Die aus Südkorea stammende Autorin hat in Bremen und Berlin studiert und zwei Forschungsreisen nach China gemacht. 2004 promovierte sie bei Wolf Dieter Narr. Das vorliegende -ausgezeichnete- Buch ist das Ergebnis ihrer Studien.
Obwohl das Buch nunmehr bereits 9 Jahre auf dem Buckel hat, sind seine Analysen nach wie vor aktuell. Es unterscheidet sich wohltuend von der oberflächlichen, marktschreierischen „China-Literatur“, die es zu hauf gibt. Mit seinem integrativen Ansatz, der Ökonomie , Politik und Ideologie kombiniert, zählt es zum Besten, was heute verfügbar ist.
Ausgangspunkt der Untersuchungen sind die egalitären Wirtschaftskonzepte nach der siegreichen chinesischen Revolution 1949 und die beiden- gescheiterten- voluntaristischen maoistischen Projekte des „Großen Sprungs vorwärts“ (1959-1962) bzw. der „Kulturrevolution“ ( 1966-1976)- letztere hat 20 Millionen Hungertote verursacht!
Nach dem Tode Maos 1976 und einem massiven Machtkampf in der Partei setzten 1978 die ersten „Wirtschaftreformen“ ein. Die Autorin unterscheidet 2 Phasen: „Mit den Reformbeschlüssen Ende 1978 wurde ein Transformationsprozeß von der Plan- zur Marktwirtschaft in Gang gesetzt, der als chrakteristisches Merkmal durch einen Gradualismus gekennzeichnet ist. Während die Pekinger Führung die Einführung des Marktmechanismus und der Privatwirtschaft zum Zwecke der Effizienzsteigerung befürwortete, hielt sie aus Furcht vor der „unbändigen Kraft des Kapitalismus“ weiterhin an der staatlichen Planung und Regulierung des Wirtschaftsprozesses fest. Markt wurde daher lediglich als ergänzendes Element in der vorherrschenden Plannwirtschaft betrachtet. In der zweigleisigen Struktur von Plan und Markt ließ sich bis zur programmatischen Verkündigung der sozialisttischen Marktwirtschaftt von 1992 keine klare Zielrichtung der Reformen feststellen“(S.34). Allerdings: „Die Interessenkoalition aus Reformbefürwortern in Peking und den Küstenregionen, welche sich in Deng Xiaopings „Reise nach Süden“ im Frühjahr 1992 demonstrativ zeigte, führte zur Verkündigung der sozialistischen Marktwirtschaft. Dies ebnete den Weg zur freien Entfaltung des Marktprinzips und markierte damit einen entscheidenden Wendepunkt im bisherigen graduellen Transformationsprozeß. Die staatliche Planung wurde vom Markt als „systemneutrales“ Ressourcen-Allokationsprinzip abgelöst“(S.35).
Das bilaterale WTO-Abkommen mit den USA 1999 bzw. der Vollbeitritt zur WTO 2001 wirken als weitere Schwungräder in Richtung „Ausdehnung der Marktkräfte“.
Wie ausreichend bekannt, haben die Wirtschaftsreformen zu einer gewaltigen Steigerung der Poduktivkräfte geführt. Als das Buch geschrieben wurde, war die VR China die sechsgrößte Volkswirtschaft (S.67). Heute steht China bereits auf Platz 2.
Zentral bei dem Ansatz von Hyekyung Cho ist das Konzept des „autoritären Entwicklungsstaats“ (S.23ff)- ähnlich aber NICHT ident wie das Agieren der „asiatischen Tigerstaaten“(Südkorea,Taiwan, Singapur,…). Bis zum heutigen Tag spielt die öffentliche Hand -also der nichtbürgerliche Staat der 1949 entstand- im Wirtschaftsgeschehen eine zentrale Rolle -insbesonders was die Konzentration auf Schlüsselsektoren wie Elektronik, Telekommunikation, Verkehr, bzw. die Banken betrifft.
Kritisch legt die Autorin den Finger auf die enormen sozialen Kosten des Fortschritts des Landes: Disparität der Regionen; extreme Einkommensunterschiede; das elende Schicksal des Millionenheers der „Wanderarbeiter“( der „Ärmsten der Armen“) etc. Die ökologischen Kosten werden zwar auch erwähnt- für meinen Geschmack jedoch nicht ausreichend.
Scharf wird mit dem -extrem- repressiven Regime ins Gericht gegangen: sowohl das Massaker auf dem Tienamen Platz 1989 wird angeführt als auch generell das weitgehende Fehlen demokratischer Artikulationsmöglichkeiten – von entwickelter sozialistischer Demokrartie ganz zu schweigen.
Ausführlich wird der Prozeß der ideolischen „Transformation“ (sprich Entleerung von sozialistischen Positionen) behandelt: vom berüchtigten Sager Dengs „Es ist herrlich reich zu sein“ über die Glorifzierung des „Wachstums“, das immer mehr zum Fetisch wurde bis hin zum ins Kraut schießenden Nationalismus und Gerede von „Chinas Größe“(S. 210ff).
Ausgezeichnet auch die Abrechnung mit den diversen China- Mythologen, die das Land zur „Weltmacht Nummer Eins“ stilisieren. Tatsache ist vielmehr, daß die chinesische Übergangsgesellschaft trotz aller ökonischen Fortschritte nach wie vor ein Entwicklungsland ist- etwa was das Pro-Kopf-Einkommen betrifft (S 16).
Ein anlalytisch tolles, empirisch reichhaltiges Buch. Kritisch würde ich anmerken, daß es theoretisch ein gewisses Schwanken gibt: Gelegentlich wird die chinesische Wirtschaft als „bereits kapitalistisch“ hingestellt- obwohl in vielen Passagen das „andere Wirken “ des chinesischen Staates hervorgehoben wird. Dessenungeachtet: eine „Pflichtlektüre“ für jede/ n, der sich eingehend mit China beschäftigen will.
Hermann Dworczak (0676 / 972 31 10 )
Hyekyung Cho Chinas langer Marsch in den Kapitalismus
Westfälisches Dampfboot Münster 2005 359 Seiten