Deutschland 77: repression-raf-marxismus

Aus der Broschüre von „Internationale Kommunistische Liga“ (Österreich) & „Spartacusbund“ (BRD) über Repression und RAF – Herbst 1977

 unsere ganze leidenschaft
alle unsere sympathien
sind mit den
sich selbst aufopfernden rächern
auch wenn sie
unfähig waren, den richtigen
weg zu finden
l.trotzki
 
 
 
Blut und Dreck in Wahlverwandtschaft
Zog das durch die deutsche Landschaft
Rülpste, kotzte, stank und schrie: Freiheit und Democracy!
B. Brecht
In Stuttgart soll der Vertrag eines Theaterdirektors nicht mehr verlängert werden, weil dieser Geld für die Stammheimer Gefangenen sammelte, damit deren Zähne behandelt werden können. Ein Interview mit Heinrich Böll wird abgesagt, eine Veranstaltung mit Luise Rinser abgesetzt, weil ‚gesundes Volksempfinden‘ drohte.
Diese Liste ließe sich schier endlos fortsetzen. Es tobt in der Bundesrepublik. „Bild“, „Welt“, Strauß und Kohl beginnen aus vollen Rohren zu feuern, auf alles, was nur irgendwie, irgendwann und sei es noch so nichtig gewesen, Aspekte dieser „besten aller Gesellschaftordnungen“ kritisierte. Da gehts nicht mehr ’nur‘ gegen „Marxistisch-Leninistische Bettnäßer“ (diesen Ausdruck verwendete der jüngst verstorbene und ebenso dumm wie reaktionär gewesene Hans Habe), gegen den ‚harten Kern‘. Nein. Linke Christen, kritischeJournalisten, der „Spiegel“ und der „Stern“, alles, alles, was irgendwann fragte: Ist das auch wirklich richtig? wird zum ‚Sympathisanten‘, von den ‚Mescaleros‘ ganz zu schweigen. Und ‚Sympathisant‘ ist gleichbedeutend mit ‚Unterstützer‘, was ja wieder genau so schlimm ist, wie ‚Durchführender‘. Das zielt nicht mehr auf den ‚harten Kern‘, das zielt auf die gesamte Arbeiterbewegung, mit all ihren politischen Schattierungen.

Da kann die wackere SPD noch so schnell und rigoros ein reaktionäres Gesetz nach dem anderen durchpeitschen und weiß der Teufel wieviel Linke aus der Partei ausschließen, Franz Josef weiß genau was er will. Ohne Zweifel, die Bundesrepublik ist kaum mehr von einem Polizeistaat zu unterscheiden. In Zukunft kann – und wird – die Polizei bei Verkehrskontrollen Fingerabdrücke abnehmen können, politische Gefangene beliebig isoliert, Anwälte völlig entrechtet werden. Heissa, das tobt sich aus in deutschen Landen.

Doch das alles ist ’nur‘ der Anfang. Franz Josef spricht der Lynchjustiz das Wort und  überhaupt solle jeder der ‚verdächtig‘ ist, aus dem Verkehr gezogen werden, sprich ‚Schutzhaft‘, sprich ‚auf der Flucht erschossen’… Aber das alles beginnt sich gegen die SPD zu wenden, gegen die organisierte Arbeiterbewegung, gegen die Gewerkschaften, gegen den ‚Marxismus‘, den ‚geistigen Vater des Terrorismus‘. Vor dem Hintergrund der Hitler-Welle, vollzieht sich das Spektakel einer gewaltigen Rechtsentwicklung in der BRD. „Gehorsam“, „Treue“, „Zucht und‘ Ordnung“ ist gefragt und nicht mehr weit ist der Tag, an dem der rote ‚Sympathisantenstern‘ aus der Tasche von Franz Josef gezaubert wird. Und Willi Brandt wird ihn sicherlich angesteckt bekommen, bei der Vergangenheit… Und all die Dutzendliberalen, Irgendwie-Linken, Halb- und Ganz-Sozialdemokraten,- „Rechts-Trotzkisten“, Euro-, Peking- und Moskaustalinisten treten an zum großen Distanzierungswettlauf. Marcuse, Peter Brandt und Rudi Dutschke, das „Sozialistische Büro“, die GIM und all die anderen, die sich am wohlsten im Arsch der SPD fühlen, heben mahnend den demokratischen Zeigefinger: Terrorismus nützt nur der Rechten! Aber die berufsmäßigen Schwachköpfe ‚vergessen‘ nur eines: dieser Distanzierungswettlauf nützt nichts, im Gegenteil, er erleichtert es dem Franz Josef nur sein Ziel zu erreichen. Wenn ‚Sympathisant‘ jeder ist, der für den Sozialismus ist (seis auch der ‚reale‘), dann sind wir alle ‚Sympathisanten‘. Und genau darum geht es der Reaktion. Sie wird keinen einzigen verschonen, der da murmelt: Der Baader ist ja wirklich schlimm, aber für den Sozialismus bin ich schon…
 
Wer heute zurückweicht und panisch eine Distanzierungserklärung nach der anderen abgibt, statt entschlossen an dem Aufbau einer breiten Abwehrbewegung der gesamten Linken zu arbeiten, der wird morgen erleben, dass sein Mund und seine Hände um so leichter von der Reaktion verklebt und gefesselt werden können.

Und genau hier sind wir beim KPD-Verbot, bei den Notstands-Gesetzen, beim Berufsverbot, beim Klima der Angst und Bespitzelung, beim Maulkorbparagraphen, bei der Isolationsfolter und bei der ungeheuerlichen Aufrüstung nach Innen und nach Außen. Hier setzte der Kampf der RAF an, als Reaktion einer Gruppe von mutigen zu allem entschlossenen Kämpfern, die all dies, aber gleichzeitig keine Abwehrreaktion der Arbeiterklasse sahen. Es ist alles andere als Zufall, daß die meisten Genossinnen und Genossen der RAF am Anfang ihrer politischen Entwicklung in einem politischen Nahverhältnis zur Sozialdemokratie standen und sich angeekelt abwandten, als sie begriffen, welche Politik, welches Klasseninteresse diese Partei vertritt. Es war die SPD, die den ‚Radikalenerlaß‘ verabschiedete und unter deren Regierung die systematische Verfolgung der Linken weitergeführt und ausgebaut wurde und wird. Es war und ist die SPD-Regierung, die wohl jedes reaktionäre Regime in der Welt praktisch unterstützt und die aktiv gegen die portugiesische Revolution eingriff. Hier und nur hier liegt die ‚Schuld‘ an der Stärkung der Rechten. Die RAF und der ‚2. Juni‘ waren Antworten, politisch falsche Antworten, darüber gibt es ebensowenig Zweifel, wie darüber, daß alles, was nun in der BRD passiert, allein auf das Konto der SPD geht. Die Wehners, Brandts erlassen heute Gesetze gegen die ‚extreme Linke‘, die morgen schon zu ihrer eigenen Verhaftung führen können. Sie rüsten heute den Bundesgrenzschutz auf, der morgen schon ihre Parteizentrale besetzen kann. All das Geschrei um Buback und Schleyer – die leicht ersetzt werden können – kann nicht darüber hinwegtäuschen, wer für die reaktionäre Entwicklung verantwortlich ist. Was der Rechten nützt? Unsere Antwort ist klar und unzweideutig: Die Politik der SPD-Führung!

Sind die Aktionen der RAF, des ‚2. Juni‘ und all der anderen mutigen Rächer, die Ursache der Aufrüstung, des staatlichen Terrors? Eine ernsthafte Antwort auf diese Frage, die nur im mindesten als marxistische Antwort gelten will, muß zuerst zwei Faktoren beleuchten. Zum ersten die Teilung der deutschen Nation und die dadurch entstandene Situation des permanenten Anti-Kommunismus (was durch die konkreten Erfahrungen der deutschen Arbeiterklasse mit dem Stalinismus nur begünstigt wurde) und zum zweiten, die Funktion der BRD in der imperialistischen Strategie gegen die Arbeiterstaaten und gegen revolutionäre Entwicklungen im imperialistischen Europa (Portugal, Spanien, Italien). Von dem ausgehend läßt sich erst die Innen- und Außenpolitik der deutschen Sozialdemokratie erklären, es sei denn, man kommt zum ‚deutschen Wesen‘, welches wohl nie will genesen.

Wenn Trotzki sagte, daß wir nie vergessen werden, wer Rosa ermordet hat, dann fügen wir heute hinzu, daß wir auch nie vergessen werden, wer Ulrike ermordet hat. Unsere politische Kritik an den Aktionen und an der Strategie der RAF ist unerschütterlich, genauso wie unsere Solidarität mit den Genossinnen und Genossen gegenüber dem bürgerlichen Terror und den denunzatorischen Gewimmer der kastrierten Irgendwie-Linken.

Wie auch immer. Gerade jetzt: GEGEN DEN STROM!
 
Wien, Oktober 1977