Francois Sabado (Exekutivbüros der Vierten Internationale): Internationale Lage (Juni 2013)

Europäische Linke

Einleitungsbericht zur Debatte über die internationale Situation, der in der Sitzung des Exekutivbüros der Vierten Internationale im Juni 2013 vorgestellt wurde.

Die letzten Wochen waren durch enorme Umwälzungen der türkischen und brasilianischen Jugend geprägt. Dazu kommt auch die Bewegung in Bosnien, die um die Frage der Verteidigung des Rechts von Babys auf eine Identität entstand. Soziale und politische Bewegungen sind Teil einer Bewegung des sozialen Widerstands und politischen Angriffs gegen die Sparpolitik, gegen Ungleichheit und gegen Angriffe auf demokratische Freiheiten. Ob Vertei­digung eines Parks, Antwort auf steigende Fahrpreise oder Verteidigung demokratischer Rechte – jede dieser Bewe­gungen hat ihre Einzigartigkeit. Das sind Bewegungen, die – und das gilt auf jeden Fall für die Türkei und Brasi­lien – in Schwellenländern entstehen, die bisher nicht von der Krise betroffen waren. Das verleiht diesen Bewegun­gen ein Erscheinungsbild vergleichbar dem „Mai 68”, mit starker Mobilisierung der Jugend, die durch Mobilisierung von Sektoren der Arbeiterbewegung weitergetragen wird.

In Brasilien könnten die Sparmaßnahmen Vorzeichen einer Erschöpfung des „brasilianischen Modells” sein. Aber die Triebfeder dieser Bewegungen ist genau der Widerspruch zwischen einem gewissen Wachstum – auch wenn es sich in Brasilien verlangsamt – und eklatanten Ungleichheiten. In Brasilien ist es die Spannung zwischen den ausgegebenen Beträgen für die nächste „Mundial” (WM) und den Budgetkürzungen, die Gesundheit, Bil­dung und Wohnungswesen treffen.

In der Türkei ist es der Gegensatz zwischen einem sozio-ökonomischen Wachstum und dem bleiernen Man­tel, den die Regierung Erdogan der Gesellschaft überstrei­fen will. Es ist zu früh, um Lehren aus diesen Ereignissen zu ziehen, aber neue politische Generationen setzen sich in Bewegung und dies prägt die Situation in diesen Ländern.

Wir wollen auf fünf Punkte eingehen; die Wirt­schaftskonjunktur, die neuen Spannungen in Europa, die Elemente der politischen Krise in Europa, die jüngsten Informationen über die sozialen Bewegungen und die letz­ten Nachrichten über die Möglichkeit politischer Zusam­menschlüsse.

1. Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

a) Die Rezession oder Quasi-Rezession in Europa hat sich bestätigt: -0.2 % im Durchschnitt, +0,1 % in Deutschland, -0,2 % in Frankreich.

b) Dies ist das sechste Quartal in Folge mit einem Rückgang der wirtschaftlichen Aktivität in Europa, die längste rezessive Periode in der Geschichte der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Die industriellen Überkapazitäten, insbesondere in Branchen wie der Au­tomobilproduktion, erreichen alarmierende Ausmaße und setzen neue Pläne für die Vernichtung von Fabriken und Arbeitsplätzen auf die Tagesordnung.

c) Die Lockerung der Spannungen auf den Finanzmärkten bedeutet nicht, dass die europäischen Volkswirtschaften immun gegen neue Bankenkrisen wären. Einige internati­onale Großbanken haben sogar die Mechanismen wieder belebt, die zu den „toxischen” Finanzprodukten geführt hatten, und die Zypern-Krise zeigt, dass Banken- und Finanzkrisen immer wieder ausbrechen können.

d) Aus diesem Grund führt der doppelte Druck der zuneh­menden Überproduktion in den wichtigsten Industrie­sektoren und auf den Finanzmärkten die herrschenden Klassen und die Regierungen dazu, ihre Sparpolitik zu verschärfen; Massenarbeitslosigkeit, Einfrieren oder Kür­zen der Löhne, eine weitere Kürzung der Sozialhaushalte, Angriffe auf die soziale Sicherheit und das Arbeitsgesetzbuch (siehe Vereinbarung in Italien zwischen dem Un­ternehmerverband „Confindustria” und der CGIL gegen Tarifverträge), die Verschiebung des Renteneintrittsalters und längere Dauer der Beitragszahlungen. Immer stärker greifen Pläne zur Zerstörung der Rentensysteme um sich. In den letzten Jahren und Monaten werden die Umrisse einer Neugestaltung der sozialen Beziehungen in Europa erkennbar: Das „soziale Modell” ist wirklich dabei, liqui­diert zu werden. Das ist Sparpolitik ohne Ende.

2. Neue Spannungen in Europa.

Die Auswirkungen der Wirtschaftskrise zusammen mit der Art und Weise der europäischen Integration haben die innereuropäischen Beziehungen in den letzten fünf Jahren stark verändert. Die verschiedenen Regionen Europas – Deutschland mit seinen nördlichen Satelliten­staaten, Südeuropa (Griechenland, Spanien, Portugal) und in einer Zwischenposition Frankreich und Italien – haben sich noch deutlicher herauskristallisiert. Osteuropa und der Balkan, darunter einige EU-Mitglieder — Polen, die baltischen Staaten, Tschechien, Slowakei und Slowenien -, bilden einen „zweiten Gürtel” deutscher Satelliten (im Sinne von Unterordnung/Integration und nicht, wie im Falle Schwedens und Dänemarks, nur von Integration), aber wahrscheinlich nicht Bulgarien, Rumänien, Kroati­en, deren Wirtschaft eher um Frankreich und Italien kreist und die daher dem „Süden” oder einem „zweiten Gürtel” des Südens näher sind. Trotz öffentlicher Bekenntnisse zur Notwendigkeit von Einheit und Zusammenarbeit und ei­ner europäischen Wirtschaftsregierung hat sich ein neues, von der deutschen Bourgeoisie dominiertes Kräfteverhält­nis herausgebildet. Durch hohe wirtschaftliche Leistungs­fähigkeit, technologische Innovation, Forschung, Ent­wicklung und das dichte Netz von kleinen und mittleren international erfolgreichen Unternehmen hat Deutschland seinen Platz in diesem Wettbewerb gefestigt.

Aber es ist vor allem die neoliberale Umstrukturierung seines Arbeitsmarktes und seiner Produktionsorganisati­on, die ihm einen Vorsprung verschafft hat. Die Hartz-Schröder-Reformen haben 20 % bis 25 % der aktiven Bevölkerung verarmen lassen, und durch die Welle von Standortverlagerungen nach Osten zusammen mit einer Politik des Sozialdumpings haben sich die Unterschiede zwischen Deutschland und den anderen Ländern verstärkt. Dies hat Oskar Lafontaine, ehemaliger Vorsitzender der SPD und Gründer der Partei DIE LINKE, ein Verfechter des kapitalistischen Europas, dazu gebracht, am 30. April 2013 zu erklären, dass „die Deutschen noch nicht begriffen haben, dass Südeuropa einschließlich Frankreichs durch die Wirtschaftskrise früher oder später gezwungen sein kann, gegen die deutsche Hegemonie zu revoltieren und den ,Ausstieg aus dem Euro‘ zu befürworten”.

Diese „Sparpolitik ohne Ende” wird nicht nur vom deutschen Kapitalismus verteidigt — unterstützt von Angela Merkels CDU und der SPD — sie ist auch eine grundsätzliche Antwort auf die Forderungen nach Renta­bilität und Profitabilität des von der Finanzialisierung der Weltwirtschaft dominierten Kapitals. Die verschiedenen europäischen Kapitalismen, verschiedenen europäischen herrschenden Klassen, verschiedenen europäischen Re­gierungen, die dem globalisierten System dienen, kön­nen nur der internen Logik des Systems entsprechen: die höchstmögliche Profitrate erzielen. Auch François Hollande, „Chef der Republik”, hat sich völlig dieser Logik verschrieben; sich davon zu lösen, würde eine umfassende Konfrontation mit dem Kapital bedeuten, die den Genen des Sozial-Neoliberalismus gänzlich fremd wäre.

Das Problem besteht dabei in den sozialen und politi­schen Risiken eines solchen historischen Rückschritts und der inneren Spaltung der Europäischen Union, aber die herrschenden Klassen halten an dem eingeschlagenen Weg fest, solange sie Profite und Gewinne ansammeln und den Zuwachs sozialer Spannungen meistern. Wie lange noch?

Diese Veränderungen der internen Verhältnisse in Europa veranlassen uns dazu, unsere Haltung gegenüber dem kapitalistischen Europa zu präzisieren, zusammen mit einem Sofortprogramm gegen die Sparpolitik auf nationaler Ebene und der Perspektive eines sozialen und demokratischen Europas, des Bruchs mit der Europäischen Union und dem Beginn des Aufbaus neuer Beziehungen in Europa zum Nutzen der Arbeitenden und der Völker. Aber wenn eine Regierung sich für die ernsthafte Umset­zung eines solchen Programms engagieren würde, dann würde sie mit den herrschenden Klassen zusammenstoßen und sähe sich den Forderungen der Finanzmärkte und den Diktaten der Europäischen Union gegenüber. Es gibt eine Verbindung, aber die Rhythmen sind verschieden, die Krisen und Kurswechsel sind nicht gleichzeitig, die Ge­schichte und die Ereignisse sind in den einzelnen Ländern unterschiedlich. In diesem Fall muss jedes Volk und jede Regierung, die sich vornimmt, mit der europäischen kapi­talistischen Logik zu brechen, „ihre Erfahrung schützen”, jeden revolutionären Prozess, jede Errungenschaft.

Mit dieser Methodik müssen wir die Frage des Aus­stiegs aus dem Euro behandeln, die von einigen Parteien der radikalen Linken aufgeworfen wird. Da die Krise sich vertieft und der soziale Rückschritt mit der EU und dem Euro identifiziert wird, verstehen wir das verbreitete Ge­fühl, den Euro und Europa abzulehnen. Doch das hieße, das Problem auf den Kopf zu stellen, vor allem, wenn der Ausstieg aus dem Euro in einer Wirtschaft erfolgt, die kapitalistisch bleibt, und daher gleichbedeutend mit einer massiven Abwertung wäre, die eine andere Form von Sparpolitik gegen die Menschen ist. Es ist kein Zufall, dass die Front National in Frankreich (und andere reaktionäre Formationen in Europa) gegen den Euro sind.

Statt zu einer nationalistischen Antwort zu greifen, müssen antikapitalistische Kräfte den Kurs halten: Für ein Europa im Dienst der Menschen und der Arbeiterinnen und Arbeiter. Aber wir dürfen die Augen nicht davor ver­schließen, dass es einen unüberwindlichen Widerspruch zwischen der Art des Aufbaus der EU und dem Euro einerseits und der Durchsetzung eines Programms gegen die Sparpolitik andererseits gibt. Das ist der Grund, wa­rum wir nie die Vorstellungen von einer „Reform” oder „Neuausrichtung” der EU geteilt haben. Wenn die Troika dem griechischen Volk ein Ultimatum stellt „Entweder Sie akzeptieren die Memoranden (Sparpolitik) und bleiben im Euro oder Sie lehnen die Memoranden ab und verlassen den Euro”, muss man dieser Falle ausweichen, und wir verstehen bestens die von Syriza in Griechenland ins Leben gerufen Parole „Keine Opfer für den Euro!” Das heißt, sich auf den Konflikt, auf die Konfrontation vorzubereiten.

Es ist nicht Sache einer Anti-Sparpolitik-Regierung, sich für den Austritt aus der Eurozone zu entscheiden; ihre Aufgabe ist es, die Ablehnung der Sparpolitik konsequent durchzuhalten und so die Bevölkerung auf den Bruch mit der kapitalistischen Logik vorzubereiten. Es ist Sache der Europäischen Union, das eine oder andere Land auszu­schließen – was in rechtlicher Hinsicht nicht so einfach ist und auch nicht zu ihren Plänen passt. Und wenn die EU so weit geht, dann ist es die Verantwortung einer Arbeiterre­gierung, sich der Krise zu stellen und alle Konsequenzen aus dem Bruchs zu ziehen (und natürlich darauf vorbereitet zu sein).

3. Die Elemente der politischen Krise

a) Die gegenwärtige Situation ist durch eine Kombination verschiedener Krisen geprägt: einer wirtschaftlichen, einer sozialen und einer politischen. Der neoliberale Kapitalis­mus stellt in der Krise tendenziell die Demokratie in Frage und entwickelt im institutionellen Bereich autoritäre Maßnahmen. Die Schließung des griechischen öffentlichen Fernsehens ist ein gutes Beispiel für solche Angriffe auf die Demokratie: Es wurde sogar von einem „Staatsstreich” gesprochen. Die Unterordnung der Regierungen in Süd­europa unter die Troika (EU, IWF, EZB) und die Macht der Finanzmärkte und Banken haben bereits den Wandel geprägt. Die herrschenden Klassen zeigen, dass sie bereit sind, die demokratischen Rechte und Freiheiten in Frage zu stellen, um ihre „Spardiktate” durchzusetzen.

b) Die Krise verschärft sich auch durch die Krise der politischen Repräsentation. Die gesellschaftliche, politi­sche und stimmenmäßige Basis der traditionellen Parteien wird destabilisiert und ausgehöhlt. Italien muss eine große Koalition mit Bersani, Betta und Berlusconi zustande be­kommen, um der durch die 8 Millionen Stimmen Beppe Grillos und die Millionen von der Rechten, von Mitte-Rechts und Mitte-Links verlorenen Stimmen verursachten Instabilität zu begegnen. Die Inkonsistenz der Bewegung Beppe Grillo nach nur wenigen Monaten im Parlament zeigt deutlich die Tiefe der Krise. In Deutschland lassen die Umfragen derzeit Wahlergebnisse erwarten, die zu einer großen Koalition zwischen Christdemokraten und Sozialdemokraten führen würden.

c) In dieser Krisensituation werden die Regierungsparteien regelmäßig abgestraft, aber dies in einer Verschiebung zugunsten der rechten und rechtsextremen Parteien. So gab es in Frankreich Demonstrationen von Hunderttausenden Menschen gegen die Ehe zwischen Personen des gleichen Geschlechts. Diese Frage hat ein altes katholi­sches, reaktionäres, Dreyfus-feindliches Frankreich wieder aufgeweckt, das seit Jahrzehnten im Land existiert, aber zu diesem Thema wieder aufgetaucht ist, angeregt durch ein allgemeines Klima, in dem die Linke durch die Politik der Sozialistischen Partei demobilisiert und demoralisiert ist. Im Zuge der Massenmobilisierungen einer radikalen Rechten, die sich auch teilweise von Parteien der traditi­onellen Rechten abgespalten hat, sind auch die Aktivitä­ten rechtsextremer Gruppen zu beachten, die Linke und Antifaschisten angreifen.

d) In Frankreich ist die politische und moralische Krise enorm. Die Politik der Sozialistischen Partei wird überwiegend abgelehnt. Wir dachten, dass das Schicksal der griechischen PASOK – ein totaler Zusammenbruch – ein griechischer Sonderfall war und dass die Sozialdemokratie zwar zurückfallen könnte, aber nicht derart zusammenbrechen würde. Wenn wir die jüngsten Teilwahlen in Frankreich analysieren, können wir diese Art von Zusam­menbruch aber auch für die PS nicht mehr ausschließen. Die PS verlor in diesen Wahlen Tausende von Stimmen. Sie ist sogar schon zum zweiten Mal in Folge bei Wahlen abgestraft worden. Wenn sich die derzeitigen Trends fortsetzen, kann die Situation für die PS bei den kommenden Kommunal- und Europawahlen im Jahre 2014 katastro­phal werden. Aber noch besorgniserregender in Bezug auf die Berichte über die politischen und stimmenmäßi­gen Kräfteverhältnisse ist die Tatsache, dass der Zusam­menbruch der PS der Rechten zugutekommt und ganz besonders der Front National, die schon zum Schwerpunkt des politischen Lebens Frankreichs geworden ist. Selbst wenn zu diesem Zeitpunkt kein signifikanter Anteil der herrschenden Klassen hinter der FN steht – sie sind für den globalisierten Kapitalismus -, können wir nicht ausschlie­ßen, dass es rechts zu einer politischen Neuzusammenset­zung mit einer gespaltenen Rechten kommt: Sektoren, die mit der Front National paktieren, und andere, die sich einer großen Neuzusammensetzung der Linken mit dem Zentrum zuwenden. Die relative Autonomie der politi­schen Krisenfaktoren könnte das Land irgendwann in eine kritische Situation führen.

4. Neue Bewegungen in den Schwellenländern und Grenzen sozialer Mobilisierungen in den Krisenländern

Man muss einen Unterschied machen zwischen den neuen Mobilisierungen, die in den sogenannten Schwellenlän­dern entstanden sind, und denen in den Krisenländern. Wir müssen die Dynamik, die Formen und die Inhalte der Mobilisierungen in der Türkei und in Brasilien genau betrachten. Die Mobilisierungen, die von sozialen und demokratischen Angriffen ausgehen, geben diesen Bewegungen ein Erscheinungsbild vergleichbar dem „Mai 68”. Die Schwellenländer sind auf ihre eigene Weise von der Krise betroffen, aber in einer besonderen Weise und mit einer materiellen Position (bezogen auf den Status dieser Gesellschaften), die sich weniger verschlechtert hat als in den Krisenländern. In Europa sind die Aktionstage und Demonstrationen in Spanien oder Portugal bemer­kenswert. Am 27. Juni gibt es in Portugal einen weiteren Tag des Generalstreiks. Man sollte auch die sprunghafte Zunahme sozialer und demokratischer Mobilisierungen in Griechenland nach der Schließung des ERT beachten. Trotz einer schwierigen Situation für die soziale Mobili­sierung in Griechenland nach 29 landesweiten Streiktagen ist die Volksbewegung in Griechenland immer noch in der Lage, gegen neue Angriffe Widerstand zu leisten. Auf Ebene des demokratischen Widerstands konnten Teilsiege errungen werden, aber auf sozio-ökonomischer Ebene wa­ren die Kämpfe nicht in der Lage, Entlassungen, Einfrieren oder Kürzen der Löhne, den Verlust von Tausenden von Arbeitsplätzen im öffentlichen Sektor oder Kürzungen bei den Sozialhaushalten zu verhindern. Kurz gesagt hat sich die Sparpolitik immer weiter verschärft. Die koordinierten Aktionstage auf europäischer Ebene haben soweit möglich die Situation geprägt, aber sie bilden keinen Bezugspunkt für die Arbeiterinnen und Arbeiter und jungen Menschen in den einzelnen Ländern. Neue Angriffe werden vorbe­reitet, insbesondere eine neue Reform der sozialistischen Regierung Frankreichs, die die Politik der Rechten aufnimmt und noch verschärft, sowie ein europäischer Richtlinienentwurf, der den Wettbewerb im Dienstleis­tungssektor, darunter Gesundheit, Sozialversicherung, Renten, Sozialleistungen verlangt … Wir müssen dies beobachten und in Erwartung eines teilweisen Konjunk­turabschwungs so aktiv wie möglich in diesen sozialen Bewegungen eingreifen.

5. Neues von der radikalen und revolutionären Linken

Die politischen Kräfteverhältnisse bleiben ungünstig für die revolutionäre Linke.

Syriza bleibt der Bezugspunkt für einen großen Teil der radikalen Linken in Europa. Ihr Kongress im Juli wird ein Test für ihre Fähigkeit sein, ein Programm gegen die Sparpolitik wieder zu beleben und dem enormen Druck der herrschenden Klassen und der Europäischen Union standzuhalten.

In Spanien stabilisiert die von der PCE dominierte Izquierda Unida (Vereinigte Linke) ihre Ergebnisse bei Meinungsumfragen und verbindet Reaktionen gegen die Sparpolitik mit institutionellem Realismus wie in Andalu­sien, wo sie an ihrer Beteiligung an der Regierung mit der PSOE festhält. Im spanischen Staat ist in Katalonien, in Baskenland und in Galizien der radikale Nationalismus von CUP, Sortu oder ANOVA von zentraler Bedeutung für den Aufbau einer politischen Alternative links von der Linken. Die Genossen von Izquierda Anticapitalista (An­tikapitalistische Linke) haben kürzlich an Versammlungen teilgenommen, um eine „antikapitalistische Alternative von unten“ aufzubauen. An diesen Versammlungen nah­men radikale Teile der Izquierda Unida, Verantwortliche von Gewerkschaften und Verbänden sowie Aktivistinnen aus der revolutionären Linken teil. Diese Treffen in Städten im ganzen Land haben neuen Raum für Debatten zwischen politisch Aktiven geöffnet. Man kommt zusammen, um sich in einen dauerhaften Rahmen für eine antikapitalisti­sche Alternative zur Politik der Izquierda Unida, die von institutionellen Fragen dominiert bleibt, umzuwandeln.

In Frankreich hat bei den jüngsten Teilwahlen die Linksfront3 nicht hinzugewonnen. Vielmehr war es die FN, die vom Zusammenbruch der PS profitiert hat. Die Linksfront hat zu einer Demonstration von Zehntausenden von Menschen gegen die Sparpolitik aufgerufen, die auch von der NPA unterstützt wird, aber die Mobilisierung seitens der radikalen Linken ist noch nicht stark genug, um das Kräfteverhältnis zu ändern. Man muss die nächsten Kommunal- und Europawahlen abwarten um zu sehen, ob die radikale Linke in dieser Situation des Aufstiegs der FN ebenfalls punkten kann.

Schließlich sollte daraufhingewiesen werden, dass es einige interessante Initiativen zur Sammlung von Revolu­tionärinnen und Revolutionären in Großbritannien gibt, an der Mitglieder von Socialist Resistance, der Anti-Capitalist Initiative und jene, die aus der Krise der SWP hervorgegangen sind, beteiligt sind. Diese Aktivistinnen und Aktivisten sind auch in Initiativen um den Aufruf von Ken Loach für eine neue antikapitalistische Partei aktiv.

In Deutschland gab es ein Treffen zur antikapitalisti­schen Sammlung auf Initiative einer Reihe von Strömun­gen, einschließlich der Mitglieder der Vierten Internatio­nale in diesem Land, mit Olivier Besancenot und Charles Andre Udry.

Außerdem sollen die Initiativen in Belgien erwähnt werden, genauer gesagt in Wallonien, zur Diskussion der Möglichkeit des Zusammenschlusses aller gewerkschaftli­chen Gegnerinnen und Gegner der Sparpolitik, um Mög­lichkeiten einer neuen, auf Gewerkschaftsarbeit gestützten Partei zu erörtern.

Francois Sabado ist Mitglied des Exekutivkomitees der Neue Antikapitalistischen Partei (NPA, Frankreich) und des Exekutivbüros der Vierten Internationale. Übersetzung: Björn Mertens

Fußnoten

1 Seit der Erstellung dieses Berichts war ein Streik bei der EPSM (öffentliche psychiatrische Einrichtung) in Caen erfolgreich … mit Bezahlung der Streiktage! Der brutale Sparkurs und die Umstrukturierung der EPSM (Streichung oder Umstrukturierung von Diensten, Streichung von RTT-Tagen [im Zuge der Arbeitszeitverkürzung gewährte freie Tage] und halbe Stunde Essenszeit, Dequalifizierung der Arbeitsplätze …), die plötzlich unerwartet durch Presse und Rundschreiben angekündigt wurde, hat eine beispiellose Mobilisierung unter allen Kategorien von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausgelöst, die für mehrere Tage die Zugänge zum Krankenhaus blockiert haben und ihre Wut und Ablehnung für die angeblichen De­fizite des Krankenhauses zu zahlen ausdrückten, zusammen-gefasst in der Parole „Wir sagen Nein! Das Personal wird nicht für das Defizit bezahlen!”.

2 Ein Bericht zum Ergebnis dieses Kongresses, der inzwischen stattgefunden hat, befindet sich auf S. xxff: in dieser Ausgabe der Inprekorr. [Anm. d. Red.]

3 Von der Parti de gauche (Linkspartei) und der Parti commu­niste franois (PCF) für die Europa-Wahlen 2009 gegründete Wahlplattform. Sie trat zu den Regionalwahlen 2010 sowie zu den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2012 erneut an. [Anm. d. Üb.]

 Inprekorr 5/2013