Peter Nowak: „Sonderrechte für Konzerne“ durch Freihandelsabkommen? – Modell MAI? (Matthias Reichl)

 Kritiker befürchten, dass das transatlantische Abkommen Großunternehmen freie Bahn für „Beutezüge“ verschafft

 Peter Nowak

 telepolis

 09.11.2013 [1]

 Fast hätte die NSA-Affäre auch den Zeitplan für die Verhandlungen für ein [2] transatlantisches Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA durcheinandergebracht. Schließlich waren Stimmen laut geworden, dass man jetzt keine Verhandlungen führen könne.

 Doch so schlecht können die Beziehungen zu den USA gar nicht sein, dass ein Abkommen vertagt würde, das von den führenden Wirtschaftsverbänden vehement gefordert wird. Trotz der Abhöraffäre werden daher die Gespräche fortgesetzt, die die weltweit größte Freihandelszone zum Ziel haben. Die wirtschaftsnahen Verbände übertrumpfen sich geradezu mit Verheißungen über den Segen, den das Freihandelsabkommen haben soll.

 160.000 Arbeitsplätze soll es allein in Deutschland [3] bringen, stellte das IFO-Institut [4] fest. Über die Bezahlung ist damit natürlich noch nichts gesagt.

 Auch der Verband der Automobilindustrie [5] singt das hohe Lied auf die Freihandelszone. Allein der Abbau der Zölle könne deutliche Wachstumsimpulse auf beiden Seiten des Atlantiks auslösen, erklärte der VDA-Präsident.

 „Konzerne auf Beutezug“

 Doch auch die Kritiker des Freihandelsabkommen melden sich zu Wort.

Die globalisierungskritische Organisation Attac fordert [6]“die Elefantenhochzeit für Freihandel“ zu stoppen. Moniert wird, dass die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen geführt werden. Auf der Attac-Sonderseite sind einige geleakte Dokumente [7] veröffentlicht, die in den Verhandlungen eine Rolle spielen.

 Bereits einige Wochen zuvor wurden Papiere [8] publiziert, die die Europäische Kommission für die Verhandlungen mit den USA vorbereitet hat. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen aus Europa und den USA haben bereits im Sommer in einem [9] Offenen Brief scharfe Kritik an der Ausrichtung der Verhandlungen geübt. Zentraler Kritikpunkt sind die beschlossenen Sonderrechte für Konzerne.

 So warnt Pia Eberhardt von der lobbykritischen [10] Organisation EuropeObservatory in einem [11] Beitrag in der Taz vor einem Beutezug der Konzerne, der durch das geplante Abkommen unterstützt würde.

 Solche Verträge würden es nämlich Wirtschaftsunternehmen ermöglichen, Staaten unmittelbar vor internationalen Schiedsgerichten zu verklagen, wenn eine politische Entscheidung, die Gewinnerwartungen aus ihren Investitionen schmälern. Eberhardt führt einige Beispiele dafür an.

 So verklagt Vattenfall derzeit Deutschland, weil der Energiekonzern in dem beschlossenen Atomausstieg seine Gewinnerwartungen verringert sieht. In Australien und Uruguay geht Philip Morris gegen Warnhinweise auf Zigarettenpackungen vor. Der kanadische Öl- und Gaskonzern Lone Pine verklagt über eine US-Niederlassung seine eigene Regierung, weil die Provinz Quebec aufgrund massiver Umweltrisiken ein Moratorium für die als Fracking bekannte Bohrtechnik erlassen hat.

 Wenn mit solchen Klagen auf die Staaten hohe Schadenersatzgesetze zukommen, wird es sich jede Regierung genau überlegen, ob sie noch

Arbeits- Sozial- und Umweltgesetze erlässt, die ein Großunternehmen verärgern und zu einer Klage animieren könnte. Im Zweifelsfall kann eine Arbeitszeitverkürzung ebenso eine Gewinnbremse für die Konzerne sein wie jede andere Sozialreform. Bei solchen Aussichten ist es nicht verwunderlich, dass die Wirtschaftsverbände das hohe Lied auf diese Regelung singen.

 Erinnerung an die kurze Kampagne gegen das MAI

 Bei manchem Kritiker des neuen Freihandelsabkommen erinnert man sich noch eine kurze aber erfolgreiche Kampagne in der Frühzeit der globalisierungskritischen Bewegung. Es ging um das Multinationale Abkommen für Investitionen, das MAI abgekürzt und von Kritikern polemisch als „Ermächtigungsgesetz für Konzerne“ [12] bezeichnet wurde.

 Damals waren es auch überwiegend [13] Nichtregierungsorganisationen, die sich mit ihrer Kritik zu Wort meldeten. Vor allem im globalen Süden wuchs der Protest gegen das Abkommen. Deshalb wurde es wieder zurückgezogen und die Kritiker sahen darin einen Erfolg ihrer Aktivitäten. Damit wurde der jungen globalisierungskritischen Bewegung ein großer Auftrieb gegeben.

 Schon kursiert die Parole, das neue Abkommen nach dem Vorbild des MAI [14] zu Fall zu bringen. Ob diese Orientierung reines Wunschdenken oder auf globaler Ebene realistisch ist, muss sich zeigen. Schließlich war auch der Widerstand gegen das MAI kurz und heftig.

 Peter Nowak 09.11.2013

 Copyright © Telepolis, Heise Zeitschriften Verlag

 References

 1. http://www.heise.de/tp/blogs/8/155305

2. http://ec.europa.eu/trade/policy/in-focus/ttip/

3.

http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/transatlantische-freihandelszone-abkommen-koennte-deutschland-jobs-bringen-1.1786625

4.

http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xbcr/SID-41DA7310-5FB8E6FE/bst/xcms_bst_dms_38862_38869_2.pdf

5. http://www.vda.de/de/meldungen/news/20130617-1.html

6. http://www.attac-netzwerk.de/index.php?id=12920

7. http://power-shift.de/?p=1631

8.

http://www.iatp.org/files/TPC-TTIP-non-Papers-for-1st-Round-Negotiatons-June20-2013.pdf

9.

http://power-shift.de/wordpress/wp-content/uploads/2013/06/US-EU-letter-NGOs-TTIP-concerns-PrecautionPr-ISDS-Democr-June-24-2013.pdf

   10. http://corporateeurope.org/

   11.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=me&dig=2013%2F10%2F11%2Fa0160

   12.

http://www.nadir.org/nadir/initiativ/agp/free/mai/ermaechtigungsgesetz.htm

   13. http://germanwatch.org/tw/mia4gr.pdf

   14. http://www.sozonline.de/2013/09/eu-usa-freihandelsabkommen-ttip/

http://www.heise.de/tp/blogs/8/155305

Buchtipp:

Maria Mies (Hg.), Claudia von Werlhof: Lizenz zum Plündern. 1998, Rotbuch Verlag

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Nachbemerkung von Matthias Reichl:

Zufällig wurde ich Ende der 90er Jahre zum österreichischen Info-Vernetzer der Anti-MAI-Kampagne „berufen“. Und in der Folge in den Netzwerk-Aufbau von gewaltfreien Globalisierungsgegnern und -kritikern (wie Attac u.a.) einbezogen – auch Dank der Freundschaft mit Claudia von Werlhof, Maria Mies, Susan George u.a. Buchtipp dazu:

Maria Mies (Hg.), Claudia von Werlhof: Lizenz zum Plündern. 1998, Rotbuch Verlag).

Sie haben uns nach dem Kurzzeitsieg über das MAI vor einer Neuauflage und vor dem Einbetten der Forderungen transnationaler Konzerne in bilaterale Verträge gewarnt.

Sind diese Netzwerke stark und effizient genug um erneut dieses neoliberale Diktat zu stoppen?

Dass in Österreich im vorauseilenden Gehorsam des Gesetzgebers schon entsprechende Gesetzesänderungen durchgedrückt wurden zeigt der folgende Beitrag aus unserem „Rundbrief Nr. 149“ von Ende Oktober 2013, Seite 14 (www.begegnungszentrum.at/rundbriefe/Rundbrief149.pdf):

Engagieren gegen die Kriminalisierung von Engagement!

Die Bewegung, die sich rund um den Skandalprozess gegen TierrechtsaktivistInnen entwickelt hat, hat soviel Druck gemacht, dass ein erster Erfolg erreicht werden konnte: Der § 278a, der sog.

„MafiaParagraf“, wurde zumindest soweit entschärft, dass er in Hinkunft nicht mehr ganz so leicht gegen politisches Engagement und NGO-Arbeit missbraucht werden kann.

Ein grosser Brocken aber bleibt: Die §§ 278 b ff, die sog.

„Terror-Paragrafen“. Diese wurden auf Grund einer EU-Richtlinie in das österreichische Strafrecht aufgenommen und sind demokratiepolitisch nicht weniger bedenklich. Als „terroristisches Motiv“ gilt unter anderem, wenn „eine Tat geeignet ist, eine schwere oder längere Zeit anhaltende Störung des öffentlichen Lebens oder eine schwere Schädigung des Wirtschaftslebens herbeizuführen“ oder dazu dient „öffentliche Stellen oder eine internationale Organisation zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu erschüttern.“ (§ 278c).

Die SolidarWerkstatt tritt z.B. dafür ein, die EU-Verfassung, die eine Aufrüstungspflicht und ein Neoliberalismusgebot enthält, „ernsthaft zu erschüttern“. Treibt uns also terroristisches Gedankengut an? Oder waren die Gewerkschaften TerroristInnen, als sie

2003 zu Massenstreiks gegen den Raubzug bei den Pensionen aufriefen?

Jeder Streik kann schließlich von findigen Juristen als „schwere Schädigung des Wirtschaftslebens“ interpretiert werden.

Im Zusammenhang mit dem neuerlichen Prozess gegen fünf TierrechtsaktivistInnen bekommen diese „Anti-Terror“-Paragrafen zusätzliche Brisanz. Denn eine „terroristische Tat“ liegt vor, sobald sich das oben beschriebene Motiv mit einem bestimmten Straftatbestand verbindet; dazu zählt der § 278 c unter anderem die „schwere Nötigung“. Und die würde bereits vorliegen – so das Oberlandesgericht Wien in seiner Anklage – wenn friedliche und legale Proteste angekündigt werden, die die Geschäfte von Unternehmungen beeinträchtigen können.

Fast alle Aktivitäten von NGOs und Gewerkschaften können das tun:

Kaufboykott gegen Produkte aus Kinderarbeit oder besetzten Gebieten, Sitzblockaden gegen Transitlawinen, Brandmarken von Rüstungsgeschäften, Streiks für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen, usw. Strafrahmen der §§ 278 b ff: bis zu 15 Jahre.

Dabei dürfen wir nicht vergessen: Diese Paragrafen entfalten ihre demokratiegefährdende Wirkung bereits lange, bevor es zur Anklage oder Verurteilung kommt. Denn sobald der Verdacht auf „terroristische Aktivitäten“ im Raum steht, bekommt die Polizei ein umfassendes Recht zur Überwachung von Menschen und sozialen Netzwerken. Die Tierrechts-AktivistInnen wurden jahrelang bis ins Schlafzimmer bespitzelt.

Dieser Anti-Terror-Paragraf kann sich also zur grossen Keule gegen jedes „unerwünschte“ Engagement entwickeln.

(SolidarWerkstatt/ bearb. von akin-Pressedienst, 16.10.2013)

Quelle:http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=

com_content&task=view&id=933&Itemid=1

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