Rezension von Gerhard Hanloser
Von zweierlei wird der linke Buchmarkt zur Zeit überflutet: Einführungen in und Aneignungen von Marxscher Theorie auf der einen und Analysen der Krisenprozesse ab 2007 auf der anderen Seite. Die Bücher zu Marx verlieren sich oft in Spezialdiskussionen, die anderen in einer komplizierten Wiedergabe wirtschaftlicher, besonders finanztechnischer Neuerungen und deren Folgen. Ein schmales, präzise formuliertes wie auch gekonnt übersetztes Buch stellt hierbei die Ausnahme dar: Paul Mattick schafft es in »Business as usual« auf knapp 150 Seiten, sowohl die wichtigsten grundlegenden Gedanken von Marx zu rekapitulieren als auch die aktuelle Krise und ihre Folgen radikal, das heißt an die Wurzel gehend, zu erklären.
Paul Mattick ist der gleichnamige Sohn des bekannten Rätekommunisten, der in den 1930er und 1940er Jahren die Krise in den USA als Analytiker und Aktivist theoretisch begleitete und 1969 den marxistischen Klassiker »Marx and Keynes« veröffentlichte, der auf die Grenzen keynesianischer Staatsinterventionen aufmerksam machte. Der Sohn tritt vorbehaltlos in die Fußstapfen des Vaters und legt nun eine Schrift vor, die begründet, dass Neo-Keynesianerinnen wie beispielsweise der wöchentliche Kolumnist der New York Times, Paul Krugman, mit ihren Aufforderungen zu mehr Staatsverschuldung lediglich die tiefe Krise des Kapitalismus verlängern, aber nicht lösen können.
Mattick junior wirft aber auch einen klugen Blick auf die Realität des Kapitalismus. Dieser war nämlich stets und jenseits jeglicher Ideologieverkündung ein einzig dem Profitprinzip verpflichtetes System, das auch in den Zeiten größter neoliberaler Selbstproklamation mit staatlicher Intervention und Staatsverschuldung verbunden war und ist.
So geht die Realität des Kapitalismus sowohl an der Einschätzung der neoliberalen Orthodoxie wie der keynesianischen Optimistinnen vorbei, die meinen, der Kapitalismus sei in letzter Instanz ein dem Volkswohlstand dienendes System. So beschwören die einen die Selbstheilungskräfte des Marktes, die es weder unter Ronald Reagans Rüstungskeynesianismus, noch unter Pinochets anti-linker Diktatur gab, die bereits 1982 auf Verstaatlichung neu gegründeter Unternehmen setzte. Dagegen meinen die anderen, eine kluge Politik des sich verschuldenden Staates könne die Krise abwenden oder irgendwie managen.
Matticks Diagnose ist hart und desillusionierend: Eine historische Skizze der Entwicklung des Kapitalismus zeigt, dass dieser aufgrund seiner Eigengesetzlichkeiten zwischen Boom und Depressionsphasen hin und hergeworfen wird, wobei die Depression jeweils auf brutale Art die sinkende Profitabilität bereinigt. Die globale Krise nach 1929, so Mattick, konnte in Deutschland wie in den USA, bei aller Verschiedenheit des politischen Überbaus, nur mittels Krieg und Vernichtung gelöst werden. Auch heute gibt es keine Rettung vor dem Crash, so groß man den Rettungsschirm auch spannen mag. Mattick setzt nun auf Prozesse der Selbstorganisation von unten, macht auf Katastrophenerfahrungen aufmerksam, in denen Menschen ebenso gezwungen wie gewillt waren, bisherige Verhältnisse neu zu strukturieren.
Das Ende der historischen Linken ist für Mattick ein Hoffnungsschimmer, war die Linke doch zu sehr mit reformerischem wie staatskapitalistischem Ordnungsdenken verbunden. In der Katastrophe könne nun etwas ganz anderes entstehen, andere Modi der Produktion und Verteilung. Es sind diese Schlusspassagen, die zwar Mut machen sollen, die allerdings die Leserinnen in der Luft hängen lassen. Mattick breitet wie er selbst schreibt »ein hochabstraktes, schematisches Bild von Entwicklung« aus, in dem die Menschen oder marxistisch formuliert: »die lebendige Arbeit« und »der subjektive Faktor« nahezu keine Rolle spielen. So hat in seiner Darstellung der Aufbruch um 1968 an der Krise ab den 1970er Jahren keinen Anteil. Woher aber soll vor dem Hintergrund einer schematisch-objektivistischen Beschreibung auf einmal die Potenz der Leute kommen, etwas ganz anderes auf den Plan zu heben noch dazu unter den Bedingungen einer katastrophalen Verarmungspolitik?
Trotz dieses Einwandes ist Matticks Blickwinkel der einzige dem Katastrohenkapitalismus angemessene, wie die Prozesse in Griechenland zeigen, wo bereits »Wohnraum, Nahrungsmittel und andere Güter einfach in Beschlag« genommen werden. Mattick schlägt dies vor, um das Wirtschaftssystem, das auf dem Tausch von Gütern gegen Geld beruht, zu untergraben. Ob diese Prozesse tatsächlich bereits »auf eine vollkommen andere Art von Gesellschaft« verweisen, sollte, ja müsste im Zentrum einer radikalen linken Debatte stehen.