Gewerkschaftsforum Hannover:
Was bedeutet der Militärputsch und das Blutbad der Truppen des faktischen Machthabers General Abdel Fattah al-Sisi unter den dagegen Demonstrierenden für Ägypten und für die Massenrebellionen der letzten zwei Jahre in ganz Arabien? Diese Frage stellt sich auch die angesehene US-Tageszeitung „International Herald Tribune“. Am 16.8.2013 brachte sie unter der Überschrift „Ist dies das Ende des Arabischen Frühlings?“ gleich vier Diskussionsbeiträge von Experten, die sich allesamt kritisch zum Vorgehen der Armee äußerten. Den prägnantesten Beitrag verfasste Shahi Hamid, ein führender Kopf der einflussreichen US-amerikanischen Denkfabrik Brookings Institution.
Es wäre pervers, wenn die Revolution vom Januar 2011 etwas den Weg ebnen würde, was schlimmer ist als das was sie ersetzen wollte. Aber genau da ist Ägypten gelandet. Unter dem Regime von Hosni Mubarak wurde die Moslembruderschaft unterdrückt, aber die Repression war niemals total. Der Bruderschaft wurde als größter Oppositionskraft des Landes Raum zum arbeiten gegeben, um gegen Wahlen zu protestieren und Sitze im Parlament zu erringen. <Anm.1> Mubarak mag ein Diktator gewesen sein, aber er war kein Radikaler.
Die gegenwärtige Militärregierung ist da sehr viel ehrgeiziger mit ihrem Ziel die Bruderschaft zu demontieren und als eine politische Kraft zu zerstören. Anders als Mubarak machten sich die Generäle echten, massenhaften Ärger über die Bruderschaft – nach deren vielen Misserfolgen an der Macht – zu Nutze und halfen diesen Ärger in etwas Hässliches und Abgrundtiefes zu verwandeln.
Es ist nichts Überraschendes, wenn Armeen Gewalt anwenden. Das ist das, was Armeen tun. Aber es ist unheimlich ganz normale Ägypter, „liberale“ <das heißt im Amerikanischen auch: linke> Parteien und einen Großteil der Medienschaffenden des Landes dabei zu erleben, wie sie das so begeistert bejubeln. Demokratische Übergangsperioden sind, selbst unter den besten Umständen, holprige und qualvolle Angelegenheiten. Aber es macht keinen Sinn mehr zu sagen, dass sich Ägypten in solch einer Übergangsphase befindet.
Selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass die politische Gewalt irgendwie beendet wird, sind die durch den Militärputsch vom 3.Juli <2013> und seine Folgen herbeigeführten Veränderungen äußerst schwer rückgängig zu machen sein.
Die interventionistische Rolle der Armee in der Politik hat Wurzeln geschlagen. Das Militär und andere Staatsapparate sind zu explizit parteilichen Institutionen geworden und geben nicht einmal vor über der Politik zu stehen. Dies wird den gesellschaftlichen Konflikt in einem tief polarisierten Land nur noch weiter verschärfen.
Ein anhaltender ziviler Konflikt wird abwechselnd dazu genutzt werden einen permanenten Krieg gegen eine stattliche Anzahl innerer und äußerer Feinde zu rechtfertigen – echter ebenso wie eingebildeter. Man muss nicht überrascht sein. So sehen Militärputsche aus. Die Symbolik ist sicherlich besonders bemerkenswert. Ägypten ist das bevölkerungsreichste arabische Land und ein Leithammel / Wegweiser für die Region.
Es gab eine Zeit als Beobachter banale und hoffnungsvolle Dinge wie „Ägypten kann den Weg zu einem neuen demokratischen Mittleren Osten weisen.“ gesagt hätten. Aber das waren andere Zeiten.
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SHADI HAMID ist Forschungsdirektor am Brookings Doha Center und ein Fellow am Saban Center for Middle East Policy an der Brookings Institution.
Anmerkungen:
1) Bei den Parlamentswahlen im Jahr 2005 gewannen die als Unabhängige angetretenen Kandidaten der Moslembruderschaft, trotz der Illegalität Ihrer Organisation, 88 Sitze (das entsprach einem Anteil von 20%). Die legale Opposition brachte es nur auf 14 Sitze. Zustande kam der Erfolg der Ikhwan trotz erheblicher Unregelmäßigkeiten bei diesem Urnengang und der Verhaftung Hunderter ihrer Aktivisten. Nach Einschätzung des damaligen „New York Times“– Korrespondenten James Traub in der Ausgabe vom 29.4.2007 wurde die Bruderschaft damit „faktisch zu Ägyptens größter Oppositionspartei in jüngerer Zeit“.
Vorbemerkung, Übersetzung, Anmerkung und Einfügungen in eckigen Klammern: Gewerkschaftsforum Hannover
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