A&O, 13.3.2013: Antiimperialistisches internationales Plenum in der Stadthalle (mit Chaves u.a.)

Zur Erinnerung an Chávez´ und Morales´ Besuch in Wien möchten wir gern ein Protokoll über eine der denkwürdigen Veranstaltungen bringen, die damals in der Stadthalle stattfand. Aus diesem Protokoll spricht, glauben wir, auch noch heute, ja vielleicht heute mehr denn je, die Kraft und der Veränderungswille der bewußten und kämpfenden Teile der Bevölkerungen Lateinamerikas.

Ein ungeheurer Gegensatz zur Verfaultheit der hiesigen Bevölkerung – was sich auch in der kalt-routinierten Simulation von Bewegung seitens der kalten ModeratorInnen/VeranstalterInnen widerspiegelt. AuO

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 Un gran fracaso

Mit einer Kritik an der EU begann die Abschlußveranstaltung des Gegengipfels Enlazando Alternativas in der Stadthalle. Die neoliberalistische Konsolidierungspolitik der EU, die durch die Verfassung des kontinentalen Zentralstaats besiegelt werden sollte, wurde durch Volksbewegungen vereitelt. „Dank den Genossen in Frankreich und Holland können wir diesen Prozeß derzeit stoppen“ hieß es gleich zu Beginn. Ganz im französischen Geist wurde der Kampf „für öffentliche Dienste“ hervorgehoben, und ein deutliches „Nein zur Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen“ ausgesprochen, etwas folgenlos und abstrakt in dem Lande, das eben seine Post privatisiert und an die Börse gebracht hat, und im Zusammenhang damit wurden die Mobilisierungen gegen die Bolkestein-Direktive erwähnt, und von hier wurde von der österreichischen Sprecherin ein Bogen gezogen bis zur Unterstützung des Kampfes gegen den Flugplatz in Atenco und zum Kampf der Mapuche-Indígenas in Chile. Es ging auch gegen die Militarisierung  der Gesellschaft sowohl in Lateinamerika als auch in Europa, gegen den NAFTA und für politische bilaterale Kooperation, wie sie etwa zwischen Bolivien und Venezuela abgeschlossen wurde. Auf das Stichwort bilaterale Kooperation folgte ein erster kräftiger Applaus.

Die Legalisierung der Coca-Pflanze wurde gefordert, aber nicht für den Zweck – so wurde scharf betont – des Drogenkonsums. Für Kolumbien wurde, ganz und gar zivilistisch, eine gesellschaftliche Friedenslösung („paz con justicia social“)verlangt, aber was den offiziellen Gipfel betreffe, so sei er „durch und durch ein Mißerfolg gewesen“ (un gran fracaso).

Die auch von Chávez angepeilte wirtschaftliche Verbindung politischer Projekte in befreundeten Ländern wurde unter dem Stichwort otra integración (eine andere Integration) zusammengefasst und mit der bekannten Losung otro mundo es posible („eine andere Welt ist möglich“) zur Formel otra integración es posible, otro mundo es posible zusammengebracht und in der Folge mit complementaridad de las capacidades y conceptos de los pueblos erläutert: Dies sei, so hieß es etwas bieder, eine „Stärkung der Demokratie und der participicación“, letzteres allerdings ein Wort, das nicht nur etwa „Mitbestimmung“ im sozialdemokratischen Sinne bedeutet, sondern durchaus auch, im Kontext der neuen politischen Entwicklung in Lateinamerika, aktive Mitgestaltung der Politik. Der Terminus ist etwas aktiver als die bloße Mitbestimmung. Integration jedoch ist ein Wort, das, besonders im Rahmen sozialdemokratischen Politik, noch wesentlich doppeldeutiger ist: Integration bedeutet politische Vereinnahmung. Diese Bedeutung halten sie auf alle Fälle auf Lager. Ein solches Oszillieren zwischen systemkonformem Reformismus und weit ausladender (und unverbindlicher) Hoffnungsrhetorik zeichnete die Reden der offiziellen europäischen Referentinnen aus. Die kühl und schnell formulierenden Frauen hatten etwas von flotten und modernen Fernsehsprecherinnen.

„Daß da ein gewaltiger Unterschied besteht zwischen den Organisatoren der Linken in Europa und denen in Lateinamerika, das konnte man eindeutig bei der Abschlußveranstaltung des alternativen Gipfels merken, die Samstag stattfand“ bemerkt auch Roberto Sarti  von der italienischen Sektion von Hände weg von Venezuela (1)

 „Während die Vertreter der Zivilgesellschaft unseres Kontinents sich in langen Reden über Integration und Solidarität ergingen, ohne jeglichen konkreten Inhalt, war bei den Teilnehmern aus Lateinamerika deutlich der frische Wind der Revolution zu spüren, der über den ganzen Kontinent weht“ (1)

Organisatorin der Abschlußveranstaltung war die Alianza Social Continental, ein Zusammenschluß von zahlreichen sehr relevanten zivilgesellschaftlichen Organisationen hauptsächlich in Lateinamerika (2).

Aber dann kam eindeutig eine Stellungnahme für Evo Morales: „Wir begrüßen die neuesten Maßnahmen nämlich die in Bolivien. … Das bedeutet, dass diese Ressourcen der Bevölkerung zurückgegeben werden.“ (Darauf er kam von Publikum der bisher stärkste Applaus! Alle standen auf und beglückwünschten den anwesenden Morales.)

Vivan los pueblos unidos! Es lebe die Solidarität! Sagte eine Veranstalterin mit Routine.

Il n´y a pas de souveraineté sans souveraineté alimentaire!

 José Bové: Im Namen der Confédération Paysanne und der Via Campesina möchte ich die Präsidenten von Venezuela und Bolivien begrüßen. Ich möchte ihnen die Solidarität aller Bauern der Welt zum Ausdruck bringen. Wir sind hier nicht nur, um über Solidarität zu sprechen, sondern um zusammen zu kämpfen. Wir beteiligen uns alle am selben Kampf, wir wollen das Wirtschaftssystem der Welt ändern.. Wir sind hier, um die Kräfteverhältnisse zu ändern. Wir traten in Hongkong gegen den WTO auf, wir müssen darauf hinarbeiten, die nächsten Verhandlungen des WTO zum Scheitern zu bringen. Wenn Kuba, Venezuela und Bolivien aus den Verträgen mit der WTO aussteigen, …  dann können wir siegen. Ich möchte aber, dass jedem hier klar ist, dass die Kämpfe in ihren Ländern harte Kämpfe sind und daß sie die Mobilisierung aller brauchen. Diese Kämpfe gehen von einer fundamentalen Forderung aus nämlich der, sich selbst ernähren zu können. Das nennt man souveraineté alimentaire (Ernährungssouveränität). Es gibt keine Souveränität ohne Ernährungssouveränität (4), daher muß die Ernährungssouveränität als Menschenrecht anerkannt werden. Zum Schluß möchte ich feststellen, dass das Symbol der Sozialforen das Coca-Blatt ist.

Das Coca-Blatt ist nicht nur eine Pflanze, die für die Gesundheit wichtig ist, sondern sie ist ein kulturelles und geistiges Symbol der Andenvölker. Wenn also dieses Forum die Entkriminalisierung verlangt, dann muß festgestellt werden, dass die Coca-Pflanze kein Narcoticum ist, sondern ein Symbol für die Völker Lateinamerikas. Ich werde daher an alle Teilnehmer dieses Podiums einige Coca-Blätter verteilen, und wir werden hier zusammen das Coca genießen (knabber).

 Proyectos populares

 João Pedro Stédile vom MST, der brasilianischen Landlosenbewegung (4):

Ich möchte zuallererst hier den Delegierten Kubas begrüßen. Wenn Kuba nicht 40 Jahre lang Widerstand geleistet hätte, gäbe es keinen Chávez und keinen Morales. Kuba hat, seinen politischen Prinzipien treu, 40 Jahre lang in der unmittelbaren Nähe des Ungeheuers Widerstand geleistet. Chávez, du bist eine Pipeline, die die Energie des alten Fidel zu uns hertransportiert. Danke für deinen Mut, mit dem du dich gegen die Häme der Bourgeoisie verteidigst.. Wir müssen unsere eigenen autonomen Medien schaffen, wie es in Venezuela der Fall ist, und das Wesentliche: die gegenseitige Integration der pueblos, das ist die eigentliche Integration, die wir wollen.

An den Führer der Bauernbewegung von Bolivien, im Namen von mehr als 100 sozialen Bewegungen Brasiliens: Das Volk Brasiliens begrüßt die Nationalisierung der Petrobras (der Brasilianischen Erdölgesellschaft, AuO) in Bolivien. Wir hoffen dass bald eine radikale Agrarreform folgen wird, besonders der Großgrundbesitz der Brasilianer in Bolivien müssen davon betroffen werden.

An dem Tag, an dem die brasilianischen Großgrundbesitzer enteignet werden, braucht es kein Heer mehr, dann kann man die Sem Terra von Brasilien entwaffnen.

Unseren Genossen, die einige Regierungsposten innehaben, möchte ich einige Überlegungen mitteilen. In den letzten 15 Jahren sind die Linkskräfte zurückgegangen. Die europäischen Multis sind zu den neuen imperialistischen Machtfaktoren geworden, in der selben Zeit sehen wir einen Rückfluß der Massenbewegung. Jetzt gibt es neue Hoffnungszeichen. Die Völker beginnen, von neuem zu reagieren. Hier ist besonders der Sieg des Nein in Frankreich und Holland hervorzuheben.

Aber Achtung Genossen: Positive Wahlresultate reichen nicht hin, um gegen den Imperialismus Widerstand zu leisten. Wir dürfen uns nicht in Feierlichkeiten verzetteln und den Kontakt zum realen Leben verlieren. Denn letzten Endes werden wir auch mit progressiven Regierungen, aber ohne eine von unten mobilisierte Bevölkerung, keinen Erfolg haben. …

In Lateinamerika hatten wir 20 Jahre lang Militärdiktaturen, in denen viele Genossen ihr Leben verloren. Wir haben eine ganze Generation verloren, und jetzt, wo sich der Wind wieder dreht, muß die Gelegenheit ergriffen werden, Militante und Kader auszubilden. Zusammen mit dem Volk müssen proyectos populares aufgebaut werden. Jetzt gilt es, eine internationalistische antiimperialistische Front aufzubauen. Das ist eine Etappe, ein Kampf, an dessen Ende die Zerschlagung des internationalen Kapitals steht.“

  El comandante de los humildes

„Der Vizepräsident des Kubanischen Staatsrates, Mr Carlos Lage“ (es klang

wie Lejo) wurde jetzt angekündigt (5)

Lage: „Es lebe Evo Morales, es lebe Chávez, comandante de América! (6)Gruß
und Umarmung vom kubanischen Volk. Gestern hieß es, hier werde heute der
Parallelgipfel zu Ende gehen. das stimmt nicht. DAS ist
der Gipfel!  Der andere ist der Parallelgipfel. Der andere führt zu nichts. …“

Zur angekündigten Strategie des bürgerlichen Gipfels meinte er: „Es gibt
keine bürgerliche Strategie. Was ist denn die Strategie Europas? Das ist
nichts als eine zweite USA. .. Die Blockade gegen Kuba dauert nun schon länger
als 45 Jahre. Das ist eine der kriminellsten Aktionen der Geschichte..
Führende Politiker Kubas dürfen sich nicht in die
europäischen Botschaften begeben. Der Kulturaustausch wurde uns verboten. Es
findet kein Austausch von hohen Funktionären statt, und nicht von Ministern.
Aber am gravierendsten sind die Sanktionen, ist die Doppelmoral.
Mit was für einer Berechtigung verhängt Europa gegen Kuba Sanktionen?

Es ist dieselbe Willkür wie die Nordamerikas, das im Irak 10.000 Tote
verursacht hat. Das einzige Ziel dieses Kriegs ist die Aneignung der
Erdölvorräte.

Dagegen gibt es keine Sanktionen! Es gibt auch Länder, die ihre Territorien
und ihre Flughäfen für diesen Krieg zur Verfügung gestellt haben.

Auf europäischem Territorium wurde auch gefoltert. Dann gibt es auch die
Sanktionen gegen Palästina, ein Volk, daß immerhin bei Mehrparteienwahlen –
dieses Modell wird ja von den Europäern aufgezwungen – einen Sieg errungen
hat. Mit welcher Berechtigung verhängt Europa hier Sanktionen?.

Die Vereinigten Staaten sind das einzige Land, wo die Atomkraft gegen die
Zivilbevölkerung eingesetzt wird.

Dieses Europa ist für einen Krieg der Vereinigten Staaten gegen den Irak,
auch gegen den Iran, gegen die Völker der Welt mitverantwortlich.

Zu den fünf kubanischen Gefangenen haben die Regierungen Europas kein Wort
gesagt.

Der gefährlichste Terrorist der Welt, Posada Carriles, kam aus einem
venezolanischen Gefängnis frei. In Panama versuchte er einen Anschlag auf
Fidel Castro. Er verbrachte Jahre geschützt und sicher in den Vereinigten
Staaten. Venezuela verlangte seine Auslieferung, darauf kam keine Antwort.

Mit was für einem Recht wollen solche Leute Sanktionen gegen Kuba verhängen?

Die Zeitschrift Forbes behauptete, Fidel sei einer der reichsten Männer der
Welt und reihte ihn an die 7. Stelle. Das wurde von den europäischen
Zeitungen übernommen.

Fidel ist der comandante de los umildes (7) del mundo. Das kubanische Volk

konnte auch mit Hilfe eure Solidarität Widerstand leisten.

In der período especial (8) sagte Fidel: Das Programm ist resistir (Widerstand leisten, überleben), dann können wir siegen…“

Und er erinnert sich: „Fidel traf Morales in den bolivianischen Anden. Chávez war damals im Gefängnis. Er kannte sie nicht.  Aber sie sind hier jetzt neben der kubanischen Revolution, Evo y Chávez  Wir sind für eure Verstaatlichung, das ist ein Recht des bolivianischen Volkes, wir sind für die bolivianische Revolution. Wir versprechen euch unsere unbedingte Solidarität, nuestro sangre. Es lebe Fidel, patria o muerte! Venceremos!”

 Mandar obedeciendo

 Nun kommt Evo Morales. Evo widerlegt auch die lancierte „Meinung“, alle lateinamerikanische Rhetorik – im Sinn einer Kunst der politischen Rede (die hierzulande unbekannt ist) – sei aus demselben Holz geschnitzt und  habe durchgehend den Charakter eines Fanals, eines Wasserfalls, eines Sturzbaches. Es gibt bei ihm ein Zögern, ein Sich-ein-wenig-Zurücknehmen, es werden Gedanken angerissen. Das wird ihm von der bürgerlichen Pressen prompt als rhetorische Fahlheit angekreidet, eben der selben Presse, die sonst gerne den offensiven und weitausladenden lebendigen Strom der Kunst der lateinamerikanischen Rede, mit Vorliebe am Beispiel Castros, lächerlichmacht und als hohle Rhetorik zu verunglimpfen versucht.  Es gibt nicht nur eine große Artenvielfalt, sondern auch eine große Sprachenvielfalt in América.

Evo: Liebe Genossen, ich komme von euch her, ich bin ein Teil von euch. (Anm. AuO: Was man von Gusenbauer nicht sagen kann), der Bewegung der europäischen Märsche (dies ist wohl mit Leo Gabriel und Rousseau akkordiert, AuO), der Streiks. Niemand von den indigenen Völkern hatte sich im entferntesten vorgestellt, daß sie eines Tages hierher kommen würden. Da eine permanente Auseinandersetzung stattfand  in den Volksbewegungen, auch mit der Mittelschicht und den Intellektuellen, entwickelte sich eine Volksbewegung hin zu einer Wahlbewegung. Es war das Bewusstsein des Volkes, ich kann gar nicht glauben, dass wir nun auf derselben Ebene angelangt sind wie Fidel. …

Im Jahre 95 war ich von NGOs eingeladen. damals war es noch schwierig, über das Cocablatt zu sprechen. Einige Journalisten warnten mich: Sprich darüber nicht, sie werden dich verhaften. (Aber ich meinte:) Wenn sie mich verhaften, ist es nur gut für das Coca-Blatt. …

Das haben wir von Marcos gelernt: Mandar obedeciendo (9)“

Und darauf sagte er etwas auch für Europa Wichtiges: Hay que acabar con el sectarismo! (Mit dem Sektierertum muß es aufhören!)(10).Ich spüre jetzt, dass die sozialen Bewegungen über den politischen Linksparteien stehen.

(Zur von Stédile angesprochenen Agrarreform 🙂  Es ist auch entscheidend, wann und wie!“ ..

Zur indigenen Frage: „ Es  hat eine Kulturrevolution gegeben, die es ermöglichte, dass Qechuas in entscheidende Positionen kamen. Die indígenas und die ganze Bevölkerung muß zur Macht kommen. Ich hoffe, dass sich jetzt Bereiche der Mittelschicht und der Intellektuellen unserer Sache anschließen. Früher haben wir geweint vor Schmerz wegen dem, was sie uns angetan haben, heute weinen die Leute vor Freude. …  Unsere Regierung ist vollkommen verschieden von Kuba und von Venezuela. Wir kommen von den sozialen Bewegungen. …

Ich brauche eure permanente Kontrolle. Mit eurer Beihilfe, Genosse Bové, Genosse Stédile, will ich mich einer ständigen Kritik unterziehen. Ihr müsst mithelfen, mich zu kritisieren, dass ich mein Land gut verwalte. Vielen Dank!

 Poder

 Chávez:ALCA al carajo!” (Auf den Misthaufen mit dem ALCA! (11)), damit begann Chávez und teilte mit, er habe gerade mit Lula gesprochen, der ihn gebeten habe, alle zu grüßen. …  „Mandar obedieciendo, das scheint mir eine großartige Losung für revolutionäre Regierungen zu sein. Wir sind kein Präsident, cumplimos una tarea, wir führen einen Auftrag durch. Evo, Hugo, Fidel, wir sind das, was wir sind (12). …  Es ist notwendig, dass wir heute die Vereinigten Staaten mit Namen und Adresse angreifen, das Imperium. Es gibt Leute, die sagen, man müsse auch die kleinste Konfrontation vermeiden. Wir sagen dazu: Nein! Wir müssen die Konfrontation suchen. Ich glaube, dass jetzt die Stunde des Niedergangs des nordamerikanischen Imperiums gekommen ist. In diesem Jahrhundert muß dieses Imperium zurückgedrängt und neutralisiert werden. Das nordamerikanische Volk lebt heute in einer Diktatur.“ Zur Abhöraffaire: „14 Millionen Personen sind  zu Verbrechern gemacht worden. Es gibt kein einziges Land in Lateinamerika, das (während der Zeit des Kalten Krieges, AuO) vom Schmutzigen Krieg Nordamerikas verschont blieb. Bolívar war mit seinen Ideen der Vorläufer des Antiimperialismus, pensador precursor del antiimperialismo. Bereits 1825 prophezeite er: Die Vereinigten Staaten scheinen dazu vorbestimmt zu sein, América im Namen der Freiheit mit Wunden zu übersähen! … Der Vierte Weltkrieg wird der Schrecklichste sein, und es hat sich ein Genozidstaat gebildet, eben jetzt fallen Bomben auf Bagdad und auf Basra. Raus mit den Gringos aus dem Irak! … Das Imperium ist ein Papiertiger. Wir müssen es  behandeln, wie es ihm gebührt : Es gehört in den Abfall!.“ Zu Evo: “Evo ist ein unmittelbarer Nachfahre der Inkas. …“ Daraufhin lobt er das Inkareich. „ In América entstand der Sozialismus. América muß wieder zum Sozialismus gelangen. Heute sterbe ich, aber eines Tages werde ich wiederkehren. … Sie können uns nicht einschüchtern. No nos asustan! Sollten die Vereinigten Staaten in Kuba oder Venezuela einfallen, dann beginnt hier ein 200jähriger Krieg.

Wenn wir eines Tages unser Leben verlieren sollten, in der Karibik, in der Sierra Maestra, wo dein Vater starb, Aleida (gerichtet an die anwesende Tochter von Che Guevara, AuO), der der Vater von uns allen ist, dann werden sie es nicht mit uns aufnehmen können, ebenso wenig wie sie es mit dem irakischen Volk aufnehmen können. Es lebe der irakische Widerstand!„ (Das Publikum klatscht  einigermaßen kräftig, aber nicht allzu kräftig)“

In der Folge kommt eine unmittelbare Kritik eines bewegungserfahrenen Kritikers zur Sprache. Sie richtete sich skeptisch gegen eine gewisse Verselbständigung von „Treffen, Foren“, die „oft wochenlang dauern“, „eine Art von politischem Tourismus“.    „Wenn es dabei bleibt, mit mir nicht, wir müssen kämpfen! Es müssen konkrete Kämpfe sein! Eine andere Welt ist möglich. Aber nur, wenn wir sie selbst ermöglichen. Sie wird nicht vom Stern von Betlehem oder von Nostradamus geschaffen werden. Ich glaube nicht, dass ich jetzt übertreibe. Ein neuer Sozialismus, ein Sozialismus des 21. Jahrhunderts! Wir dürfen das Imperium nicht unterschätzen, sollten es aber auch nicht überschätzen“. Und er bringt ein interessantes Beispiel aus der Geschichte. „Die Alliierten waren bei Tripolis wie gelähmt, weil Rommel als unbesiegbar galt. Aber das Imperium hat 700 Millionen Dollar Defizit, und wir selbst sollten uns, wie Mao Tse Tung sagte,  in Tiger aus Stahl verwandeln.“

Stédile erwähnt dazu, dass die Via Campesina in 27 Ländern organisiert ist. In Lateinamerika ist eine Schule gegründet worden, in der 500 Agronomen jährlich ausgebildet werden.

Chávez: „Wenn die Kanaille dir Beifall spendet, hast du was falsch gemacht. …

Ich sage es oft den Jüngsten: Lest, sooft ihr könnt, lest, forscht, lernt, wir müssen alle ständig Lernende sein, wir müssen unaufhörlich diskutieren, aber alles muß begleitet sein von Aktionen. Wir müssen uns als brennende Fackeln fühlen (häufiges Bild in Lateinamerika, AuO). Wir müssen alle auch bereit sein, für dieses Bewusstsein zu sterben. Viele, viele haben dieses Bewusstsein nicht, kümmern wir uns um sie! Wir müssen nur Multiplikatoren dieses Bewußtseins sein. Wir sind die Brandstifter!“

Und er bringt ein Beispiel aus der eigenen Geschichte: “Wir haben mitten im offiziellen, etablierten Heer ein Rebellenheer gegründet, wir haben einen Aufstand gemacht. … Aus dem Bewusstsein kommt der Wille. In die Berge zu gehen, wie Che, ist nicht leicht, aber dazu brauchen wir das Bewusstsein. Zusätzlich zum Willen und zum Bewußtsein gibt es noch ein Drittes, die Entscheidung, an einem Projekt mitzuwirken, an einem revolutionären Projekt . Bilden wir eine gewaltige Bewegung, mit der ein revolutionäres Projekt aufgebaut werden soll, und ein solches Projekt kann nur ein internationales sein (enormer Applaus). Es kennt keine Grenzen. Es wird nicht von oben her gemacht, es wird von unten gemacht.

Wir müssen uns fragen: was sind die Ziele? Wohin gehen wir? Politik, Strategie und Macht, el triángulo de la victoria. Es gibt poderes locales (Hegemonie oder Macht auf lokaler Ebene), es gibt el poder de Venezuela, und el poder convocatorio (die Macht der organisatorischen Kapazität), wirtschaftliche Macht, poder de la tierra (id est: die Aneignung des Grundbesitzes durch die Bevölkerung selbst; er zeigt auf Stédile), die Macht, die auf den Produktionsmitteln beruht, schließlich die Kommunikationstechnologie. All dies muß aufgebaut werden auf dem Weg zu einem neuen Sozialismus.

Seht uns als eine von vielen sozialen Bewegungen! Wir haben eine große Verantwortung, und die Macht, über die wir verfügen können, die müssen wir in den Dienst dieser Sache stellen. Wir wollen nicht drängen und Einfluß nehmen auf eure demokratischen Entscheidungsprozesse.“ Und er insistiert auf der Zentralität durchgreifenden politischen Handelns, um sogleich wieder zu einem politischen Vorschlag zurückzukommen. …  Schildert den Ankauf von argentinischen Staatsanleihen, wodurch die Abhängigkeit Argentiniens vom Weltwährungsfonds gemildert werden konnte. „Wir investieren nicht in den Vereinigten Staaten, sondern wir ziehen unser letztes Geld aus den Vereinigten Staaten ab, und mit diesem Geld geben wir Bolivien Kredite. .Die Coca-Pflanze ist gut für Coca Cola, aber schlecht für die indígenas; aber es gibt Coca-Brot, Coca-Tee, Coca-Zahnpasta. …

 Nun: Mein Vorschlag wäre die Ausarbeitung eines gemeinsamen Projekts, einer gemeinsamen Zielsetzung. Dazu ist  etwa erforderlich, daß Via Campesina mit den Jugendbewegungen in Europa vernetzt wird.

Wir müssen ein Projekt entwerfen das geeignet ist, die imperialistische Bastion zurückzudrängen. Dazu gehören Arbeitskreise mit Repräsentanten der Bewegungen, Bauernbildungsanstalten, Arbeit mit selbstverwalteten Betrieben. Vernetzen wir sie miteinander. Ein Beispiel: Uruguay. Es gibt die  Banco de Desarrollo Económico y Social (frei und sinngemäß: Bank für sozialen und wirtschaftlichen Aufbau). Sie vergibt zinslose Kredite, oder Kredite zu sehr niedrigen Zinsen. Dadurch wird etwa die Wasserversorgung von Familien in den Bergen finanziert. .. Eine Tages wird es eine Südamerikanische Bank geben, mit der weitere Projekte finanziert werden können.  Das bedeutet, dass auch Mexiko dabei sein wird. Für uns beginnt Südamerika beim Río Bravo.“ Und er schildert den politisch-wirtschaftlichen Austausch mit Kuba, der gegen den Widerstand Nordamerika verwirklicht wurde: „Erdöl gegen Medikamente. 20.000 kubanische Ärzte sind in Venezuela, sie werden in die Armenviertel geschickt. Ich weiß nicht, wo Fidel das alles herkriegt. 600 Tomographen werden installiert.  In den Vereinigten Staaten gibt es nur 100, in Brasilien 2. Alles vollkommen gratis.

In Uruguay ist eine Energiekrise. Uruguay zahlt mit Fertignahrung. Das bedeutet Arbeit für Uruguay. Uruguay und Argentinien schicken uns ausgezeichnete Kühe. Das bedeutet Milch für die Armen. Das nennen wir den Wirtschaftsvertrag der Völker, Tratado de Comercio de los pueblos. Bolivien wird dadurch aber den Sojamarkt an Kolumbien verlieren. In Bolivien sind die meisten Bauern Kleinbauern. Wir sagen: All das Soja, was ihr produziert, werden wir kaufen, Kuba und Venezuela. Wir werden es verarbeiten, zu Sojabrot. Wir kämpfen gegen den ALCA, wir kämpfen gegen den Neoliberalismus, alle Importzölle werden abgeschafft werden. Dazu ist ALBA die Alternative (13).

 Das Handelsvolumen zwischen Kuba und Venezuela betrug 200 Millionen Dollar. Nach dem ALBA stieg es auf  2 Milliarden Dollar.

Wir könnten dieses Projekt erweitern und jetzt ein weiteres mit dem MST abschließen. Statt dass wir von den kapitalistischen Mittelsmännern kaufen, können wir direkt vom MST kaufen. Und nun machen wir der europäischen Bewegung einen Vorschlag: Wir haben ein Energieunternehmen in den Vereinigten Staaten, an 14.000 Tankstellen verkaufen wir Treibstoff. Wir denken, dass wir soziale Bewegungen in den Vereinigten Staaten unterstützen können: ein Prozentsatz des Erlöses soll gratis als Heizmaterial an soziale Organisationen verteilt werden, an religiöse Organisationen, Altersheime, Immigranten, Organisationen von Armen. Die Behörden der Vereinigten Staaten hatten sich nicht im mindesten vorgestellt, daß wir so etwas machen würden.

Wir möchten von euch eure Hilfe! Wir wollen in Europa dasselbe machen. Venezuela hat eine Raffinerie in Deutschland: Ruhröl.  Ein Teil davon ist venezolanisch. Eine Raffinerie ist in Brandenburg, eine in England. Wir möchten den Leuten, die die Ärmsten sind und die sich keine Heizung leisten  können, helfen. Die venezolanischen Botschaften werden das in die Hand nehmen. Ihr könnt uns sehr viel helfen. Mit einem Körnchen von unserer Energie und einem Körnchen von unserer Seele können wir zur Veränderung der Welt beitragen.

 Um schließlich das Imperium zu neutralisieren, seine Aggression zu stoppen und seinen Zerfall zu beschleunigen.

(1)   Roberto Sarti: Migliaia di persone a Vienna applaudonoHugo Chávez, Falce e martello, 14. 5. 2006 http://www.marxismo.net/content/view/1925/106/

(2)   Siehe: http://www.asc-hsa.org/ Dort sind die Organisationen ausführlich aufgelistet.

(3)   Die politische Selbstbestimmung eines Landes über seine Nahrungsmittelproduktion und -versorgung. Der Text der Via Campesina zur Ernährungssouveränität wurde auf dem Sozialforum von Porto Alegre verteilt:  http://www.abcburkina.net/vu_vu/vu_6.htm

(4): Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra (wörtlich: Bewegung der landlosen Agrararbeiter)

(5) Einen Vertreter der kubanischen Revolution mit Mister zu bezeichnen, ist

schon eigenartig. Für die Dame gilt offensichtlich die internationale

bürgerliche Kongreß-Titulierpraxis. Was spielen sich da für Mechanismen in

dem Hirn der Diseuse ab?

(6) Das sind Begrifflichkeiten, die sich an sich schon nicht auf die

europäische Vorstellungswelt übertragen lassen und außerdem noch durch die
inertie der kleinbürgerlichen Rezipienten unerträglich verwässert werden.
Vielleicht ist nicht sehr bekannt, was América bedeutet; auch die ironische
Brechung des „subcomandante“ bei Marcos haben nicht alle Hiesigen
verstanden.

(7) der Armen, der Ausgestoßenen, der unteren Klassen

(8) Periode der erzwungenen wirtschaftlichen Sondermaßnahmen nach der Liquidierung der Sowjetunion

(9) Frei und gerafft zusammengefasst: Die kollektiven Entscheidungen der Basis in der Leitung umsetzen.

(10) Auf die Chávez-Politik gemünzt , ist der Spruch ambivalent, er bedeutet einerseits die notwendige Konvergenz der Kräfte, weist andererseits auch auf die autoritäre Ausgliederung wesentlicher Basisimpulse aus der Monopol-Generallinie der Chávez-Regierung. Wir stellen uns wohl alle auf die Seite der Chávez-Regierung gegen das US-Imperium; die (solidarische oder skeptische) interne differenzierte Kritik an der Alltagspraxis der Regierung sollte nie unterschlagen werden, kann hier aber nicht ausführlich entwickelt werden. Vgl. dazu u. a. das Kapitel „Errungenschaften und Grenzen des bolivarischen Prozesses“ in der hervorragenden Broschüre „Für eine sozialistische Revolution in Venezuela“ in der Schriftenreihe „Marxismus“, Mai 2006, Wien, agm@agmarxismus.net.

(11) ALCA: Angepeilter hyperliberalisierter Raum zwischen 34 südamerikanischen Staaten und den USA

(12)Dazu fallen mir folgende Verse Ruben Daríos ein: Yo soy en Dio lo que soy/ y mi ser es voluntad/que, perseverando hoy,/existe en la eternidad.

 (13) ALBA: Alternativa Bolivariana para la América, ein Konzept politischen und solidarischen Wirtschaftens und zur Verstärkung der lateinamerikanischen Solidarität und Identität

Aug und Ohr

Gegeninformationsinitiative

Anmerkung: Der Text wurde nach einer stenographischen Übersetzung verfasst und bietet nur eine Auswahl der prägnantesten Äußerungen, erhebt keineswegs Anspruch auf Vollständigkeit.