Zbigniew Menschinski: Schweres Geschuetz gegen das Grundeinkommen

Debatten:

Schweres Geschuetz gegen das Grundeinkommen faehrt Bruno Kern in 
kritisches-netzwerk.de auf. Er attackiert die Befuerworter aus linker
Perspektive, wie er meint. „Bedingungsloses Grundeinkommen: die
infantile Schlaraffenlandmentalitaet einiger ‘Linker’“ heisst sein
Beitrag.

Die Befuerworter eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) nennt er
systemstabilisierend und reaktionaer. Kern nennt kein konkretes
Modell, gegen das sich seine Kritik wendet. Schon die Grundidee
erscheint ihm anruechig.

Kerns wichtigster Vorwurf lautet: Nur in einer kapitalistischen
Wachstumswirtschaft ist ein bedingungsloses Grundeinkommen
finanzierbar, nur eine kapitalistische „Ueberflussgesellschaft“ koenne
die Mittel fuer ein Grundeinkommen bereitstellen. Ein BGE widerspreche
daher sozialen und oekologischen Erfordernissen. Es stabilisiere
Wachstumswahn und Kapitalismus.

Das ist im Kern falsch. Ein bedingungsloses Grundeinkommen beruht zwar
auf Arbeit und Taetigsein der Menschen, aber nicht zwangslaeufig auf
einer kapitalistischen Wachstumswirtschaft. Das bedingungslose
Grundeinkommen ist sogar ein moeglicher Ansatz, eine kapitalistische
Wachstumswirtschaft einzudaemmen und zusammen mit anderen Massnahmen
auszuhebeln.

Kern scheint zu meinen, durch das Grundeinkommen wuerde in Summe mehr
Nachfrage nach Guetern entstehen, und es muesste daher noch mehr
Wachstum generiert werden. Das ist Unfug. Das bedingungslose
Grundeinkommen sorgt fuer eine Umverteilung der Kaufkraft, nicht fuer
ein Anwachsen. Die oberen Einkommensklassen – je nach BGE-Modell
10-20% der Bevoelkerung – wuerden bei einem zu versteuernden
Grundeinkommen Kaufkraftverluste erleiden, die mittleren haetten
leichte Vorteile, vor allem aber die unteren Einkommensschichten
waeren beguenstigt.

Die Nachfrage bliebe in Summe gleich, es wuerde sich aber die Art der
Nachfrage aendern. Je nach BGE-Modell wuerden zum Beispiel in
Deutschland jaehrlich 40 bis 60 Milliarden Euro von den 15% Reichsten
„wegwandern“ zum Rest der Bevoelkerung, vor allem zur aermeren
Haelfte.

Um es bildhaft auszudruecken: Statt zwei Porsche stuende nur noch
einer in der Villengarage, statt dreimal koennten Bestverdiener „nur“
noch zweimal pro Jahr in die Karibik jetten, statt 30.000 Euro nur
noch 15.000 Euro verzocken. Statt zwei Brillant-Colliers gaebe es nur
noch eines zu Weihnachten.

Dafuer koennten bisher klamme Alleinerziehende ihren Kindern
Musikunterricht finanzieren oder fuer eine fuenfkoepfige
Arbeiterfamilie waere auch Bio-Kost leistbar. Nochmals. Durch das
bedingungslose Grundeinkommen wird das BIP nicht erhoeht, sondern das
Wirtschaften wird umgelenkt, weg von Luxusguetern vor allem hin zu
Guetern und Dienstleistungen des taeglichen Bedarfs. Sicher: Nicht
jeder Euro, der von den Reichsten zu den Aermeren wandert, wird in
nachhaltige Aktivitaeten fliessen, aber die meisten.

Luxus und Spekulation, zerstoererische Ressourcenverschwendung werden
zum Grossteil ersetzt durch nachhaltige Gueter und Aktivitaeten, die
fuer mehr Lebensqualitaet sorgen. Finanziert werden weniger
Champagnerkellner und Golfhotels, dafuer mehr Kinderbetreuung, mehr
Biobauern, mehr Pflege- und Lehrkraefte. Dadurch werden Menschen und
Natur entlastet.

Das genau scheint Bruno Kern zu bezweifeln. Er unterstellt den meisten
BGE-Beguenstigten in paternalistischem Duenkel, sie wuerden das von
den Reichsten abgezwackte Geld fuer „Tand und Troedel“ ausgeben. Nun
liesse sich diese Sorge einfach eindaemmen, zum Beispiel, indem ein
Drittel des BGE-Betrags in Form von Gutscheinen ausgehaendigt wird,
die nur in Laeden einloesbar sind, die sozial und oekologisch
vertraegliche Waren anbieten. Doch fuer Bruno Kern kommen solche
Halbheiten nicht in Frage.

Er meint, die Menschen muessten sich ganz allgemein an Askese
gewoehnen, weil die Ressourcen immer knapper werden. Fast hat man den
Eindruck, Kern findet es ganz gut, dass es bei 50 bis 60% der
Bevoelkerung immer knapper zugeht, denn so lernen sie sparen. Mit
einem Grundeinkommen koennten diese Habenichtse ja Ressourcen
verschwenden.

Kern hat, wie gesagt, nicht begriffen, dass eine Umverteilung ueber
das BGE nicht zu mehr Wachstum fuehrt, sondern verschwenderische
Produktion zurueckfaehrt. Mehr als sein Rechenfehler irritiert aber
sein Gesellschafts- und Menschenbild.

Kerns Sicht der Unterschicht koennte aus den Medienkuechen von RTL
oder SAT1 stammen. Es scheint, Kern haelt die Mehrzahl dieser Menschen
fuer hoffnungslos konsumorientiert.

Kern unterstellt zudem, dass zu viele Menschen prinzipiell nicht
arbeiten wollen und sich vor gesellschaftlich notwendiger Arbeit
druecken wuerden, wenn es ein bedingungsloses Grundeinkommen gaebe. Im
Klartext formuliert meint Kern: Wenn wir allzuviele Faulenzer
„alimentieren“ muessen, haben wir nicht genug Geld, um notwendige
gesellschaftliche Arbeit, wie zum Beispiel in der Pflege, besser
aufzuteilen oder zu bezahlen.

Er konstruiert einen Gegensatz, den es nicht gibt, so wenig wie das
Heer der Faulenzer. Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen koennte
eine Pflegekraft ihre Wochenstundenzahl von 40 auf 25 reduzieren und
haette dennoch ein hoeheres Einkommen als zuvor. In die Bresche
wuerden Menschen springen, die sich 20 oder 25 Stunden Pflege
woechentlich zutrauen, nicht aber 35 oder 40 Stunden.

Wieso blendet Kern diese Moeglichkeit aus? Das hat ideologische
Gruende.

Kern singt ganz undifferenziert das Hohelied der Arbeit und beruft
sich dabei auf Marx. „Die Menschen beziehen sich gesellschaftlich (!)
aufeinander durch Arbeit“, so betont Kern. Warum sie mit einem
Grundeinkommen ploetzlich nicht mehr arbeiten, nicht mehr taetig und
auch nicht mehr aufeinander bezogen sein sollen, erlaeutert er nicht.
Er fuerchtet, durch ein Grundeinkommen koennten die Beguenstigten zu
egozentrischen Individualisten mutieren, sich vereinzeln und
entsolidarisieren.

Das Gegenteil ist eher wahrscheinlich. Wenn Menschen nicht mehr
ausschliesslich von Lohnarbeit abhaengig sind, koennen sie ein
staerkeres Selbstwertgefuehl, mehr Widerstandsgeist und Courage
entwickeln, die Grundlage gelebter Solidaritaet.

Kern beruft sich zwar auf Marx, er vergisst aber, dass Marx sehr genau
unterscheidet zwischen entfremdeter Arbeit und Arbeit als Taetigkeit,
durch die der Mensch sich verwirklicht. Marx peilt nicht die
Verewigung entfremdeter Arbeit an, sondern ihre Abschaffung.

Und genau dorthin kann ein bedingungsloses Grundeinkommen fuehren.
Menschen mit einem ausreichenden Grundeinkommen im Ruecken koennen es
sich risikoloser leisten, gegen miserable Arbeitsbedingungen
aufzubegehren. Sie muessen keine Angst haben, vor dem existentiellen
Nichts zu stehen, wenn sie ihren Job verlieren. Sie sind weniger
erpressbar, koennen sich alternative Taetigkeiten suchen, sich
zusammentun, leichter ein Projekt gruenden, von der Reparaturwerkstatt
bis zum Pflegeservice.

Menschen mit einem ausreichenden Grundeinkommen koennen befreiter fuer
ihre Angehoerigen und Freunde, fuer das Gemeinwohl oder an einer
Umgestaltung der Gesellschaft arbeiten als Menschen, die zu prekaerer,
entfremdeter Arbeit und Konkurrieren um Arbeitsplaetze verdammt sind.

Da Kern die Marxsche Unterscheidung zwischen entfremdeter Arbeit und
Arbeit als grundaetzlicher Gattungstaetigkeit ungenuegend bis gar
nicht beruecksichtigt, geraet er mit seiner unkritischen
Glorifizierung von Arbeit schlechthin auf die schiefe, um nicht zu
sagen totalitaere Bahn. Deshalb verwundert es nicht, dass Kern gegen
Ende seines Aufsatzes sich voellig vergaloppiert. Er verdaechtigt
„nicht wenige Verfechter“ des bedingungslosen Grundeinkommens einer
„parasitaeren Mentalitaet“, rueckt sie in die Naehe der neoliberalen
„Abzockergesellschaft“.

Es gibt in Wien viele Aktivisten und Befuerworter eines
bedingungslosen Grundeinkommens, ich kenne mehrere Dutzend von ihnen.
Keine einzige, kein einziger ist auch nur im Ansatz mit „parasitaerer
Mentalitaet“ behaftet. Im Gegenteil. Diese Menschen sind aeusserst
engagiert, stecken sehr viel Arbeit in vielerlei Aktivitaeten fuer das
Gemeinwohl. Sie wollen, dass der Druck und die Angst aus den Betrieben
verschwindet, dass Menschen auf Dauer der groessten Existenznot
entkommen und nicht auf Aemtern um Almosen bangen und betteln muessen.

Hinter Kerns Verdaechtigungen gegen die Verfechter eines
bedingungslosen Grundeinkommens steckt die Saga von den Faulenzern,
wie sie in den Koepfen vieler Erzreaktionaere herumspukt. „Infantil“,
„Schlaraffenland“, „parasitaere Mentalitaet“. Kerns Einstufung des BGE
erinnert an die Auslassungen von Clement, Schroeder, Westerwelle zum
selben Thema.

Links ist das nicht, sondern rechts-konservativ.
(Zbigniew Menschinski auf tantejolesch.at)