Markus Koza: Draghis Graphiken – die „dirty tricks“ der Konservativen (akin)

EU/Kapitalismus/Medien:

Oder: Wie Europaeische Zentralbank, konservative PolitikerInnen und
Medien versuchen, mit irrefuehrenden Grafiken Druck auf Loehne zu
machen.
*
EU-weit soll Druck auf Loehne gemacht werden. Es geht wieder einmal
darum, die „Wettbewerbsfaehigkeit“ der EU-Staaten zu erhoehen.
Einigermassen anstaendige Loehne, Arbeitsbedingungen und
Beschaeftigungsverhaeltnisse stehen diesem Ansinnen im Weg. Wie lautet
nicht das konservative, neoliberale Mantra? „Wir haben ueber unsere
Verhaeltnisse gelebt“, es brauche „harte Einschnitte“, es muesse
„Verzicht“ geuebt, der „Guertel enger geschnallt“ werden, es brauche
„Strukturreformen“ – also Abbau von ArbeitnehmerInnenrechte,
Flexibilisierung der Arbeitszeiten, Liberalisierung der
Arbeitsmaerkte, niedrigere Loehne. Im Juni soll auf Europaeischer
Ebene der „Pakt fuer Wettbewerbsfaehigkeit“ beschlossen werden – der
Druck auf Loehne und Arbeitsbedingungen quasi „institutionalisiert“
werden. Wie allerdings eine Massnahme durchsetzen, die ausgesprochen
unpopulaer ist und wohl nicht ohne Widerstand durchzusetzen sein wird?
Wie also das „Feld“ aufbereiten, um moegliche Proteste moeglichst
klein zu halten?

Im Rahmen des Europaeischen Rates referierte EZB-Chef Mario Draghi
ueber die oekonomische Lage in der EU. Draghi sollte die
tatsaechlichen Krisenursachen und notwendige Massnahmen zur
Bewaeltigung derselben vorstellen. Er praesentierte zwei Grafiken, die
seine Kernthese bekraeftigen sollte: Jene Laender, welche
Leistungsbilanzueberschuesse aufweisen – also etwa Oesterreich,
Belgien, Luxemburg, die Niederlande und vor allem Deutschland –
wuerden eine hoehere Produktivitaet aufweisen als jene, welche
Defizite „produzieren“ – also etwa Frankreich, Griechenland, Portugal,
Italien und Spanien. In diesen Laendern wuerden die Loehne deutlich
staerker steigen als die Produktivitaetszuwaechse, was diese
schlichtweg weniger „wettbewerbsfaehig“ mache. Lohnzurueckhaltung sei
daher ein Gebot der Stunde und wuerde zu Erfolg fuehren, „masslose“
Gewerkschaften sowie starre Arbeitsmaerkte (z.B. ein
Kuendigungsschutz) seien dagegen verantwortlich fuer den Niedergang.
Die beiden Grafiken sowie einzelne Laenderbeispiele wuerden das
veranschaulichen. Prompt uebernahm die Frankfurter Allgemeine Zeitung
in einem Beitrag diese Darstellung, sprach von einer „gespaltenen
Waehrungsunion“

In Oesterreich tauchten dieselben EZB-Grafiken ebenfalls auf: es war
der ehemalige Bundeskanzler Schuessel der im Rahmen der ORF-Sendung
„Im Zentrum“ am 23. Maerz 2013 diese zur Untermauerung seiner
Argumente, wonach es „harte“ Massnahmen zur Bewaeltigung der Krise
brauche, darunter eben auch eine restriktive Lohnpolitik, dieselben
hervor zauberte und seinen MitdiskutantInnen vorlegte. Es brauche
„schmerzhafte Kuren“, eine Deregulierung der Arbeitsmaerkte um Jungen
eine „Chance“ zu bieten etc.

Aufmerksame BeobachterInnen, fragten sich allerdings, ob diese
Grafiken denn tatsaechlich die Realitaeten widerspiegeln wuerden.
Interessanterweise wiesen dieselben naemlich selbst fuer Oesterreich
und Deutschland eine Lohnentwicklung ueber der
Produktivitaetsentwicklung auf. Tatsaechlich setzte es allerdings in
Oesterreich seit 1997 bestenfalls stagnierende Realloehne. War
Deutschland fuer seine Politik der Lohnzurueckhaltung und seinen
expandierenden Niedriglohnsektor geradezu beruehmt-beruechtigt.
Konnten diese Grafiken also stimmen?

Bewusste Taeuschung?

Diese Frage stellte sich auch Andrew Watt, Oekonom des IMK, des
deutschen Instituts fuer Makrooekonomie und Konjunkturforschung der
Hans-Boeckler-Stiftung und laengjaehriger wissenschaftlicher
Mitarbeiter des europaeischen Gewerkschaftsinstituts (ETUI). Und siehe
da: was er herausfand ist geradezu ungeheuerlich.

Waehrend die Grafiken naemlich tatsaechlich das reale – also
inflationsbereinigte – Produktivitaetswachstum abbilden, stellt die
Lohnkurve die „nominalen“ – also nicht inflationsbereinigten –
Lohnzuwaechse dar! Waehrend also bei der Produktivitaet die Inflation
beruecksichtigt wird, ist das bei den Loehnen nicht der Fall. Daraus
muss sich logischerweise ein enormer Abstand ergeben! Es wird
schlichtweg verglichen, was nicht verglichen werden kann!

Wird von einer durchschnittlichen jaehrlichen Inflationsrate von 1,9 %
ausgegangen und diese ueber 12 Jahre hinweg, ergibt sich so eine
Luecke zur „realen“ Lohnentwicklung von rund 28 %. Wird diese Luecke
bereinigt, so zeigt sich fuer die angeblich hinsichtlich ihrer
Lohnentwicklung so ueberbordernden „Defizitstaaten“ eine ganz andere
Entwicklung: tatsaechlich entwickeln sich die „Realloehne“ ziemlich
gleich mit der „realen“ Produktivitaet. Von einem geradezu
dramatischen Ueberschiessen kann jedenfalls nicht die Rede sein! Fuer
Frankreich wuerde das etwa bedeuten, dass sich die
Lohn-Produktivitaets-Luecke von „nominal“ betrachteten dramatischen 32
% auf beinahe vernachlaessigbare „reale“ 4% minimiert!

Allerdings zeigt der Vergleich „realer“ Werte die massiv hinter der
Produktivitaet zurueckbleibende Lohnentwicklung in
„Ueberschuss“-Staaten wie Oesterreich oder Deutschland auf! Was fuer
Oesterreich etwa der Einkommensbericht des Rechnungshofs abbildet
(Reallohnverluste bei den ArbeiterInnen, stagnierende Realloehne bei
den Angestellten), fuer Deutschland einen Niedriglohnsektor darstellt,
der ueber 20 % aller unselbstaendig Beschaeftigten umfasst! Diese
„Niedriglohnpolitik“ und Politik der Lohnzurueckhaltung war es
allerdings, welche die Nachbarlaender mit ihren Wirtschaften geradezu
in Grund und Boden „konkurrierte“, ihnen also die
„Wettbewerbsfaehigkeit“ nahm. Gerade diese ruecksichtslose
Wettbewerbspolitik, die hier enorme Ueberschuesse, dort massive
Defizite produzierte war entscheidend fuer das Entstehen der
Wirtschaftskrise mitverantwortlich! Ein Medaille hat eben immer zwei
Seiten…

Irrtum, oekonomische Schlampigkeit oder bewusste Irrefuehrung seitens
der EZB- bzw. EU-OekonomInnen? Es ist Letzteres anzunehmen. Es geht
Konservativen und Neoliberalen darum, das Feld fuer massive
Lohnkuerzungen und Arbeitsrechtsabbau aufzubereiten. Dabei scheint so
ziemlich jedes Mittel recht zu sein, selbst die schmutzigsten Tricks,
fuer „NormalbuergerInnen“ kaum durchschaubar. Auch die hemmungslose
Instrumentalisierung von „Wissenschaft“, die sich zu derartigem ganz
offensichtlich auch missbrauchen laesst. Wie gut, dass es noch Leute
wie Andrew Watt und Institute wie das IMK gibt …

(Markus Koza am Alternative-Blog)

Quelle und Faksimile der Graphiken:
http://diealternative.org/verteilungsgerechtigkeit/2013/03/lohne-und-wettbewerbsfahigkeit-die-dirty-tricks-der-konservativen/