Das ist die eigentliche Frage der „Volksbefragung“ vom 20.Jänner 2012. (Genau genommen geht es allerdings nicht um die Wehrpflicht, sondern nur um den Präsenzdienst, denn die Wehrpflicht als solche für alle 17- bis 50- Jährigen bleibt natürlich in der Verfassung bestehen, sie wird nur „ausgesetzt“ und im Mobilisierungsfall wieder aktiviert; wir verwenden aber in weiterer Folge der Einfachheit halber ebenfalls den Begriff Wehrpflicht, in der Bedeutung des Grundwehrdiensts.) Die sekundäre Frage des Zivildienstes wurde nur hineingerührt, weil sich der Staat und die privaten Profiteure des billigen Arbeitskräftenachschubs, den ihnen der Zivildienst bietet, sorgen, dass ihnen dieses Ausbeutungsreservoir weg bricht. So entstand nach langem Hin und Her diese missgestaltete „Volksbefragung“. Aber auch die primäre Frage „Wehrpflicht oder Berufsheer?“ ist eine seltsame Frage, wenn man bedenkt, dass die Umwandlung einer – hauptsächlich – Wehrpflichtarmee in eine – hauptsächlich – Berufsarmee schon vor vier Jahrzehnten, mit der „Heeresgliederung 72“, in Angriff genommen wurde und heute längst weit fortgeschritten ist. Wenn schon, dann hätte man vor 45 Jahren eine solche Volksabstimmung oder Volksbefragung machen müssen…
Allerdings ist das Bild des Bundesheeres in der „Öffentlichkeit“ bis heute immer noch stark von der Wehrpflicht geprägt, die ja tatsächlich die Nahtstelle zur sonstigen Gesellschaft darstellt, einen Punkt des konkreten Interesses, während die eigentliche Militärpolitik und Militärorganisation das Licht der Öffentlichkeit eher scheuen und die meisten auch nicht besonders interessieren. Aber die „Öffentlichkeit“ liegt falsch. Sie hat die schrittweise Umwandlung des Bundesheeres in eine überwiegende Berufsarmee, bei zunächst weiterbestehender Wehrpflicht als Beiwerk, verschlafen. 1968 wurde das neue „Verteidigungskonzept“, die sogenannte „Raumverteidigung“, implementiert. Militärstrategisch ging es dabei darum, im Falle des Falles Österreich gegen den – damaligen – sowjetischen Sozialimperialismus nicht an den Grenzen, sondern erst in sehr tiefen „Tiefen des Raums“ zu verteidigen. Im Klartext war geplant, ganz Ost- und Zentralösterreich bis Salzburg kampflos zu räumen, die eigentlichen Einsatztruppen samt der Panzer- und Fliegerwaffe wie auch die Regierung und die Armeeführung in diesen Raum zu verlegen und – de facto im Rahmen der NATO – die Verbindung zwischen Süddeutschland und Norditalien zu sichern. Die „raumgebundene Miliz“ sollte in Ostösterreich in ihren verrosteten als „Bunker“ eingegrabenen Panzerwannen alleine auf den Feind warten. Das verstand die Bourgeoisie damals unter Landesverteidigung [1]. Sie war auch damals schon sehr weitgehend in die NATO integriert und zugleich war eine tatsächliche Verteidigung der nationalen Souveränität Österreichs kein Thema.
Ein neues „Verteidigungskonzept“ brauchte auch eine neue Armeestruktur, die „Heeresgliederung 72“. Damit wurde als Kerntruppe die sogenannte „Bereitschaftstruppe“ geschaffen, bestehend aus Panzergrenadier- und Jägerdivisionen, mit einer Stärke von 15.000 Mann Die „Bereitschaftstruppe“ stellte sozusagen eine „schnelle Eingreiftruppe“ („battle force group“, wie man später sagen würde) dar, sie war der Kern der Armee, und sie war eine Berufsarmee. Den Rest des Bundesheeres bildeten die „Landwehr“ bzw. eine milizartig aufgebaute Reservearmee. Obwohl es noch viele Widersprüche und Schlenker gab und manche Teile der Armeeführung damals tatsächlich ein milizartiges System in Form der „Landwehr“ als Hauptbestandteil der Armee ausbauen wollten, wurde damit dennoch in der Realität der energische Aufbau einer Berufsarmee im Rahmen des Bundesheeres in Angriff genommen bzw. die schrittweise Umwandlung des Bundesheeres von einer hauptsächlich auf der Wehrpflicht beruhenden in eine Armee, deren Rückgrat und Kern eine Berufsarmee darstellte, eingeleitet. Wehrpflichtige wurden weiterhin auch der „Bereitschaftstruppe“ zugeordnet – aber nur als sogenannte „Systemerhalter“ (z.B. als Mechaniker, Kraftfahrer, v.a. aber Infrastrukturerhalter bei Kasernkommandos und Stabseinheiten), in einer Panzerkompanie selbst z.B. hatten sie nichts verloren. Einen kleinen Kern aus Berufssoldaten hatte es natürlich seit 1955 immer schon gegeben, aber jetzt wurde die Armee regelrecht umgebaut und die Wehrpflicht wurde – was den operativen Einsatz betrifft – zum zweitrangigen Beiwerk.
Ab 1990 wurde das „Verteidigungskonzept“ neuerlich geändert. Jetzt, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und des Warschauer Pakts, ging es nicht mehr um Landesverteidigung, sondern darum, wie man sich den Balkan unter den Nagel reißen konnte, woran das österreichische Kapital massiv partizipieren wollte. Also war jetzt als „Verteidigungskonzept“ nicht mehr die Verteidigung des „tiefen Raums“ angesagt, sondern eine Art „Vorwärtsverteidigung“. Österreich wurde ab jetzt zwar nicht „am Hindukusch verteidigt“, das wäre im Gegensatz zu den deutschen Kameraden eine Nummer zu groß gewesen, aber immerhin in Jugoslawien. Dann arbeitete die Zilk-Platter-Kommission die neue „Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin 2001“ (Arbeitstitel: „Bundesheer 2010“) aus, das auf den weiteren Ausbau der Elemente der Berufsarmee im Rahmen des Bundesheeres zielte. Ein Kernpunkt dabei war die Bereitstellung von 6.000 Mann für Auslandseinsätze, organisiert in zwei unmittelbaren Einsatzbataillons von je 1.250 Mann und einer „Rahmenbrigade“ von 3.500 Mann. Das zielte auf eine massive Ausweitung und Aufstockung solcher Einsätze und stellte eigentlich eine neue (und bis heute nicht realisierte) Dimension imperialistischer Auslandsaktivitäten dar [2].
Heute haben wir einen Ist-Stand von 17.500 Berufssoldaten (incl.1.700 Zeitsoldaten, also befristete Berufssoldaten) als Kern, ergänzt um im Jahresschnitt 11.000 Wehrdiener. Letztere sollen jetzt ebenfalls durch Berufssoldaten ersetzt werden. Das ist alles.
Wenn es nicht um „Wehrpflicht oder Berufsheer?“ geht, worum geht es dann? Es geht darum, dass wieder einmal das Militärkonzept aktualisiert werden soll. Das ist Ausgangspunkt und Kernfrage, auch der Debatte, die sich in Kreisen der herrschenden Klasse entfaltet hat und mit der das Befragtenvolk beschäftigt wird. Es haben sich banal die „Sicherheitslage“ und die Vorstellungen der österreichischen Bourgeoisie, welche Rolle sie international spielen möchte, geändert. Daher muss ein neues „Sicherheits- und Verteidigungskonzept“ her und damit verbunden auch eine neue Organisationsform des Bundesheeres. Daran wird seit dem „Bericht der Bundesregierung zur neuen Sicherheitsstrategie“ (im Militärjargon: „SiPolBer 2011“), welcher am 1.März 2011 einstimmig von der Regierung beschlossen wurde, gewerkt. Der Arbeitstitel dieses Werkens heißt „Bundesheer 2025“. Es geht um eine „Profilschärfung“ des Bundesheeres, heißt es in Militärkreisen [3], „Profilschärfung“ für seine reaktionären Unterdrückungs- und imperialistischen Kriegsaufgaben. „Seltsamerweise“ scheuen dieser Bericht und das ganze Projekt die Öffentlichkeit – und das in einem Moment wilden Palavers über das „Wehrpflichtthema“. Halten wir also fest, dass um diese eigentliche Frage in der derzeitigen „öffentlichen Debatte“ ein weiter Bogen gemacht wird.
Was treibt die Bourgeoisie zu einer Perfektionierung der Berufsarmeen und zur Beseitigung der allgemeinen Wehrpflicht?
Es geht – wie überall sonst in Europa – auch in Österreich nicht um die Schaffung einer Berufsarmee, sondern um deren Weiterentwicklung, um eine „Profilschärfung“, ihre Stärkung und Perfektionierung, im Hinblick auf ein verändertes Militärkonzept. Es geht banal darum, wozu sie ihrer Einschätzung nach militärische Gewalt in nächster Zukunft konkret brauchen werden. Das ist des Pudels Kern und auch der der ganzen Debatte. Alles andere, die „Kostenfrage“, die „Sorge“ um den Zivildienst etc. sind Nebenfragen [4]. Und hier geht es halt heute nun einmal nicht um eine Verteidigung Österreichs gegen irgendeinen äußeren Angreifer (die berühmten ausländischen „Terroristen“, „Cyberkriminelle“ etc. sind nur vorgeschoben), zumal Österreich nicht nur von fast lauter NATO-Staaten umgeben, sondern selbst faktisch in die NATO integriert ist, was heute, in der Zeit der UNO-, EU- und sonstigen „Friedensmandate“, auch ohne formelle Mitgliedschaft wunderbar klappt und auch mit der Nichtabschaffung der formellen Neutralität wunderbar vereinbar ist.
Worum geht es also beim „Bundesheer 2025“? Es geht erstens um den heute wie seit jeher ins Auge gefassten und immer im Auge behaltenen Einsatz der Armee im Inneren, gegen „Gefährdungen der inneren Sicherheit“, also gegen Arbeiterklasse und Volk, und zweitens möchte man eine größere Rolle bei NATO- oder EU-Militäreinsätzen in fremden Staaten spielen.
Einsätze im Inneren? Zwar gibt es heute nicht viel an Klassenkampf in Österreich und daher auch keine aktuelle innere Bedrohung der kapitalistischen Ruhe und Ordnung. Aber rundherum ist es schon nicht mehr so ruhig. Alle schauen in Richtung Griechenland oder Iberische Halbinsel, wo die eigentliche und wirklich gefährliche Krise für die Bourgeoisie ja gerade darin besteht, dass sich die Menschen dort nicht mehr alles wehrlos gefallen lassen. Das macht ihnen Angst, obwohl sie noch äußerst fest im Sattel sitzen. Auch in Italien wachsen die Abwehrkämpfe von Arbeiterklasse und Volk. Irgendwann wird es auch auf dem Balkan rumsen und das wird der österreichischen Bourgeoisie dann schon sehr „nahe gehen“. Heute schon wachsen auch in Österreich Armut, Prekarität, Arbeitslosigkeit. Und die Krise des Kapitalismus vertieft sich immer weiter. Irgendwann schwappt das alles noch viel stärker auf die österreichische „Insel der Seligen“. Darauf bereiten sie sich vor, mit Ausbau des Polizeistaats und mit Vorbereitung der Armee auf den „Heimateinsatz“. Im Wehrgesetz ist dieser sowieso schon vorgesehen [5], aber die praktische Vorbereitung muss zielstrebiger vorangetrieben werden. Sehr richtig bemerkt die ÖMZ Nr.6/2012 (S.724), „dass ein militärischer Einsatz eine Antwort auf das politische Versagen bei der Krisenlösung“ sei. Sie reden natürlich von „Terroristen“ und nicht von ihrer Angst vor einer doch vielleicht irgendwann drohenden Arbeiter- und Volksrevolte, aber wir haben ja gerade gesehen, dass man sogar schon als Terrorist verfolgt wird, wenn man bloß ein paar Zobelpelze farblich verziert und ein paar dieser Viecherl frei lässt. Selbstverständlich, das zeigt die Geschichte in vielen Ländern, kann man auch eine genügend verhetzte Wehrpflichtigentruppe gegen den „inneren Feind“, die Arbeiterklasse und das Volk, einsetzen, aber man würde sich doch eher der zuverlässigeren Verbände bedienen, eben der Berufsarmee, einschließlich der „Spezialkräfte“, d.s. das in Wiener Neustadt angesiedelte „Jagdkommando“, eine ausgesprochene Bürgerkriegstruppe (bezüglich dessen die Homepage des „Verteidigungs“ministeriums kurioserweise ausdrücklich dementiert, dass es eine „Killermaschine“ sei), und von Teilen der ebenso ausgerichteten Fallschirmjäger- und Gebirgsjägerverbände [6].
Noch drängender und eiliger aber ist die „Profilschärfung“ des Bundesheeres im Hinblick auf imperialistische Einsätze in fremden Ländern. Offenbar möchten die Bourgeoisie und ihr Staat ihr „internationales Profil“ deutlich erhöhen [7]. Mit den jetzigen Beständen an Berufssoldaten haben sie das Zilk-Platter-Ziel aus 2001, nämlich 6.000 Mann für die Beteiligung an imperialistischen Kriegsabenteuern in fremden Ländern, bei weitem nicht erreicht und Wehrdiener können sie nicht ins Ausland und womöglich in den Krieg schicken, zumal „die österreichische Bevölkerung Kampfeinsätze nicht oder nur unter spezifischen Rahmenbedingungen mitträgt“ (ÖMZ 5/2012, S.563) . Das soll anders werden und dazu möchte man „schlecht ausgebildete“, „nicht motivierte“ und „unzuverlässige“ Wehrdienstler durch „Profis“ ersetzen, die auch für den „robusten Einsatz“ (wie das neuerdings heißt) oder später einmal auch für den richtigen, heißen Krieg tauglich sind.
Und wo bleibt der vielgenannte Katastrophenschutz? Das wäre nach dem SPÖ-Konzept der zukünftigen „Profi-Miliz“ vorbehalten. Das Pilotprojekt Darabosch‘, das Aufstellen zweier Pionierkompanien, stottert, „entspricht nicht den Erwartungen“ und kostet von Anfang an viel mehr als geplant. Offenkundig zielt das Ganze sowieso weniger auf den Katastrophenschutz, sondern darauf, dem eigentlichen Berufsarmee-Kern des Bundesheeres doch wieder – als Ersatz für die dann ausgesetzte Wehrpflicht – eine halbwegs schlagkräftige Miliz zur Seite zu stellen, also dem alten Milizgedanken wieder Leben einzuhauchen, nachdem man ihn zwanzig Jahre lang absterben ließ. 9.300 Mann soll die „Profi-Miliz“ einmal zählen. Sie sind voll militärisch ausgebildet und ausgerüstet, obwohl man ja für das Wegräumen von abgegangenen Muren Sturmgewehre und Panzerabwehrrohre (wie auf den Darabosch’schen Werbefotos für das Pilotprojekt dargestellt) eher nicht so gut gebrauchen kann.
Österreich stand und steht mit der im Lauf der Jahre immer stärker ausgeprägten Fokussierung auf eine Berufsarmee und auch dem aktuellen Drang nach Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht nicht nur nicht alleine da, sondern ist vielmehr in der EU mit Griechenland, Finnland und Estland (und der Schweiz, die aber nicht EU-Mitglied ist) einer der letzten Nachzügler. Geschichten, dass die Abschaffung der Wehrpflicht eine „überraschende“ Erfindung der Herren Häupl und Pröll im Zug ihrer Wahlkämpfe gewesen sei, gehören in die Schublade „Märchen“ oder „Seitenblicke“.
Was ist von den Differenzen zwischen SPÖ und ÖVP zu halten und warum gibt es überhaupt eine „Volksbefragung“?
Warum streiten sie in der Regierung und sind sie damit schließlich bei dem Mist dieser „Volksbefragung“ gelandet? Gegenfrage: Streiten sie tatsächlich oder führen sie bloß eine Schmierenkomödie vor? Sie haben immerhin am 1.März 2011 in der Regierung einstimmig das „Bundesheer 2025“, also den Grundriss einer neuen „Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin“, beschlossen. Sie bauen seit vier Jahrzehnten, durch alle Regierungskonstellationen hindurch, gemeinsam die Berufsarmee im Rahmen des Bundesheers, als seine Kern- und Einsatztruppe, auf. Sie sind sich einig über die heute notwendige „Profilschärfung“ des Bundesheeres. Sie sind sich also in den Grundzügen über die Militärdoktrin einig.
Allerdings gibt es offenbar Meinungsunterschiede, nicht nur zwischen den beiden Regierungsparteien, sondern auch innerhalb von SPÖ und ÖVP und über die Parteigrenzen hinweg, auch in der Armeeführung selbst, wie die zukünftige Armeeorganisation im Detail ausschauen soll. So wie es über die Abfangjäger verschiedene Meinungen in der Bourgeoisie, im Staat, im Generalstab gab und gibt, so gibt es sie auch in der Frage, ob man auf die Grundwehrdiener als „Systemerhalter“ verzichten und lieber die Zahl an Berufssoldaten aufstocken soll oder eben nicht. Man könnte auch einen Cocktail aus beidem ins Auge fassen (z.B. in Form einer Teilwehrpflicht durch selektive Einziehungskriterien oder – wie in Dänemark – durch eine Berufsarmee, die bei ausgesetzter Wehrpflicht nur bei Bedarf ergänzt wird um eine Zwangsrekrutierung durch Losentscheid, etwas, das früher gang und gäbe war und das man Aushebungssystem nennt). Solche Debatten und Differenzen sind nichts Außergewöhnliches.
Ziemlich kurios ist allerdings der jüngst vollzogene Seitenwechsel. Dass die traditionelle „Wehrpflichtpartei“ SPÖ das Berufsheer als Ideal entdeckt, liegt „im Zug der Zeit“. Aber warum schwenkt die traditionelle „Berufsheerpartei“ ÖVP plötzlich auf die Verteidigung der Wehrpflicht um? Das alles wohlgemerkt bei weiterhin gemeinsamem Wirken an der „Profilschärfung“ des Bundesheeres als Berufsarmee. Teils ist es wahrscheinlich – mit Blickrichtung auf die offenkundigen Risken für den Zivildienst – wirklich nur politische Schaumschlägerei in Vorwahlzeiten, aber es spielen auch Sachfragen der Militärpolitik eine Rolle. Eine Berufsarmee, die das tun soll, was ihr die Regierung im „SiPolBer 2011“ zumutet, kostet wahrscheinlich wirklich doppelt so viel als das bisherige Bundesheer (das war noch kurz vor seinem Kurswechsel eine Schätzung von Darabosch), es herrscht aber allgemeine Finanznot. „90% der anderen EU-Staaten haben auch ein Berufsheer“ sagt Herr Faymann – stimmt, aber nicht mit einem Budget von 0,7% des BIP. So unbestritten unter allen die Fokussierung auf das Berufsheer ist, so sehr schließt das ja das (relativ billige) Dazustellen von Wehrpflichtigen nicht aus. So ist es bisher und dazu neigt die ÖVP offenbar auch weiterhin. Die Armeeführung weiß natürlich, dass eine Berufsarmee gemäß „SiPolBer 2011“ zu unveränderten Kosten nur Mumpitz ist und man nicht mit penetranter Wiederholung des Wortes „Profi!“ ein Problem lösen kann. Wie man in jeder Nummer der ÖMZ lesen kann, sie sind sauer über diese „leer laufende“ Politik und Propaganda „auf ihrem Rücken“.
Die Probleme, das Fehlen eines klaren Militärkonzepts und auch das Finanzproblem, verschärfen sich von Monat zu Monat. Man hätte sich längst, zumal man sich ja ohnedies in der Hauptsache einig ist und die Berufsarmee auf jeden Fall ausbauen wird, auf eine Konkretisierung der Umsetzung „SiPolBer 2011“, darunter auch die konkrete zukünftige Ausprägung der Berufsarmee, verständigen müssen. Daran wird zwar in der Führung des Bundesheeres fleißig gearbeitet, aber es spießt sich auf politischer Ebene, der Bericht ist immer noch nicht vom Parlament verabschiedet. Es ist aber leicht begreiflich, dass das Bundesheer dringend einen konkreten Handlungsrahmen bräuchte, jeder orientierungslose bürokratische Leerlauf verschlingt nur sinnlos Finanzmittel. Da man nun aber schon fast zwei Jahre nach dem Regierungsbeschluss in Bezug auf seine Durchführung, z.B. in der strittigen Frage der Wehrpflicht (aber auch in einigen anderen Fragen) noch keinen Schritt weiter ist, ergab sich schließlich diese „Volksbefragung“ als Ausweg aus der politischen Sackgasse.
Es gibt aber auch noch, das liegt auf der Hand, einen zweiten Grund: den Zusammenhang mit der Frage des Zivildienstes. Wahrscheinlich geht es der ÖVP auch darum, die Leute nicht mit einem drohenden Aus für den Zivildienst zu verschrecken, in der Tat ein riskantes Spiel der SPÖ. Wahrscheinlich stimmen von den Volksbefragten, die hingehen, die meisten sowieso nur über diese Frage ab und nicht über die Militärpolitik, über die sie ja auch nichts, aber auch schon gar nichts erfahren. Angesichts einer absurden Fragestellung gibt es wahrscheinlich ein sehr generationenbezogenes Abstimmungsverhalten. Einen Bürgerkrieg mit Bundesheerbeteiligung kann sich heute ohnehin kaum jemand vorstellen und was österreichische Soldaten auf dem Balkan oder im Libanon oder im Tschad treiben, ist den meisten – weil sie durch die Brille der „UNO-Friedensstiftung und -sicherung“ schauen – auch nicht sonderlich wichtig (solange es keine nennenswerte Zahl von Toten auf österreichischer Seite gibt!) [8]. Umgekehrt erscheint sicher vielen als wesentlich wichtiger, dass allerhand Sozialdienste, die vom Zivildienst leben, nicht zusammenbrechen oder ausgehungert werden, was aber leicht passieren kann. (Allerdings gibt es, falls sich nicht genug „freiwillige Sozialdienstler“ melden, auf Basis des neuen „Mindestsicherungsgesetzes“ die perfekte Möglichkeit, Arbeitslose dafür zwangszuverpflichten, und deren Zahl steigt mit der Abschaffung der Wehrpflicht. Der Herr Hundsdorfer behält das sicher im Auge, sind doch beide Gesetze seine Projekte. Geredet wird in der „Öffentlichkeit“ darüber noch nicht.)
Fest steht jedenfalls, dass – egal wie die „Volksbefragung“ ausgeht – die Berufsarmee im Bundesheer weiter „profiliert“ und ausgebaut werden und das Militärkonzept „Bundesheer 2025“ konkretisiert und umgesetzt werden wird. Was die „Volksbefragung“ ebenfalls, ganz abgesehen von ihrer obskuren Fragestellung, zu einer totalen Farce macht und allein schon Grund genug ist, sie zu boykottieren.
Kommunistische Militärpolitik
Das ist aber nicht der einzige, nicht einmal der wichtigste Grund. Auf dieser Ebene dürfen wir nicht stehen bleiben. Ob Wehrpflichtigenheer oder Berufsheer – es geht um den Klassencharakter der Armee und nur darum. Zu glauben, dass eine Wehrpflichtarmee (was noch dazu das Bundesheer lange nicht mehr ist) nicht ein ebensolcher Gewaltapparat des Staates gegen Arbeiterklasse und Volk wäre wie eine Berufsarmee, ist blanker reformistischer Aberglaube.
Der sozialdemokratische Mythos bezüglich 1934 gehört in diese Kategorie. Glaubt jemand wirklich, die austrofaschistische Regierung hätte unter Bedingungen der allgemeinen Wehrpflicht keine Militärverbände gehabt, die sie gegen den Arbeiteraufstand hätte schicken können? Glaubt jemand, dass sie nicht auch genug freiwillige Wehrpflichtler gefunden hätte, die man in einsatzfähigen Verbänden hätte zusammenfassen können, bei gleichzeitiger Kasernierung und Abriegelung der „Unzuverlässigen“? Hat sie etwa nicht – neben den Berufssoldaten des Bundesheeres – genug Freiwillige für die „Heimwehr“ etc. rekrutiert? Haben etwa nicht sogar bei der Beschießung des Karl-Marx-Hofs austrofaschistische Freiwilligenverbände mitgeschossen? Das sind alles entweder naive Illusionen oder man möchte einfach den Klassencharakter des heutigen „demokratischen“ Bourgeoisstaates und seiner Armee verleugnen und ihren Charakter als potentiell gegen Arbeiterklasse und Volk gerichteten Gewaltapparat.
(Übrigens und speziell an die Adresse dieser Auffassungen: Die Niederlage der Arbeiterklasse 1934 lag nicht daran, dass das faschistische Bundesheer keine Wehrpflichtarmee, sondern eine Berufsarmee war, sondern daran, dass die Arbeiterbewegung keine revolutionäre Führung hatte und von der sozialdemokratischen Spitze in schändlichster und niederträchtigster Weise verraten wurde.)
„Links“ von der Sozialdemokratie (und an deren „linkem“ Rand) treiben sich reformistische, revisionistische und sonstige bürgerliche Kräfte aller Art um, die die Wehrpflicht verteidigen oder denen ein Milizsystem „demokratisch“ vorkommt und die damit ebenfalls, nur auf „kritische“ Art und Weise, in verschiedenen Schattierungen, vorspiegeln, dass das Bundesheer, solange bzw. soweit es die Wehrpflicht noch gibt, eine demokratische Einrichtung eines demokratischen Staates sei, zumindest aber „demokratischer“ als ohne diese. Vielleicht sollten sie einmal die wirklich antimilitaristischen und antiimperialistischen Kräfte in der Schweiz der Milizionäre fragen, wie die das sehen! So reiht man sich in Wahrheit, jeder auf seine Art, ein in die reaktionäre Kampagne für „unser Heer“ oder gibt dieser Kampagne zumindest Flankenschutz. Die „Volksbefragung“ wird nämlich auch massiv für eine solche Kampagne genutzt. Beschönigung und Rechtfertigung einer Armee, die zur Bekämpfung jedweden Aufbegehrens von Arbeiterklasse und Volk im Inneren und für eine imperialistische Besatzerrolle am Balkan, im Nahen Osten und in Afrika da ist, bloß weil sie mit ein bisschen Wehrpflicht und evt. sogar „volkstümlicher“ Miliz versetzt ist – feine Demokraten und Friedensfreunde sind das! Und „treue Diener ihres Herren“, der Sozialdemokratie, derjenigen Sozialdemokratie, die seit Jahrzehnten an vorderster Front steht beim Ausbau des Polizeistaates und der „Profilschärfung“ des Bundesheeres [9].
Die sozialistische Revolution verlangt den Sturz der Bourgeoisherrschaft und die Zerschlagung ihres Staats- und Gewaltapparats. Darauf ist alle kommunistische Militärarbeit zu richten. Eine Wehrpflichtarmee bietet bessere Bedingungen für proletarische Militärarbeit, für die Aneignung militärischer Fähigkeiten durch die Arbeiterklasse selbst, für die Zersetzung der bürgerlichen Armee. Das ist aber auch schon alles, was man für sie anführen kann. Sogar eine tatsächliche Wehrpflichtarmee, vom österreichischen Bundesheer gar nicht zu reden, wäre ein kapitalistischer Gewaltapparat und würde und könnte bei Bedarf gegen Arbeiterklasse und Volk eingesetzt werden. Es ist falsch und gefährlich, Illusionen zu schüren, dass eine Wehrpflichtarmee keine Bürgerkriegsarmee oder womöglich nicht als solche einsatzfähig wäre, und noch falscher und gefährlicher, das österreichische Bundesheer – als angebliche Noch-Wehrpflichtarmee – auf diese Art und Weise zu verkennen. Wir vertreten keinen solchen Aberglauben in Wehrpflicht und Wehrpflichtarmeen. Wir verteidigen daher auch nicht positiv die Wehrpflicht, bloß weil sie bessere Kampfbedingungen bietet. Wir gehen vielmehr davon aus, dass auch eine solche Armee zersetzt und zerschlagen werden muss und dass dies im Zuge einer Revolution auch tatsächlich möglich ist. Eine revolutionäre Situation entsteht, wenn (frei nach Lenin) die Bourgeoisie nicht mehr wie bisher weiter herrschen kann und die Arbeiterklasse nicht mehr wie bisher weiter leben kann und will. Das bedeutet den Aufschwung der proletarischen Kräfte auf der einen Seite, aber auch die Zersetzung des bürgerlichen Staates und seiner Armee auf der anderen Seite. Mit der Organisationsform dieser Armee hat das zwar etwas zu tun, nämlich wie die Bedingungen der Zersetzung sind und wie sie verläuft, aber das ist nur ein untergeordneter Aspekt der Gesamtfrage der Zersetzung und Zerschlagung dieser Armee. Heute aber und gerade mit Blickrichtung auf die Schärfung des Klassenbewusstseins darf man keine Illusionen schüren, weder über das angeblich demokratische Wesen der Wehrpflicht, noch – noch schlimmer! – über den angeblich demokratischen Charakter des Bundesheeres. Damit zersetzt man statt der Armee die revolutionäre und antimilitaristische Arbeit. Wenn z.B. KI, Solidarwerkstatt und andere „die Wehrpflicht verteidigen“, verteidigen sie tatsächlich das heutige (vermeintliche) „Wehrpflichtheer“ gegen angebliche Anschläge gegen dasselbe, also in Wahrheit das Bundesheer in seiner heutigen Verfassung, also die heute schon überwiegende Berufsarmee im Bundesheer, also die bürgerliche Armee. Und wenn der „linke“ Rand solcher Strömungen eventuell sogar – aus Gründen einer liebgewonnenen Tradition – von „Erlernen des Waffenhandwerks“ spricht, ist zu bedenken, dass man erstens im Präsenzdienst, falls man Glück hat!, schon etwas lernen kann, dass man dies aber nicht überschätzen soll und dass zweitens jemand, für den der Präsident Chavez der höchste vorstellbare Gipfel der Revolution ist, dass so jemand für das, was er sich unter „sozialistischer Revolution“ vorstellt, ohnedies kein Waffenhandwerk braucht.
Die Nebenfront: Zivildienst oder „freiwilliges Sozialjahr“?
Das ist an und für sich ein Nebenschauplatz, spielt aber in der „öffentlichen Meinung“ eine erhebliche Rolle. Obwohl manchen vor lauter Rechnerei, welche Lösung denn billiger wäre, der Kopf raucht, oder obwohl viele, die seit Jahr und Tag eifrig an der Aushöhlung und Verschlechterung des Sozial- und Gesundheitswesens arbeiten, plötzlich geradezu vergehen vor „Sorge“ um den Bestand, ja um eine Verbesserung der Sozialdienste – trotz dieser ideologischen Nebelschwaden ist die Einschätzung der Frage einfach.
Statt Sozialsysteme, wie sie für Arbeiterklasse und Volk notwendig wären, bereitzustellen, werden diese vom Staat im Auftrag des Kapitals zunehmend ruiniert. Die Ruinierer wetteifern verlogen miteinander, wer das „sozialere Gewissen“ hat, und ruinieren gemeinsam weiter. Diesem schrittweisen Ruinieren kann nur im Klassenkampf entgegengetreten werden, sonst nehmen die Dinge weiter den geplanten Verlauf. Die „Alternative“, die die „Volksbefragung“ anbietet, ist irrelevant. 9.600 Zivildiener sollen durch 8.000 Sozialdiener ersetzt werden. Dadurch würde lediglich die „weiche“ Zwangsarbeit, die der heutige Zivildienst darstellt, ersetzt durch Schaffung einer neuen Sphäre für miserabelst bezahlte Lohnabhängige, eines neuen Niedriglohnsektors. Das eine, der Zivildienst, ist eine Art von „weicher“ Zwangsarbeit um 710 € pro Monat (das ist incl. Sozialversicherungsbeitrag und Verpflegskosten und daher vergleichbar, zuzüglich ggf. Fahrt-, Wohn-, Unterhaltskosten, diverse andere Zulagen etc.) – und die „Alternative“ ist ein Niedriglöhnertum um 1.386 € im Monat (hier aber brutto, vor Abzug des Sozialversicherungsbeitrags und der Lohnsteuer, und natürlich ohne weitere Zulagen und Vergütungen!). Warum soll sich – auf gut wienerisch – jemand diese Scheisshack’n antun, es sei denn, die Alternative wäre Arbeitslosigkeit oder Sozialhilfe bzw. neuerdings „Mindestsicherung“. Man wird sicher Menschen für solche Jobs finden, aber die allermeisten davon nicht wegen einer „sozialen Berufung“ und mit „ganzem Engagement“ und „gut ausgebildet“. Das wäre erstaunlich bei einem so lausigen Lohn, auch hier ohne unbefristeten Arbeitsvertrag usw. usf.. Jetzt kann man natürlich sagen, dass so ein Niedriglohnjob immer noch besser sei als der erzwungene Arbeitsdienst, der als Zivildienst daherkommt. Aber das ist wie Pest und Cholera. Es wäre eine Aufgabe des gewerkschaftlichen Kampfes, sicherzustellen, dass die Beschäftigten im Sozialbereich dem Wert ihrer Arbeitskraft entsprechend bezahlt werden und dort ordentliche Arbeitsverhältnisse herrschen und sie nicht durch „freiwilliges“ Lohndumping der „Sozialdienstler“ oder erzwungenes der Zivildiener konkurrenziert werden. Der Herr Hundsdorfer verspricht einen Kollektivvertrag für den „freiwilligen Sozialdienst“, es geht aber um dessen Inhalt. Und es geht auch um einen gesetzlichen Mindestlohn von zumindest 1.600 €, um solche schmutzigen Manöver und generell den vielgerühmten Niedriglohnsektor zu verhindern bzw. zu beseitigen [10]. (Die einzige nützliche Seite des Hundsdorfer’schen Projekts ist, dass es ungewollt – durch die Festlegung der Höhe der Entlohnung des „freiwilligen Sozialjahres“ – nochmals die Dringlichkeit eines gesetzlichen Mindestlohns in angemessener Höhe bestätigt und auch, dass diese Höhe deutlich über der Hundsdorfer’schen liegen muss.)
Noch ein paar absurde und verlogene „Argumente“
Dazu kommen noch vielfältige andere Argumente, darunter einige sehr dumme und einige sehr verlogene. Da sind gewisse Pazifisten, die die Abschaffung der Wehrpflicht für einen Schritt zu ihrer Vision der Abschaffung des Bundesheeres halten. Wir halten die „Abschaffung des Bundesheeres“ für eine falsche, weil von der Revolution ablenkende, Orientierung und fragen uns natürlich, wieso man die „Profilschärfung“ dieses Heeres für eine Schwächung desselben halten kann. Zur Kategorie „besonders verlogen“ gehört das „grüne“ Argument von der „verlorenen Lebenszeit“ – verloren wofür? Für gutsituierte und „aufstrebende“ Bourgeoisjünglinge, also typische „Grün“wähler, mag das gelten, aber für den proletarischen jugendlichen Arbeitslosen gilt es nicht. Dann gibt es das Argument, dass das „freiwillige Sozialjahr“ endlich ein wunderbares Sozialwesen brächte, das man doch so dringend bräuchte – als ob das irgendjemand in Bourgeoiskreisen wollte, es ihn auch nur ein bisschen interessierte und sie nicht alle zusammen konsequent am Ruinieren, Privatisieren und „Kaputtsparen“ desselben arbeiteten. Schließlich schwirrt noch das Schlagwort von Gleichberechtigung von Männern und Frauen herum – als ob es dafür keine geeigneteren Themen gäbe, als auch Frauen – „gleichberechtigt“ – einen neuen Weg in den Niedriglohnsektor und in die Prekarität weit zu öffnen. Alles nur reaktionäre Begleitmusik für den reaktionären Zweck der anvisierten „Profilschärfung“ des Bundesheeres als Unterdrückungs- und Kriegsinstrument.
„Direkte Demokratie“ oder Schmafu?
Man hört manchmal, von Regierungsseite nicht sehr oft und laut, von reaktionären und halbfaschistischen Demagogen am rechten Rand der Bourgeoisdemokratie und auch von wohlmeinenden, aber ebenfalls reaktionären Träumern oft und laut, dass so eine „Volksbefragung“ oder auch eine Volksabstimmung an und für sich „demokratiepolitisch“ etwas Positives seien. Wie „demokratisch“ diese „Volksbefragung“ ist, sieht man daran, dass sie eine obskure und verlogene Fragestellung zum Gegenstand und ihr Ausgang keinen relevanten Einfluss auf die zukünftige Militärpolitik der österreichischen Bourgeoisie hat. Sie werden auch in organisatorischer Hinsicht ihr „Bundesheer 2025“ als Berufsarmee weiter aufbauen, so oder so, mit oder ohne Wehrpflicht. Und wenn heute die „Volksbefragung“ für die Beibehaltung der Wehrpflicht ausgeht, gibt’s morgen entweder eine neue, angeblich „unter ganz anderen Bedingungen“, aber mit demselben Zweck; irgend etwas wird sich als Vorwand schon finden, hat sich noch immer gefunden, noch eine gröbere Mure in der Obersteiermark, ein Bandenkrieg in Simmering oder eine Schiesserei an der Ostgrenze im Burgenland, die man zur Not auch selber anzetteln kann … Es lassen sich immer „Gründe“ für mehr Polizeistaat und mehr Militarismus finden oder notfalls konstruieren [11]. Oder es wird ein paar Monate oder Jahre später ganz ohne weitere Befragung schlicht und einfach anders entschieden.
Sowieso kann sich die Volksbefragerei und Volksabstimmerei bei intakter Bourgeoisherrschaft durchaus als nützlich erweisen. Sie erzeugt einen Schein von Demokratie und lenkt die Menschen vom Klassenkampf ab. Sie bringt allerdings manchmal auch einige Zores mit sich, aber das ist nur ein bisschen Sand im Getriebe und letzten Endes bringt die Bourgeoisie ihre Politik genauso durch, auf Dauer vielleicht sogar besser, denn die „direkte Demokratie“ ist ein ausgezeichneter Weichspüler. Die Schweizer Bourgeoisie z.B. fährt wunderbar mit ihrer „direkten Demokratie“, es kommt letzten Endes, jedenfalls bei allen wichtigen Fragen, immer das Richtige heraus, manchmal halt erst nach ein paar Anläufen, manchmal kann man auch „das Volk“ vorschieben, wenn man etwas gegen die objektiven Interessen der Arbeiterklasse und des Volkes durchsetzen möchte, und sogar der Herr Blocher, der schweizerische Strache, ist wunderbar in dieses System integriert, wenn seine Volksabstimmungsinitiativen auch den anderen Teilen der Bourgeoisie manchmal peinlich sind, vor allem Richtung Ausland. So wie im Allgemeinen die bürgerliche Demokratie für die Bourgeoisie die beste Form ihrer Diktatur ist (allerdings nur solange ihre Herrschaft und die Ausbeutung nicht in Frage gestellt sind, andernfalls wählt sie die faschistische Option), so hätte im Besonderen auch die „direkte Demokratie“ durchaus ihre Vorzüge. Aber, wie gesagt, manches wird dadurch auch mühsamer, zumindest kurzfristig, und deshalb scheut die österreichische Staatsspitze sie derzeit wie der Teufel das Weihwasser. Nicht einmal eine Volksabstimmung wollten sie machen, sondern bloß eine „Volksbefragung“, deren „Verbindlichkeit“ sie unermüdlich betonen müssen, weil sie eben rechtlich nicht verbindlich ist. (Eine wirkliche Volksabstimmung wäre übrigens faktisch genauso wenig „verbindlich“ – erinnern wir uns nur an die diversen Volksabstimmungen über die EU-Verfassung bzw. den Lissabonner Vertrag [12].) Auf diese Art und Weise, mit ihrer zwanghaften und ganz unbegründeten Angst, leisten sie allerdings der Demagogie von Faschisten, Halbfaschisten und sonstigen Ultrareaktionären (von LePen bis Strache) Vorschub. So oder so hat sich die Bourgeoisie noch nie (außer für kurzfristige Schlenker und Neuanläufe) etwas um irgendeine Volksmeinung geschissen, sofern ihr diese nicht durch entschlossenen Klassenkampf und manchmal auch eine Bedrohung ihrer Macht in die Schädel geprügelt wurde.
Demokratie gibt es nur mit der Arbeiterklasse an der Macht und der Errichtung einer revolutionär-demokratischen Staatsmacht. Und das geht nur durch den Sturz der Bourgeoisie und die Zerstörung ihres Staatsapparats. Bis dahin muss der revolutionär-demokratische Kampf um Forderungen geführt werden, die der Arbeiterklasse und dem Volk tatsächlich mehr Bewegungsraum für den Klassenkampf verschaffen, um wirkliche Rechte und gegen wirkliche Bespitzelung, Drangsalierung, Entrechtung, Unterdrückung, statt sich mit „Volksbefragungen“ und Volksabstimmungen an der Nase herumführen zu lassen. Gerade die jetzige „Volksbefragung“ zeigt das deutlich, sie ist nur eine Schmierenkomödie, ohne relevante Konsequenzen in der Militärfrage, von irgendeiner Relevanz allenfalls in der Nebenfrage des Zivil- bzw. „freiwilligen Sozialdienstes“, aber auch hier nur entlang einer falschen Fragestellung, nämlich der von „Pest oder Cholera“. Viel relevanter als so etwas wie z.B. die Wiener Volksbefragung zur Hundefrage ist sie auch nicht.
Kommt am 20.Jänner eine Mehrheit für die Aussetzung der Wehrpflicht heraus, dann kann die „Profilschärfung“ des Bundesheeres als Bürgerkriegs- und Interventionstruppe im Ausland zügig vorangetrieben werden. Geschieht dies ernsthaft, steigen die Militärkosten ebenso zügig, aber das Befragtenvolk „wollte es ja so“, bei den Kosten hat man sich halt ein bisschen vertan, eine Steuererhöhung dort oder da (vielleicht eine „Professionalitätssteuer“?), dafür aber für ein echtes „Profi-Heer“ wird wohl drin sein. Vielleicht kracht auf der anderen Seite der neue „Sozialdienst“, aber das ist nicht so schlimm, denn im Sozialbereich (insbesondere bei „toten Kosten“ wie z.B. im Pflegebereich) hätte sowieso gespart werden müssen.
Kommt am 20.Jänner eine Mehrheit für das Beibehalten der Wehrpflicht, erfolgt die „Profilschärfung“ des Bundesheeres ebenfalls, in derselben Richtung, vielleicht nicht ganz so zügig und nicht ganz so „profimäßig“, dafür aber etwas billiger. Zur Berufsarmee ergänzend stellt man weiterhin die Wehrpflicht, vielleicht ändert man einmal die Einziehungskriterien, vielleicht visiert man auch einmal die jungen Frauen an und vielleicht setzt man auch die Wehrpflicht etwas später dann doch aus.
Fazit: Zu dieser „Volksbefragung“ gibt es von einem klassenbewussten Standpunkt aus nur eine Antwort, nämlich den Boykott, entweder indem man hingeht und den Wisch mit einer antimilitaristischen oder antiimperialistischen Losung entwertet oder – angesichts der heutigen Lage, in der der demonstrative Wert eines solchen Handelns bescheiden ist – indem man nicht hingeht.
[1] Vielleicht sollte man zum besseren Verständnis für alle, die diese Zeit nicht erlebt oder sich später nicht damit beschäftigt haben, erwähnen, dass damals die Rivalität zwischen dem US-Imperialismus und der imperialistisch gewordenen Sowjetunion und die daraus resultierende Kriegsgefahr einem Höhepunkt zustrebte. Ein Krieg auf mitteleuropäischem Boden war nicht nur nicht auszuschließen, sondern die ganze Entwicklung der Weltlage strebte einem solchen zu. Österreich wäre zwangsläufig Kriegsschauplatz geworden, hauptsächlich weil ein sowjetischer Vormarsch nach Süddeutschland über Österreich geplant war. In Österreich hatte man also einerseits eine Hegemonie des US-Imperialismus und andererseits eine Bedrohung durch und auch Lockrufe seitens des sowjetischen Sozialimperialismus. Die Verteidigung der nationalen Unabhängigkeit des Landes, nach beiden Seiten, und damit der Bedingungen für eine möglichst wenig durch externe Faktoren behinderte Entfaltung des Klassenkampfes war ein wichtiges Thema des Klassenkampfes. Kreisky glaubte, dem durch eine geschickte Außenpolitik und die UNO-City (die angeblich Österreich mehr schütze als irgendein Militär) begegnen zu können – bei gleichzeitigem Sich-Verlassen auf die NATO im Ernstfall.
[2] Anfang 2013 standen etwas mehr als 1.500 Soldaten des Bundesheeres in Auslandseinsätzen, vor allem am Balkan und in Nahost (in Syrien und im Libanon!). Es waren zeitweise auch schon mehr gewesen. Bemerkenswert, weil eine deutliche „Profilschärfung“, war auch der Tschadeinsatz 2008 unter französischem Kommando. Auch in Zukunft möchte man sich auf den Balkan (das eigene Neokolonialgebiet), den Nahen Osten und Afrika (Rohstoffbasis für Europa) konzentrieren. Es gibt laut Bundesheer einen unmittelbaren Bedarf bzw. eine derzeitige Soll-Stärke für den Auslandseinsatz von 3.800 Mann (ein paar Frauen mit eingeschlossen, viele gibt’s ja nicht unter den Berufssoldaten), aber es melden sich nicht genug Freiwillige und man kann auch Berufssoldaten bisher noch nicht für den Auslandseinsatz zwangsverpflichten.
[3] Interessierte seien z.B. auf den Artikel „Österreichische Sicherheits- und Verteidigungspolitik unter geänderten Rahmenbedingungen – Chance zur Profilschärfung des Bundesheeres“ in der Österreichischen Militärischen Zeitung (ÖMZ) Nr.5/2012 verwiesen.
[4] Da hatte der Wiener Bürgermeister unlängst nicht ganz unrecht, als er meinte, dass das ganze Herumgetue über höhere oder niedrigere Kosten der einen oder der anderen Organisationsform des Bundesheeres überflüssig sei, man habe sich ja schließlich auch die Abfangjäger geleistet und dem gegenüber seien die allfälligen Mehrkosten aus einer Bundesheer-Reform eine Lappalie und daher das Gejammer darüber, noch dazu ein solches von Fans der Abfangjäger, lächerlich.
[5] §2(1) Wehrgesetz 2001 zählt unter den Aufgaben des Bundesheeres auf: „Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen und ihrer Handlungsfähigkeit und der demokratischen Freiheiten der Einwohner sowie Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit überhaupt“.
[6] In der derzeitigen Debatte fällt von Anhängern der Wehrpflicht manchmal der Begriff „Söldner“. Das ist ein griffiger Ausdruck und natürlich könnten sich die Rambos des „Jagdkommandos“ jederzeit irgendwo anders verdingen, dann wären sie Söldner. Aber doch passt der Begriff nicht wirklich auf den Berufssoldaten des Bundesheeres. Ein Söldner ist ja nicht einfach jemand, der für militärische Dienste Geld kriegt. sondern er ist das im strengen Sinn nur dann, wenn er für jedermann und irgendetwas kämpft, ohne jeden weiteren sozialen oder politischen Bezug, nur für das Geld, er ist auf dem Söldnermarkt und hat oft wechselnde Auftraggeber, er ist meist nicht nur ein gewöhnlicher Militarist, sondern ein regelrechter Mordbube und Killer. Aber: Er schießt, foltert und tötet gerne, möchte sich selbst aber auf keinen Fall für irgendeine „Sache“ opfern, weil er ja keine solche „Sache“ hat. Wo es gefährlich wird, setzt er sich oft ab. Manchmal findet man ihn sogar plötzlich auf der Gegenseite wieder. Er ist ein niederträchtiges Schwein, aber er ist weniger gefährlich als eine militaristische Soldateska, die für ihr (imperialistisches) „Vaterland“ oder für ihre (reaktionäre) „Ordnung“ kämpft und dafür auch noch Opfer zu bringen bereit ist. Die Freikorps, die Liebknecht und Luxemburg umgebracht haben, oder später eine Waffen-SS waren keine Söldner, stellten aber in ihrer Brutalität und Verblendung jeden Blackwater-Söldner in den Schatten. Auch wenn ein noch so übler Militarist sich dauerhaft im Bundesheer verdingt, ist das noch nicht das, was einen Söldner darstellt.
[7] Österreich wurde im Mai 2012 extra als besonders eifriger „Partner“ zur NATO-Tagung in Chicago eingeladen. In der Abschlußerklärung der Tagung heißt es: „Wir begrüßen bei diesem Treffen dreizehn Partnerländer, die in jüngster Zeit besonders politisch, operativ und finanziell zu NATO-geführten Operationen beigetragen haben.“ Unter diesen 13 „Partnern“ figuriert auch Österreich. Die ÖMZ knüpft daran sofort Überlegungen über eine in Zukunft vielleicht noch engere Zusammenarbeit der NATO mit dieser „speziell hervorgehobenen Gruppe der 13“, welche deutlich über die bisherige NATO-„Partnerschaft für den Frieden“ hinausginge. Unter den 13 befinden sich sonst noch u.a. Saudi-Arabien, Qatar, Jordanien, Georgien, aus Asien Südkorea und Japan, Australien und Neuseeland – wie man sieht lauter Vorbilder für wenn schon nicht „neutrale“, dann „bündnisfreie“ Staaten. Der Herr Faymann, der in der heimischen „Öffentlichkeit“ nicht müde wird, „die Neutralität zu verteidigen“ und für den „ein NATO-Beitritt nicht in Frage kommt“, war in Chikago ganz begeistert über diese „Hervorhebung Österreichs“ und treibt in Wirklichkeit ein ganz anderes Spiel(Quelle: ÖMZ Nr.5/2012, S.633)
[8] Übrigens hat sich in allen Ländern, die bzw. als sie die Wehrpflicht abschafften, gezeigt, dass Ablehnung und Widerstand von Auslandseinsätzen in der Bevölkerung dadurch (noch) geringer wurden, obwohl sowieso keine Wehrpflichtigen ins Ausland und schon gar nicht zu Kriegseinsätzen geschickt worden waren. Aber mit der Wehrpflicht gibt es doch noch gewisse Berührungspunkte mit der Armee und außerdem könnte es ja womöglich einmal so weit kommen …
[9] Der Auf- und Ausbau des Polizeistaats hat eine lange Geschichte. Fast alle dafür zuständigen Innenminister waren Sozialdemokraten, inklusive des „linken“ Herrn von Einem. Zuletzt waren halt die Strasser, Fekter und Mikl-Leitner zuständig. Sie haben das sozialdemokratische Werk würdig fortgesetzt.
[10] Bemerkenswert übrigens, wie die Profiteure des Zivildienstes, insbesondere die christlichen, den Zivildienst verteidigen, weil ihnen die 1.386 € für das neue Sozialjahr als viel zu hoch und unbezahlbar erscheinen. Seit jeher kann sich christliche Nächstenliebe offenbar nur in Gestalt besonders krasser Ausbeutung und überhaupt besonderer Niedertracht entfalten, bis hin zum Preisdumping durch die Ausbeutung wehrloser Heimkinder, wie sie von der katholischen Kirche praktiziert wird, heute speziell in den neokolonialen Ländern, früher auch überall in Europa.
[11] Man könnte z.B. (nach einer inszenierten Schiesserei an der burgenländisch-ungarischen Grenze) als Thema einer „Volksbefragung“, in der die Militärfrage und die „Tschetschenenfrage“ miteinander „verbunden“ werden, vorschlagen: „Sind Sie für A: Aufstockung und Aufrüstung des Berufsheeres und sein Einsatz im Inland bei jeder Regung gegen die Ruhe und Ordnung oder B: Einsatz unserer Wehrdiener, dieser armen und unausgebildeten Büblein, Ihrer Söhne!, gegen die tschetschenischen Mordbuben, Schlepperbanden und Mafiahorden oder C: Wehrlose Auslieferung Ostösterreichs an letztere“? (Das ist keine Diffamierung von Menschen tschetschenischer Herkunft, sondern richtet sich im Gegenteil auch gegen die verlogene österreichische Tschetschenien-Propaganda und -Politik.)
[12] Erinnern wir uns, dass es z.B. in Frankreich 2005 eine Volksabstimmung zur EU-Verfassung gab, in der diese mit 55% der Stimmen abgelehnt wurde. Ebenso in den Niederlanden, wo sie mit 62% abgelehnt wurde. Das hinderte die Regierungen und Parlamente beider Länder nicht, genau diesen Vertrag, versehen mit einigen unbedeutenden kosmetischen Verschönerungen, 2008 unter dem neuen Titel „Lissabonner Vertrag“ ohne Weiteres zu ratifizieren. In Irland traute man sich diese freche Variante nicht zu und so wurde einfach die Volksabstimmung so oft wiederholt, bis es beim dritten Anlauf mit Hilfe erpresserischer Argumente klappte.
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