Werner Karl: Nach dem Marikana-Massaker gehen die Arbeitskämpfe in Südafrika weiter (ak Nr.576)

Ak / Nr. 576 / 19.Oktober 2012

Südafrika: Militanz jenseits der Gewerkschaften

Am 18. September 2012 ende­te der Streik bei Lonmin in Marikana mit einer Lohner­höhung um 22 Prozent. Er kostete fast 50 Menschen-leben, allein 34 beim Massaker vom 16. August. (ak 575) Seither erlebt Südafrikas Minenindustrie eine Welle von wilden Streiks. Ausgehend von der Platinindus­trie legten inzwischen auch Beschäftigte in der Chromindustrie und der Goldför­derung die Arbeit nieder.

Gemeinsam ist diesen Kämpfen die Forderung nach 12.500 Rand Nettomo­natslohn für alle. Die Streiks zeichnen sich außerdem durch Ablehnung ge­werkschaftlicher Vermittlerinnen (vor al­lem der Bergarbeitergewerkschaft NUM) sowie durch Kompromisslosigkeit bei den Verhandlungen aus: »Von meinem Einkommen hängen zu viele Menschen ab. Ich möchte die 12.500 Rand nicht bloß, ich brauche sie«, so ein Schichtarbeiter bei Amplats, und weiter: »Wenn sie uns unser Geld nicht geben möchten, sollen sie die Mine gleich zusperren.«

 Schlechte Arbeits- und Lebensbedingungen

Die südafrikanische Bergbauindustrie zerstört nicht nur in großem Ausmaß die Umwelt (bei Anglo Platinum werden 37 Prozent der vorgeschriebenen Um­weltauflagen nicht eingehalten),, son­dern auch die Lebensgrundlagen ihrer Beschäftigten. Viele Bergarbeiterfamilien müssen in selbst gebauten Baracken auf besetztem Grund leben (»informelle Siedlungen« lautet der offizielle, euphe­mistische Begriff für diese Slums), ohne Strom, fließendes Wasser, Sanitäranla­gen, Gesundheitsversorgung und Stra­ßen.

In den Minen gibt es eine erschre­ckend hohe Anzahl arbeitsbedingter To­desfälle. Der Einsatz von migrantischen Arbeiterinnen soll die Belegschaften entlang sprachlicher Grenzen spalten,. Leiharbeitsverhältnisse sind gang und gäbe (bei Aquarius sind es 87 Prozent der 11.072 Beschäftigten).

Auf die Streiks antworten die Unter-nehmen kurzfristig mit Aussperrungen, der Drohung mit Massenentlassungen und Angriffen auf die Lebensgrundlagen der Beschäftigten: Anfang Oktober kün­digte Gold Fields an, alle 5.000 streiken-den Arbeiterinnen aus ihren Werkswoh­nungen räumen zu lassen. Längerfristig steht die Drohung mit Mechanisierung im Raum. Gideon du Plessis, Generalse­kretär der Gewerkschaft Solidarity: »Ich habe keinen Zweifel daran, dass sie einen Anpassungs- oder Umstrukturierungs­prozess durchführen oder mit den Ge­werkschaften über einen Personalabbau verhandeln werden müssen.«

 Regierung der Konzerne

Die Dreiparteienallianz aus dem ANC, der KP Südafrikas (SACP) und dem Gewerkschaftsdachverband COSATU wird zunehmend als Regierung der Konzer­ne betrachtet. Während Präsident Jacob Zuma in Marikana Soldatinnen statio­nieren ließ, forderte die SACP die »Be­strafung« der überlebenden des Massakers vom 16. August. Allein am Tag des Lohnabschlusses bei Lonmin kündigten 200 Beschäftigte des Unternehmens ihre NUM-Mitgliedschaft auf.

Der ehemalige NUM-Vorsitzende Cyril Ramaphosa hält neun Prozent der Lonmin-Aktien, Zuma lässt sich auf Staatskosten eine 2o-Millionen-Euro-Villa bauen, und das »black economic empowerment«-Programm der Regie­rung dient einzig der Selbstbereiche­rung der ANC-Bosse und ihrer Familien. Nicht wenige sitzen inzwischen in den Aufsichtsräten der Minenbetreiber oder halten Aktienpakete derselben.

Wo immer sich Selbstorganisation gegen die Herrschaft der Dreiparteien­koalition bildet, wird ihr mit Repression, Todesdrohungen gegen einzelne Akti­vistlnnen und Denunzierung der Bewe­gungen als »fünfte Kolonne des Imperi­alismus« begegnet. Inzwischen verliert der ANC weiter an Zustimmung, beiden am 19. September in einigen Bezirken stattgefundenen Lokalwahlen verlor er zwischen 15 und 28 Prozent der Stim­menanteile (bei einer extrem niedrigen Wahlbeteiligung).

Die ANC-Führung besteht heute zu einem Großteil aus Mitgliedern von »Vula«, einem klandestinen Netzwerk, das während der Apartheid aufgebaut wurde, um die Kommunikation zwi­schen den exilierten, den gefangenen und den im Land verbliebenen ANC-Ka­dern zu ermöglichen. In dieser Clique ist Loyalität oberstes Gebot, und kriminelle Methoden zur Selbstbereicherung sind keiner Diskussion würdig.

Autonome Bewegungen der Armen wie Abahlali baseMjondolo (eine Selbstorganisation der Bewohnerinnen von informellen Siedlungen, die landesweit mehrere io.000 Mitglieder zählt) oder die Bewegung der Arbeitslosen sprechen bereits von einem »Krieg gegen die Ar­men«, den der ANC führe. Sie verweisen u.a. auf zahlreiche Morde an Demons­trantinnen, die von Polizistlnnen seit dem Ende der Apartheid verübt wurden, auf Angriffe gegen Abahlali-Organisatio­nen und die zahlreichen Todesopfer bei Zwangsräumungen in den informellen Siedlungen. Dieser Krieg hat nun auf die Minen übergegriffen.

Für die Minenarbeiterinnen lauten die Erfahrungen der aktuellen Kämpfe: Wenn du eine Lohnerhöhung möchtest, musst du militant auftreten, die Gewerk­schaft außen vor lassen und direkt mit dem Arbeitgeber verhandeln. Leonard Gentle verweist in ak 575 auf die Geschich­te der sozialen Bewegungen während der Apartheid und sieht die Möglichkeit, dass eine neue Massenbewegung ent­steht, deren erste Aufgabe der Sturz der Dreiparteienallianz sein wird.

Dabei dürfen keinesfalls die Fehler wiederholt werden, die der ANC gemacht hat. Abahlali baseMjondolo betont, dass die Bewegung keinesfalls Strukturen ak­zeptieren darf, die sie in eine Kopie des ANC verwandeln würden: »Wir haben keine andere Wahl, als Widerstand zu leisten. Aber wir müssen mit unserer eigenen Politik Widerstand leisten, die eine militante Politik des Volkes ist, die damit beginnt und endet, dass wir die Würde aller Menschen ehren.«

Werner Karl bloggt regelmäßig auf akkrise.wordpress.com.