Initiative Minderheiten fordert Abschaffung der Diskriminierung von Regenbogenfamilien

EGMR-URTEIL: FORTSCHRITT UND ADOPTIONSGROTESKE

Das Verbot der Stiefkindadoption bei gleichgeschlechtlichen Paaren
verstößt gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, ist
diskriminierend und verfassungswidrig. So urteilte der EGMR (Europäischer
Gerichtshof für Menschenrechte) am 19. Februar 2013 anlässlich der Klage
eines lesbischen Paares, mit der für eine der beiden Mütter die Adoption
des leiblichen Sohnes ihrer Partnerin durchgesetzt werden sollte, ohne
dass die andere dadurch ihre Elternrechte verliert. Damit ist ein
wichtiger Schritt in die richtige Richtung getan, doch die Situation von
gleichgeschlechtlich l(i)ebenden Paaren und ihren Kindern bleibt weiterhin
unsicher und diskriminierend gegenüber Kindern und Eltern.

Adoptionsgroteske

Seit Jänner 2010 steht schwulen und lesbischen Paaren in Österreich die
sogenannte „eingetragene Partnerschaft“ offen. Wenngleich dieses
Rechtsinstitut im Vergleich zu den vorangehenden Jahrzehnten einen
Fortschritt darstellt, ist eine Gleichstellung zwischen heterosexuellen
und homosexuellen Paaren bzw. von Regenbogenfamilien noch lange nicht
erzielt. Nicht zuletzt aufgrund ihrer zahlreichen diskriminierenden
Regelungen (Adoptionsverbot, Namensrecht etc.) stellt die „eingetragene
Partnerschaft“ gerade für Paare mit Kinderwunsch oder bereits vorhandenen
Kindern bislang eine wenig attraktive Option dar. Dies könnte die geringe
und rückläufige Zahl an „eingetragenen Partnerschaften“, insbesondere von
lesbischen Paaren, erklären. Aufgrund der Verurteilung durch den EGMR
erklärte sich Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) bereit, noch im Frühjahr
eine dem Urteil entsprechende Regierungsvorlage auszuarbeiten und das
Verbot der Stiefkindadoption für gleichgeschlechtliche Paare aufzuheben.
Gleichzeitig beharrt sie „aus fester Überzeugung“ darauf, die
„reguläre“(gemeinsame) Adoption auch weiterhin heterosexuellen
Ehepartner_innen vorzubehalten.

Die Initiative Minderheiten begrüßt die Aufhebung des Verbots der
Stiefkindadoption für gleichgeschlechtliche Paare und verlangt weiters
eine umfassende Gleichstellung für Regenbogenfamilien sowie eine
Beseitigung aller bestehender Diskriminierungen.

Trotz Fortschritt noch weitreichende Diskriminierung von
gleichgeschlechtlichen Paaren im Ehe- und Familienrecht

Abgesehen von den nach wie vor diskriminierenden Bestimmungen bei
„eingetragenen Partnerschaften“ ist in Österreich Fremdkindadoption für
gleichgeschlechtliche Paare ebenso verboten wie die Insemination
lesbisch-lebender Frauen durch Spendersamen. Das hat weitreichende
Konsequenzen für Schwule und Lesben: Eine davon ist es, auf Kinder unter
Umständen verzichten zu müssen, was dem grundlegenden Menschenrecht, eine
Familie zu gründen, widerspricht. Falls Kinder (beispielsweise aus
früheren Beziehungen oder aufgrund einer Einzeladoption) vorhanden sind
bzw. in die Regenfamilie hineingeboren werden, besteht eine tiefgreifende
Benachteiligung gegenüber Familien, in denen die Eltern heterosexuell
sind. Dieser Umstand stellt nicht nur eine Diskriminierung der Eltern dar,
sondern auch Einschnitte in das Wohl der Kinder.

Während sich schwule oder lesbische Stiefeltern um ihre Kinder bestens
kümmern und sämtliche „Elternpflichten erfüllen“, haben sie keinerlei
Rechte wie etwa auf Karenzurlaub, Pflegeurlaub oder auch nur
ärztliche Auskunft im Fall von Krankheit des Kindes (Vertretungsrechte).
Die Kinder haben keinen gesetzlichen Anspruch auf das Erbe des
Stiefelternteils, auf eine eventuelle Hinterbliebenenpension oder
Besuchsrechte durch den Stiefelternteil im Falle der Trennung der Eltern.
Sollte dem leiblichen Elternteil in einer aufrechten Regenbogenfamilie ein
Unglück zustoßen, so besteht die berechtigte Sorge, dass die Familie
auseinandergerissen wird.

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ist
erfreulich, da es einmal mehr auf die Diskriminierung von
gleichgeschlechtlich l(i)ebenden Paaren und Regenbogenfamilien aufmerksam
macht. Wirkliche Gleichstellung kann es noch nicht bieten, aber es zeigt,
dass dringender Handlungsbedarf besteht, da Österreich in Sachen
Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare und Regenbogenfamilien
gegenüber heterosexuellen Paaren und ihren Familien immer noch hinterher
hinkt.

Am selben Tag, an dem das EGMR-Urteil ergangen ist, wurde in Deutschland
der nächste Schritt gesetzt: Die Adoption des Kindes einer Partnerin bzw.
eines Partners im Fall einer „Fremdkindadoption“ wurde legalisiert, Lesben
und Schwule dürfen allerdings weiterhin nur als Einzelpersonen ein Kind
adoptieren. Österreich bleibt weiterhin europäisches Schlusslicht, was die
Gleichstellungspolitik queerer Paare und die Familienpolitik betrifft.
Fortschritte werden regelmäßig „von außen“ wie etwa vom EGMR erzwungen.

Die (gesellschafts)politisch-rechtliche Willensbildung innerhalb Österreichs
behandelt die Gleichstellung von Schwulen, Lesben und trans_identen
Personen entweder als wenig relevantes Randgruppenthema oder versucht
unter dem scheinheiligen und kontraproduktiven Deckmantel des
„Kindeswohls“ eine essentialistische Auffassung von Weiblichkeit und
Männlichkeit zu vertreten, die der Gleichstellung aller Männer und Frauen
respektive Menschen zuwiderläuft.

Die Initiative Minderheiten fordert daher, dass sämtliche diskriminierende
Bestimmungen gegenüber gleichgeschlechtlichen Paaren im Ehe-, Familien-
und Personenrecht beseitigt werden.

Für die Initiative Minderheiten: Nadja Schefzig, Sushila Mesquita und Lisa
Gensluckner

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