K.Fischbacher: Europas Demokratie, Lebens- und Kulturstandard stehen auf dem Spiel

„Die nationale Budgethoheit, ein Kernbestand(!) des demokratischen Parlamentarismus, der den Monarchen einst abgetrotzt wurde, wird so zur bloßen Formalität degradiert.“ (Dr.in Edith Friedl zum „Verschärften Stabilitätspakt“ der EU, Demokratie wie wir sie kennen, LeserInnenbrief an die ÖLI-UG, 12.12.2011)

Edith Friedl hat meiner Meinung nach einen ganz wichtigen Punkt angesprochen. Es geht heute in Zeiten des „Verschärften Stabilitätspaktes“ und „Schuldenbremsen“ in der Tat um Europas Demokratie. Der EU-Ministerrat, hinter dem die großen Banken und Konzerne Europas stehen, haben bereits in Griechenland de facto den ersten Schritt hin zu einer Diktatur des Finanzkapitals getan. Von der letzten acht Mrd. Euro EZB-Hilfstranche kamen nicht einmal zwei in Griechenland an, weil über sechs Mrd. an die westlichen Großbanken als „Schuldenrückzahlung“ flossen. Irland, Portugal, Spanien, Italien sind die nächsten Länder, die unter direkte Kontrolle der EC, EZB und des IMF, sprich hauptsächlich der Deutschen Bank, Commerzbank oder Societe Generale kommen sollen. Das europäische Großkapital hat zuletzt auch Leute ihres direkten Vertrauens an oberen Regierungsstellen platziert: Draghi, der neue EZB- und Monti der neue italienische Regierungschef sind Goldman-Sachs-Leute. Griechenlands MP Papademos verhandelte immer wieder mit der Goldman-Sachs-Connection. 1)

Das haben bekanntermaßen „die Märkte“ auch goutiert, auf denen weniger kleine Yuppies dominieren sondern Großbanken und Konzerne die Big Players sind. Um das machtpolitische Bild des Europa des 21. Jahrhunderts zu vervollkommnen, muss ergänzt werden, dass Direktoren und Manager der Banken und Konzerne dies im Dienste der 10,2 Billionen Dollar-Geldmacht Europas tun.2) “Entscheidend für ein Verständnis der europäischen Machtelitenkonfiguration aber ist die praktisch unüberbrückbare Mauer zwischen der Geldelite und den übrigen Eliten. Weder Spitzenmanager noch Spitzenbürokraten noch Spitzenpolitiker haben wirklich eine Chance, in diese Kreise integriert zu werden. Denn die Geldelite lebt auf einem anderen Planeten. (…) Das bedeutet aber nicht, dass die ‚kapitalistische Elite‘ (…) nicht ‚herrscht‘. Vielmehr, der Geldadel verwaltet nicht, er treibt keine Politik und er produziert keine Kultur, aber er lässt verwalten, verteilen, erfinden und denken“ 3)

Die Krise 2008 hat indes offenbar selbst die Geldmacht etwas beunruhigt, so sehr, dass sie gleich den europäischen Parlamentarismus aushebeln lassen will? Es ist jedenfalls kaum vorstellbar, dass Barroso, Merkel oder Sarkozy gegen den Willen der 10,2 Billionen agieren. In diesen Krisenzeiten gelte es staatsmäßig auf ganz sicher zu gehen und so wenig wie möglich parlamentarische Regierungsextravaganzen zuzulassen. Papandreous Volksabstimmung über das EU-Diktat haben sie ganz schnell abdrehen und Papandreou umdrehen können – und ihn auch gleich durch einen EZB- & Goldman-Sachs-geeichten Nachfolger ersetzt. Das Gros der europäischen konservativen, „liberalen“ und sozialdemokratischen Regierungsriegen bis zum Führungspersonal der Mainstream-Medien und Wirtschaftsinstituten sind ohnehin seit jeher ideologisch geklont auf großbürgerlicher Linie. Und sie sind frei von koalitionär parlamentarisch-demokratischen Anwandlungen der alten postfaschistischen Politikergeneration. Bahn frei für ein EU-zentralisiertes autoritäres Regime in Europa?

Die Superreichen haben zwar 2008 einige hundert Milliarden Euro verloren, aber 2010 schon wieder alles eingeholt und überholt. Lukrativ war und ist ja die EU-Schuldenpolitik gegen Griechenland, Irland, Portugal usw. Schon Marx wusste, dass „die öffentliche Schuld eine der energischesten Hebel der ursprünglichen Akkumulation wird.“ 4) Für die Konkurrenz auf dem Weltmarkt braucht das europäische Großkapital allerdings in Zeiten des globalen Finanzkapitalismus noch fettere und noch schnellere Profite plus einen florierenden Aktienmarkt. Die absurde „Schuldenbremsen“-Politik (die ja die Rezession weiter verschärft) ist Teil dieser Strategie. „Frau Merkel und Herr Schäuble glauben, dass man ein Land nach dem Modell einer schwäbischen Hausfrau führen kann, die in schweren Zeiten ihre Ausgaben kürzt. Aber wenn eine Regierung ihre Ausgaben drosselt, brechen ihr automatisch die Steuereinnahmen weg. Das hat man soeben in Griechenland beobachten können.“ 5) Doch mittels Ausschaltung industrieller und mittelständischer Konkurrenz werden immerhin neue Anlagen und Absatzmärkte fürs deutsche, französische u.a. Großkapital geschaffen! Immer wichtiger wurden dabei die Moody’s, Standard & Poor’s und Fitch, die von Global-Spekulanten wie Warren Buffet und „Goldman-Sachs“ (Moody’s), Medien und TV-Eigentümern des US-MCGraw-Hill-Konzerns (Standard & Poor’s) oder französischen Milliardären betrieben werden (Marc Ladreit, Fitch).6) Es ist ein strategischer Teufelskreis der „Finanzmärkte“, hochprofitable Verschuldungen der Länder mit steigenden Kreditzinsen für diese zu „bestrafen“ und in noch tiefere Schulden und Krisen zu stürzen. Europäische PolitikerInnen und WirtschaftswissenschaftlerInnen klagen des Öfteren die US-Konkurrenz an, hinter den „Urteilen“ der Ratingagenturen zu stehen. Das wird zu einem kleinen Teil schon stimmen (vor allem für Moody’s und Standard & Poor’s). Wesentlich ist aber wie gesagt, dass die Triple-Herabstufungen Griechenlands, Portugals, Italiens u.a. den deutschen, französischen oder chinesischen Konkurrenten Anlagen und Märkte öffnen.

Die lohnarbeitenden Klassen und verarmten Mittelschichten:
Opfer und Subjekt der Hoffnung

Die steigende Massenarbeitslosigkeit soll gleichzeitig den Regierungsoffensiven gegen die Öffentlichen Dienste und die Pensionen zum Durchbruch verhelfen und das europäische Lohnniveau entscheidend senken! Jeder Widerstandswille in den Volksmassen muss dazu demoralisiert werden, wobei sie von den traditionellen Gewerkschaftsverbänden mit deren System befristeter Streiks und Proteste a la longue unterstützt werden . Mit der kapitalimmanenten Widersprüchlichkeit eines neuen Konzentrationsschubes des Kapitals und sinkender Profitraten ist mit Sicherheit bereits der nächste Crash – und das auf noch höherer Stufenleiter als 2008 – angelegt. In der Tat, das neoliberale Projekt in seiner finanzkapitalistisch explosiven Ausformung stürzt den Globus staatspolitisch und ökologisch immer mehr in die Katastrophe!

Echte Demokratie der „99%“!

Das europäische Kapital verfügt über 10,2 Billionen Dollar (ca 8 Bill. Euro). Die zehn reichsten Österreicher besitzen 63,5 Mrd. Euro7). Progressive Umverteilung von oben nach „unten“ könnte die Sozialstaaten wieder erstehen lassen. Das Mittel dazu sind unbefristete europäische Streiks gemeinsam mit Occupy-Besetzungen zentraler Plätze und Institutionen in den Städten. Unsere Alternative zum alten Sozial- und Kontroll-Staat könnten regionale direkte Demokratien in überregionalen Verbünden sein…

ÖGB und noch mehr die GÖD zeigen jedenfalls keine Perspektive. Ich wünschte und wünsche mir eine unversöhnliche linke Opposition im ÖGB mit der Ausrichtung auf kämpferische basisdemokratische Gewerkschaftspolitik der Selbstermächtigung der breiten Volksmassen. Denn es geht um nichts Geringeres als um Europas Demokratie, Lebens- und Kulturstandard!

Karl Fischbacher

Wien 11.12.2011

http://www.labournetaustria.at

Fußnoten

1) Siehe http://www.labournetaustria.at/?p=5422

2) World WealthReport, Merrill Lynch & Capgemini 2011, der Standard, 24.6.2011

3) H.J Krysmanski, Hirten und Wölfe, S.183

4) Marx, MEW 23, S.787

5) Heiner Flassbeck, der Standard, 9.12.2011

6) Gegenfrage( http://www.gegenfrage.com/sind-rating-agenturen-die-herrscher-der-welt)

7) Valluga AG, der Standard 1.9.2011