Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
liebe Freunde,
Nicht unbedingt als Freund der Arbeitnehmer erweist sich der OGH, wenn er eine dreimonatige Verfallsfrist für die Geltendmachung von Ansprüchen durch Arbeitnehmer für zulässig erklärt:
http://www.ogh.gv.at/de/entscheidungen/weitere/dreimonatige-arbeitsvertragliche-verfallsfrist
Der OGH vermeidet zwar, einen Freibrief für die Verkürzung von Fallfristen zu geben, dennoch ist diese Entscheidung kritikwürdig, da, wie die Praxis erweist, Arbeitnehmer oft erheblich länger brauchen, bis sie – mehr der weniger zufällig – überhaupt die Möglichkeit haben, zu erfahren, dass sie noch Ansprüche geltend machen können. (Devise des OGH: Der Arbeitnehmer soll sich gefälligst sputen, sein Recht binnen 3 Monaten zu finden)
Ich weiß nicht ob es jemanden tröstet: in den achtziger oder neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts war es so, dass der OGH inhaltliche und zu Recht bestehende Ansprüche nur sehr selten unpopulärer Weise an Fristen scheitern ließ und vom Verfristungsrecht (Verjährung und Präklusion) nur sehr spärlich Gebrauch machte. Dies hat sich seit ungefähr etwas mehr als 10 Jahren – nicht nur in Arbeitsrechtssachen, sondern allgemein – grundlegend geändert. In der Zivilrechtspflege wird das Verfristungsrecht tendenziell ausdehnend angewandt. Damit erspart man sich viel Arbeit.
Der OGH platzierte auf seiner Homepage (http://www.ogh.gv.at/de ) den Slogan:
»Rechtssicherheit, Fairness und korrekte Verfahren sind Existenzgrundlagen unserer Gesellschaft und bilden eine Säule der Demokratie. Sie zu hüten ist unsere Aufgabe.«
Das Verfristungsrecht wird mit Rechtssicherheit gerechtfertigt. Zur dargelegten Präklusionsproblematik: nach 3 Monaten ist Rechtssicherheit geschaffen, indem eine Klage ausgeschlossen ist (für den Arbeitnehmer geht nichts mehr; der Arbeitgeber hat nichts mehr zu fürchten). Wie dem Slogan des OGH zu entnehmen ist, kommt Fairness (laienhaft auch: „Gerechtigkeit“) nur an 2. Stelle.
Der OGH agiert in Zivilsachen auch anderweitig zunehmend formalistisch, wie die gesamte Zivilrechtspflege. Spätestens seit der ZPO-Novelle 2002 geht es im Zivilprozess nicht mehr darum, Wahrheit und Gerechtigkeit zu finden, sondern irgendwie schnell Rechtssicherheit zu schaffen. Das Recht der Zulässigkeit der Anrufung des Obersten Gerichtshofes ist, was viele gar nicht wissen, nicht daran ausgerichtet, dass der Bürger eine richtige Entscheidung, sondern nur noch daran, keine denkunmögliche Entscheidung zu bekommen hat. Der Oberste Gerichtshof schreitet also nur noch ein, wenn die Untergerichte denkunmöglich entscheiden, wobei er nicht nur ausnahmsweise auch denkunmöglich Entscheidungen durchlässt.
Also liebe Bürger, die ihr es noch nicht begriffen habt: stellt Euch gefälligst um. Es geht nicht mehr um Gerechtigkeit, sondern nur noch um Rechtssicherheit.
Zur Information: dieser Tage wird gegen eine Entscheidung des OGH unter meiner Vertretung eine EGMR-Beschwerde gemacht, weil der OGH sein eigenes Verfahrensrecht missachtete und von einer (Rechtssicherheit vermittelnden) Entscheidung ohne Einberufung eines verstärkten Senats, wozu er verpflichtet gewesen wäre, abging, indem er im Amtshaftungsrecht bei einer Sachverhaltskonstellation, nach der bei einer Vorentscheidung eine dreijährige Verjährungsfrist galt, diese plötzlich auf ein Jahr herunter judizierte.
Mit Verjährungsrecht wird tendenziell Unrecht abgesegnet (Unrecht zum Recht gemacht). Es entspricht wohl auch einem neuen Selbstverständnis von Gleichheit und Gerechtigkeit, dass sich niemand mehr beschweren braucht, wenn sehr viele vor dem Gesetz schlecht behandelt werden und die Gerechtigkeit abgeschafft wird. So paradox es klingt: Durch die Abschaffung der Gerechtigkeit wird Gerechtigkeit geschaffen, da dann doch wieder alle gleich – nun eben ungerecht – behandelt werden. Wir lösen das ewige und leidige Gerechtigkeitsproblem, indem wir Gerechtigkeit samt und sonders beseitigen.
Nur: bis zum letzten Atemzug des letzten Menschen wird der Mensch die Frage nach der Gerechtigkeit nie vergessen. Das sei dem OGH ins Stammbuch geschrieben.
Mit freundlichen (kollegialen) Grüßen
Rechtsanwalt
Dr. Herbert Pochieser eh.
Schottenfeldgasse 2-4
A-1070 Wien
Tel.: ++43 1 5238667
Fax: ++43 1 5238667-10
s1@hpochieser.at <mailto:ra@hpochieser.at>
Rechtsanwaltscode: R110832
Kanzleistunden:
Mo – Do 9-12 u. 14 – 17; Fr 9 – 12 Uhr
Termine nach telefonischer Vereinbarung