Das neue Stück von Elfriede Jelinek „Die Schutzbefohlenen“ wurde gestern im Theater in Mannheim uraufgeführt. Das Stück der österreichischen Literaturnobelpreisträgerin ist angeregt durch die Ereignisse rund um die Flüchtlinge in der Wiener Votivkirche. Mit dem Stück wurde auch das Festival „Theater der Welt“ eröffnet, das nur alle drei Jahre in Deutschland stattfindet und für die internationale Theaterszene eine besondere Bedeutung hat.
Festivalleiter Matthias Lilienthal hat Theatergruppen aus aller Welt nach Mannheim eingeladen. Einige davon sind derzeit auch in Wien bei den Festwochen zu sehen. Nicht in Wien zu sehen ist das Jelinek-Stück „Die Schutzbefohlenen“, mit dem Lilienthal sein Festival eröffnet hat.
Die Frage, wie sich unsere Gesellschaft zu den Nordafrikanischen Flüchtlingen stelle, sei ihm besonders wichtig, so Lilienthal, dies umso mehr, als die Jelinek seiner Meinung nach einen neuen Ton anschlage und mit großer Ernsthaftigkeit Partei für die Flüchtlinge ergreife.
Die Regie hat wieder einmal Nicolas Stemann besorgt. Er gilt als der Jelinek-Regisseur und geht wie immer sehr frei mit den Jelinek’schen Textflächen um, die sich auf Aischylos’ „Die Schutzflehenden“, Ovids „Metamorphosen und andere Texte bezieht.
Gemeinsam mit einigen seiner Lieblingsschauspieler wie Barbara Nüsse und Sebastian Rudolph und einem multinational besetzten Flüchtlingschor stellt Stemann ein Sprechkonzert mit einigen Überraschungen auf die Bühne.
„Wir sind gekommen, doch wir sind gar nicht da“, heißt es am Ende des Textes von Elfriede Jelinek, der dieses Mal die Inszenierung bei weiten übertrifft. Ratlosigkeit und Ermüdung herrschten in Mannheim nach einer disparaten Aufführung. Großen Beifall gab es dennoch.
Für 17 Tage soll sich Mannheim nun in ein „urbanes Theaterlabor“ verwandeln, wie es Festivalkurator Matthias Lilienthal ausdrückte. Mehr als 30 Produktionen aus aller Welt kommen nach Nordbaden. „Theater der Welt“ gibt es seit 1981. Meist im Turnus von drei Jahren gastiert es in unterschiedlichen deutschen Städten.
Textfassung: Joseph Schimmer
Theater der Welt Die Schutzbefohlenen
Hörspiel Studio
Von Dezember 2012 bis in den März 2013 besetzen mehrere Dutzend Flüchtlinge und Asylwerber die Votivkirche in Wien. Zuvor schon hatten sie im Sigmund-Freud-Park vor der Kirche ein Zeltlager errichtet. Knapp nach Weihnachten, am 28. Dezember, räumt die Polizei in den frühen Morgenstunden das Camp. Ein Teil der Flüchtlinge tritt in den Hungerstreik. Nach monatelangen Verhandlungen übersiedeln die Flüchtlinge am 3. März in ein Kloster. Mehr als zwei Dutzend haben in der Zwischenzeit einen negativen Asylbescheid erhalten. Es droht ihnen die Abschiebung.
In Österreich hatte die Aktion eine schwere innenpolitische Krise ausgelöst. Seit Jahren schon kritisieren Menschenrechtsorganisationen gemeinsam mit kirchlichen Einrichtungen die restriktive österreichische Asylpolitik.
Elfriede Jelinek, die „Text-Autorin“
Sie nimmt sich kein Blatt vor den Mund. Sie reagiert mitunter schnell, nennt die Dinge beim Namen, zeigt Missstände auf – und bleibt ihren künstlerischen und ästhetischen Ansprüchen dennoch treu. Elfriede Jelinek, Literaturnobelpreisträgerin aus Österreich, thematisiert seit Jahrzehnten die brennenden Fragen der Zeit. Sie schreibt Texte über Prostitution und Pornografie, über die Auswüchse des Raubtierkapitalismus, über das ungleiche Verhältnis von Mann und Frau.
In ihrem neuen, vom Bayerischen Rundfunk und ORF produzierten Stück „Die Schutzbefohlenen“ greift die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek die Einbürgerungspolitik Österreichs auf. Eine Politik, die Spitzensportler, eine weltberühmte Sopranistin, die Tochter des ehemaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin und andere Berühmte und Betuchte per Ministerratsbeschluss ohne Federlesen zu österreichischen Staatsbürgen macht, gleichzeitig aber Flüchtlingen und Verfolgten in einem der reichsten Länder der Welt den Aufenthalt verwehrt.
„Wieso dürfen die und wir nicht?“, lässt Jelinek die Asylwerber fragen. „Wir wollten dieses Reiches Bewohner sein, aber wir dürfen nicht.“ Das Land, so Jelinek, bevorzuge jene, die „was haben“ und „nicht da“ sind, Flüchtlinge hingegen, die „da sind“ und „nichts haben“, werden wie ein „Fettfleck“ entfernt.
Jelineks Text weist eine Vielzahl aktueller Bezüge auf. Sie verschont – ohne Namen zu nennen – weder den milliardenschweren Parteigründer und Industriemagnaten Frank Stronach, noch wettert sie gegen die Invasion russischer Millionäre, nimmt ein unter dem verstorbenen Landeshauptmann Jörg Haider errichtetes und mittlerweile wieder geschlossenes Asylantenheim in Kärnten ins Visier, erzählt in Loops und Schleifen und in immer neuen Variationen von jenen, die „übers Gebirg geworfen“ und „durchs Meer getrieben“ worden sind, viele „ersticken im Kühlwagen, sterben im Flugzeuggestänge, stürzen ins Autobahnklo“ oder „stürzen vom Balkon“.
„Ich schreibe“, sagte Elfriede Jelinek unlängst, „eigentlich keine Hörspiele, sondern Texte. Die einen sind zum Lesen, die anderen zum Hören. Wie auch bei meinen Stücken schreibt der Regisseur, die Regisseurin, das Hörspiel dann sozusagen mit mir zu Ende.“ Diese Aufgabe hat der Regisseur Leonhard Koppelmann übernommen. Es ist nicht seine erste Zusammenarbeit mit der österreichischen Literaturnobelpreisträgerin. Zuletzt hatte Koppelmann einen ebenso brisanten wie hochpolitischen Text von Elfriede Jelinek in Szene gesetzt: „Rechnitz“, die Geschichte der Ermordung von circa 200 vorwiegend ungarischen Juden in einem burgenländischen Schloss.
Mehr Informationen zu diesem Hörspiel in oe1.ORF.at.
Votivkirche: Kritik an neuer Festnahme
Einer der Flüchtlingssprecher in der Wiener Votivkirche ist gestern bei einer aufsehenerregenden Kontrollaktion der Polizei in dem Park vor der Kirche festgenommen worden. Und während Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) heute das Vorgehen der das Vorgehen der Polizisten verteidigt, kommt von den Flüchtlingen selbst und von ihren Unterstützern Kritik.
„Nicht nachvollziehbar“
Verbitterung und Frustration. Das drückt ein anderen Sprecher der Votivkirchen-Flüchtlinge aus, nachdem sein Kollege gestern bei Kontrollen von Polizei in Zivil festgenommen wurde. Der Freund sei dabei niedergestoßen worden, sagt Mir Jahangir verärgert: „Ich hab dieses Land satt. Das ist eine Strategie von Politik, Behörden und auch Kirche und Caritas. Die behandeln uns wie Tiere und wollen keine Lösung. Wir sind weder innerhalb noch außerhalb der Kirche sicher. Vielleicht wäre es den Verantwortlichen am liebsten, wir müssten zurück in unser Land, um uns dort dann einer der Terrororganisationen anzuschließen.“
Caritas-Geschäftsführer Klaus Schwertner zeigt Verständnis für die Emotion und hat auch keine rechte Freude mit der gestrigen Polizeiaktion: „Der Sprecher der Flüchtlinge war einer von denen, mit dem wir sehr gut im Gespräch waren. Da mit voller Härte zuzuschlagen ist für uns nicht nachvollziehbar. Unseren Informationen zufolge sind die Schubhaftgründe auf sehr dünnem Eis.“
„Normale und gute Polizeiarbeit“
Bei dem Polizeieinsatz sind gestern auch drei Anzeigen nach dem Fremdengesetz erstattet worden und eine Anzeige gegen eine Unterstützerin wegen mutmaßlicher Körperverletzung, begangen an einem Polizisten. Rund 100 Flüchtlingsunterstützer sind in den Park geeilt und standen am Ende rund 30 dann auch uniformierten Polizisten gegenüber.
Die Wiener Polizei argumentiert die Festnahme damit, dass der Asylantrag des Flüchtlingssprechers rechtskräftig negativ sei – laut Caritas durch Fristversäumnisse während des Flüchtlingsprotests.
Innenministerin Johanna-Mikl-Leitner stellt sich hinter die Polizei, es habe sich um normale und gute Polizeiarbeit gehandelt: „Wir waren von der ersten Minute an äußerst fair und haben immer die Wahrheit ausgesprochen, dass wir uns um jeden Asylwerber kümmern und auch ganz klar gesagt, dass es keine strukturellen Änderungen geben wird, vor allem was das Bleiberecht für alle betrifft. Das ist eine Forderung, die einfach unerfüllbar ist.“
Kein Wahlkampf-Hintergrund
Dass die Polizeiaktion und ihre offensive Haltung etwas mit der bevorstehenden Niederösterreich-Wahl zu tun haben könnte, bestreitet die ÖVP-Politikerin: „Diese Situation ist viel zu sensibel. Deshalb sind wir hier auch im täglichen Kontakt mit der Kirche, m eine friedvolle Lösung zu finden.“
Die Anwältin des festgenommenen Flüchtlingssprechers, Nadja Lorenz, prüft nun Einsprüche. Sie meint vor allem, es könnte realistisch sein, dass er einen Duldungsstatus in Österreich bekommt, weil Abschiebungen nach Pakistan kaum möglich seien. Dann wäre die Schubhaft nur so etwas wie ein Zwischenschritt gewesen, der allerdings für große Aufregung gesorgt hat.
01.03.2013