WOZ: Egon Erwin Kisch – Admiraele, Bonzen und Tattoos (akin)

Geschichte/Medien:

Admiraele, Bonzen und Tattoos

Als sich Egon Erwin Kisch 1918 an der Revolution versuchte, war er bereits Starjournalist. Als er 1933 aus Deutschland floh, war er als «rasender Reporter» zur Marke geworden. Seine journalistische Haltung ist weiterhin vorbildlich. Von Harald Borges, abgekupfert aus der WoZ * Die k. u. k. Kriegsmarine Oesterreich-Ungarns ist nicht als Schrecken der Meere in die Geschichte eingegangen, aber sie hat es zumindest versucht: Mit ihren vier grossen Schlachtschiffen und einer Begleitflottille wollte sie im Juni 1918 die Sperre von Otranto in der Adria durchbrechen. Oberleutnant Kisch, nach mehreren Verwundungen mittlerweile im k. u. k. Kriegspressequartier taetig, war als Journalist dabei. Der Befehlshaber Miklos Horthy (spaeter als ungarischer «Reichsverweser» Verbuendeter Hitlers und Mussolinis) und Kisch entdeckten an Bord bald Gemeinsamkeiten. Kisch, der seine erste Taetowierung Jahre zuvor ausgerechnet im Militaerarrest von einem Mitinsassen erhalten haben will, pries noch lange Horthys Brusttaetowierung als die schoenste, die ihm je unterkam. Aber er bat den Admiral auch, dessen Taetowierung an einer «anderen Stelle» – vermutlich einer eher delikaten – sehen zu duerfen. Kisch weiter: Horthy «willfahrte meinem Wunsch. Wenige Stunden spaeter war Alarm – der ‹Szent István›», das groesste oesterreichische Schlachtschiff, «war torpediert worden, war ein Wrack, das unterging. (…) Horthy unterliess­ es, der schiffbruechigen Mannschaft zu Hilfe zu kommen, mit der Begruendung, er koenne nicht auch das Admiralsschiff der Gefahr einer Torpedierung aussetzen.» Der sichtlich nervoese Admiral trat schliesslich auf Kisch zu: «‹Ich haette die Zeichnung nicht zeigen sollen, Herr Oberleutnant – immer wenn ich das tue, gibt es ein grosses Unglueck.› Das Unglueck war tatsaechlich gross – die Zahl der Toten ist niemals bekanntgegeben worden, geborgen wurden nur vierzehn Leichen, die wir am uebernaechs­ten Tage auf dem Marinefriedhof begruben.» Der rasende Reporter Egon Erwin Kisch (1885–1948) verdankt seinen fruehen Ruhm neben seiner erzaehlerischen Brillanz auch seiner Ironie und seinem Schatz an (teils wohl erfundenen) Anekdoten. Er verbindet ganz disparate Eindruecke und eine Fuelle scheinbar nebensaechlicher Details miteinander, um Atmosphaere zu schaffen und seine LeserInnen zu unterhalten und zu fesseln. So ganz nebenbei darf man sich natuerlich auch noch seinen Teil ueber einen Admiral denken, der seinen Leuten unter einem Vorwand jegliche Hilfe verweigert, um seine eigene – taetowierte – Haut vor den Torpedos der Konkurrenz zu retten. Kisch hat diese Seite des Reporters, die Jagd nach Sensationen, nie verleugnet und immer wieder genuesslich beschrieben, wie er 1913 den grossen Spionageskandal um Oberst Redl aufdeckte. Aber Kisch eroberte der Zeitung seit seinen journalistischen Anfaengen 1906 zunehmend neue Themen und Formen, weit ueber die sensationsluesterne LeserInnenschaft der Lokalseiten und den Connaisseur des meist sinnfrei dahinplappernden Feuilletons hinaus. Er wurde Schoepfer und Meister einer neuen Gattung, der literarisch anspruchsvollen Reportage. Er entwickelte sie zu einer faszinierenden Form fuer immer neue Inhalte, von historischen Betrachtungen ueber die Verbrennung des Jan Hus 1415 bis zu faszinierten Einblicken in die junge Sowjetunion. Obwohl er selbst 1885 in behueteten Verhaeltnissen zur Welt kam und in durchaus buergerlichen Verhaeltnissen lebte, machte sich Kisch bei seiner Arbeit die Finger schmutzig. Er naechtigte verkleidet in Obdachlosenasylen in Prag und London, arbeitete mit Tageloehnern bei der Hopfenernte, war Floesser auf der Elbe und Leichtmatrose auf einem Frachter von Baltimore nach San Francisco – aber genauso gut konnte man ihn in Archiven, Salons und Bordellen antreffen. Kisch war ein echter Balzac der Zeitung. Was Kisch von vielen JournalistInnen unterscheidet, sind sein nimmermuedes soziales Gewissen, seine immense Beobachtungsgabe und seine Bereitschaft, daraus praktische und publizistische Konsequenzen zu ziehen. Ein erstes politisches Aufbaeumen markiert 1918 seine fuehrende Rolle bei der Wiener Roten Garde, von publizistischen Angriffen auf die Sozial­demokratie flankiert, die er als eigentliche Revolutionsverhinderin und Kriegsgewinnlerin brandmarkt. Von den SozialdemokratInnen schallt es mit antisemitischen Untertoenen zurueck, er sei «Anhaenger einer mit der Arbeiterschaft nicht in Fuehlung befindlichen, sich ueberaus radikal gebaerdenden Gruppe, deren Fuehrer dem Zionismus ebenso nahestehen wie dem Anarchosyndikalismus». Kisch, seit 1919 Mitglied der Kommunistischen Partei Oesterreichs, spaeter dann der KP Deutschlands, beginnt, «in einer Welt, die von der Luege unermesslich ueberschwemmt ist», ueber seine Rolle als Journalist zu reflektieren. Schreibt er 1925 noch: «Der Reporter hat keine Tendenz, hat nichts zu rechtfertigen und hat keinen Standpunkt. Er hat unbefangen Zeuge zu sein und unbefangene Zeugenschaft zu liefern», so geht er wenig spaeter einen Schritt weiter und fordert vom Berichterstatter die «Absicht, den Unterdrueckten und Entrechteten durch seine ungeschminkte Zeugenaussage zu nuetzen und zu helfen». Im November 1928 schliesslich bekennt er sich endgueltig zur proletarischen Kunst: «Jede wirkliche Kunst ist Opposition, Rebellion oder Revolution. Jede wirkliche Kunst muss wahrhaft sein und sich daher gegen die Luegen richten, mit denen die herrschenden Klassen die Unterdrueckung der anderen Klassen motivieren.» Der Antifaschist «Zaren, Popen, Bolschewiken», 1927 erschienen, ist ein Wendepunkt. Diese Reportagen haben einen neuen Atem – Kisch hat eine sechsmonatige Reise durch die Sowjetunion sichtlich genossen und fuehlt sich literarisch wie neugeboren. Er konnte nach seinem Zeugnis erst dort «den politischen Sinn der wahrheitsgetreuen Berichterstattung, die Tendenz einer wahrhaft tendenzlosen Darstellung erfassen: Waehrend im kapitalistischen Kosmos fast nichts als Elend, Unterdrueckung, Laecherlichkeit oder Stagnation die Modelle des Reporters sind, ist die sich aufbauende sozialistische Welt fuer ihn der Anlass, positiv zu sein.» Neben der Begeisterung vieler Sowjetmenschen und im Westen ungeahnten sozialen Fortschritten steht hier auch der von Kinderkrankheiten wie Wohnungsnot und Geschaeftemacherei gepraegte Alltag. Kisch entdaemonisiert die Sowjetunion, ohne sie zu vergoettern – und schafft so ein wirkungsmaechtiges Panorama einer neuen Gesellschaft, das bis heute beeindruckt, weil es daran erinnert, dass auch unsere Gegenwart nicht der Wahrheit letzter Schluss ist. Egon Erwin Kisch ist kein Salonkommunist: Direkt nach dem Reichstagsbrand wird er verhaftet und vierzehn Tage lang Zeuge der Folterungen in den Kasematten von Spandau, ehe er dank seines tschechoslowakischen Passes abgeschoben wird. Im Exil setzt er den Kampf gegen den Faschismus fort. Den gibt es nur ganz oder gar nicht – als ihm die australischen Behoerden die Einreise verweigern, springt er von Bord des Dampfers und bleibt mit gebrochenem Bein auf dem Kai liegen, anschliessend prozessiert er sich den Weg ins Land frei. Er spricht bei Kundgebungen auf drei Kontinenten – sofern diese nicht wie in Zuerich im Juni 1933 umgehend verboten werden. Nach einer improvisierten Kisch-Rede schicken australische Hafenarbeiter gar spontan ein Telegramm an die deutsche Regierung und fordern die sofortige Freilassung Ernst Thaelmanns, des kurz nach Adolf Hitlers Machtuebernahme inhaftierten ehemaligen Vorsitzenden der KP Deutschlands. Kischs Irrtum ueber den Fussball Wenn es gilt, publizistisch Graeben aufzureissen, die Besitz- und Produktionsverhaeltnisse und deren Folgen beim Namen zu nennen, nimmt Kisch erst recht kein Blatt mehr vor den Mund. Fuer ihn heisst Politik seit dem Ersten Weltkrieg nicht mehr, schoen sozial zu schreiben, sondern aktiv am Klassenkampf teilzunehmen. Denn letztlich ist fuer Kisch, den weltreisenden Reporter, nichts «verblueffender als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist phantasievoller als die Sachlichkeit. Und nichts Sensationelleres gibt es in der Welt als die Zeit, in der man lebt!» Natuerlich hat sich auch Kisch gelegentlich grob verschaetzt. 1912 etwa bemerkte er, Fussballfanatiker und selbst Mitgruender eines Klubs, entsetzt: «Die Regierungszeit des Fussballs ist beendet. Le roi est mort.» Was war geschehen? Kisch hatte erfahren, dass den Gymnasiasten der bisher streng geahndete Eintritt in einen Fussballverein erlaubt worden sei. Fuer Kisch bricht eine Welt zusammen.

Nachdem er wehmuetig an den Vorschlag eines Paedagogen erinnert, «man moege, um Fuesse und Haende in gleichem Masse auszubilden, mitten im Fussballwettspiel nach jedem Goal Hanteluebungen einfuehren», beschwoert er den frueheren «monomanen Fanatismus der Jugend» fuer den Fussball. Und nun dieser Schlag der Obrigkeit! «Gerade jetzt, da der fussballspielenden Jugend auch der letzte Hauch des Maertyrertums genommen ist, (…) gerade jetzt wird die Jugend aufhoeren, mit ungeteilter Begeisterung bei der Sache zu sein.» Keine seiner Einschaetzungen erwies sich als irriger! Aber in religioesen Fragen darf selbst ein Kisch irren, und schliesslich ist Fussball, wie der uruguayische Schriftsteller Eduardo Galeano scharfsinnig notierte, «die einzige Religion, die keine Atheisten kennt». (WOZ, 21.03.2013 * Kasten:

Egon Erwin Kisch: Reportage als Kunst und Kampf

Kisch, 1885 in Prag geboren, begann seine journalistische Taetigkeit 1906 beim «Prager Tagblatt». Ab 1913 arbeitete er in Berlin. 1918, nach dem Ersten Weltkrieg, wird Kisch Kommandant der Roten Garde in Wien. Seine Entwicklung zum Pazifisten schildert er im Kriegstagebuch «Soldat im Prager Korps». Zurueck in Prag veroeffentlicht er Reportagenbaende wie «Der rasende Reporter» oder «Hetzjagd durch die Zeit». Seine Reise nach China verarbeitet er in «Asien gruendlich veraendert» (1932). 1933, nach dem Reichstagsbrand, wird Kisch verhaftet und nach Prag abgeschoben. Wenig spaeter exiliert er nach Paris. 1936 bis 1938 berichtet er fuer die Internationalen Brigaden im Spanischen Buergerkrieg. Kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs fliegt er nach Mexiko, wo er bis 1946 lebt. 1945 erscheint sein letztes Buch, «Entdeckungen in Mexiko». Am 31. Maerz 1948 stirbt Kisch in Prag an einem Herzschlag.

* Quelle: http://www.woz.ch/1312/egon-erwin-kisch/admiraele-bonzen-und-tattoos