M.Genner: Ein Rückblick auf die Heimkampagne der Gruppe „Heimspartakus“

SPÄTZÜNDUNG (Teil 1)  (Teil 2)

Ein Rückblick auf die Heimkampagne
von Michael Genner, vormals SPARTAKUS, jetzt Asyl in Not

Vierzig Jahre danach hat die bürgerliche Presse den Heimskandal entdeckt. Besser spät als gar nicht. Aber es drängen sich mir einige Erinnerungen auf. Anfang der Siebzigerjahre war ich Vorstandsmitglied der Organisation SPARTAKUS. Wir kämpften gegen die Erziehungsheime – die „Jugend-KZ’s“, wie wir sie nannten.

Dieses Wort fanden manche übertrieben; aber heute schreibt sogar der „Kurier“ von „Kindergefängnissen“, immerhin    (http://kurier.at/nachrichten/wien/4307759.php ).

Zur „Heimenquete“ 1971, die heutigen Medienberichten zufolge Reformen eingeleitet haben soll, waren wir nicht eingeladen. Aber wir haben uns mit ein bißchen Nachdruck den Zutritt ins Rathaus verschafft und das Wort ergriffen, einer nach dem anderen: Jakob Mytteis, Willi Stelzhammer und ich sowie einige ehemalige Heiminsassen – und wurden einer nach dem anderen von der Rathauswache hinausgetragen.

Aber bevor sie das schafften, war es uns gelungen, das Wesentliche zu sagen, Mißstände aufzudecken, Schuldige anzuprangern, mit einem Wort: Öffentlichkeit herzustellen.

Wir lasen Protokolle über prügelnde Erzieher vor und griffen besonders den Psychiater Dr. Walter Spiel an, dessen Assistentin uns einige Interna über seine Arbeitsweise erzählt hatte. Diese Informationen gaben wir nun der Öffentlichkeit weiter.

Spiel war nämlich als Experte mitverantwortlich für die Einweisung von Zöglingen in die Strafgruppe und nach Kirchberg (die berüchtigte Außenstelle der berüchtigten Erziehungsanstalt Kaiser-Ebersdorf). Wie die Assistentin uns glaubhaft berichtete, ging das so vor sich:

„Der Zögling wird dem Psychiater Spiel vorgeführt. Der hört sich den Zögling zwei Minuten an, tut freundlich. Dann diktiert er seiner Sekretärin: ‚Asozialer Psychopath, ein völliger Tepp – zwei Monate Kirchberg‘.“

Ein Bursch, der selbst von Spiel bei einem Test als „asozial“ abgestempelt worden war. Schrie ihm vor allen Enqueteteilnehmern ins Gesicht: „Spiel du Schwein, gib zu, dir ist völlig wurscht, was mit den Jugendlichen passiert!“

Spiel soll auch, der Assistentin zufolge, auf einer Heimleiterkonferenz in Kaiser-Ebersdorf gesagt haben: „Wenn der Genner noch einmal eine Aktion macht, rennt er mir ins Messer, dann erkläre ich ihn für homosexuell.“

Aber das nur nebenbei; es fällt nicht ins Gewicht im Vergleich zu dem, was er den Jugendlichen antat. Walter Spiel, der posthum als „fortschrittlicher“ Kinderpsychiater gilt, hat unsere öffentlich erhobenen Vorwürfe damals nicht dementiert.

Aus dem Protokoll eines ehemaligen Kirchberg-Gefangenen:

„Ich mußte mal in Kirchberg arbeiten und zwar mit Handschellen. Es sieht hier ärger aus wie jeder Häfen. Glatze steht in der Hausordnung. Hier kommen die größten Schläger von Erziehern hin. Das Essen kommt von einem Gasthaus und besteht nur aus Abfällen. Jeder kommt in eine Einzelzelle. Man muß Arbeiten machen, die total beschissen sind. Zum Beispiel Splinten zupfen oder Tüten kleben. Wenn man Arbeitsverweigerung macht, oder man kann einfach nicht mehr, wird man von drei oder vier Erziehern derartig verprügelt, daß man manchmal gar nicht mehr stehen kann.“

Kirchberg war die letzte Station in der Stufenleiter der Heime, die stets nach unten führte: vom Kinderheim über das Lehrlingsheim ins Strafheim Eggenburg und nach Kaiser-Ebersdorf.

Fortsetzung folgt.

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Betreff: [ANAR.wien]

Erziehungsheime (2)
Datum: Donnerstag, 03. November 2011 14:11

SPÄTZÜNDER Teil 2

Ein Rückblick auf die Heimkampagne

von Michael Genner, vormals SPARTAKUS, jetzt Asyl in Not

Kirchberg war die letzte Station in der Stufenleiter der Heime, die stets
nach unten führte: vom Kinderheim über das Lehrlingsheim ins Strafheim
Eggenburg und nach Kaiser-Ebersdorf.

In Kaiser-Ebersdorf, gab es ein Erziehungsmittel namens „Minna“. Aus dem
Protokoll eines Ex-Zöglings:
„Dieses Marterwerkzeug ist 45 c. lang und hat den ungefähren Durchmesser von
2,5 cm. Der Kern ist aus Liezendraht, ca. 1,5 cm, und außen mit Hartgummi
überzogen. Diese Minna wurde bei jedem kleinsten Vergehen, wie nach der
Nachtruhe etwas lauteres Sprechen, seinen Dienst nicht völlig sauber
verrichtet zu haben, beim sonntäglichen Fußballspiel nicht zu gewinnen, beim
Auffinden einiger ‚Staubbrösel‘ in der Zelle als Marterwerkzeug verwendet.“

Kaiser-Ebersdorf war eine Bundeserziehungsanstalt; ebenso Wiener Neudorf,
die „Bundesanstalt für schwererziehbare Mädchen“. Aber auch die
Gemeindeheime waren kaum besser. Wir verfaßten damals eine umfangreiche
Dokumentation mit Prügelprotokollen aus Eggenburg, aber auch aus „normalen“
Lehrlingsheimen wie Augarten und Leopoldstadt. Wer aus einem dieser Heime
flüchtete, kam in das nächstschlimmere.

Aus einem Eggenburg-Protokoll:

„Ich entwich zehnmal aus dem Heim. Nach einem Ausbruch im August 1965 wurde
ich wieder festgenommen. Nach einer Woche wurde ich von der „Liesl“ nach
Eggenburg gebracht. In der Kanzlei bekam ich vom Heimleiter Johann Matz zwei
Ohrfeigen. Von den Erziehern Hein („Der Schiefe“), Kostrubik, Baumgartner,
Mehner, Strauß und Kollacek wurde ich zusammengeschlagen. Ich kam auf die
Strafgruppe. Mir wurde eine Glatze geschoren. Vom diensthabenden Erzieher
Knoll wurde ich zusammengeschlagen…“

Und so weiter, wir sammelten dutzende solche Protokolle. Die Täter von
damals wurden nie bestraft. Aber SPARTAKUS wurde verfolgt.

Das war Österreich in der „post“-faschistischen Zeit. Generationen von
Jugendlichen wurden in den Heimen gebrochen. Die Erzieher waren Erben des
Hitlerregimes. Die Heime dienten der Aufrechterhaltung einer autoritären,
antidemokratischen Gesellschaftsordnung.

Unsere Aktionen stellten Öffentlichkeit her; wir schützten untergetauchte
Heiminsassen und erreichten in manchen Fällen ihre Legalisierung. Aber der
große Aufschrei der Medien blieb aus. Solche Schlagzeilen über den
Heimskandal wie jetzt im „Kurier“ hätten wir uns damals gewünscht.

Daher fiel es dem Gegner leicht, uns zu kriminalisieren. Wir waren dann
einige Jahre in der Schweiz und in Frankreich im Exil. Dennoch hatten wir
Erfolg: Die Bundeserziehungsanstalten wurden 1975 von Justizminister Broda
zugesperrt. Die Verfahren gegen SPARTAKUS wurden 1976 (nach einer von der
Schweiz aus geführten Amnestiekampagne) eingestellt.

Die Gemeindeheime blieben lange, wie sie waren; aber im Lauf der Jahre
traten betreute Wohngemeinschaften an ihren Platz.

An der Grundstruktur der Gesellschaft hat sich trotzdem nicht viel geändert.
Daher ist auch meine Arbeit die Gleiche wie damals: Ich kämpfe für das
Menschenrecht der am meisten Unterdrückten. Denn der Terror des Systems
richtet sich heute vor allem gegen die sogenannten „Fremden“, die
Flüchtlinge und FremdarbeiterInnen.

Vierzig Jahre zu spät hat die bürgerliche Presse den Heimskandal entdeckt.
Heute freuen wir uns über sporadische Berichte zum Thema Asyl im STANDARD,
im „Profil“ oder im ORF.

Wird es noch einmal vierzig Jahre dauern, bis die Medien mit gleicher
Empörung wie jetzt über die Heime, mit gleich großen Schlagzeilen darüber
berichten, wie schrecklich man Flüchtlinge 2011 in Österreich behandelt hat?

Michael Genner

Obmann von Asyl in Not

www.asyl-in-not.org

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Raiffeisen (BLZ 32000),

Kontonummer 5.943.139, Asyl in Not

Frühere Berichte über SPARTAKUS und die Heimkampagne:

http://www.asyl-in-not.org/php/wir_achtundsechziger_teil_3,16137,14935.html

http://www.asyl-in-not.org/php/wir_achtundsechziger_teil_vier,16137,15099.html

http://www.asyl-in-not.org/php/wir_achtundsechziger_letzte_folge,16137,15154.html