„Die Schutzbefohlenen“ von Elfriede Jelinek. Regie: Leonhard Koppelmann (Hörspiel – BR/ORF 2014), Lulius

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Von Dezember 2012 bis in den März 2013 besetzen mehrere Dutzend Flüchtlinge und Asylwerber die Votivkirche in Wien. Zuvor schon hatten sie im Sigmund-Freud-Park vor der Kirche ein Zeltlager errichtet. Knapp nach Weihnachten, am 28. Dezember, räumt die Polizei in den frühen Morgenstunden das Camp. Ein Teil der Flüchtlinge tritt in den Hungerstreik. Nach monatelangen Verhandlungen übersiedeln die Flüchtlinge am 3. März in ein Kloster. Mehr als zwei Dutzend haben in der Zwischenzeit einen negativen Asylbescheid erhalten. Es droht ihnen die Abschiebung.

In Österreich hatte die Aktion eine schwere innenpolitische Krise ausgelöst. Seit Jahren schon kritisieren Menschenrechtsorganisationen gemeinsam mit kirchlichen Einrichtungen die restriktive österreichische Asylpolitik.

Elfriede Jelinek, die „Text-Autorin“

Sie nimmt sich kein Blatt vor den Mund. Sie reagiert mitunter schnell, nennt die Dinge beim Namen, zeigt Missstände auf – und bleibt ihren künstlerischen und ästhetischen Ansprüchen dennoch treu. Elfriede Jelinek, Literaturnobelpreisträgerin aus Österreich, thematisiert seit Jahrzehnten die brennenden Fragen der Zeit. Sie schreibt Texte über Prostitution und Pornografie, über die Auswüchse des Raubtierkapitalismus, über das ungleiche Verhältnis von Mann und Frau.

In ihrem neuen, vom Bayerischen Rundfunk und ORF produzierten Stück „Die Schutzbefohlenen“ greift die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek die Einbürgerungspolitik Österreichs auf. Eine Politik, die Spitzensportler, eine weltberühmte Sopranistin, die Tochter des ehemaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin und andere Berühmte und Betuchte per Ministerratsbeschluss ohne Federlesen zu österreichischen Staatsbürgen macht, gleichzeitig aber Flüchtlingen und Verfolgten in einem der reichsten Länder der Welt den Aufenthalt verwehrt.

„Wieso dürfen die und wir nicht?“, lässt Jelinek die Asylwerber fragen. „Wir wollten dieses Reiches Bewohner sein, aber wir dürfen nicht.“ Das Land, so Jelinek, bevorzuge jene, die „was haben“ und „nicht da“ sind, Flüchtlinge hingegen, die „da sind“ und „nichts haben“, werden wie ein „Fettfleck“ entfernt.

Jelineks Text weist eine Vielzahl aktueller Bezüge auf. Sie verschont – ohne Namen zu nennen – weder den milliardenschweren Parteigründer und Industriemagnaten Frank Stronach, noch wettert sie gegen die Invasion russischer Millionäre, nimmt ein unter dem verstorbenen Landeshauptmann Jörg Haider errichtetes und mittlerweile wieder geschlossenes Asylantenheim in Kärnten ins Visier, erzählt in Loops und Schleifen und in immer neuen Variationen von jenen, die „übers Gebirg geworfen“ und „durchs Meer getrieben“ worden sind, viele „ersticken im Kühlwagen, sterben im Flugzeuggestänge, stürzen ins Autobahnklo“ oder „stürzen vom Balkon“.

„Ich schreibe“, sagte Elfriede Jelinek unlängst, „eigentlich keine Hörspiele, sondern Texte. Die einen sind zum Lesen, die anderen zum Hören. Wie auch bei meinen Stücken schreibt der Regisseur, die Regisseurin, das Hörspiel dann sozusagen mit mir zu Ende.“ Diese Aufgabe hat der Regisseur Leonhard Koppelmann übernommen. Es ist nicht seine erste Zusammenarbeit mit der österreichischen Literaturnobelpreisträgerin. Zuletzt hatte Koppelmann einen ebenso brisanten wie hochpolitischen Text von Elfriede Jelinek in Szene gesetzt: „Rechnitz“, die Geschichte der Ermordung von circa 200 vorwiegend ungarischen Juden in einem burgenländischen Schloss.

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