Seit knapp einem Jahr kommt es immer wieder zu Razzien bei linken Zeitschriften, Verhaftungen, Annullierung von Aufenthaltsgenehmigungen, und sogar zu
Entführungsszenarien an revolutionärer Opposition aus der Türkei. Der 21-jährige Bulut Yayla, ein Student aus der Türkei, der sich für kostenlose Bildung
einsetzte und in der Türkei immer wieder mit Festnahmen, Misshandlung und polizeilicher Verfolgung konfrontiert war, wurde vor etwa einen halben Jahr,
nachdem er in Griechenland politisches Asyl beantragte, auf offener Straße entführt und illegal in die Türkei verschleppt.
Ein Komplott, mit dessen Hilfe er in den türkischen Medien als „Attentäter“ aufgezeigt wurde, der illegal aus dem Ausland in die Türkei eingereist sei.
(…)
Derzeit steht die Regierung in Athen einer neuen Probe gegenüber: 4 politische Gefangene aus der Türkei wehren sich seit 24. September mit einem unbefristeten Hungerstreik gegen ihre Auslieferung an die Türkei. Der Hungerstreik begann im Korydallos Gefängnis, zwei der Inhaftierten sollen an die Türkei zwei weitere an Deutschland und Frankreich ausgeliefert werden, wo ihnen nach türkischen Maßstäben ebenfalls jahrelange Haft droht.
Auf Anordnung der Staasanwaltschaft wurden Mehmet Yayla und Erdogan Cakir am 45. Tag ihres Hungerstreiks in das staatliche Krankenhaus Vula verlegt, um sie einer Zwangsernährung zu unterziehen. Hasan Biber und Ahmet Düzgün Yüksel wurden auf die gefängnisinterne Krankenstation verlegt.
Sinan Oktay Özen, ein weiterer Gefangener, befindet sich seit der Verlegung seiner Mitgefangenen im Hungerstreik, um gegen deren geplante Zwangsernährung zu protestieren.
Sein Widerstand beschränkt sich jedoch nicht auf die Nahrungsverweigerung, sondern er hat in seiner ZeIle eine Art „Infotisch“ aufgestellt und sammelt Unterschriften von seinen Mitgefangenen.
Ein sozialer Gefangener in Korydallos hat sich aus Solidarität den Forderungen der Hungerstreikenden bereit erklärt, Hasan Biber und Ahmet Düzgün Yüksel während ihres Streiks zu verpflegen und trat gestern Dienstag ebenfalls in einen Hungerstreik.
Nachdem sich der Zustand von Erdogan Cakir, der 36 Jahre lang als Arbeiter in Frankreich lebte, zunehmends verschlechterte, reisten seine beiden Töchter und seine Ehefrau nach Athen, um ihn im Krankenhaus zu besuchen. In einem Video riefen sie zur Solidarität auf, erklärten ihre Unterstützung für ihr Familienmitglied und unterstrichen die Legitimität seines jahrelangen politischen Kampfes. Sie sprachen sich klar gegen jegliche Intervention aus und forderten seine Freilassung und die Annullierung seiner geforderten Haftstrafe in Frankreich, welche sich rein auf legale politische Aktivitäten stüzt.
Auch die Lage von Mehmet Yayla, der seinen Hungerstreik nur zwei Tage unterbrochen hatte, nachdem die Auslieferung an die Türkei per Gerichtsbeschlus gestoppt wurde und diesen nun ebenfalls gegen eine mögliche Intervention wieder aufgenommen hatte, ist kritisch.
Die Ärzte im Krankenhaus zeigen bislang Respekt gegenüber der Entscheidung der Gefangenen und fragen, ob sie einen Eingriff befürworten. Die Polizei hingegen, die das Krankenzimmer ständig bewacht, versucht auf das Krankenpersonal Druck zu üben, um bei der geringsten Verschlechterung zu intervenieren.
Erdogan Cakir macht jedoch bei jedem Besuch seiner Anghehörigen deutlich: „Ich setze meinen Hungerstreik gegen die Auslieferungspolitik solange fort, bis man mich ausliefert. Selbst wenn es mich das Leben kosten sollte, werde meinen Widerstand fortsetzen“.
Die Ärzte im Vula Krankenhaus haben sich mittlerweile schriftlich entschieden gegen eine Zwangsbehandlung geäußert.
In einer Erklärung der Gewerkschaft des Gesundheitspersonals im N.Asklipiou Vula Krankenhaus hieß es:
„Am 7. November wurden während unseres Dienstes zwei von 4 Hungerstreikenden auf Anordnung der Staatsanwaltschaft zur Zwangsbehandlung in unser Krankenhaus eingewiesen.
Sie befinden sich derzeit in der Pathologischen Abteilung B. Jedoch erfuhren wir innerhalb kurzer Zeit, als wir mit
ihnen Kontakt aufgenommen haben, dass sie die Einweisung ins Krankenhaus ablehnten.
Desweiteren verweigern sie jegliche Behandlung und medizinische Intervention.
Zwei Warnungen:
1- Erdogan Cakir und Mehmet Yayla sind politische Migranten und sie sind im Hungestreik gegen den Auslieferungsbefehl des repressiven türkischen Staates, der ein Risiko für ihr Leben darstellt.
Alle 4 Personen stellen einen Antrag auf politisches Asyl. Ihr Kampf ist eindeutig ein politischer.
2-Im Bezug auf medizinischen Eingriff sind sowohl die Ärzte, als auch die KrankenpflegerInnen
ihren ethischen Regeln verpflichtet.
Das Prinzip dieser ethischen Regeln ist der Respekt gegenüber der Persönlichkeit und dem Wunsch der PatientInnen.
Mit anderen Worten, jedes Individuum hat das Recht, einen medizinischen Eingriff zu verweigern und dieses Recht darf den Personen nicht abgesprochen werden.
Aus diesen beiden Aspekten heraus, rufen wir auf, davon abzuweichen, die Verantwortung des Staates auf die Ärzteschaft, die KrankenpflegerInnen und das Krankenhauspersonal abzuwälzen. Es ist uns bewusst, dass man uns als Figuren in einem fiktiven Spiel benutzen will und man uns in einer Form beschuldigen wird, unsere Pflichten auf Wunsch des Patienten zu vernachlässigen oder zu verletzen.
Wir rufen den Staat auf, seiner Verantwortung nachzukommen und dieses politische Problem, dass unmittelbar mit dem Kampf des kurdischen Volkes verbunden ist, zu lösen.
10.11.2013
Vorstand des Vula Krankenhauses“