition vom 12.Januar 2013 runden den Band ab.

Die Herausgeber und verschiedene Autoren aus dem Umfeld der ‘Partei DIE LINKE’ haben sichtlich keinen Hang zum Marxismus als Theorie des proletarischen Klassenkampfes, sondern zum kleinbürgerlichen Pazifismus. Sie tendieren deshalb dazu, den bewaffneten Kampf überhaupt zurückzuweisen, während es offensichtlich ist, dass dieser auf jeden Fall eine Voraussetzung dafür ist, das Regime, wenn nicht zu stürzen, dann doch zu ernsthaften Kompromissen zu zwingen. Diese Kritik ist allerdings in der realen syrischen Situation nicht weiter von Bedeutung, weil dem bewaffneten Kampf in Syrien auf Grund des Charakters seiner Träger (programmatisch konfuse “Säkularisten“ und “Demokraten“ und zunehmend konfessionell-sektiererische, offen antidemokratische, Reaktionäre) keinerlei realitätstaugliche fortschrittliche Perspektive innewohnt. Ein friedlicher Kompromiss, wie er in diesem Band angeregt wird, wäre angesichts dessen auf lange Zeit das Beste, auf das zu hoffen wäre. Die Chancen dafür sind allerdings minimal und dürften in erster Linie eine militärische Niederlage der Rebellion zur Voraussetzung haben.