D.Guérin: Hakenkreuz über den Gewerkschaften

Gewerkschaften 1933

Kurz nach dem 1. Mai 1933 …
Ein Arbeiter zieht Bilanz der Gewerkschaftspolitik (des ADGB, Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes)
aus “Die braune Pest”, Daniel Guérin, Sendler 1965
 
(…)
Was ist geschehen? Ein Genosse, der das Drama Tag für Tag miterlebt hat, der das Unglück hat kommen sehen, erklärt mir – und ich gebe es hier wieder:
 
– Sieh mal, im Grunde zeigt diese eindrucksvolle „Festung“  (ADGB, Anmerk. LabNetAu) viele Risse. ..Ein Koloß auf tönernen Füßen, wie ihr sagt. So lange die Periode der Hochkonjunktur andauerte, lief alles gut. ..Mit den Beiträgen von sieben Millionen Mitgliedern hat man im Handumdrehen die prächtigen – zu prachtvollen – Bauwerke errichtet. Man hat an einenewigwährenden Wohlstand geglaubt; man hat sich in gutem Glauben eingebildet, man könne im Innern des Regimes diese Wirtschaftsdemokratie verwirklichen, die dem Theoretiker Naphtali (Theoretiker der SKD und des ADGB, Anmerk. LabNetAu) so am Herzen liegt. Dann kam die Krise. Mehrere Millionen arbeitslose Mitglieder haben die Organisation verlassen. Unter die anderen mußten die geringen Arbeitslosenhilfsgelder aufgeteilt werden. Der Streik, die Hauptwaffe der Gewerkschaften, ist riskanter geworden. Und da war der Faschismus plötzlich da
 
…Unsere Führer, die sich nicht auf die Krise umstellen konnten, haben es nicht länger vermocht, Hitler die Stirn zu bieten. Gegen einen offensiven Feind kämpft man nicht mit wohlklingenden Aufrufen und schönen Häusern. Kennst du die wunderschöne Gewerkschaftsschule von Bernau, dieses Sündenbabel?
 
– Ja, ich habe sie im letzten Jahr besichtigt; nicht ohne ein gewisses Unbehagen …
– Siehst du, Bernau verkörperte unser Gewerkschaftswesen, mit allem, was ihm fehlte: Ich will damit sagen: eine Seele, Kampfgeist. Zu oft waren unsere Organisationen nur Innungsbanken. Der Arbeiter kam, um seinen Beitrag zu zahlen; wie bei der Sozialversicherung oder beim Arbeitsamt. Nicht das geringste revolutionäre Ideal, nichts als Bürokratengemüt. Wohlgemerkt: Ich will die frühere Arbeit der Gewerkschaften nicht herabsetzen. Ich weiß nur zu gut, was sie für die Emanzipation und Bildung unseres Proletariats getan haben. ..
 
– Es ist ihnen gelungen, die Masse zu organisieren, was ja immerhin schon etwas ist!
 
-Ja, aber gleichzeitig haben sie ihren Volkscharakter eingebüßt …Der ADGB hat schließlich wie ein Staatsgetriebe funktioniert …Der Korporativismus, das Gewerkschafterturn der Kollaboration, führte geradewegs in den Faschismus (…)