Erstarrte Post-Anarchisten.
Auf der Kundgebung von „Solidarität für Alle“ waren etwa 60 Leute versammelt, ein Großteil von ihnen aus dem anarchistisch-antiautoritären Lager (dessen Komponenten sich wohl kaum sonst an Demonstrationen und Kundgebungen beteiligen, die internationalen Themen gelten (Türkei, Iran, Ägypten etc.) und die, in Wien, zum großen Teil antikommunistisch ausgerichtet sind. Ein aus Deutschland importierte Trotzkistenhaß kursiert dort immer wieder.
Daneben waren auch einige Vertreter hiesiger griechischer Organisationen, von denen ich einen Verein Griechischer Studenten ausmachen konnte. Einen ihrer Repräsentanten habe ich befragt, ob es hier in Wien, ebenso wie in Berlin oder Frankfurt, offizielle Organisationen der griechischen Gemeinde gibt, bei denen sich nach internen Wahlen die bisherige konservative Ausrichtung nach links verschoben hat, sodaß ein Großteil der Stimmen nun etwa bei Syriza liegt.
Ich hatte selbst bei griechischen Wiener Vereinen im Internet recherchiert und überhaupt nichts Politisches gefunden. Andererseits gibt es ein großes, nach den „alten“, den Zeiten des alten Papandreou nostalgisches Kontingent hier, das etwa bei tränenreichen antifaschistischen Veranstaltungen im Volkstheater das ganze Rote Foyer (oder wie das heißt) ausfüllen kann, wobei antifaschistische Lieder vorgetragen werden. Von diesen rückgesandten Bekundungs-Antifaschisten hört man nichts in der Öffentlichkeit.
Der Vertreter der studentischen Vereinigung meinte, er wüßte von solchen Veränderungen nichts, sie selbst seien eher politisch „neutral“. Hier kann man also nicht fündig werden.
Von den anwesenden Anarchisten, alle in Schwarz gekleidet (was in derzeitigen Situation weniger auf ein Befreiungsheer denn auf Lifestyle schließen läßt) kam nach der Aufforderung einer der Sprecherinnen/Aktivistinnen von Solidarität 4all, etwas zu sagen, wenn man wolle, überhaupt kein Beitrag, kein Kommentar. Sie schwiegen. Da wird man auch nicht fündig.
Mein en passant geäußertes Angebot, Neues über die Struktur und die Befehlskette der faschistischen Organisation, oder auch eine Übersicht über die rassistischen Angriffe der letzten beiden Jahre bekanntzugeben, wurde nicht beachtet, zu einem solchen Referat kam es nicht. Es gab überhaupt keine Rednerliste. Dazu ist man offensichtlich zu antiautoritär. Ein eher zur Hauptgruppe der VeranstalterInnen, der s4all, tendierender Genosse wollte einen Text von Brecht vorlesen, dazu kam es ebensowenig.
Na WARUM eigentlich nicht? Sollten nicht lieber zu viele, als zu wenige Beiträge „geliefert“ werden?
Es wurde allerdings eine Nachdichtung/Übersetzung eines Gedichts von Brecht auf griechisch im Chor aufgesagt.
Das einzige Selbstgefertigt-Verbale: ein englischsprachiger (!) Text zum Mord (bei den selbsternannten Peudo-Occupies in Wien war es üblich, nur auf englisch zu diskutieren) wurde vorgelesen.
Vorgelesen! Nachdem er ohnehin schon verteilt worden war.
Sie versuchen, die eigene Unterbelichtetheit durch den weltmännischen Gebrauch einer international wichtigen Sprache zu kompensieren, die sie allerdings nur mit großer Mühe aussprechen können. Der Text hatte durchaus etwas Belebtes an sich, auch wenn er nichts Neues brachte, die Veranstaltung hatte nichts Belebtes an sich.
Eine dem Kernbereich angehörige Frau erzählte zum Schluß im privaten Gespräch, sie sei auf der Seite von Antarsya. Auf meine Frage, mit welcher Tendenz sie etwa sympathisiere, sagte sie: NAR (Neue Linke Strömung), eine Gruppierung mit einem gewissen Gewicht in der Antarsya, die aber in letzter Zeit ein wenig an Terrain verloren hat, sodaß, glaube ich, die SEK ein wenig die – solidarische – Hegemonie hat.
Ein Vertreter der AIK brachte im Gespräch den Vorschlag einer gemeinsamen Veranstaltung mit Vertretern verschiedener Gruppierungen, insbesondere der beiden Komitees und anderer Organisationen vor, ich ergänzte das durch den Vorschlag, alle linken Gruppen hier in Wien anzuschreiben und sie zu einer „gesamtlinken“ Griechenlandkonferenz im OKAZ (Sitz der AIK und des OKAZ, des Österreichisch-Arabischen Kulturzentrums in der Gußhausstraße) einzuladen. Das jeweilige bisherige Engagement, eine Skizzierung ihrer Partner in Griechenland und mögliche Strategien zur Solidaritätspolitik könnten, mit verteilten, geplanten Referaten dort erörtert und an eine größere Öffentlichkeit gebracht werden.
Der zur Verfügung stehende Raum wäre auch größer als die Galerie im Amerlinghaus ,es gebe auch ein Buffet etc. (Das Amerlinghaus kauft höchstens teure Buffets beim benachbarten Großkapitalisten ein, ein vor Jahren geplante Volksküche, zusammen mit Arbeitslosenorganisationen im Amerlinghaus ist den Bach hinuntergegangen).
Ich schlug vor, Bedeutung und Geschichte von Antarsya und im besonderen der NAR in einem Referat zu skizzieren. Die Aktivistin des anderen Komitees nahm das Angebot etwas zögernd an.
Der Genosse von der AIK insistierte ein wenig auf einen baldigen Termin, möglichst noch in der ersten Oktoberhälfte, sie war eher für November.
Es soll dazu angemerkt werden, dass die AIK auch eine große politische Berechtigung hat, Vorschläge zu Griechenland zu machen, denn sie hat, beinahe als einzige Organisation der hiesigen radikalen Linken (wenn man von gelegentlichen Synaspismos-Rednerinnen, die die KPÖ aufgeboten hat, und immerhin dem Besuch eines KKE-Genossen bei der KI absieht) in der Vergangenheit sich immer wieder, auf wechselnde Zeitläufte reagierend, um griechische Organisationen und Gäste bemüht und sie auch, sowohl nach Wien, als auch ins antiimperialistische Sommerlager eingeladen. Dazu gehörte auch die NAR, dann die KKE-ML, schließlich die KOE. Auf dem Antiimperialistischen Sommerlager im vergangenen Jahr war je ein Vertreter von Syriza und Antarsya mit Referaten anwesend. Sie waren einander nicht sehr grün.
Was hat die „undogmatische Linke“ bisher dazu geleistet?
Was die Zeitung des Komitees betrifft, so erhielt ich von der IA-RKP im Austausch eine Proletarische Revolution. Was den Versuch eines Vertriebs der Zeitschrift des Komitees auf dieser Veranstaltung betrifft, so wurde er durch mehrere Faktoren gestoppt. Ich hatte gedacht, bei einem eventuellen Referat, ihn mit der Propagierung der Zeitschrift zu verbinden und alle versammelten um eine Spende für das Krankenhaus und für den Prozeß von Savvas Michail zu bitten. Zu diesem Referat kam es wie gesagt nicht, und auch die Atmosphäre war seitens der stilisiert, selbstbezogen und subkulturell Auftretenden, ganz mit sich identischen anarchistischen Liga so, daß ich es nicht für opportun erachtete, die Zeitschrift dort anzupreisen. Ich wäre, das war mein Gefühl, wahrscheinlich auf Widerstand oder gar Ablehnung gestoßen. Außerdem enthielt ein Beitrag ja eine offen anarchistenkritische Passage. Sie wären nicht amused gewesen, das zu lesen.
Ich habe allerdings ein Exemplar (spenden wollte er nichts) dem Vertreter der studentischen Organisation gegeben. Wer weiß, vielleicht nützt´s was, und irgendjemand bei diesen „Neutralen“ liest das und entschließt sich, selbständig zu recherchieren und zu berichten.
Im großen und ganzen war die Kundgebung nicht sehr interessant, aber vom Standpunkt des politischen Zeichens ist die Tatsache, daß überhaupt eine Kundgebung veranstaltet wurde (wozu die Solidarität mit dem Widerstand nicht imstande ist) sehr verdienstvoll.
Zum Schluß wurde eine Aufnahme einiger AktivistInnen gemacht, die mit Sicherheit im anarchistischen Lager weltweit zirkulieren wird, um es zu dokumentieren, daß auch hier in Wien Leute auf der Straße waren, wenn auch sprachlos.
Zum Ort. Das Pflaster vor dem Fun- und Konsum-Tempel der neuen Bourgeoisie des Museumsquartiers ist kein geeigneter Ort für eine Gedenkveranstaltung für einen politischen Mord. Kein Schwein hört dort außerdem zu.
Eine solche Kundgebung muß/müßte vor der griechischen Botschaft stattfinden. Auch wenn dort ebenfalls keine nennenswerte Publikumsresonanz zu erwarten ist: Es könnte dort eine harte und präzise Botschaft an die griechische Regierung gerichtet werden; es genügt aber nicht wie bei dem englischsprachigen Flugblatt von s4all, das zu wiederholen, was ohnehin bald ein jeder weiß, und dann (habe ich noch nicht erwähnt) eine Schweigeminute einzulegen.
Sondern aus dem Unmut muß eine politische Konsequenz, ein politischer Nutzen gezogen werden, und wenn man praktisch vorgehen will, sollte man die griechische Regierung als Komplizin und Verbündete der Neofaschisten angreifen.
Ein Defizit der Veranstaltung war auch, daß die in Keratsini Verhafteten und bei der Verhaftung sowie nachher brutal geschlagenen Antifaschisten nicht erwähnt wurden. Normalerweise kümmert man sich in allererster Linie um Gefangene. Ich hätte auch dafür keine Möglichkeit gehabt, das vorzutragen.
Gerade das sollte vor einer Botschaft auch vorgebracht werden: die konkrete Kritik an der Mißhandlung der Gefangenen. Die griechische Regierung soll wissen, daß alle Welt weiß, wie sie ihre Staatsbürger behandelt.
Botschaften zirkulieren sofort die Nachricht, daß vor einer diplomatischen Instanz demonstriert wird. Daher hat eine Kundgebung/eine Demonstration vor einer Botschaft einen wesentlich höheren Stellenwert als eine, die an einem anderen Ort stattfindet. Vielleicht gab es Stellungnahmen seitens griechischer Leute innerhalb dieses Bekundungsbündnisses, die vor „der eigenen“ Botschaft nicht demonstrieren wollten? Anders kann ich mir die Wahl des öden Bobo-Ortes nicht erklären.
Sollten aber Behörden von der Botschaft „abgeraten“ haben oder gar den Standort (wie im Falle der US- und der türkischen Botschaft) verboten haben, dann gehörte das in die Öffentlichkeit. Sonst müsste man glauben, ein interner böser Wille hätte diesen Ansatz einer Kundgebung auf die platteste Ebene hinuntergedrückt.
Der einzige Vorteil einer (punktuellen) Zusammenarbeit mit einer solchen Formation liegt darin, etwa gemeinsam zu „werben“, wie der unerträgliche Ausdruck lautet, für Vorträge oder Filmvorführungen, die von allgemeinem, tendenzenübergreifenden politischen Interesse sind und wo die gemeinsame Propagierung möglicherweise ein etwas größeres, breiteres Publikum anlockt als etwa diejenigen Kontingente, die aus „neutralen“ Beobachtern und Lifestyle-Postanarchisten bestehen, die das Fußvolk dieser Kundgebung ausmachten. Die einzige Chance in einem anlaßgegebenen gemeinsamen Vorgehen liegt in der etwas erweiterten Propagandakapazität, respektive in der Herausfilterung einzelner kritischer, diskursiver Personen aus dem Fußvolk und aus der monadisierten, zerstreuten Menge der Linken.
Die Initiative Solidarität mit dem Widerstand in Griechenland verfügt zwar durch die politischen Organisationen (fast durch die Bank trotzkistische), die mitarbeiten, über einige Kanäle, aber von einer konstanten oder garantiert aufrufbaren Basis kann nicht geredet werden – das Schaupublikum des anderen Komitees ist leichter abrufbar.
Verfügt über keine Basis, es wäre denn die antiimperialistische, kommunistische Linke. Auf die Erweiterung in diesen Bereich muss sie hinwirken, und da sollte es auch keine Abschottung Trotzkismus hin, Trotzkismus her – gegen PAME/KKE geben. Die politische Entwicklung unseres Bereich hat sich in den letzten Jahren eindeutig von der Lifestyle-Linken getrennt, sodaß von einer systematischen oder regelmäßigen Zusammenarbeit zwischen dem einen und dem anderen Komitee auf ideologischer Ebene schwer, auf praktischer durchaus immer wieder geredet werden kann.