Ali gehört der Volksgruppe der Hazara an, die den Taliban seit jeher ein Dorn im Auge war. Er war Hirte in einer afghanischen Region, in der die Taliban gerade heute wieder sehr aktiv sind. Schon seinen Vater hatten die Taliban umgebracht; da war er noch ein Kind. Auch sonst hat er viele tote Menschen gesehen. Aber das erzählte er nur mir, bei der Vorbereitung auf den Asylgerichtshof.
Ihn erwischten sie, als er auf der Weide Radio hörte. Radio hören, dekadente Musik – das ist unmoralisch in den Augen der Taliban. Sie prügelten ihn und machten sein Radio kaputt. Er besorgte sich ein neues, Radio hören war seine einzige Entspannung auf der Weide den ganzen Tag.
Aber die Taliban kamen wieder. Schlugen ihn wieder und verlangten von ihm, ihnen über die Truppenbewegungen zu berichten aus dem nahen Militärstützpunkt. Als er das nicht tat, schlugen sie ihn bewußtlos. Er entkam auf Umwegen nach Österreich. Das Asylamt wies seinen Antrag ab.
Ali ist schwerst traumatisiert. Er hat seine Heimat verloren, seine ganze frühere Existenz. Aber das Asylamt erklärte ihn für unglaubwürdig. Wegen irgendwelcher angeblicher Widersprüche. Ali hat die Arme voller Schnittwunden. Er hat sie sich selber zugefügt, hier in Österreich. Er ist schwer krank.
Daß er durchgehalten hat die ganze Zeit seines Asylverfahrens, verdankt er der ausgezeichneten psychologischen Betreuung durch Hemayat, eine renommierte Einrichtung für Folteropfer und Kriegsüberlebende, und durch die Caritas, in deren Heim St. Gabriel er wohnt.
Ich habe ihn kurz vor der Beschwerdeverhandlung kennen gelernt, ihn vorbereitet und zum Asylgerichtshof begleitet. Mit Erkenntnis vom 26.2.2013 2013 (GZ: C20 416.071-1/2010/13E, Richter Lammer und Leonhartsberger) erhielt Ali Asyl.
Der Asylgerichtshof hielt in seinem Erkenntnis fest, daß „der bestehende psychische Zustand des Beschwerdeführers dazu führen kann, daß er Fragen über besonders einschneidende Erlebnisse nicht oder nur unzureichend beantwortet oder deren Beantwortung in Folge unbewußter Erinnerungsstörungen meidet, was einerseits in der persönlichkeitsbedingten Vulnerabilität des Beschwerdeführers begründet liegt, andererseits durch traumatische Erlebnisse bedingt ist.“
„Entgegen der Ansicht des Bundesasylamtes“, fährt der Asylgerichtshof fort, sei sein Vorbringen „unter Berücksichtigung seiner psychischen Beeinträchtigung, die hinsichtlich der Glaubhaftmachung einen herabgesetzten Maßstab erfordert, weder unschlüssig noch unplausibel.“
Dieses Erkenntnis ist richtungweisend, denn ich habe schon viele andere gelesen, in denen schlicht geleugnet wurde, daß Trauma zu Erinnerungsstörungen führen kann.
So weit, so gut. Für Flüchtlinge aus Afghanistan ist im Asylgerichtshof die Kammer C zuständig. Dazu gehört Richter Lammer, den wir schon in einem anderen Rundmail positiv erwähnten. Für Pakistan hingegen ist die Außenstelle Linz zuständig.
Flüchtlinge beider Länder werden von den Taliban verfolgt. Ihre Vorbringen sind oft ganz gleichlautend. Trotzdem bekommen die einen, die aus Afghanistan, manchmal Asyl, die anderen hingegen, die Pakistani, nicht.
Wie kann das sein? Obwohl beide von den gleichen Feinden, den Taliban, aus den gleichen Gründen verfolgt werden und gleich Schreckliches erlebt und erlitten haben? Schuld an dieser krassen Ungleichbehandlung ist die hier schon öfter gerügte Verlotterung eines Teils der Judikatur.
Michael Genner,
Obmann von Asyl in Not
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