Ceija Stojka, Roma-Künstlerin und KZ-Überlebende, starb am Montag, den 28.
Januar 2013, in Wien. Die Initiative Minderheiten trauert um Ceija Stojka!
Als Autorin, Malerin, Sängerin, Erzählerin und Zeitzeugin prägte Ceija
Stojka seit 25 Jahren den Diskurs über Roma und Sinti in Österreich und
vermittelte einem großen Publikum im In- und Ausland, vor allem
Schüler_innen und Student_innen, zeitgeschichtliches und kulturelles
Wissen über ihre Volksgruppe und den nationalsozialistischen Genozid an
den Roma. Dass Roma in Österreich im Jahr 1993 als Volksgruppe anerkannt
werden konnten, geht u. a. auf ihr Engagement zurück.
Ceija Stojka stammt aus einer Familie reisender Lovara (Pferdehändler) aus
dem Burgenland, geboren wurde sie am 23. Mai 1933 in Kraubath in der
Steiermark. Als Kind, im Jahr 1943, wurde Ceija Stojka mit ihrer Familie
in die Konzentra¬tionslager Auschwitz-Birkenau, Ravensbrück und
Bergen-Belsen verschleppt. Der Vater war bereits im Jahr 1941 deportiert
worden. Ceija Stojka überlebte als eine der wenigen ihrer Großfamilie den
nationalsozialistischen Genozid. Jahrzehntelang war es Ceija Stojka nicht
möglich, über das erlittene Leid zu sprechen. Es gab keine
Gesprächspartner_innen, weder unter den Roma noch unter den Nicht-Roma.
Frau Stojka schlug dann einen sehr ungewöhnlichen Weg ein: Sie begann als
über Fünfzigjährige, das Erlebte aufzuschreiben.
Im Jahr 1988 erschien im Picus-Verlag in Wien ihr erstes Buch: Wir leben
im Verborgenen. Erinnerungen einer Rom-Zigeunerin, herausgegeben von der
Filmemacherin und Autorin Karin Berger. Aus der fruchtbaren Zusammenarbeit
der beiden Frauen entstanden zwei weitere Bücher (Ceija Stojka: Reisende
auf dieser Welt. Aus dem Leben einer Rom-Zigeunerin. Wien 1992 und Träume
ich, dass ich lebe? Befreit aus Bergen-Belsen. Wien 2005) sowie zwei Filme
(Karin Berger: Ceija Stojka. Porträt einer Romni, 1999 und Unter den
Brettern hellgrünes Gras, 2005). Ceija Stojkas Lyrikband Gedichte
(Romanes, Deutsch) und Bilder. Meine Wahl zu schreiben – Ich kann es
nicht. O fallo de isgiri – me tschischanaf les erschien 2003 im
EYE-Verlag in Landeck in der Reihe „Am Herzen Europas“ und
wurde von Gerald Kurdoğlu Nitsche, einem engen Weggefährten Ceija
Stojkas, herausgegeben.
Ein wichtiges künstlerisches Ausdrucksmittel war für Ceija Stojka neben
dem Singen und Schreiben besonders auch das Malen. Als Themen ihrer Bilder
wählte sie schöne Kindheitserinnerungen wie das Reisen mit der Familie,
sehr häufig aber auch die trauma¬tischen Erfahrungen in den
Konzentrationslagern und die damit in Zusammenhang stehenden Träume, die
für Überlebende des Holocausts Teil des Lebens sind. In der edition exil
erschien 2008 der beeindruckende Kunstdruckband ceija stojka. auschwitz
ist mein mantel. bilder und texte, herausgegeben von Christa Stippinger.
Ceija Stojka begnügte sich aber nicht mit ihrem literarischen und
bildnerischen Schaffen. Sie engagierte sich in der österreichischen
Roma-Bewegung, besonders im Verein Romano Centro und war seit 1988 als
Vortragende und Zeitzeugin unterwegs, an Schulen, an Hochschulen, in
Kulturzentren (am öftesten wohl im Amerlinghaus in Wien), im Rahmen von
Lesungen und Ausstellungen, im In- und Ausland. Ihre Reisen führten sie in
zahlreiche europäische Länder sowie nach Japan – fast immer in
Begleitung ihrer Schwiegertochter, Nuna Stojka.
Ceija Stojka hat den wissenschaftlichen Diskurs über Roma und Sinti in
Österreich und im Ausland maßgeblich geprägt. Ihr Wirken war auf einen
Dialog mit der Mehr¬heits¬bevölkerung ausgerichtet, besonders gerne und
intensiv arbeitet sie mit SchülerInnen und Studierenden. Sie vermittelte
ihren Zuhörer_innen und den Betrachter_innen ihrer Bilder, dass es die
gesellschaftspolitische Verantwortung vor allem der jungen Generation ist,
zu verhindern, dass sich der Terror gegen Minderheiten, wie sie ihn am
eigenen Leib erfuhr, wiederholt. Sie klärte über die Macht der Sprache auf
und analysierte, wie Vorurteilsmuster und Stereotypisie¬rungen zu
rassistischen Gewalttaten führen können und wie sensibel Roma und Sinti
auf minderheitenfeindliche Äußerungen reagieren. Frau Stojka war hier im
besten Sinne Lehrerin und „Professorin“ („öffentliche
Lehrerin“). Sie zeigte Wege auf, die ein Miteinander, trotz
kultureller Differenzen, ermöglichen. Es war ihre Überzeugung, dass durch
einen ständigen Dialog und die Kenntnis der Geschichte ein friedlicheres
Zusammenleben erreicht werden kann. Ihre Vortragstätigkeit und ihre
künstlerische Arbeit bildeten ein lebenslanges Projekt zur Wiedererlangung
der in den Konzentrationslagern verlorengegangenen Identität, an dem sie
Schüler_innen, Studierende, Wissenschaftler-innen und die breite
Öffentlichkeit teilhaben ließ.
Viele von ihnen empfing sie in ihrer Wohnung in Wien – wie im Mai
2008, als sie für eine Exkursionsgruppe der Vergleichenden
Literaturwissenschaft aus Innsbruck, mehr als 20 Personen, in ihrem
Wohnzimmer einen Vortrag über die Zeit in den Konzentrationslagern und in
den Nachkriegsjahren hielt. Der Tag, an dem die Gruppe Frau Stojka
besuchte, war der 23. Mai, ihr 75. Geburtstag. Eine Studentin der
Vergleichenden Literaturwissenschaft, Kerstin Bartl, hielt ihre Eindrücke
nach der Begegnung mit Ceija Stojka mit folgenden Worten fest: „So viel
hatte ich von den Menschen im KZ gelesen, unzählige Dokumentationen über
mich ergehen lassen, nichts konnte mir derart die Schrecken dieser Zeit
näher bringen wie die Schilderungen dieser Frau. Viele Fragen ergaben sich
nach diesem Besuch und kreisen immer wieder in meinen Gedanken: Wie kann
ein Mensch derart traumatische Erlebnisse physisch und psychisch
überleben? Woher nimmt sie diese Kraft und Entschlossenheit? Warum
zerbrechen andere Menschen an weniger entsetzlichen Erlebnissen? Diese und
noch viel mehr Fragen formulieren sich so nach und nach. Da uns Ceija
angeboten hat, dass wir uns bei Fragen an sie wenden dürfen, werde ich
nach reiflichem Überdenken mich mit denjenigen offenen Fragen an sie
wenden, die einer Antwort harren und eine solche letztlich fordern.“
Die Autodidaktin Ceija Stojka ist Trägerin zahlreicher Preise: u.a. Bruno
Kreisky-Preis für das politische Buch (1993), Goldenes Verdienstkreuz des
Landes Wien (2001), Humanitäts¬medaille der Stadt Linz (2004), Goldenes
Verdienstzeichen des Landes Oberösterreich (2005), Fernsehpreis der
Erwachsenenbildung (2006, gemein¬sam mit Karin Berger für den Film Unter
den Brettern hellgrünes Gras).
Im Jahr 2009 wurde ihr der Berufstitel „Professorin“ verliehen.
Beate Eder-Jordan für die Initiative Minderheiten
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