Frank Sölkner: Re: Nun für fundamentale Heeresreform Richtung Miliz, Berufsheerabbau und Demokratie

Ich glaube wir sollten jetzt nicht zu kleingläubig eng, d.h. nicht nur
pragmatisch ansetzen (das tun ohnehin die Parteien im Parlament). Die
Aufgabe einer friedensbewegten Linken ist es, darüber hinausgehende Räume
zumindest diskursiv offen zu halten bzw. diese wieder zu gewinnen.

Josef Baum hat einige pragmatisch nächste Schritte, die angepeilt werden
können benannt. In Ergänzung zu ihm nenne ich die Streichung des B-VG Art.
79 Zi 2b (= Einsatz des Bundesheeres gegen das eigene Volk); Agitation gegen
den B-VG Art. 23 f (= Kriegsteilnahmermächtigung der Bundesregierung ohne
UN-Mandat = die Abschaffung des Kerns unserer Neutrlaität). Mindestens
genauso wichtig aber ist, dass wir die friedenspolitische Debatte aus der
militaristischen Enge herausführen. Ohne visionäre Kraft werden wir
letztlich doch im Gleichklang europäischer Hegemonialpolitik landen.

Eine grundsätzliche mittelfristige Demilitariserungsperspektive, die den
Anteil an bewaffneten österreichischen Soldaten auf ein kleines Kontingent
unter dem Einsatz der UN-Weltordnungsmacht reduziert und dafür die
Instrumente der langfristig wirksamen Friedenspolitik ausbaut, ist derzeit
zwar weitestgehend aus dem allgemeinen Bewusstsein verschwunden, bleibt aber
unerläßlich.

21 steirische FriedensaktivistInnen haben einige solche Aufgabenstellungen
schon vor der Volksbefragung in einem offenen Brief an die Bundesregierung,
Parlamentspräsidentin und Bundespräsident exemplarisch formuliert (zum Brief
in seiner ganzen Länge siehe Beilage).

„Einige Perspektiven, die in den letzten Jahrzehnten in der österreichischen
Friedenspolitik unterbelichtet geblieben sind, die aber dringend zu
entwickeln wären, seien nachfolgend genannt:
– Wo bleiben heute die mutigen außenpolitischen Initiativen der
Nahostpolitik Kreiskys, der sich bei den Konflikten im arabischen Raum für
Verhandlungslösungen eingesetzt hat und dabei gleichzeitig unsere
Außenhandelsbeziehungen weiterentwickeln konnte?

– Wo sind unsere Bemühungen zugunsten eines atomwaffenfreien Nahen
Osten?

– Wo ist unser besonderes Engagement zur Erreichung der
Millenium-Ziele?

– Wo bleiben unsere Offensiven zugunsten einer gerechteren
Weltwirtschaftsordnung (die wohl einzige realistische Perspektive, um
langfristig nachhaltigen Frieden zu schaffen)?

– Wo bleibt unser Wille, dem OECD-Ziel von 0,7% oder auch nur dem
EU-Ziel von 0,5 des BIP zugunsten der Entwicklungszusammenarbeit
nahezukommen?

– Wo bleibt ein österreichischer Plan zum Aufbau eines
ernstzunehmenden international einsetzbaren zivilen Friedensdienstes?

– Wo sind jene ernsthaften Bestrebungen Österreichs zugunsten der
notwendigen Reform der UNO, der wir dann als „Weltordnungsmacht“ durchaus
auch Soldaten zur Verfügung stellen könnten? Gewiss wären zahlreiche
Staaten – neben den Neutralen und Blockfreien, vor allem die Staaten des
globalen Südens – hier als Bündnispartner zu gewinnen.“

Diese größeren Horizonte wieder aufzureissen, wird notwendig sein – auch um
zu verhindern, dass wir selbst uns nicht noch einmal in der Engführung der
Debatte zwischen zwei Varianten der Militärorganisation wiederfinden und wir
uns dabei auch noch untereinander in die Haare kriegen.

MfG,
Franz Sölkner

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Diskussionsgruppe Volksbefragung Wehrpflicht – Berufsheer

Kontakt: Franz Sölkner, 8051 Thal, Am Lindenhof 7; franz.soelkner@thalbeigraz.at

 Offener Brief per email an:

werner.faymann@bka.gv.at; michael.spindelegger@bmeia.gv.at;

norbert.darabos@bmlvs.gv.at; ministerbuero@bmi.gv.at

 

Der Brief geht mit dem Ersuchen um Stellungnahme auch an:

Herrn Bundespräsident Dr. Heinz Fischer, heinz.fischer@hofburg.at

Frau Nationalratspräsidentin Dr. Barbara Prammer, barbara.prammer@parlament.gv.at

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Dr. Werner Faymann!

Sehr geehrter Herr Vizekanzler und Außenminister Dr. Michael Spindelegger!

Sehr geehrter Herr Verteidigungsminister Norbert Darabos!

Sehr geehrte Frau Innenministerin Mag.a Johanna Mikl-Leitner!

Sehr geehrte Mitglieder der Bundesregierung!

 

Am 20. Jänner stellen Sie die österreichischen WählerInnen vor die Wahl zwischen der Beibehaltung unseres Bundesheeres als Wehrpflichtigen-Armee  einschließlich der Aufrechterhaltung des derzeitigen Zivildienstes und der Umstellung auf eine Berufsarmee samt Schaffung eines bezahlten freiwilligen Sozialjahres.

Die Unterzeichneten haben sich in einer längeren Diskussion  mit dieser Fragestellung auseinandergesetzt und nehmen dazu in einer über das konkrete Befragungsergebnis  hinausführenden Perspektive in nachfolgender Punktation Stellung:

  1. Grundsätzlich anerkennen wir das Bemühen, breite Bevölkerungsschichten über eine Volksbefragung in eine wichtige sicherheitspolitische Entscheidung einzubeziehen als wünschenswerten Beitrag  zu einer lebendigen Demokratie.
  2. Zugleich bedauern wir aber zutiefst die in der Fragestellung sichtbar werdende Enge der Wahlmöglichkeit und die dahinterstehenden Oberflächlichkeit der Analyse. Zur Wahl stehen zwei „militärische“ Varianten der Sicherheitspolitik, eine darüberhinausgehende nichtmilitärische Perspektive der Friedens- und Neutralitätspolitik steht hingegen nicht zur Debatte.
  3. Beide zur Entscheidung stehenden Varianten erscheinen uns aus friedenspolitischer Sicht unzeitgemäß und unserer konkret gegebenen geopolitischen Situation unangemessen. Wir sind in  einem Verbund befreundeter Nachbarstaaten, niemand hegt Pläne feindlicher Art gegen uns, die eine Verteidigungsarmee  rechtfertigen würden. Soziale Dienstleistungen und Katastrophenschutz können auf Basis der Weiterentwicklung schon bestehender Zivilorganisationen sichergestellt werden. Die tatsächlich gegebenen Gefahren von Cyperattacken und andere Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit sind Aufgaben einer guten Polizeiarbeit.
  4. Eine militärische Integration sowohl in die NATO als auch in eine sich herausbildende EU-Imperialmacht lehnen wir strikt ab. Die Aushöhlung des Kerns unserer Neutralität durch den Art. 23f B-VG (Teilnahmemöglichkeit Österreichischer Militärverbände an nicht UN-mandatierten EU-Kampfeinsätzen) soll ebenso rückgängig gemacht werden, wie die vor sich gehende Einbindung Österreichs in die gegebenen NATO- und EU-Militärstrukturen (Nato-Partnership for Peace, „Battlegroups“ etc.).
  5. Eine „kerneuropäische“ Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik/GSVP  ist trügerisch. In einer Art sicherem Hinterland lebend, besteht die Gefahr der  friedenspolitischen Verdummung. Beim neokolonialen Projekt  eines militarisierten Europäischen Imperiums wollen  wir weder mit einem Berufsheer noch mit Teilen einer Wehrpflichtarmee dabei sein. Die erwünschte Binnenbefriedung Europas darf nicht mit einer zunehmenden Außenaggression erkauft werden!
  6. Was in dieser Situation möglich und notwendig wäre ist die Parallelentwicklung einer langfristigen Perspektive der Demilitarisierung unseres Landes und eine auf Basis der militärischen Neutralität zu gestaltende Friedens- und Sicherheitspolitik. Dies ohne jede finanzielle Trittbrettfahrerei: Die aus der Demilitarisierung zu lukrierende Friedensdividende ist in diese grundsätzliche Friedenspolitik zu investieren.
  7. Einige Perspektiven, die in den letzten Jahrzehnten in der österreichischen Friedenspolitik unterbelichtet geblieben sind, die aber dringend zu entwickeln wären, seien nachfolgend genannt:

–       Wo bleiben heute die mutigen außenpolitischen Initiativen der Nahostpolitik Kreiskys, der sich bei den Konflikten  im arabischen Raum für Verhandlungslösungen eingesetzt hat und dabei gleichzeitig unsere Außenhandelsbeziehungen weiterentwickeln konnte?

–       Wo sind unsere Bemühungen zugunsten eines atomwaffenfreien Nahen Osten?

–       Wo ist unser besonderes Engagement  zur Erreichung der Millenium-Ziele?

–       Wo bleiben unsere Offensiven  zugunsten einer gerechteren Weltwirtschaftsordnung (die wohl einzige realistische Perspektive, um langfristig nachhaltigen Frieden zu schaffen)?

–       Wo bleibt unser Wille, dem OECD-Ziel von 0,7% oder auch nur dem EU-Ziel von 0,5 des BIP zugunsten der Entwicklungszusammenarbeit nahezukommen?

–       Wo bleibt ein österreichischer Plan zum Aufbau eines ernstzunehmenden international einsetzbaren zivilen Friedensdienstes?

–       Wo sind jene ernsthaften Bestrebungen Österreichs zugunsten der notwendigen Reform der UNO, der wir dann als „Weltordnungsmacht“ durchaus auch Soldaten zur Verfügung stellen könnten? Gewiss wären zahlreiche Staaten – neben den Neutralen und Blockfreien, vor allem die Staaten des globalen Südens – hier als Bündnispartner zu gewinnen.

Nur eine konsequente und mindestens mittelfristige Demilitarisierungsperspektive wird als Begleiterscheinung zu einer überzeugenden aktiven Friedens- und Neutralitätspolitik führen. Was ein Land ohne Armee zum Frieden beitragen kann, zeigte Costa Rica im Mittelamerika-Friedensprozess der 1980er Jahre. 1949 schaffte der Kleinstaat  die Armee ab und investierte die freigewordenen Gelder in das Bildungs- und Gesundheitswesen. Dies trug mit zu einem relativen Wohlstand bei – das Land gilt als das wohlhabendste Mittelamerikas. Und eben weil Costa Rica nicht militarisiert war, unternahm das Land große politische Anstrengungen um seine Nachbarschaft nach dem Sturz der Somoza-Diktatur in Nicaragua (1979) zu befrieden.

Wir UnterzeichnerInnen vertreten hinsichtlich unseres Abstimmungsverhaltens am 20. Jänner keine einheitliche Meinung. Eine Mehrheit hat aber Bedenken gegen ein nicht in die breite Bevölkerung eingebundenes Berufsheer und des daraus sich ergebenden Gefahrenpotentials der tendenziellen Herausbildung eines „Staates im Staat“.

Mit Besorgnis erkennen wir, dass aufgrund der Finanz- und Wirtschaftskrise es auch innerhalb der EU zu immer größeren sozialen Spannungen kommt, wie in Portugal, Spanien, Griechenland… Da die Widersprüche zwischen den Herrschenden und den sozial Benachteiligten eher zu- als abnehmen, sind Auseinandersetzungen um die Orientierung der Gesellschaftsordnung in Zukunft wahrscheinlich. Nur eine sozial gerechtere demokratischere Gesellschaftsordnung kann eine Eskalation vermeiden.

Ob mit oder ohne Wehrpflicht halten wir es jedenfalls in diesem Zusammenhang für unerlässlich, die Möglichkeit des Einsatzes des Bundesheeres gegen die eigene Bevölkerung (B-VG Art. 79 (2)1b) aus unserer Bundesverfassung  zu streichen.

Die Notwendigkeit, die oben unter Pkt. 7 beispielhaft genannten langfristigen friedenspolitischen Perspektiven durch entsprechende realpolitische Initiativen umzusetzen, bleibt von der kurzfristigen Entscheidung über die Art und Weise der Militärorganisation in Österreich aber jedenfalls unberührt.

Wir ersuchen Sie um die notwendige politische Phantasie und den dazugehörigen Mut, nach dem 20. Jänner diese und andere weiterreichende Aspekte einer  glaubwürdigen Friedens- und Neutralitätspolitik entschlossen ins Auge zu fassen.

Mit dem Ersuchen um Ihre Stellungnahme an die Kontaktadresse franz.soelkner@thalbeigraz.at

Die DiskutantInnen/UnterzeichnerInnen (in alphabetischer Reihenfolge):

Mag. Alexander Dinböck, alexander.dinboeck@reflex.at

Gregor Grabner, gregor.grabner@acp.at

Mag. Peter Heubrandner, 8051 Thal, Am Lindenhof 7

Dr. Wolfgang Himmler, wolfgang.himmler@gmail.com

Mag. Rudolf Joop, 8074 Raaba, Am, Silberberg 23

Engelbert Kremshofer, 8312 Ottendorf, Ziegenberg 53

Konrad Kulmer, konrad.kulmer@aon.at

Mag. Dieter Kurz, dieter.kurz@gmx.at

Mag.a  Waltraud Pritz, waltraud.pritz@gmail.com

Mag. Herbert Ruthofer, h.ruthofer@utanet.at

Veronika Rochart, Baiernstraße 103; 8020 Graz

Mag. Johann Schögler, johannschoegler@gmx.at

Konrad Schön, konrad.schoen@utanet.at

Gerald Schreiner, schreiner.gerald@gmx.at

Franz Sölkner, 8051 Thal, Am Lindenhof 7

Christa Strahlhofer, christastrahlhofer@yahoo.de

Mag.a Helga Suleiman, helga.suleiman@gmail.com

Ernesto Sun, contact@ernesto-sun.com

Dr. Alois Wolkinger, alois.wolkinger@gmx.at

Gerhard Zavodnik, gerhard.zavodnik@aon.at

Nicolas Ziegler, familie.ziegler@utanet.at