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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 12. Februar 2013; 20:23
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Debatten:
> Attac – fuer Steuern, die Europa retten
Die Berliner Gruppe „jimmy boyle“ hat der akin eine Kritik an Attac
geschickt — der volle Text war fuer eine Veroeffentlichung hier
allerdings zu lang. Wir drucken daher eine gekuerzte Fassung ab. Das
Original ist als pdf von der akin-Homepage zu beziehen:
http://akin.mediaweb.at/Download/2013/04attacfull.pdf
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Die Buergerinitiative Attac fuehlt sich in der Krise berufen Europa
beratend zur Seite zu stehen, um ihm den richtigen Weg zu einem
„solidarischen Europa“ zu weisen (1). Laut Attac stuende Europa
aktuell „in der Krise am Scheideweg“, naemlich muesse es sich zwischen
einem „radikalisierten Neoliberalismus“ oder der Idee von einem
solidarischen Europa entscheiden.
Um wen sich Attac eigentlich Sorgen macht: Um Europa, das Attac sich
anscheinend als eine Einheit vorstellt, welche sich gerade in der
Krise befindet. Worin diese Einheit bestehen soll ist schwer zu
erkennen. Schliesslich handelt es sich bei Europa um ein Buendnis
konkurrierender Staaten, welche sich seit jeher und aktuell besonders
scharf um den Nutzen aus Europa streiten.
Da gibt es Deutschland, das durch die europaweite Konkurrenz laufend
Verlierer (mit)produziert, aber keine Kosten uebernehmen will. Wieso
sollte es auch? Man konkurriert ja nicht erst um den nationalen Ertrag
aus dem europaeischen Wachstum, um am Ende die Erfolge aus dieser
Konkurrenz wieder zu verschenken. Ausserdem will es die Abhaengigkeit
anderer Staaten von seinem Kredit nuetzen fuer mehr Einfluss in der
Euro-Region.
Die Verlierer sind Laender wie Griechenland, die Handelsbilanzdefizite
aufweisen und keine konkurrenzfaehigen Produkte zum Exportieren haben.
Diese Verlierer der europaeischen Konkurrenz sind fuer ihren
Fortbestand auf Euro-Kredite angewiesen, denn anscheinend sehen sie
den Euro als das einzige Mittel zum Ueberleben. Griechenlands
Staatshaushalt ist zurzeit praktisch eine Leihgabe der Troika, welche
ihm harte Kreditbedingungen wie die Streichung des Sozialstaates
auferlegt.
Zwar haben diese Auflagen unerwuenschte Wirkungen wie die Rezession,
aber anscheinend muss deutlich gezeigt werden, dass sich die Verlierer
„Strukturreformen“ zu unterwerfen haben, wenn sie schon „unseren“ Euro
benutzen. So sollen die Lohnkosten dieser Laender massiv gesenkt
werden, damit das gemeinsame Geld, der Euro, keinen Schaden nimmt und
an den Finanzmaerkten Vertrauen geniesst. An diesen Ungemuetlichkeiten
laesst sich sehen, dass das einheitliche Subjekt namens Europa nur in
der Idealvorstellung Attacs besteht. Das wirkliche Projekt Europa geht
aus den Benutzungsinteressen der Nationalstaaten hervor, welche sich
von ihrem Zusammenschluss und ihrem gemeinsamen Geld wirtschaftliche
Schlagkraft versprechen, die es ihnen erlaubt weltweit und im
Besonderen in Hinblick auf die USA den Ton anzugeben.
Bei all dem ist nicht auszumachen, dass irgendwer an einem gemeinsamen
Strang ziehen wuerde. Im Gegenteil stossen die Vorhaben verschiedener
Staaten aufeinander. Die Vorstellung von einer „europaeischen
Gemeinschaft“ ist deshalb eine verkehrte. Und auch die Nationalstaaten
fuer sich stellen keine Gemeinschaft dar: Gerade in der aktuellen
Misstrauenskrise gegen die Staatshaushalte einiger Euro-Staaten wird
sehr deutlich, dass es sich bei Staaten nicht um einen harmonischen
Zusammenschluss von Volk und Regierung handelt. Vielmehr beschliessen
saemtliche Regierungen gerade politische Programme, welche die
Verarmung und damit Verbilligung der lohnabhaengigen
Bevoelkerungsmehrheit bedeuten. Der Zweck eines stabilen,
weltmarktfaehigen Euros steht anscheinend in einem ziemlichen
Gegensatz zu den Lebensbeduerfnissen derjenigen, die dafuer arbeiten
muessen.
Der Fehler der Neoliberalen: das zu ausschliessliche Draengen auf
Wettbewerbsfaehigkeit
Attac sieht als Anhaenger einer ausgedachten europaeischen Identitaet
Europa auf dem falschen Weg, weil es von den Falschen beherrscht wird.
„Neoliberale“ wuerden „die Gunst der Stunde“, also die
Staatsverschuldungskrise nutzen, um ihre Ziele durchzusetzen. Diese
pochen nur auf Wettbewerbsfaehigkeit, was zwar schon eine irgendwie
zur aktuellen Lage passende Forderung sei, aber laut Attac etwas
einseitig: „Als naechstes sollen mit der Reform des Stabilitaets- und
Wachstumspaktes, dem Pakt fuer den Euro und anderen Massnahmen die
wirtschaftspolitischen Spielregeln der EU so ueberarbeitet werden,
dass nur noch eins zaehlt: die Wettbewerbsfaehigkeit.“
Das Schlimme ist naemlich, dass die Neoliberalen „nur noch“ dieses
Ziel vor Augen haetten. Attac stoert sich nicht prinzipiell an dem
Ziel der Wettbewerbsfaehigkeit, sondern an der Ausschliesslichkeit
dieses Ziels. Einerseits wird die Herstellung von
Wettbewerbsfaehigkeit also als Loesungsweg der Krise anerkannt,
andererseits soll dieser Loesungsweg gerade beschraenkt werden,
insofern nicht „nur“ auf ihn gesetzt werden soll. Es fragt sich
hierbei schon, warum man Wettbewerbsfaehigkeit nicht voll
unterstuetzen sollte, wenn sie doch schon irgendwie ein Beitrag zur
Loesung sein soll.
Was aber ist eigentlich Wettbewerbsfaehigkeit? Staaten stehen in
Konkurrenz zueinander und richten sich selbst als Standorte fuer
kapitalistisches Wachstum her. Dafuer sorgen sie: Ein Energienetz, das
fuer sichere und guenstige Energie fuer Unternehmen sorgt; eine
moderne Infrastruktur, die den Waren- und Personenverkehr ermoeglicht;
Kommunikationsmittel auf dem Stand der Technik; ein Bildungssystem,
das die Berufshierarchie von oben bis unten ausstattet; eine moderne
Wissenschaft, die fuer Konkurrenzvorteile in Form neuer Technologie
und gewinntraechtiger Produkte sorgt; ein Steuerwesen, das Anreize zum
Wachstum laesst und schafft; ein Sozialsystem, das Arbeitskraefte in
Reserve guenstig und nutzbar erhaelt oder aber auch Kulturangebote
fuer die Feierabende der Elite und einiges mehr.
Staaten richten also allerlei Bedingungen fuer kapitalistisches
Wachstum ein, in der Hoffnung, dass Firmen diese fuer ihr privates
Geschaeft nutzen moegen. Der Kampf um Wettbewerbsfaehigkeit
entscheidet sich dann praktisch in der Benutzung eines Standortes fuer
eben dieses Geschaeft und zeigt sich in der Ansiedlung von Industrie,
Dienstleistung, Landwirtschaft oder einem modernen Bankwesen. Dabei
ist klar: Gesichert ist deren Verbleib auf einem bestimmten Standort
nicht, schliesslich wird ihr Geschaeft auch von anderen Staaten
gefoerdert. Das Ausbleiben von Wettbewerbsfaehigkeit ist deshalb auch
gar keine mangelnde Eigenschaft irgendeines Staates – so wie das
Griechenland oder Italien gern vorgeworfen wird – sondern notwendiges
Resultat der Konkurrenzbemuehungen aller. Eine Konkurrenz ohne
Verlierer gibt es nicht. Das Ziel der Wettbewerbsfaehigkeit zieht also
einiges nach sich. Ein bisschen Wettbewerbsfaehigkeit geht nicht –
entweder ganz oder gar nicht – schon allein weil sie ein Verhaeltnis
zu anderen angibt, das sich mit deren Konkurrenzbemuehungen immer
wieder veraendert.
Idealistische Kritik
Das nach Attac viel zu einseitige Draengen der Neoliberalen auf
Wettbewerbsfaehigkeit geht gegen die Interessen der meisten Menschen
in Europa: „Diese Politik ist sozial und oekologisch ignorant,
demokratiepolitisch fatal und sie gibt keine angemessene Antwort auf
die Krise.“ Auf all das haetten die Menschen also ein gutes Recht: auf
soziale Versorgung, eine saubere Umwelt, Beruecksichtigung durch
Regierende und die Loesung der Schuldenverwertungskrise. Durch diese
Forderungen wird die verkehrte Art der Kritik deutlich: Attac
kritisiert gar nicht fuer sich die Zwecke einer vermeintlich von
falscher Ideologie getriebenen Politik („Neoliberalismus“), sondern
misst ihre Wirkungen ganz einfach an ihrem Ideal „gelungener Politik“:
Demokratieabbau statt Demokratisierung, Sozialabbau statt
Sozialstaatsausbau, Umverteilung von oben nach unten statt umgekehrt,
privates Profitieren von der Krise statt Allgemeinwohlfoerderung. Weil
die Politik also von ihrem Ideal abweiche, gibt es die kritisierten
Zustaende, womit bestritten ist, dass die Politik Gruende fuer ihr Tun
hat. Dieses Ideal guter Herrschaft weiss Attac gleich derart produktiv
zu machen, dass die Vereinigung Vorschlaege zu einer alternativen
Politik vorzuweisen hat.
Schauen wir uns Attacs „andere Welt“ anhand der Vorschlaege zum
Sozialstaat und der Besteuerung einmal an. In dieser Alternative
werden verschiedene Sachen deutlich, die gegen Attacs Alternative
sprechen:
Attac fordert zum Beispiel die Einfuehrung „europaweiter
Mindeststandards bei den Loehnen und den sozialen Sicherungssystemen“.
Dass es in dieser Alternative ueberhaupt Mindestloehne braucht, setzt
voraus, dass Unternehmen kein Interesse an dem Auskommen ihrer fuer
sie arbeitenden Belegschaften haben. Es setzt die Anerkennung des
Interesses von Unternehmen an rentabler Arbeit voraus, welche dadurch
rentabel ist, dass sie den Geldreichtum der Unternehmen durch die
guenstige und ausgiebige Arbeit der Beschaeftigten vermehrt. So
solidarisch scheint es also in der „Alternative“ Attacs zuzugehen: Die
Interessen von marktwirtschaftlichen Unternehmen schliessen die Armut
ihrer ArbeiterInnen ein, weshalb sie auf soziale Absicherung
angewiesen sind, um ueberhaupt ueberleben zu koennen. Damit die
ArbeiterInnen nun nicht voellig verelenden und fuer die
Arbeitsleistung benutzbar bleiben, „brauchen“ sie einen Mindestlohn,
der ihnen dankenswerterweise das Ueberleben fuer die Arbeit gesetzlich
garantiert. So stellt sich die Frage, was eigentlich an dieser Welt
verbessert worden sein soll, wenn die Lebensinteressen des Grossteils
der Menschen erstens nur dann ueberhaupt zum Zuge kommen, wenn sie
sich fuer die Vermehrung von Kapitaleigentum krumm legen und zweitens
selbst dann nur im minimalen Umfang, sofern Unternehmen per
staatlicher Zwangsgewalt auf die Beruecksichtigung dieser
Lebensinteressen festgelegt werden.
Dass die Sozialstandards gleich europaweit geregelt werden sollen oder
auch „Vermoegen und Unternehmensgewinne […] koordiniert hoeher
besteuert“ werden muessen, verweist auf die Konkurrenz unter den
europaeischen Staaten – zwischen denen also nicht einmal in Attacs
Alternative Einigkeit besteht. Was Attac also allgemein einfordert,
sind gleiche Konkurrenzbedingungen – niemand soll von einer
vorteilhafteren Position aus in die Konkurrenz als andere starten.
Damit wird es zwar weiterhin Gewinner und Verlierer geben, jedoch
hatte jeder die Chance, so dass jede Niederlage auch gerecht ist! Von
diesen und weiteren Alternativen verspricht sich Attac die Entwicklung
Europas hin zu einer „solidarischen Gemeinschaft“: „Diese Massnahmen
wuerden helfen, einen solidarischen Weg aus der Krise einzuschlagen.
Sie wuerden die neoliberalen Reformen ueberfluessig machen und sie
wuerden die sozialen Ungleichheiten in Europa abbauen.“
„Eine andere Welt ist moeglich!“
Mit ihren Vorschlaegen zur Weltverbesserung leistet sich Attac eine
folgenschwere Illusion: Die bestehenden Verhaeltnisse muessten
eigentlich gar nicht so sein wie sie sind und koennten auch „ganz
anders“ sein: Wuerde der Reichtum nur etwas umverteilt werden, dann
koennte ja einiges gehen! Auf diese Art ignoriert Attac die
Notwendigkeit der negativen Resultate des in die Krise geratenen
Kapitalismus. Die negativen Wirkungen der Konkurrenz (Sparen bei den
Armen; Krise) muessten nicht sein, wenn man nur Attacs Vorschlaegen
nachkommen wuerde – ja, die ganze Agenda 2010 waere glatt
ueberfluessig gewesen! So erweist sich Attac eindeutig als der bessere
Politikberater in Sachen Krisenloesung. Dadurch dass Attac sich
positiv auf die bestehenden Verhaeltnisse einlaesst – Steuern, Loehne,
Mitbestimmungsrechte – und sie sich einfach als Chancen moeglicher
Veraenderungen zurechtlegt, also zweckentfremdet, ist es ihr moeglich
Krise und Verarmung als fuer in der Marktwirtschaft gar nicht
notwendige Erscheinungen zu erklaeren – also Werbung fuer die
kapitalistische Gesellschaft zu machen. So kommt Attac dann auf das
widerspruechliche Rezept, dass ausgerechnet gleiche
Konkurrenzbedingungen unter hoeheren Sozialstandards die Krise loesen
koennten – allgemeine Kostensteigerung fuer das Kapital und seinen
Erfolg statt allgemeiner Kostensenkung wie es die Neoliberalen
fordern!
Ungleiche Reichtumsverteilung als Krisengrund
Attacs Vorschlaege liefern auch den Krisengrund, den die Vereinigung
ausfindig gemacht haben will. Der Grund fuer die aktuelle Krisenlage
liegt laut Attac in der ungleichen Verteilung von Reichtum in dieser
Gesellschaft, sinkende Steuern, ja „ueppige Steuergeschenke“ (2),
wachsende Steueroasen und deregulierte Maerkte lassen die Reichen,
Banken und Konzerne reicher werden, waehrend sich die andere Seite in
Lohnzurueckhaltung uebt und die oeffentlichen Kassen ausgetrocknet
werden.
Wegen der Neoliberalen koennen die Reichen immer reicher werden, ohne
sich an den Kosten fuer das Gemeinwesen zu beteiligen. Die Reichen
legen Geld im deregulierten Finanzmarkt an, was dort zur
„Blasenbildung“ fuehren wuerde, deren Platzen eine Finanzkrise ergibt.
Die Staaten geraten durch die Rettung ihres Finanzsystems, das zu
einer „uebermaessigen Macht“ gelangt sei, in eine Schuldenkrise, weil
ihrem Kredit seitens der Finanzkapitalisten nicht mehr als sichere
Anlage getraut wird. Man sieht also wohin soziale Ungleichheit –
vorgefuehrt an der ungleichen Beschlagnahmung des Einkommens von
reichen und armen BuergerInnen – fuehrt: in die Krise. Wenn Attac so
argumentiert, hat sich die Vereinigung von ihrem Ausgangspunkt, der
Kritik an der Armut von Leuten, ziemlich entfernt: Das Kritikable ist
naemlich jetzt der Misserfolg einer Gesellschaft, von der wiederum
ihre Insassen abhaengig sind. Einer Gesellschaft also, die nicht das
Mittel ihrer Insassen ist – von einem Mittel waere man naemlich nicht
abhaengig, sondern man gebraucht es fuer seine Zwecke.
Reiche und Arme …
Die Unterscheidung von Reichen, die reicher werden und Armen, die
aermer werden, ist ueberdies irrefuehrend. Reiche und arme Bezieher
von Einkommen unterscheiden sich nicht bloss in der Hoehe ihrer
Einkommen. Der Unterschied in der Hoehe kommt durch ihre
unterschiedliche Qualitaet und ihre unterschiedliche Zwecksetzung
zustande. „Die Reichen“ beziehen ihre Einkuenfte in aller Regel aus
dem Ertrag ihres Kapitals, ueber das sie verfuegen: Sie kaufen sich
die Arbeitskraft anderer, die mit ihrer Arbeit das Kapital ihrer
Arbeitgeber zu vermehren haben. Dafuer erhalten „die Armen“ einen
Lohn. Dass dieser den Vornamen „Niedrig“ traegt, liegt daran, dass er
nicht dafuer verausgabt wird, den von ihm lebenden Arbeitskraeften ein
sicheres Auskommen zu verschaffen, sondern sich als rentabler Teil der
Gewinnrechnung von Unternehmen zu erweisen hat. Er wird verausgabt, um
moeglichst viel Arbeitsleistung verfuegbar zu machen, die sich beim
Unternehmen als Gewinn niederschlaegt. Seine Groesse stellt damit eine
Beschraenkung fuer eben diesen Gewinn dar, weshalb danach getrachtet
wird, die Kosten fuer den Lohn zu senken – durch Lohndrueckerei,
Ueberstunden, Rationalisierung, Intensivierung der Arbeit. Wenn zur
Zeit in saemtlichen Krisenlaendern Lohn- und Sozialkuerzungen
vorgenommen werden, um damit bei den Finanzmaerkten um Vertrauen in
die Soliditaet des Euro zu werben, zeigt sich daran weniger eine
falsche neoliberale Ideologie als Folgendes: Das marktwirtschaftliche
System basiert auf der Armut derjenigen, die vom Lohn abhaengen und
fuer den Gewinn des Kapitals gegen Lohn arbeiten muessen. In der Krise
der ach so abgehobenen Finanz- und Staatsschuldengeschaefte zeigt sich
damit die Grundlage dieser Geschaeftstaetigkeit, wenn das Mittel zu
ihrer Bekaempfung die Verarmung der Lohnabhaengigen ist.
… eine Herausforderung fuer den Gemeinsinn
Wenn Attac mit Hinweisen auf Lohn- und Sozialkuerzungen,
Niedrigloehne, Kinderarmut und Altersarmut hinweist, macht die
Buergerinitiative das vor allem, um zu warnen: „Der soziale
Zusammenhalt unserer Gesellschaft ist ernsthaft bedroht. Wohin das
fuehren kann, zeigen die USA: Vorstadtviertel im Elend, eine hohe
Kriminalitaetsrate und Reichenviertel hinter Stacheldraht und
Alarmanlagen.“
Die Verarmung von Lohnabhaengigen zum Zwecke kapitalistischen
Wachstums kommt hier in einer sehr interessanten Weise in den Blick:
Es wird an ihr nicht die Notlage der Betroffenen festgehalten, sondern
diese als eine moegliche Gefahr fuer etwas ganz anderes als die
Beduerfnisse der derart Behandelten besprochen. Nicht etwa die
Lebensinteressen von allerlei Leuten sind bedroht, sondern der soziale
Frieden. Schlecht an der Armut ist, dass Menschen an die Luege der
Marktwirtschaft als eine Wirtschaftsform, die „Wohlstand fuer alle“
verbuergt, nicht mehr glauben und trotz aller Gegensaetze
zusammenhalten und sich gemeinsam fuer das Allgemeinwohl einsetzen.
Was passiert, wenn nicht mehr alle an einem Strang ziehen und Arme
nicht bedingungslos bereit sind, ihren Ausschluss vom Reichtum zu
akzeptieren, sieht man ja an den ungerechten USA: Die Reichen koennen
gar nicht mehr anders als den Ausschluss gewaltsam gegen die Armen
durchzusetzen und leben in eigenen Vierteln – ganz als haette es zuvor
lauter Wohngemeinschaften zwischen Arbeitslosen und Personalmanagern
gegeben. Ausserdem bringt die Armut die Leute auch noch davon ab, sich
ans Recht „unserer Gesellschaft“ zu halten. Sie verlieren einfach das
Vertrauen in die Perspektive eines rechtstreuen Lebens und werden
kriminell, was sich leider als Stoerung der Ordnung bemerkbar macht.
Der Massstab dieser Kritik ist anscheinend das Gelingen des hiesigen
Gemeinwesens, das nur klappt, wenn alle dabei mitmachen wollen. Attac
will, dass Leute ausgerechnet zu einem Gemeinwesen halten, das ihnen
lauter Einschraenkungen bereitet. Sie sollen ausgerechnet diese
Gesellschaft als die ihre ansehen, deren FuehrerInnen ihnen den „Euro“
und damit Armut als „alternativlose“ Lebensbedingung auferlegen.
Ungerechte Besteuerung?
Dass viele Staaten in den letzten Jahrzehnten Steuern fuer die
Unternehmenswelt gesenkt haben, liegt nicht etwa daran, dass der Staat
seinen Reichen so gerne „Steuergeschenke“ beschert, sondern an dem
Zweck, den er seinem Geld beilegt: Es soll vermehrt werden. Einerseits
finanziert sich der Staat aus den oekonomischen Erfolgen all seiner
Buerger, indem er sie besteuert. Andererseits ist diese Besteuerung
eine Beschraenkung dieser Einkommen. Bei Einkommen, das nicht
verkonsumiert wird, sondern das investiert werden soll, ist das auch
fuer den Staat aergerlich. Mit dem Steuerabzug beschraenkt er naemlich
gerade die Quelle, aus der er sich bedienen koennte. Er nimmt
Unternehmen Geld, dass diese reinvestieren koennten, um zu wachsen,
was fuer den Staat eine wachsende Einkommensquelle darstellt. Deshalb
verfaellt der Staat auf Steuersenkungen bei Unternehmens- und
Vermoegenseinkommen. So schafft er Bedingungen fuer Firmen, die sich
dann bei ihm ansiedeln, wachsen und Steuern zahlen.
Leere oeffentliche Kassen – Staatsausgaben fuer’s besteuerte Volk?
Wegen der Steuersenkungen und Bankenrettung seien laut Attac die
oeffentlichen Kassen „leer“. Das muesste wiederum nicht sein, wenn man
einfach die durch die Steuersenkungs- und Lohnkuerzungspolitik
gestiegenen Privatvermoegen staerker besteuern wuerde. Und schon waere
Geld fuer den Abbau von Staatsschulden und die bisher verhinderten
sozialen und oekologischen Leistungen des Staates da!
Auch wenn Politiker immer wieder darueber klagen, dass die Kassen
leider leer seien, kann dem nicht so ganz sein. Schliesslich werden
wegen angeblich leerer Kassen systemrelevante Banken nicht etwa fallen
gelassen, Militaerausgaben in nennenswerten Mass heruntergefahren oder
einfach massiv Unternehmenssteuern erhoeht, um die Kassen wieder zu
fuellen. Eine Beschraenkung durch die Mittel der Haushaltskasse hat
der moderne Staat ausserdem durch seine Verschuldung an den
Finanzmaerkten ueberwunden: Er macht sich durch die Vermarktung seines
Finanzbedarfs unabhaengig von seinen steuerlichen Einnahmen und kommt
so an viel mehr Geldmittel heran. Er finanziert darueber mittlerweile
einen Grossteil seines Haushaltes. Von leeren Kassen kann also keine
Rede sein. Stattdessen waere diesen Reden der politische Unwille zu
entnehmen, ausgerechnet fuer so unproduktive Massnahmen wie
Arbeitslosen-, Gesundheits- oder Rentenversorgung Geld auszugeben und
darueber die „Lohnneben-“ als Teil der Lohnkosten der Unternehmen
unnoetig zu belasten. Daran zeigt sich, dass die oeffentlichen Kassen
keineswegs fuer ein gutes Leben der Bevoelkerung gedacht sind, sondern
fuer die Organisation einer staatlichen Herrschaft, die auf ihrem
Territorium und darueber hinaus kapitalistisches Wachstum haben und
sich daran bereichern will.
Attac schenkt hingegen der Luege vom Nutzen staatlicher Steuern
Glauben: Sie wuerden fuer die Verbesserung der Wohlfahrt des Volkes
erhoben. Frage: Wenn sie den Leuten nuetzen sollen, warum muessen sie
ihnen dann zwangsweise abgezogen werden? Auf diese Weise erhaelt sich
Attac gegen die Realitaet sein Idealbild vom Staat: Er ist einfach
verhindert seine Buerger seine nuetzlichen Dienste spueren lassen zu
koennen – er wuerde gern, doch fehlt ihm leider das Geld dazu!
Steuern zur Rettung Europas und ueberhaupt
Zum Glueck gibt es aber ganz viel Geld bei den Reichen! Unter
voelliger Ausblendung des Zweckes des in der Marktwirtschaft zu
verdienenden und vorgeschossenen Geldes schaut Attac ganz pragmatisch
auf das Vermoegen in dieser Gesellschaft und stellt einfach fest: Hier
viel – da wenig, also umverteilen, so dass es endlich mal „fair“ in
der doch im Grunde ganz schoenen Marktwirtschaft zugehen kann: Die
Armen werden als Arme erhalten, indem Reiche ein bisschen mehr
„abgeben“, so kann man den Klassengegensatz zur „solidarischen
Gemeinschaft“ erklaeren, die fuereinander sorgt. Wenn Geld wirklich
dazu da waere, dass eine „gerechte Verteilung“ von Reichtum am Ende
herauskommen soll, muesste man sich doch fragen, warum man fuer das
Entstehen dieses Reichtums erst derartig grosse Unterschiede von arm
und reich zulaesst. Um am Ende dann die Reichen zu schroepfen und
alles umzuverteilen? Dann haette man sich die Unterschiede doch von
Anfang sparen koennen! Dass Umverteilungswuensche nicht verwirklicht
werden, zeigt wofuer diese Art von Reichtum da ist: Um vermehrt zu
werden. Die Mittel dazu haben die normalen Leute nicht – sie sind im
Gegenteil das Mittel dafuer. Deshalb sehen sie von dem durch sie
vermehrten Reichtum auch nicht viel und werden von ihm ausgeschlossen.
Attacs Weg zur „solidarischen Gemeinschaft“ soll durch eine staerkere
Besteuerung von Reichen beschritten werden: „Dazu brauchen wir eine
staerkere Besteuerung von hohen Einkommen und Vermoegen sowie eine
Finanztransaktionssteuer, deren Ertraege fuer Armutsbekaempfung,
Klimaschutz oder global soziale Mindeststandards eingesetzt werden.“
Offensichtlich geht das Geschaeft „der Reichen“ auf Kosten von so
allerhand: Leute werden von den Eigentuemern der Bedingungen und
Mittel zur Herstellung von verkaufbaren Produkten ausgeschlossen und
sind deshalb absolut arm und kapitalistisch „schlicht“ ueberfluessig,
wenn ihre Arbeit nicht von Unternehmen gebraucht wird. Die Natur wird
offensichtlich – soweit sie als Geschaeftsgrundlage benutzt wird –
zerstoert: Von intensiver Bodenvernutzung fuer guenstige
Weltmarktpreise landwirtschaftlicher Produkte bis zur kostenguenstigen
Entsorgung von nicht mehr verwertbaren Reststoffen haelt das System
des Profits viele Moeglichkeiten der Zerstoerung von Lebensgrundlagen
bereit. Fuer Unternehmen guenstige Arbeitsbedingungen (moeglichst
wenig Ausgaben fuer Loehne, Arbeitsschutz, moeglichst extensive und
intensive Arbeit und moeglichst wenig Gelegenheiten zu
Arbeitskaempfen) unterschreiten dauernd das Mindeste was die
Arbeitenden zum Leben brauchen. So attestiert Attac zu Recht dem
kapitalistischen Geschaeft lauter Zerstoerungswerke – und was faellt
Attac als Mittel dagegen ein? Abgaben, mit denen nach der Zulassung
von all dem Scheiss gegensteuert werden soll!
Hierbei ist schon fraglich, ob die angerichteten Schaeden dadurch
kompensiert werden koennen, dass man Teile des geldwerten Ertrags
dieses Werks fuer die Behebung der Schaeden einsetzt. Um aber
Finanzmaerkte und grosse Konzerne zu besteuern, muss es auch etwas zum
Besteuern geben. Deren Geschaefte, die zur Zerstoerung von Mensch und
Natur fuehren, sollen also gelingen, damit Teile von ihm steuerlich
beansprucht werden koennen. Es ist schon seltsam: Erst werden
Finanzmaerkte und sonstige Unternehmen zum Problem erklaert, dann soll
ihr erfolgreiches Geschaeft aber gerade die Grundlage zur Loesung der
Probleme darstellen, die sie erst schaffen. Wer irgendwen besteuern
will, muss ein Interesse am Erfolg des Besteuerten haben und wird
dabei auf den naechsten Widerspruch stossen: Mit den Steuern wird
genau das Geschaeft beschraenkt, an dem partizipiert werden soll. So
kommt Attac darauf die finanz- und steuerpolitischen Massnahmen
moeglichst „marktkonform“ zu gestalten: Diese Massnahmen sollen „den
Ersterwerb von Aktien bei einer Neuemission nicht belasten; denn sonst
wuerde der eigentliche Sinn und Zweck von Aktien in Frage gestellt.
Die Aufgabe liegt vielmehr darin, Finanzmaerkte zu stabilisieren…“
(3) Auf diese Weise macht sich die Sorge um’s krisenfreie
Funktionieren der Finanzmaerkte bei Attac breit, welche zunaechst noch
der Grund allen Uebels der Welt gewesen sind. In diesem Sinne ist
Attac auch fuer das Verbot „hochriskanter Spekulationen“ (4), so dass
garantiert nur sichere Risiken eingegangen werden und das „stabile“
Geschaeft krisenfrei ablaeuft. Wenn diese Geschaefte, von deren
Gelingen alles abhaengt, sich in den Dienst des Gemeinwesens stellen
und „anstaendig“ (5) besteuert werden, kann Attac dafuer sein. Dann
kann das Finanzwesen sein Geld zur Umverteilung Richtung solidarische
Gemeinschaft Europa bereit stellen. Auf geht’s!
*
1) Alle folgenden Zitate sind – soweit nicht anders angegeben – dem
Aufruf „Fuer ein solidarisches Europa“ entnommen. Eine mittlerweile
gekuerzte Version ist hier nachzulesen:
http://www.attac.de/aktuell/eurokrise/, 21.10.2012 (Urspruengliche
Fassung gab es am 09.10.2012 noch nachzulesen.)
2) Z.T. sind die folgenden Zitate dem Aufruf zum „Umfairteilen –
Reichtum besteuern!“ – Aktionstag am 29.09.2012 entnommen. Das
veranstaltende Buendnis wurde von Attac initiiert.
3) Klimenta, Was Boersengurus, verschweigen – 12 Illusionen ueber die
Finanzwelt. Klimenta ist Attac-Aktivist
4) Aus dem Ausruf „Banken in die Schranken“
5)
http://www.attac.de/index.phpid=2362&tx_ttnews[year]=2010&tx_ttnews[month]=12&tx_ttnews[day]=14&tx_ttnews[tt_news]=4603&cHash=09da97e81cb61d7d9fc01913a8c82266
(gefunden am 30.12.13)